Beiträge von Doris im Thema „Karma, die unliebsame Diskussion“

    Ich bin nicht dafür verantwortlich, wenn sich jemand langweilt.
    Ich kann verstehen, wenn jemand über lange Zeit an einem Knochen kaut. Ich kaue seit 51 Jahren an immer denselben Knochen. Gott sei Dank! Das bedeutet, dass ich meine Suche nicht aufgebe, den Kopf nicht in den Sand stecke, Ausdauer beweise. Ich werde solange suchen, bis ich das, was ich wissen will, verstanden habe. Und ich verstehe das Anliegen von Matthias sehr gut, denke ich. Seine Artikel, seine Glossen und auch seine Polemiken finde ich anregend. Ich fühle mich nicht dazu verpflichtet allem beizupflichten, aber es regt mich zum Nachdenken an. Komisch, nicht nur Inhalte, auch Verhaltensmuster und meine eigenen Rezeptionsmuster sind für mich mehr und mehr Anregungen geworden. Daher, Dank an Alle für Alles. _()_


    Liebe Grüße
    Doris

    Zitat

    "Karma" wird, so meine Ansicht, mit negativem verbunden, weniger aber mit dem Positiven.


    Ja, das ist gut möglich.
    Es wird wohl oft erst später erkannt, dass die Gesetze des Karma zu begreifen bedeutet sich der Freiheit zuzuwenden. Dass es bedeutet, dass wir einander beistehen, für einander Verantwortung tragen, dass wir unser Leben in die eigene Hand nehmen, dass wir uns nicht zurücklehnen und dem Schicksal ergeben. Es ist das genaue Gegenteil von Passivität, von Gleichgültigkeit von Zynismus. Auch, wenn es letztendlich bedeutet, dass es "nichts zu tun gibt".


    Für mich selbst ist die Untersuchung meines Karma äußerst hilfreich und befreiend. Ich stosse permanent auf Dinge, die ich mir selber in den Weg stelle, all die großen und kleinen, die offensichtlichen und subtilen inneren Botschaften, Gewohnheiten, also Muster, mit denen ich mir und anderen das Leben unnötig erschwere. Das ist Bergarbeit, aber die Belohnung ist Gold.


    Ich kann die Aversion, die mit dem Begriff einhergeht, gut verstehen. Die Verbindung von "Karma" und "Du bist selber schuld und deshalb kümmerst Du mich nicht" ist für mich ein völliger Widerspruch und untragbar. Mir selbst ist es auch lange so ergangen, dass ich immer diese Verknüpfung herausgehört habe. Zum Teil wurde es so dargelegt, zum Teil habe ich das selbst hineininterpretiert. Deshalb ist es gut gewesen, den Widerstand gegen diese Semantik zu bewahren, das war ein Zeichen meiner Buddhanatur (die uns allen inhärent ist). Dennoch musste ich erst von meinen Vorstellungen loslassen, um mich auf den Begriff unvoreingenommen einzulassen.


    Liebe Grüße
    Doris

    Zitat

    Ich glaube deshalb nicht, dass die Karma Lehre und Wiedergeburt die Grundlage des Buddhismus ist. Grundlage und Ziel ist und bleibt die Befreiung von den Trieben, (i.e. getrieben werden), von Gier (... Hass und Verblendung):


    Das ist aber Karma.
    Ziel des Buddhadharma ist die Veränderung der unheilsamen Gewohnheiten und das Erlernen heilsamer Gewohnheiten und letztendlich das Ende des Ergreifens.
    Also, die Entwicklung von heilsamem Karma bis hin zum Erlöschen des Karma. Es ist also doch die Essenz und das Ziel.


    Ich denke, da ist viel negatives Ergreifen beim Lesen des Begriffes "Karma". Da kommen viele Emotionen hoch, die aus Vorstellungen über den Inhalt des Begriffes resultieren. Das ist aber reines Kopfkino, also Ergreifen. Daher dann die Aversion und der Versuch den Begriff abzuschaffen. Er ist unangenehm. Liegt aber meiner Meinung nach an der fälschlichen Verknüpfung mit Zynismus und einem bestimmten Verständnis. Daher wäre es gut, sich den Begriff mal unvoreingenommen anzusehen, sich die Emotionen anzusehen, die auftauchen beim dem Begriff, sich auch intensiv und unvoreingenommen auf die Untersuchung des Begriffes einzulassen. Nicht einfach ablehnen.


