Beiträge von Sudhana im Thema „Carl Bielefeldt zu Dôgen und Hui-neng“

    Zitat

    Ein Beispiel ist, dass du Yampolsky (1967) zitierst, ohne seine wesentliche Ansicht zu erwähnen: Dass Dôgen Yampolskys Meinung nach das Plattformsutra nie in den Händen hatte!


    Dein Englisch ist noch ausbaufähig. Dass Dōgen das Plattform-Sutra nicht gekannt haben soll, ist natürlich Unsinn (immerhin kam eine frühe Variante des Textes bereits 805 durch Saichō nach Japan) und das behauptete Yampolski auch gar nicht. Yampolski bestritt lediglich, dass das der Daijōji-Edition zugrundeliegende Manuskipt von Dōgen selbst in China kopiert wurde - was die traditionelle Überlieferung sagt, die heute in der Fachwelt als Legende gilt. Wenn bei Yampolski steht "in his hand" dann heisst das 'in seiner Handschrift' und nicht 'in seinen Händen'. Fakt ist - es ist schlicht nicht rekonstruierbar, welcher (möglicherweise verstümmelte oder korrupte) Text Dōgen vorlag.


    Zitat

    Als Dôgen in seinem Essay "Shizen biku" (im Shobogenzo) das "Erkennen der Natur" beschreibt, sagt er: "Das Plattformsutra des sechsten Patriarchen enthält die Worte "die Natur erkennen", doch dieser Text ist eine Fälschung. Es handelt sich nicht um die Worte eines Mannes, dem der Schatz des Dharmas übertragen wurde ... Es ist ein Text, auf den sich Nachfolger der buddhistischen Patriarchen niemals verlassen." (übersetzt nach Nishijima & Cross).

    [/quote]


    Richtig ist daran, dass Dōgen in Shōbōgenzō Shizen Biku die Authentizität des Plattform-Sutra bestreitet, im Sinne einer Autorschaft Huinengs. Damit ist er mit modernen Forschern ja in guter Gesellschaft. Der (einzige) Punkt, an dem Dōgen sich explizit in Bezug auf das Plattform-Sutra stößt, ist die Reduzierung des Buddhadharma auf das "Sehen der wahren Natur".
    Zitat:
    Where have any of the Seven Buddhas or our twenty-eight Indian Ancestors said that the Buddha Dharma is merely the seeing of one’s True Nature? (Übers. Hubert Nearman)


    Who, among the Seven Original Buddhas and the twenty-eight Indian ancestors, regards buddha dharma merely as seeing through human nature? (Tanahashi-Ausgabe)


    Where has any of the Seven Buddhas or the twenty-eight patriarchs of India said that the Buddha-Dharma is only “seeing the nature”?
    (Nishijima/Cross)


    Das bedeutet ja nun nicht, dass Dōgen alles verwarf, was im Plattform-Sutra bzw, was durch das Platformsutra Eingang in das Chan der Song-Zeit gefunden hatsteht. Hinzu kommt, dass 'Shizen Biku' im Gesamtwerk Dōgens eine eher marginale Bedeutung hat. Es handelt sich um einen offensichlich unfertigen, ersten Entwurf, den Ejō zwei Jahre nach Dōgens Tod anhand nachgelassener Papiere in lesbare Form brachte. Es handelt sich zweifellos um ein interessantes Detail in Dōgens Nachlassenschft - aber auch nicht mehr.


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    Zunächst - ich stimme bel in jeder Beziehung zu. Das kommt jetzt aber nicht wirklich überraschend, oder? Trotzdem - ein hochinteressantes Thema, da es um den Kern dessen geht, was Zen von anderen buddhistischen Richtungen unterscheidet. Daher äußere ich mich etwas ausführlicher dazu.


    Zunächst: ss ist ja schön, dass hier Bielefeldt zitiert wird - nur, warum zum Thema Dōgen und Huineng eine Monographie über Dōgens Meditationshandbücher herangezogen wird, die vor allem deren Entwicklungsgeschichte und Verknüpfung mit Chang Lu Zong Zes 'Zuochan I' untersucht und Huineng allenfalls mal am Rande streift, will sich mir nicht recht erschließen.


