Beiträge von Sudhana im Thema „Denken“

    Monday:

    Du meinst du könntest mich reinlegen ;)


    Nicht wirklich. Ich weiss, das ist zumindest schwer - aber es macht Spass, es wenigstens zu versuchen. ;)


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    Monday:

    Klar ist da ein Problem dabei - es fehlen die Mißverständnisse. Die sind ja das beste an jeder Kommunikation :D


    Elegant die Kurve gekriegt - you win :lol:

    Monday:

    Die Kommunikatin zwischen Menschen ist überwiegend non-verbal


    Deswegen behaupte ich gelegentlich, dass es eine Sorte Zen-Praktizierende gibt, die in der Zendo verkehrt herum sitzen. Wenn Du statt mit dem einzelnen Menschen mit der Wand kommunizierst, vor der Du sitzt wie der Ochse vorm Berg, dann kommunizierst Du mit allen Wesen - auch, wenn sie gerade irgendwie nach 'Wand' ausschauen. Zwar "nonverbal", aber dafür ohne Missverständnisse. In dieser Kommunikation ist man mal Ochse, mal Berg, mal beides zugleich und mal keines von beiden. Wie es gerade passt. Ist da ein Problem dabei?


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    Monday:

    Ich frage mich da schon eher, ob eine kontroverse Diskussion überhaupt Sinn macht. Dass wir uns nämlich in wesentlichen Fragen einig sein sollen, bezweifle ich sehr.


    Wer legt das fest, "dass wir uns nämlich in wesentlichen Fragen einig sein sollen"? Soweit muss ich Dir zustimmen, müssen wir nicht. Die Gedanken sind frei ... Aber sehr viel interessanter ist doch vor allem: wer definiert, welche Fragen "wesentlich" sind und welche nicht? Zweifellos Du für Dich selbst. Aber ist es wirklich so schwierig zu sehen, wo und bei wem man da Einigkeit fest- oder doch zumindest herstellen kann? Hat doch auch was für sich, so als kleine Übung nebenbei.

    Monday:

    Zumindest was deine Einstellung anbetrifft, die so zwischen deinen Zeilen durchschimmert


    Hmm ... keinen Schimmer, was da durchschimmern soll. Da hab ich nun meine Sehprobleme. Ich muss mich da immer mit Raten behelfen.

    Monday:
    Tai:

    Gelegentlich finden sogar ecchte Begegnungen statt.[/quote
    Nein. Echte Begegnungen gibt es nur "von Angesicht zu Angesicht".


    Was macht eine Begegnung zu einer "echten"? Das "Angesicht zu Angesicht" sicher nicht. Wenn ich Dich richtig verstehe, ist das Deiner Auffassung nach nur eine notwendige Bedingung. Aber auch, wenn es sich nur darum handelt - bist Du Dir da sicher?


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    @ blue_aprico:


    möglicherweise habe ich gestern etwas geschrieben, das Dich gekränkt hat. Wenn dem so ist, dann entschuldige ich mich dafür, denn das war nicht meine Absicht. Versuch einer Erklärung: Zenpraxis ist kein Zuckerschlecken, das wissen wir alle. Man braucht dazu zunächst einmal Härte und Kompromisslosigkeit gegenüber sich selbst - und das macht einen leicht hart und kompromisslos. Das ist eine Krankheit, die sich gerade in Internetdiskussionen unter Zenpraktizierenden zeigt, wo die unmittelbar erlebte gemeinsame Praxis in einer Zendo als ausgleichendes, milderndes Moment fehlt. Nur als Beispiel: in meiner Praxisgemeinschaft schätzt man mein philologisches Hobby und macht auch gerne Gebrauch davon (und ich glaube, bei bel ist das auch so). Und wir lassen uns da auch gerne in Anspruch nehmen - nicht, weil das unserem Ego schmeichelt, sondern weil es zur Praxis der 8. Kai gehört, materiellen und geistigen Besitz nicht zu horten, sondern ihn mit Anderen zu teilen. Du machst das auch - sonst würdest Du hier nicht schreiben. Jedenfalls - in meiner Praxisgemeinschaft käme keiner auf die Idee, mich deswegen als bloßen 'Schriftgelehrten' herabzusetzen, als einen 'Schreibtischzenni', der nur Worte machen kann und ernsthafte Zazen-Praxis nur von der Theorie her kennt. Wie auch, sitzen wir doch immer wieder gemeinsam im selben Raum. Im Internet ist mir das hingegen - mehr oder weniger offen - im Laufe der Jahre schon mehr als einmal passiert. Der unbegrenzte Raum, diese Zendo, in der wir alle gemeinsam sitzen, ist für jemanden mit begrenzter Sicht schlicht zu groß - und häufig ist auch meine Sicht sehr begrenzt. Meine Invektive 'Arschbackenzen' ist nur die Kehrseite vom 'Schriftgelehrten-Zen'. Auch nicht besser ... auch ich bin von der oben erwähnten Krankheit noch nicht so ganz genesen. Meine Lehrerin ist es, so weit ich das beurteilen kann, und deswegen bin ich auch immer noch ihr Schüler. Tatsächlich glaube ich, in freier Wildbahn kommt beides - 'Arschbackenzen' und 'Schriftgelehrten-Zen' - in Reinkultur nur äußerst selten vor.


