bel:
Raphy:
Mit "unvollkommenem Erwachen" bezog ich mich eher auf die Erfahrungen und Verwirklichungen von Nicht-Arahants.
Na ja, aber was soll das sein und lohnt es sich dazu "Erwachen" zu sagen? Was die Pali-Quellen angeht, wohl doch nicht - aber später gabs darüber langdauernden erbitterten Streit unter dem Motto "graduell vs plötzlich". Übrigens der Grund, warum die Zen-Leute aus Tibet rausgejagt wurden.
Hallo bel,
klar darüber kann man streiten.
Muß natürlich jeder für sich wissen wie er etwas nennt und welche allgemeine Einstellung zum Thema Erwachen ihm am besten hilft.
Für mich persönlich kann ich sagen, dass es für mich scheinbar hilfreich war, dass ich Lehrer gehört habe, die von den kleinen Satoris, den kleinen Erwachen gesprochen haben und dass man diese nicht überbewerten sollte.
Sie aber trotzdem ihren Platz haben auf dem Weg.
Kann ich auch aus meiner Erfahrung bestätigen. Für mich stimmt das. Und ich finde es persönlich gut das zu benennen.
Und ich sage ja nicht "Erwachen" dazu, sondern "unvollkommenes Erwachen". Die Wörter "unvollkommenes Erwachen" sagen ja genau das was du wahrscheinlich meinst, nämlich dass es kein letztendliches "vollkommenes Erwachen" ist. Deswegen kann man es auch gerne anders nennen, als "unvollkommenes Erwachen", wenn einem das mehr liegt.
Mir ist sowieso egal wie man etwas nennt. Das einzige was mich interessiert in dem Zusammenhang ist, ob die Benennung hilfreich ist, für denjenigen der sie verwendet oder verwenden muß. Und das kann für jeden Menschen anders sein. Deswegen ist für mich ein guter Lehrer auch so wertvoll, weil er genau auf die individuellen Fähigkeiten, Kapazitäten und Bedürfnisse des Schülers eingehen kann. Und nicht an althergebrachten Traditionen und Bezeichnungen kleben muß, wenn sie dem Schüler im jetzigen Moment nicht helfen.
Wie gesagt ich erhebe keinen Allgemeingültigkeitsanspruch, nenne es wie du willst.
Du hast etwas über den Streit von graduell vs. plötzlich geschrieben.
Wenn sich Menschen über etwas streiten und das ernst meinen, kann es mit der Wahrheit nicht weit her sein.
Und sich dann noch über eine Sache wie "graduell vs. plötzlich" zu streiten ist für mich Kindergarten.
Für mich ist beides wahr.
Ich merke, dass es scheinbar graduelle Veränderungen gibt, in meinem äußeren Leben wie in meinem inneren Leben. Und es scheint sich auch mein Umgang mit dem äußeren und inneren Leben zu verändern, unabhängig oder zunehmend unabhängiger davon ob sich im Außen oder Innen etwas verändert oder nicht.
Und gleichzeitig wird mir scheinbar immer klarer, dass es auch etwas gibt was von all dem völlig unberührt ist. Immer da ist. Immer gleich ist.
Es ist kein Objekt, der benennende Verstand kann es nicht greifen, weil er dazu Objekte braucht. Deswegen ist jeder Versuch es zu erklären sinnlos. Weil man sich damit wieder ausschließlich in die Welt der Objekte begeben würde, die aber nur ein kleiner Teil des Ganzen ist.
Es geht ja gerade darum das kennenzulernen was jenseits von Objekten und Benennung ist. Es ist ja nichtmal ein Etwas.
Wie soll man das erklären?
Man kann nur Fingerzeige und Hilfsmittel geben damit der andere selbst sehen kann.
Letztendlich ist auch jede Beschreibung Illusion. Ich kann dir natürlich beschreiben wie eine "Tombumklum-Frucht" schmeckt, ich kann bestenfalls Vergleiche zu anderen Früchten deren Geschmack dir bekannt ist, zur Hilfe nehmen, aber den einzigartigen Geschmack dieser Frucht wirst du nur schmecken wenn du sie ißt, wenn du sie selbst erfährst. Deswegen ist meine Erklärung sinnlos. Weil sie es dich nicht schmecken läßt. Im schlimmsten Falle wird sich eine Vorstellung des Geschmackes dieser Frucht in dir bilden und du wirst diese für das Schmecken der Frucht halten. Die Beschreibung ist eine Illusion, weil sie dich glauben machen könnte, dass mit dem intellektuellen Verstehen alles getan ist. Aber es ist ja erst der Anfang. Kindergarten.