    Was das zweite Zitat des Ausgangspostings angeht, so erschließt sich mir seine Anführung in diesem Kontext noch weniger. Shenhuis Linie ist seit über tausend Jahren ausgestorben, sie versickerte bereits anfangs des 8. Jahrhunderts bzw. geht mit seinem letzten Erben (Bielefeldt: "self-styled ascendant") Guifeng Zongmi in der Huayan-Schule auf. Die klassischen Chan-Schulen und auch die heute noch existierenden Zen-, Chan-, Seon- und Thien-Linien beruhen alle auf zwei anderen Dharmanachfolgern Huinengs - Qingyuan Xingsi und Nanyue Huairang. Ein weiterer noch heute geschätzter Dharmanachfolger Huinengs (von dem keine Linie ausging) ist Yongjia Xuanjue. Shenhui hingegen - soweit Schriften unter seinem eigenen Namen überliefert sind - ist für das klassische Chan der Tang-Dynastie und erst recht für das der der Song und dessen japanische Ableger (darunter Dōgens Praxisgemeinschaft) ohne Relevanz, auch wenn ihn Bielefeldt a.a.O. als "widely recognized as the chief architect of the Southern doctrine" bezeichnet. Das betrifft (wie die Bezeichnung 'architect' schon andeutet) die Formationsperiode des Chan - die "klassische Fixierung" ist dem schon genannten Huayan-Meister Zongmi zuzuschreiben (Bielefeldt, a.a.O. S. 94). Berufen haben sich spätere Generationen jedenfalls nicht auf Shenhui, sondern direkt auf das Huineng zugeschriebene Plattform-Sutra - an dessen ursprünglicher Abfassung Shenhui hypothetisch in irgendeiner heute unbestimmbaren Weise mitgewirkt haben könnte.


    Davon abgesehen hat Shenhuis Kritik mit Sōtō-Zenpraxis nicht das Geringste zu tun - mal von dem "gesenktem Blick" abgesehen (das machen die Rinzai-Leute übrigens auch so). Selbstverständlich behauptet das Bielefeldt auch gar nicht. Ein derartiges Missverständnis - ob gewollt oder nicht - zeigt nur, wie "tiefgehend" die hier vorgeschützten Kenntnisse der Sōtō-Praxis tatsächlich sind.


    Wenn man von "den Argumenten derjenigen User hier, die z.B. am Dreiklang von Regeln, Meditation und Weisheit festhalten" redet, weiss ich schlicht nicht, wer damit gemeint sein soll. Falls ich zu diesem 'erlauchten Kreis' gehören sollte, kann ich nur sagen, dass da wohl der Unterschied zwischen 'dreifachem Studium' und 'formlosem dreifachen Studium' immer noch nicht so recht verstanden wurde. Es ist ja auch anscheinend noch neu - hatte man mir doch erst kürzlich unterstellt, wenn man danach suche, würde man nur bei Zensplitter fündig - sollte wohl heißen, das sei eine Erfindung von mir.


    Deswegen auch der Verweis von mir auf Bielefeldts Papier, das hier nochmals angesprochen wurde. Um die Suche zu erleichtern und das Suchen am falschen Ort zu verhindern, mal die Passage, auf die ich abgehoben habe - man sollte die ruhig mal komplett und im Zusammenhang lesen:


    Zitat

    As you know, the Zen tradition makes much of this distinction between sudden and gradual styles of Buddhism. In the famous Platform Sutra of the Sixth Patriarch, for example, the Patriarch Hui-neng criticizes the gradual approach to the Threefold Discipline and offers instead a sudden approach based on what he calls "one's own nature": here, the disciple of the "precepts" refers not to a set of restraints intended to overcome one's ethical errors but to the fact that one's mind is by nature not in error; similarly, "meditation" means that one's mind is by nature not disturbed; "wisdom" means that one's mind is by nature not ignorant. Since one's own nature is like this, he concludes, there is no need to set up the practices of the Threefold Discipline; rather, we should recognize that we are naturally -- i.e., by our very natures practicing the Threefold Discipline even in the midst of our errors, disturbance, and ignorance.


    We find this sudden approach to the Threefold Discipline -- sometimes referred to as the "formless discipline" (muso sangaku) -- appearing again and again in the texts of the Zen tradition, often accompanied by sharp criticisms of meditation and strong denials that the tradition's practice of zazen is the traditional discipline of dhyana. So, for example, the Lin-chien lu, an important treatise by the Sung-dynasty Zen master Hui-hung, denies that Bodhidharma's famous nine years of sitting before a wall was the practice of dhyana; and the famed Japanese Zen master Dogen, who emphasized the centrality of zazen, rejects its identification with the meditation of the Threefold Discipline and treats it instead as what he calls "the practice of the buddha" (butsugyo). For Dogen, as for many in the Zen tradition, zazen was not simply the act of a human, training to be a buddha, but the act of a buddha seeking to express himself through human practice.