    Ich habe in der Tat Schwierigkeiten, Dich wieder zu erkennen. Das liegt daran, dass ich Dich ziemlich inkonsistent erlebe. Das heisst nicht notwendig, dass Du inkonsistent bist. Ich habe oft Probleme, Dich 'zu lesen', weil mir ein konsistentes Bild von Dir als Korrektiv von Missverständnissen fehlt. Ein Beispiel - ich kenne Monday schon recht lange und vor einer Weile habe ich mich über etwas, das sie schrieb, richtiggehend geärgert. Ich weiss, es ist albern, sich über etwas zu ärgern, das irgendjemand im Internet schreibt, aber manchmal passiert mir das halt. Ich dachte: das kann doch nicht ihr ERNST sein! Es passte nicht zu dem Bild, dass ich mir von ihr gemacht hatte und vielleicht war es gerade das, was mich ärgerte. Ein paar Tage später dachte ich: das KANN nicht ihr Ernst gewesen sein - und habe den Thread nochmals sorgfältig gelesen. Und in der Tat - ich hatte sie wohl missverstanden. Wie gesagt, dieses 'Korrektiv' habe ich bei Dir (noch) nicht. Manchmal schreibst Du kluge Sachen, kurz und treffend - und dann wieder etwas, wo ich mich frage: kommt das aus einem mitfühlenden Herzen? Wobei - Strenge und Schärfe und auch Spott bin ich gewohnt, das ist in Ordnung. Mein Zen ist auch vom Typ 'lass dich von nichts und niemandem täuschen', auch wenn meine Lehrerin sich da etwas kürzer fasst als der alte Zuigan: "Sei ganz wach!" Ein wenig Samurai-Geist darf schon sein. Wer das nicht abkann, sollte vielleicht besser bei Interbeing Zen praktizieren - womit ich nichts gegen Thich Nhat Hanh gesagt haben will (damit jedenfalls nicht). Andere Töpfe, anderer Deckel. Jedenfalls - gib mir mit Dir bitte einfach noch etwas Zeit. Und vielleicht solltest Du Dich nicht immer gar so kurz fassen. Musst ja nicht gleich so langatmig schreiben wie ich. ;)


    Die angesprochene Härte und Kompromisslosigkeit in Verbindung mit knappen, prägnanten Formulierungen (die ich, wo sie angebracht sind, durchaus schätze) führt leicht dazu, dass man aneinander vorbeiredet. Und ich habe den Eindruck, das tun wir hier in diesem Thread ganz erheblich. Greifen wir (als ein Beispiel - es gäbe auch andere) nochmals das auf, was Tai schrieb:


    Zitat

    Sobald aber - um noch mal auf bels Eingangsfrage zu sprechen zu kommen - irgendwo ein Zen-Meister zitiert wird, der dazu auffordert, das begriffliche Denken loszulassen, treten doch in aller Regel fast reflexhaft Leute auf den Plan, die dies mit der Begründung, Gedanken seien schließlich nützlich, ganz natürlich und überhaupt erst die Vorrausetzung für jedwede sprachliche Äußerung eines Zen-Meisters, von sich weisen.