    Also eignet sich die Nennung des Begriffs "Karma" selbst oft ganz wunderbar um seine Bedeutung zu erkennen, denn schon die Nennung des Begriffes scheint das ganze Dilemma des Ergreifens aufzuzeigen. Das ist nicht ohne Ironie :D


    Liebe Grüße
    Doris

    Sophie:

    Entschuldigt bitte, daß ich so in Euren Austausch " hineinplatze" mit meinem Anliegen: Ich ( ungäubige, engagierte Buddhistin ) liebe Buddha, nehme täglich Zuflucht, praktiziere, das Mantra OM MANI PADME HUM begleitet mich innerlich Tag und Nacht; aber die Karma-Lehre war mir schon vor 35 Jahren fremd, und inzwischen empfinde ich sie sogar als inhuman. Diesen Glaube, daß man sich sein Wohlergehen selbst verdient hat, und daß der andere, der gerade leidet, schlechtes Karma abarbeitet (z.Bsp. die krebskranke Freundin, oder die junge Frau in Indien, die in einer Textilfabrik 12 Std. am Tag schuftet) finde ich empörend, und ich kann mir nicht vorstellen, daß Gautama Buddha, lebte er heute, dieser Ansicht wäre. - Ich liebe es, mit gläubigen Buddhisten im Tempel zu meditieren und zu chanten; aber in persönlichen Gesprächen bin ich immer wieder aufs Neue befremdet, wenn ich erfahre, wie gleichmütig sie z.Bsp. auf elende, auch vom Westen mitverursachte Zustände in der 3. Welt reagieren. Und die Aussage, wir könnten froh sein, daß wir aufgrund unserer Verdienste im Westen leben, finde ich unerträglich. Da tut sich eine Kluft auf; ich bin traurig, daß die Karma-Lehre sich so auswirken kann. --Ergeht es jem. ähnlich??


    Anfangs ja. Es klingt auf den ersten Blick zynisch, vor allem, wenn Leute sich in ihrem Glück sonnen und dann eine Schuld-Geschichte daraus machen. Erst viel später habe ich einiges besser verstanden, nämlich in dem Moment, als ich selbst für mein Handeln die volle Verantwortung zu übernehmen bereit war


    Karma ist nach meinem Verständnis einfach "Gewohnheit". Der Ursprung mancher Gewohnheiten ist nicht zu finden, da er Generationen – auch in evolutionären Zeiträumen gedacht – zurückliegen kann. Beispiel: Die Generation unserer Eltern und Großeltern erlebte und war für zwei Weltkriege verantwortlich, mit all seinen Folgen. Die Handlungen damals können wir heute noch spüren, auch wenn sie vielen von uns nicht klar sind, wir an den Folgen leiden ohne zu wissen woher sie kommen. Aus diesen Folgen resultieren Gewohnheiten im Denken und Handeln. Das ist Karma. Wir können nichts für diese Kriege, aber wir handeln gewohnheitsmäßig und oft ohne Wissen unheilsam als Folge davon.


    Die Inderin in der Textilfabrik "arbeitet" also auch Karma ab: In ihrer Gesellschaft setzt man sich gewohnheitsmäßig nicht für Frauen ein, für Sicherheitsstandards u.v.m. (Ich will das nicht "kolonial" verstanden haben, mir ist bewusst, dass dieses Netz auch mit unserer Gesellschaft verwoben ist. Aber weil das alles derart verflochten ist, dass ein Mensch das nicht vollständig analysieren kann, verzichte ich auf weitere Erklärungen.) Dies ist für mich das, was man als "kollektives Karma" bezeichnen kann: also die Gewohnheiten einer Gesellschaft.
    Dann ist da das individuelle Karma, also das, was die Inderin aus ihrer Situation macht: fügt sie sich oder versucht sie ihre Situation zu verändern, lässt sie ihren Unmut an anderen aus oder an sich, fängt sie an sich zu wehren oder versinkt sie in Selbstmitleid und unendlich mehr.