    Aber das erste Zitat

    Zitat

    Hui-neng sagt: "Die Tatsache, dass der Grund des Geistes (hsin li) ohne Falsch ist, stellt die Ethik der eigenen Natur dar ... Wenn wir unsere eigene Natur verstehen, errichten wir keine Ehtik, Meditation und Weisheit ..." In der erleuchteten Weisheit unserer eigenen wahren Natur tauche kein Bedarf nach Religion auf.


    greife ich trotzdem gerne mal auf, weil Bielefeldt da in der Tat eine für das Verständnis Huinengs zentrale Stelle aufgreift. Etwas mehr Kontext darf allerdings schon sein. Ich führe die Stelle mal an, wie sie Yampolski aus der Dunhuang-Edition (hier gelegentlich nach alter Transliteration auch Tun-huang bezeichnet) übersetzt (Bielefeldt zitiert nach Yampolski) und anschließend zwei Übersetzungen der im Taishō Tripitaka überlieferten mingzeitlichen Edition (TT 2008.358c) - von McRae und der BTTS. Die englischen Zitate übersetze ich nicht - zum einen, weil mir die Muße dazu fehlt (ich mag nicht nur willkürlich irgendwelche Sätzchen herausgreifen und damit rumkleckern) und zum anderen, um sie nicht mit eigenen Interpretationen (zusätzlich) zu befrachten. Wer wirklich an den Zitaten interessiert ist und nicht damit zurecht kommt, kann sich per PN an mich wenden, ich bin dann gerne behilflich. Wenn das der Moderation nicht passen sollte, sollen sie mich halt sperren.


    Schon hier wird deutlich, dass mit Bielefeldts "Wenn wir unsere eigene Natur verstehen" natürlich kein intellektuelles Verständnis gemeint sein kann. Bei Yampolsky (um ihn zumindest hier doch ins Deutsche zu übersetzen) ist es das "Erwachen zur Selbstnatur". Und natürlich wird DANN nicht nur keine Ethik, Meditation und Weisheit "errichtet", sondern schlicht nichts - kein dharma. Dass es da auch keinen Bedarf nach Religion oder sonst etwas gibt, ist fast zu trivial, um es noch anzuführen.


    Interessanterweise ist in der jüngeren Fassung des Platform-Sutra (der Text hat, wie der deutlich größere Umfang der Parallelpassagen zeigt, einige Erweiterungen erfahren, die der Vertiefung und Klarstellung dienen sollten) gar nicht mehr Rede davon, kein dreifaches Studium (Ethik, Meditation und Weisheit) zu "errichten", sondern es wird vielmehr gleich direkt und radikal auf deren Ergebnis abgezielt: es wird auch kein bodhi und kein nirvana "errichtet". Diese "Ziellosigkeit" ist im älteren Text implizit schon angelegt - in der jüngeren Fassung wird sie explizit ausgedrückt:

    -------------------
    Alternativ dazu eine andere Übersetzung:


    Das ist (sorry) nicht gerade auf Anhieb verständlich und außerdem noch lange keine erschöpfende Darstellung von Huinengs Praxisverständnis. Nebenbei: ob Huineng nur als eine Art literarischer 'Platzhalter' oder als historisch zuverlässig geschilderte Person aufgefasst wird, ist hier mE ohne Belang. Zur weiteren Erhellung möchte ich noch eine Passage zitieren, diesmal beschränke ich mich auf Yampolskis Übersetzung:

    Zitat

    If, standing upon your own nature and mind, you illuminate with wisdom and make inside and outside clear, you will know your own original mind. If you know your original mind, this then is deliverance. Once you have attained deliverance this then is the prajñā samādhi. If you have awakened to the prajñā samādhi, this then is no-thought.(149) What is no-thought? The Dharma of no-thought means: even though you see all things, you do not attach to them, but, always keeping your own nature pure, cause the six thieves(150) to exit through the six gates.(151) Even though you are in the midst of the six dusts(152), you do not stand apart from them, yet are not stained by them, and are free to come and go. This is the prajñā samādhi, and being free and having achieved release is known as the practice of no-thought. If you do not think of the myriad things, but always cause your thoughts to be cut off, you will be bound in the Dharma. This is known as a biased view. If you awaken to the Dharma of no-thought, you will penetrate into all things thoroughly, and will see the realm of the Buddha. If you awaken to the sudden doctrine of no-thought, you will have reached the status of the Buddha.


    149 See Shen-hui yü-lu (Suzuki text, pp. 16-17, 23 ) . See also sec. 13.
    150 Liu-tse. The six fields of the senses (cauras): seeing, hearing, smelling, tasting, feeling, and discerning. The Kōshōji, p. 41, has liu-shih [six consciousnesses].
    151 Liu-men. The six sense organs (indriyas): eyes, ears, nose, tongue, body, and mind.
    152 Liu-ch'en. The six qualities produced by the objects and organs of sense (gunas ) : sight, sound, smell, taste, touch, and idea.


