Beiträge von Tai im Thema „Herzgeist“

    solaris:

    Aber der Herzgeist kann "kultiviert" werden. Im Zen durch Zazen.


    Mit dem Begriff Herzgeist ist im Grunde deine Geistsubstanz gemeint, die unabhängig von äußeren oder inneren Bedingungen stets unmittelbar gegeben ist. Du kannst dieser Grundqualität des Herzgeistes, stets unmittelbar gegeben zu sein, nichts hinzufügen. Gemäß Buddhas- und der Zen-Lehre eröffnet sich dir von Augenblick zu Augenblick die Möglichkeit im gegenstandslosen Gewahrsein des Herzgeistes mit allem Eins zu sein (=Erleuchtung). Stattdessen aber verlieren wir uns i.d.R. von Augenblick zu Augenblick geradezu zwanghaft in körperlichen Wahrnehmungen, Gefühlen, Gedanken, Impulsen und bedingtem Bewußtsein (5 Skandas). Mit Kultivierung ist in diesem Zusammenhang daher in erster Linie die Kultivierung des Herzgeist-Gewahrseins gemeint.


    Wie du schon andeutest, wenden die unterschiedlichen Schulen hierzu jeweils etwas andere Methoden an. Zazen (jap. für "Zen im Sitzen") ist dabei keineswegs die einzige Zen-Methode, wenn auch eine, die besonders geeignete Voraussetzungen für diese Kultivierung schafft und daher in allen mir bekannten Zen-Schulen eine hohe Priorität einnimmt. Es gibt auch Zen im Gehen, Zen im Liegen, Zen bei der Arbeit, Zen beim (z.B. rituellen) Essen, Zen bei sonstigen Ritualen, Zen während der Mantrarezitation etc., wobei es hierfür jeweils wieder chinesische, japanische und koreanische Begriffe gibt.


    solaris:

    Der Herzgeist wird von Mensch zu Mensch durch persönlichen Kontakt übertragen. Ist das auch so gültig für jede Alltagsbegegnung zwischen ungeübten Menschen? Ist es etwas Unwillkürliches, das man nicht beeinflussen kann oder kennt man das nur bewusst in einer Lehrer-Schüler Begegnung?


    Der Herzgeist ist ja immer eh schon da, wie könnte er da von außen übertragen werden? Andererseits habe ich außer vom Buddha selbst von niemandem gehört, der ohne Hilfe durch einen Lehrer diesen Erleuchtungszustand verwirklicht hätte. Und Buddha sprach, einer Anekdote zufolge, selbst von Übertragung (siehe unten). Die Frage nach "Übertragung von (Herz)geist zu (Herz)geist", wie es korrekter Weise heißt, kann nicht einfach mit ja oder nein beantwortet werden, sondern ist in sich ein Koan. Eine relativ bekannte Form dieses Koans ist der 6. Fall des Mumonkans. Der Einfachheit halber gebe ich dir hier eine vereinfachte Form des Koans wieder (vollständige Version siehe Mumonkan):


    Zitat

    Als Buddha vor einer Versammlung statt langer Reden nur schweigend eine Blume hochhielt, war jeder in der Menge sprachlos; nur Mahakashyapa konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Buddha sprach: "Ich besitze den wahren Dharma, der nicht auf Worten oder Schriftzeichen basiert, und übertrage ihn an Mahakashyapa."


    Meister Wumen sagt dazu: "Wenn du sagst, der Dharma könne übertragen werden, dann ist Buddha ein Wichtigtuer, der die Leute betrügt. Wenn du aber sagst, der Dharma könne nicht übertragen werden, warum verspricht Buddha ihn dann allein dem Mahakashyapa?"


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    Tai

    Mit Herzgeist ist genau dasjenige gemeint, das hier die Frage nach Herzgeist stellt. Naturgemäß entzieht sich, was du bist, jeder begrifflichen Annäherung; es ist vielmehr dasjenige, das Begriffe benutzt, um es zu verstehen.


    Meister Huang Po sagt dazu(Der Geist des Zen, Kapitel 10):


    Zitat

    Der Herzgeist kann nicht benutzt werden, um den Herzgeist zu suchen.


    Den Versuch, den Herzgeist mit begrifflichem Denken zu verstehen bzw. durch Übertragung oder sonstwie zu erlangen, vergleicht Huang Po mit einem Krieger, der überall in der Welt vergeblich nach einer Perle sucht, die er dort aber niemals wird finden können, weil er sie die ganze Zeit auf seiner Stirn trägt. Auch Meister Lin Chi (Rinzai) verwendet im Kapitel 11d des Lin-Chi-Lus einen ähnlichen Vergleich:


    Zitat

    Yadnadatta glaubte, seinen Kopf verloren zu haben. Als er aufhörte, wild danach zu suchen, fand er ihn da, wo er immer war und verstand, dass er nicht suchen konnte, was er nie verloren hatte.


    Mit begrifflicher Annäherung wirst du dem Herzgeist niemals gerecht werden; eher schon mit nonverbalem, intuitiven Erfassen, mit genau jetzigem Gewahrsein, das in dem Augenblick entsteht, in dem du das begriffliche Denken auf allem Ebenen aufgibst.


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    Tai