    Wenn es da - beim Loslassen begrifflichen Denkens - um Zazenpraxis geht, dann sage auch ich (und gewiss auch bel), dass Leute, die das von sich weisen, nicht wissen, wovon sie reden bzw. schreiben. Dasselbe gilt auch - und ich denke, da werden Tai und auch Du mir rechtgeben - wenn solche Leute der Ansicht sind, zur Zazen-Praxis gehöre es, Gedanken zu unterdrücken. "Gedanken abschneiden" heisst ja erst einmal nicht, das Aufsteigen von Gedanken abzuschneiden (wie sollte das gehen?), sondern das Anhaften an Ihnen. Also die aufgestiegenen Gedanken selbst abzuschneiden, so dass sie sich von uns lösen und sie ziehen zu lassen wie Wolken am Himmel, der ganz von selbst zunehmend klarer und wolkenlos wird. Eben das Loslasssen, von dem Tai und Du geschrieben haben. Was dann bleibt, ist Dogens 'Undenken' oder Hanshans 'der eine Gedanke'. Wem die Worte 'denken' oder 'Gedanke' in diesem Kontext nicht gefallen, der mag ruhig andere verwenden. Aber es gibt einen Grund, warum Dogen und Hanshan gerade diese Worte verwenden, und das hat etwas mit 'Zenki' zu tun, von dem bel gestern schrieb.


    Der Punkt ist doch - und deswegen hatte ich angeregt, doch mal solche Aussagen von Zenmeistern hier einzubringen und zu analysieren, worum es da eigentlich geht - dass das für Zazen gilt, aber Zen eben Gyojuzaga-Zen ist. Zen im Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen. Soto-Leute kennen das als Gyoji, 'ununterbrochene Praxis'. Man setzt sich hin, um ein wenig auszuruhen - und ja, dann lässt man auch das begriffliche Denken los. Das ist sehr entspannend. Aber doch nicht, wenn man Samu macht - wenn man mit Kreissäge und Axt Feuerholz macht, die Toiletten reinigt, das Laub von den Wegen zusammenfegt oder als Tenzo in der Küche arbeitet. Nicht, wenn man nach dem Sesshin mit dem Auto nach Hause fährt: wo steht die Tanknadel, reicht der Sprit bis nach Hause? Da vorne ist ein Wildwechselschild - wie lange ist jetzt Dein Bremsweg und wie lange Deine Sichtweite? Das Schild da vorne - was bedeutet das gleich nochmal? Ahja - Vorfahrt achten ... Auch das ist Zen, wenn man es richtig macht - ist 'Boots-Zeit' (Zenki, bel hat es erläutert). Das Boot darf auch durchaus ein Auto sein. Auch Auto fahren ist 'ununterbrochene Praxis', Gyoji. Und wenn ich dann zu Hause bin und ein wenig in einem Sutra oder im Shobogenzo oder in der Zeitung lese (was alles ohne begriffliches Denken schlecht geht), dann kann das auch Zen sein: Katto, 'Schlingpflanzen, die Schlingpflanzen abschneiden' - ich hatte darüber in diesem Thread schon geschrieben. Auch wenn das nun - Zenki, Katto, Gyoji - typisch 'Soto-Sprech' ist, so glaube ich nicht wirklich, dass Tai oder Du das mit dem Gyojuzaga, der unbegrenzten und ununterbrochenen Zen-Übung im Gehen, Stehen, Sitzen, und Liegen, grundsätzlich anders sehen. Wir müssen gelegentlich halt auch mal vom Kissen aufstehen, wenigstens um die Teeschale zu spülen. Den Reis zu pflanzen. Oder was wir sonst tun, um allen Wesen von Nutzen zu sein. Und da ist begriffliches Denken eine recht nützliche Sache, deren Übung man als Teil des Weges nicht vernachlässigen sollte. Wie gesagt, ich glaube eigentlich nicht, dass wir da wirklich unterschiedliche Ansichten haben.


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    keks:
    Zitat

    Dann können wir uns gemeinsam diese Aussagen anschauen und sie analysieren.


    Dann mach doch, tu dir keinen Zwang an


    Wenn Du Dir die Mühe machst ein wenig hoch zu scrollen, kannst Du sehen, dass ich genau dies bereits getan habe.


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    blue_aprico:

    A bird does not sing because it has an answer. It sings because it has a song.