    Dōgen nennt diesen "status of the Buddha", Butsugyō ("das Tun Buddhas"); "awakened to the prajñā samādhi" ist bei ihm das Jijuyu Zammai. "this then is no-thoght" - diesem "no-thought" entspricht Dōgen "hishiryō" (etwa: 'nicht-denkendes Ermessen'). Daraus, dass Dōgen hier nicht exakt Huinengs Terminologie übernimmt (無念 versus 非思量) lässt sich kein grundsätzlicher Dissenz ableiten; über den genauen Grund dafür allenfalls spekulieren. Um sich an solchen Spekulationen mal zu beteiligen: 無念 (wu nien) war von Huineng bis zu Dōgens Zeiten ein im Zen-Diskurs vielgeschundener und durch Lehrer geringerer Kapazität kontaminierter terminus technicus geworden, von dem bzw. von denen er sich absetzen wollte, indem er stattdessen auf das 非思量 (fei siliang, japanisch: hishiryo) des dritten Patriarchen Sengcan zurückgriff. Wie auch immer - die inhaltliche Nähe von dem wu nien Huinengs (nicht notwendig dem aller seiner Nachfolger) und Dōgens 'nicht-denkendem Ermessen' wird in diesem von A. C. Muller übersetzten und kommentierten Zitat des Plattform-Sutra deutlich:

    Zitat

    "The locus classicus for the concept of no-thought is the Platform Sutra, which says:
    [ - chinesischer Text ausgelassen - ]
    "No-thought" means "no-thought within thought." Non-abiding is man's original nature. Thoughts do not stop from moment to moment. The prior thought is succeeded in each moment by the subsequent thought, and thoughts continue one after another without cease. If, for one thought-moment, there is a break, the dharma-body separates from the physical body, and in the midst of successive thoughts there will be no attachment to any kind of matter. If, for one thought-moment, there is abiding, then there will be abiding in all successive thoughts, and this is called clinging. If, in regard to all matters there is no abiding from thought-moment to thought-moment, then there is no clinging. Non-abiding is the basis.
    [Ende des Zitats]
    As we can see, after the break in thought, successive thoughts continue to flow, but one no longer abides in, or clings to, these thoughts. Nowhere is there mention of any kind of disappearance of, or absence of thought. "No-thought" refers to nothing other than an absence of abiding, or clinging. Other seminal Ch'an texts, such as the Sutra of Perfect Enlightenment, characterize no-thought in precisely the same manner."
    [den kompletten Artikel findet man hier: http://www.acmuller.net/articles/criticalbuddhism-jis.htm]


    Das entspricht exakt dem, was in der Soto-Tradition als Zazen gelehrt und geübt wird. Von besonderem Interesse ist dieses Zitat auch hinsichtlich dieser Aussage: "If, for one thought-moment, there is a break, the dharma-body separates from the physical body, and in the midst of successive thoughts there will be no attachment to any kind of matter." Das ist Dōgens 'shinjin datsuraku' (身心脱落), das Abfallen von Körper-und-Geist.


    Übrigens: wenn man sich ernsthaft dafür interessiert, wie das 'formlose dreifache Studium' und Ethik zusammen hängen, sollte man sich nicht die Ohren vollblasen lassen sondern mal nachschauen, was Huineng im Plattform-Sutra zu den 'formlosen Gelöbnissen' zu sagen hat. Abschnitt 20 bis 23 der Yampolsky-Übersetzung. Kurz herausgegriffen (heißt auf Neudeutsch wohl 'money quote'):

    Zitat

    "If people think of all the evil things, then they will practice evil; if they think of all the good things, then they will practice good. Thus it is clear that in this way all the dharmas are within your own natures, yet your own natures are always pure.
    [...]
    If you do not think, then your nature is empty; if you do think, then you yourself will change. If you think of evil things then you will change and enter hell; if you think of good things then you will change and enter heaven. [If you think of] harm you will change and become a beast; [if you think of] compassion you will change and become a Bodhisattva. [If you think of] intuitive wisdom you will change and enter the upper realms; [if you think of] ignorance you will change and enter the lower quarters. The changes of your own natures are extreme, yet the deluded person is not himself conscious of this.


    Ethische Indifferenz geht irgendwie anders ... Dazu noch'n Zitat (ich verspreche, es ist das letzte für heute) von einem schon Bekannten:

    Zitat

    The Tun-huang text also emphasizes the importance of the "Formless Precepts." The title itself refers to these precepts, and the structure of the Tun-huang version is clearly organized around the ceremony in which they are given. The text (sections 20-23) not only outlines this ceremony but includes instructions for those who participate in it. The word "platform," (t'an), by which the text is known, probably refers to the ordination platform (chieh-t'an) especially constructed for this ceremony.


    T'an Ching (Platform Scripture)
    by Carl Bielefeldt and Lewis Lancaster
    Philosophy East and West Vol. 25, no. 2
    P. 197- 212
    University of Hawaii Press, Hawaii, USA 1975


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