Yoni:Kann man Mitgefühl für einen Hitler empfinden ohne an den Greultaten zu verzweifeln?
Huch, das ist ein sehr emotionsgeladenes Thema, welches ja sehr geschickt noch heute im Jahre 2014 am Köcheln gehalten wird. Wobei ich an den guten Absichten der Feuermacher zweifle. Aber ich will Dir trotzdem antworten, so gut ich es eben kann.
Das was in jedem Menschen abläuft, bevor es zur Tat (Kamma) kommt, ist auch bei Hitler abgelaufen. Sein Hass ist der gleich Hass wie der meinige, der gleiche wie der Deinige und der gleiche wie aller Menschen. Anders ist sicherlich die Intensität des Hasses. Dennoch, Hass ist Hass.
Mir haben Mönche, die schon dreissig und mehr Jahre im Kloster leben bestätigt, dass auch sie diesen Hass noch in sich spüren. Nicht oft, aber dann und wann mal kommt er hoch. Ob Hass in uns ist oder nicht und wie viel, ist eine Angelegenheit der Wirkung vergangenem Kamma. Im besten Fall sind wir erleuchtet und es gibt keine Wirkung mehr.
Wenn wir äusserst gewahr auf den Augenblick sind, dann merken wir in Bewusstheit, dass Hass aufsteigt und wir geneigt sind, diesen auszuleben (Kamma zu tätigen) und wir können uns frei entscheiden, diesen Hass umzusetzen, oder ihn unbeachtet stehen zu lassen, bis er sich wieder zurückzieht. Zweiteres benötigt spirituelle Weisheit und Gleichmut (Upekkhā). Dies ist eine heilsame Aktion, es ist das Kamma, welches zur Beendigung von Kamma führt. Da wir aber noch nicht vollkommen erleuchtet sind, setzen wir diesen Hass mal mehr, mal weniger in Tat (Kamma) um. Wenn wir es zu spät bemerken und wir den Hass schon ausgelebt haben, gilt es zu analysieren, wie es dazu kam und sich "hinter die Ohren zu schreiben" , dass wir fortan unsere Geistesgegenwart erhöhen, damit wir zeitgerecht eingreifen können.
Hitler hat dies alles nicht gewusst und irgendwann sind alle Dämme gebrochen (und ist der Ruf mal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert). Ein Mensch ist aber nicht nur gut, oder nur schlecht, noch nicht mal Hitler. In jedem Menschen sind die Brahma-Vihāra fest und unzerstörbar drin. Wogegen die schlechten Kilesa durchaus ausgemerzt werden können. Auch Hitler hatte die Brahma-Vihāra, nur waren sie bei ihm zugeschüttet und er hatte kaum Zugriff auf sie.
Wenn ich meine schlechten Handlungen anschaue, dann habe ich selten wirklich in Bewusstheit und willentlich unheilsames Kamma getätigt. Aber oft aus Unachtsamkeit oder unter dem Einfluss von Avijjā, durch Unwissenheit (z.B. Rache ist süss) ist Unheilsames geschehen. Ob Hitler achtsam war und Unheilsames tat oder unachtsam war und Unheilsames tat, das weiss ich nicht. Fakt ist, dass er Unheilsames getan hat und nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung wohl noch länger in der Hölle schmoren wird.
Die Frage des Mitgefühles habe ich mir bisher nicht gestellt. Das was ich also ab hier schreibe, sind nicht wohldurchdachte Gedanken, sondern sprudelt spontan aus mir heraus. Wenn ich es ihm verweigere, dann nehme ich mir ja heraus, über ihn und seine Taten zu urteilen. Das mag ich nicht, denn für ein Urteil fehlen mir einige wichtige Fakten, zum Beispiel die Einsicht in seine wahren Gedanken. Wenn ich ihm Mitgefühl entgegenbringe, tue ich dann etwas Heilsames oder etwas Unheilsames? Mitgefühl ist ja eines der vier Brahma-Vihāra und jedes Mal wenn ich es ausübe, dann stärke ich es. So gesehen ist es heilsam. Etwas Unheilsames kann ich derzeit darin nicht erkennen. Dennoch bricht etwas Menschliches in mir durch was mir sagt, ich sollte kein Mitgefühl für Hitler aufbringen, das kann ich aber nicht klar erkennen und fassen. Wenn ich jetzt entscheiden müsste, dann würde ich ihm Mitgefühl zukommen lassen.
Kannst Du mit dieser Sichtweise leben, auch wenn ich den Kern Deiner Frage nicht wirklich beantworten konnte?