    Das hat alles nichts mit Zynismus zu tun, nichts mit Schuldzuweisungen und Strafen. Es beschreibt nur wie wir, jeder einzelne von uns und auch Gruppen, mit Situationen umgehen. Nach meiner Erfahrung lehrt der Buddhadharma die Erkenntnis darüber, dass wir alle miteinander verwoben sind, dass wir auch verstrickt sind und dass es Wege aus dieser Verstrickung gibt. Wir können umlernen, unsere Gewohnheiten ändern, unsere Sichtweise verändern. Die Inderin in der Fabrik kann erkennen lernen, dass sie nicht mehr länger Opfer sein muss, sie kann lernen sich mit anderen zusammenzuschließen ........ wir können lernen, dass wir mit der Inderin verbunden sind, dass wir ihren Kampf unterstützen müssen und keine Billigkleidung mehr kaufen, auch wenn uns der Kauf des top-modischen Shirts gerade lockt.


    Vielleicht hat die krebskranke Freundin geraucht, dann ist ihre Erkrankung eine Folge davon. Nicht die Erkrankung, sondern das Rauchen ist Karma. Vielleicht ist es erblich, dann ist das einfach so – ob Genetik was mit Karma zu tun hat, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber was Karma in diesem Fall sein kann, ist die Art und Weise, wie die erkrankte Frau mit ihrer Krankheit umgeht. Steckt sie den Kopf in den Sand? Versucht sie die Krankheit zu akzeptieren? Kämpft sie um Gesundung? Macht sie jemanden dafür verantwortlich? Verzweifelt sie? Findet sie für sich einen Sinn in der Krankheit? Wie geht sie mit dem Sterben um? Wie behandelt sie Ärzte und Pflegepersonal? Zieht sie sich von ihren Freunden zurück oder sucht sie deren Nähe? Auch hier sind die Möglichkeiten wieder unendlich. Auch hier geht es nicht um Schuld und Sühne, nur um die Art und Weise, wie gehandelt wird. Betrachtung und Sichtweise ist übrigens für mich auch eine Handlung. So könnte sie die Erkrankung als ungerecht betrachten oder als Herausforderung usw.


    Karma, also gewohnheitsmäßiges Handeln, ist etwas, das wir selbst in der Hand haben. Das zu verändern und zu gestalten ist mit sehr viel Arbeit verbunden, mit absoluter Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Aber es lohnt sich, Lohn sind mehr Glück und Zufriedenheit - und Freiheit. Das kann jeder an sich selbst feststellen und es kommt darüberhinaus allen Wesen zugute.


    Ich bin froh hier im Westen zu leben, dass ich noch nie einen Krieg erleben musste, eine Hungersnot oder Ähnliches. Das empfinde ich als Vorzug. Ein Teil dieses Privileges ist wohl einfach Ergebnis der Geografie, ein Teil jedoch sicher auf das Engagement unserer Vorfahren zurückzuführen, z.B. der Gewerkschafter aus früheren Zeiten. Wenn ich mich nun als untrennbar verwoben mit meinen Vorfahren betrachte (das geht nun sehr sehr tief), als ein Teil von ihnen, dann ist es eben auch mein Verdienst. Es wird umso mehr mein Verdienst, wenn ich die Fackel weitertrage. Ich kann dazu beitragen, dass das Leben der Inderin und deren Nachkommen verbessert. Auch wenn das erst meine Nachkommen machen, so habe ich dann mitgewirkt, denn ich habe die Kette nicht abreissen lassen, den Samen gelegt.


    Dennoch, was nie vergessen werden darf, für mein Karma, meine Gewohnheiten bin nur ich verantwortlich, nur ich kann sie verändern. Aber das ist eben auch Freiheit, denn niemand kann letztendlich so über mich bestimmen, außer ich selbst. Andere können mir aber Anregungen liefern, mich inspirieren, mich begleiten. Wir können die Inderin nicht ändern, neigt sie zu Unzufriedenheit, wird auch ein besseres Arbeitsumfeld nichts daran ändern, wir können sie aber unterstützen, wenn sie ihre Gewohnheiten und die ihrer Gesellschaft verändern möchte.


    Liebe Grüße
    Doris

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    Weil es im Zen gerade nicht darum geht mit dem Kopf zu meditieren zieht es es viele eher verkopfte Menschen an, die dann mit dem Kopf meditieren. So wie man bei der Rückengamnastik halt viele Leute mit Rückenproblemen begegnet. Der Schluss das Rückengymnastik zur Rückenproblemen liegt da natürlich nahe.


    Im Zen gibt es eine grosse Menge an Büchern in denen man lesen kann, dass man sich nicht unbedingt an das halten sollte, was man in Büchern liest. Die Probleme sind hier wie dort aber nur scheinbare.


    Aber sie redet doch vom Chan. Zen war vor einer Woche.