Erklärungen des Geschmackes sind sinnlos. Viel sinnvoller wäre es dir zu erklären wo du diese Frucht findest, welchen Weg du am besten nimmst, wie du sie erntest. Und dann weißt du auch wie sie schmeckt. Und das sogar ganzheitlich und auf dem Weg dahin hast du vielleicht noch ein paar Abenteuer erlebt. Du hast also sehr viel mehr gelernt, als wenn ich dir nur den Geschmack beschrieben hätte. Und du hast das gelernt was wirklich wichtig ist. Was man nicht durch eine Beschreibung des Geschmackes lernen kann. Du hast viel ganzheitlicher gelernt.
Der einzige Sinn den Geschmack zu beschreiben ist dich dazu zu animieren diese Frucht auch einmal zu kosten. Dir zu sagen, dass es das sein könnte was du dein ganzes Leben gesucht hast. Aber du mußt den Weg selbst gehen und selbst schmecken. Und erkennen ob es wirklich das ist was du gesucht hast.
Und dann gibt es auch keinen Widerspruch zwischen graduell und plötzlich. Der Weg zu dieser Frucht, die Ernte und das zum Mund führen, könnte man als graduell bezeichnen.
Das Schmecken und ganzheitliche Erkennen des Geschmackes ist plötzlich. Es wird einen Moment geben wo dir plötzlich der Geschmack und das Wesen dieser Frucht klar ist.
Vorher waren es nur Vorstellungen von der Frucht. Nun ist es Gewißheit. Es gab einen Sprung. Es ist nicht mehr mit den Vorstellungen vorher zu vergleichen. Es ist etwas total anderes. Du weißt jetzt einfach. Diesen Geschmack kann dir niemand ausreden oder Theorien darüber aufstellen, warum diese Frucht anders für dich schmecken sollte, als sie dir schmeckt. Du kannst darüber nur lachen, wenn das jemand versucht. Oder du bedauerst es, dass er nicht auch eine so wohlschmeckende und perfekte, völlig reine Frucht schmecken kann. Und stattdessen lieber seinen Theorien anhängt.
Aber ok, wenn Theorien die Früchte sind die ihm schmecken, er ist frei.
Graduell und Plötzlich gehören zusammen. Da gibt es keine Trennung. Ich kann die plötzliche, ganzheitliche Erfahrung und das Erkennen der Frucht nur haben, wenn ich den Baum gefunden und die Frucht geerntet habe. Wenn ich mich auf den Weg gemacht habe. Aber wenn ich die Frucht kenne, spielt mein persönlicher Weg keine Rolle mehr. Es war eben mein Weg dorthin.
Einem anderen fällt die Frucht vielleicht einfach auf den Kopf, weil er schon unter dem Baum sitzt.
Sieht natürlich etwas unfair aus. Ich mußte mich so antrengen, abmühen und ihm fällt die Frucht einfach in den Schoß. Aber so denke ich eben nur wenn ich die Frucht noch nicht kenne.
Und ich weiß nicht ob das was ich hier beschreibe das Höchste ist was es zu verwirklichen gibt. Deswegen schreibe ich von "unvollkommenem Erwachen". Ich hoffe auf deine Frage dannach was "unvollkommenes Erwachen" für mich sein soll, bin ich mit diesem ellenlagen Text etwas eingegangen.
Ich fühle mich nicht vollkommen erwacht. Ich lerne jeden Tag. Es geht trotzdem irgendwie weiter.
Wenn etwas vollkommen ist, am Ziel angekommen ist, dürfte es keine Entwicklung mehr geben.
Das ist scheinbar bei mir nicht der Fall, also würde ich auch in dieser Hinsicht nicht von Vollkommenheit bei mir sprechen.
Und von Erwachen schon garnicht. Aber ich muß ja irgendein Wort verwenden. 
Liebe Grüße