    Meditation mit dem Kopf … Wie wäre es mit dem linken Arm oder der Niere?


    Ich kenne keine Statistik, die beweist, dass der Zen "verkopfte" und der Theravada "verkörperlichte" Menschen anzieht. Das sind subjektive Wahrnehmungen, vergleichbar mit dem Gefühl, dass Deutschland immer gefährlicher wird.

    Zitat

    Begierde und Trübsal heißt im Chan einfach " ohne Zu,-und Abneigung ",
    soweit ich weiß.


    Das ist der schlichte erste und immer zu pflegende Medi-Modus sowohl im Chan als auch im Theravada,
    soweit ich weiß.


    Das verstehe wer will.
    Bis vor einer Woche hast Du Zen praktiziert. Heute plötzlich Chan. Und an einer Stelle redest sogar Du von "Kensho im Chan".
    Ist Chan nicht chinesisch und Kensho nicht japanisch?
    Und wie schnell kennt mensch sich in einer buddhistischen Tradition aus? Genügt da eine Woche?


    Begierde und Trübsal sind also "ohne Zu- und Abneigung". Ach so.

    Zitat

    Das Intellektuelle ist schon nützlich,
    aber für die konkrete Übung ein
    Sack mit Feldsteinen. Es stärkt den Ich-Wahn-
    Dünkel, Zweifel, Unruhe, Unfrieden.


    Ich muss da vehement widersprechen.


    Vielleicht sollte unterschieden werden. Die reine Intellektualisierung ist problematisch, da sie was ausschließt. Was schließt sie aus? Die Personalisierung, den Bezug auf sich selbst. Das kann eine Art Dissoziation sein.
    Also, ich kann gut über Ethik dozieren und herrliche Bücher schreiben, aber wenn ich sie nicht zu was "Persönlichem" mache, mich also nicht darin übe, sie nicht anhand meines Lebens zu realisieren versuche, wird sie nutzlos sein, zumindest für mich selber. Ein Leser könnte sehr wohl daraus was für sich ziehen, das hängt von seiner Gewohnheit ab.
    Deshalb ist es auch so nutzlos, wenn man bei anderen ständig versucht die Praxis mit den Lehren in Einklang zu bringen. Auch jemand, der seine Worte nicht 1:1 in die Tat umsetzen kann, kann ein wundervoller Lehrer sein. Der beste Schüler hat immer den besten Lehrer. Nur mal so am Rande …


    Diese Zweifel, Unruhe usw. sind auch eine Gewohnheit. Manchmal sogar sehr wichtig. Jeder hat einen anderen Zugang. Manche müssen die Dinge logisch durchkauen und erst danach können sie ihr Herz öffnen, andere gehen den umgekehrten Weg. Dazwischen gibt es unendliche Nuancen, auch innerhalb eines einzigen Menschen.


    Für mich ist der Buddhadharma logisch und deshalb auch intellektuell sehr gut erfassbar. Vieles konnte erst in mich dringen, nachdem ich es intellektuell immer wieder untersucht habe. Gerade "Karma" und "Ursache und Wirkung", "Bedingtheit". Das war anders nicht zu lösen.
    Es ist diese intellektuelle Erfassbarkeit, die mithilft, dass ich mich nicht auf eine Tradition festlegen muss und auch nicht in Schleudern komme durch die Verschiedenheit der Ansätze und Metaphern. Übrigens ist das auch ein hervorragendes Mittel, um sich vom Sog seiner Emotionen zu distanzieren und nicht auf jede Gedankenwolke reinzufallen, nur weil sie so schön kuschelig ist …


    Ich bekomme Magensausen, wenn der Intellekt diffamiert wird, wenn wir unseren Verstand nicht zu Rate ziehen. Gerade auch im Bereich Religion. Das öffnet Tür und Tor für Totalitarismus, Intoleranz und noch so einigem Übel.


    Liebe Grüße
    Doris

    Warum sollen wir das nicht, lieber Ken?


    Ich denke, dass das ein derart schwieriges Thema ist, dass wir es einfach immer wieder neu aufnehmen und solange wiederkäuen müssen bis es klar ist.


    Ich habe früher auch mit viel Widerstand darauf herumgekaut. Heute ,glaube ich, das verstehen zu können. Aber dazu brauchte es viele viele unangenehme Diskussionen, viel Empörung, viele verletzte Gefühle, viel Abneigung, die überwunden werden musste.


    Liebe Grüße
    Doris