    Ja, dieses Zitat von Dir verdeutlicht so ziemlich das, was ich meinte. Wenn das Lied eines Vogels für Dich keine Antwort ist, dann fehlt Dir die passende Frage. Was ist denn Deine Frage? Wie klingt das Klatschen der einen Hand? Hat ein Hund Buddhanatur? Oder bist Du gar schon so fortgeschritten, dass Du Dich mit einem Nanto-Koan herumplagst? Könntest Du Dir vorstellen - ausnahmsweise mal, als Zennie darf man ja selbstredend keine Vorstellungen haben - dass es wichtigere Fragen gibt, die noch der Klärung harren? Und dass man Antworten manchmal da findet, wo man sie nicht vermutet?


    Davon abgesehen sind nicht alle Sprichwörter schon Weisheiten. Es gibt sogar ziemlich dämliche Sprichwörter, selbst in China. Ein Vogel hat und braucht auch keinen Grund, um zu singen. Oder zu antworten. Er tut es grundlos. Dazu braucht er nicht einmal eine Stimme und auch kein Lied - er ist sein Lied. Vor ein paar Tagen brachte die Katze, mit der ich das Haus teile, einen schwer verletzten Vogel mit. Ich habe kurz seinem stummen Sterbelied gelauscht und ihm dann den Hals umgedreht. Ohne den Gedanken des Zerstörens aufsteigen zu lassen. Das war Frage-und-Antwort.


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    bel:
    Tai:

    Sobald aber - um noch mal auf bels Eingangsfrage zu sprechen zu kommen - irgendwo ein Zen-Meister zitiert wird, der dazu auffordert, das begriffliche Denken loszulassen, treten doch in aller Regel fast reflexhaft Leute auf den Plan, die dies [...]von sich weisen.


    Es ist - jedenfalls was den Anlaß meines Postings betrifft - grad umgedreht.


    In der Tat, und nicht nur, was diesen konkreten Anlass betrifft. Und Du triffst natürlich genau den Kern dieses Unfugs, wenn Du darauf hinweist, dass wir speziell hier - in einem Internetforum - gar nicht anders können, als mit dem Werkzeug unseres Denkens zu kommunizieren. Das klappt nicht, wenn wir "das begriffliche Denken loslassen", das sollten wir besser woanders tun, wo und wann es angebracht ist. Gut, es gibt Leute, die im Werkzeuggebrauch geschickt sind und Leute, deren Intellekt das Äquivalent zu zwei linken Händen ist. Ist ja nicht weiter schlimm, so lange man mit etwas gutem Willen herausfinden kann, was die eigentlich sagen wollen. Natürlich gibt es dann auch noch die, die eigentlich nur mit sich selbst kommunizieren und sich einbilden, so etwas ginge - je irrationaler desto besser - als 'Zen-Unterweisung' und sie selbst als Zen-Meister durch. Die spielen Yoda und ignorieren souverän, dass sie dafür zumindest am falschen Ort sind. Zu erkennen, wofür ein Ort geeignet ist und wofür nicht, ist nicht der geringste Nutzen, den man aus dem Denken ziehen kann.


    Ich habe mich oft gefragt, woher diese Verachtung des Denkens kommt. Seit mittlerweile Jahrzehnten laufen mir immer wieder Leute über den Weg, die meinen, Zen übe man auschließlich mit den Arschbacken. Das ist als Meinung ja durchaus so respektabel wie jede andere - nur, wenn dann versucht wird, für solchen Antiintellektualismus intellektuell zu argumentieren und das für "Zen" hält, wird's schräg. Zumal man diesem intellektuellen Argumentieren dann doch häufig die fehlende Übung arg anmerkt. Wenn schon - warum legt man dann nicht mal ein paar Aussagen der alten Meister vor, von denen man glaubt, sie würden die eigene Auffassung stützen? Dann können wir uns gemeinsam diese Aussagen anschauen und sie analysieren. Ich habe den Verdacht, das ist so, weil man die alten Meister nicht gründlich studiert hat. Arschbacken-Zen halt.


    Ich frage mich immer - fragen sich diese Leute nicht, warum sich gerade ihnen der Zenweg eröffnet hat? Ist das nicht so, weil dieser Dharma durch Zeiten und Länder getragen und propagiert wurde - von Menschen, die auf oft brilliante, hochintellektuelle Weise auf dieses Dharma-Tor hingewiesen haben? An intellektueller Brillianz und tiefgehenden Literaturkenntnissen haben z.B. Dogen und Hakuin kaum Ihresgleichen, wenn man deren hinterlassene Worte mit offenem und kritischem Geist studiert. Natürlich sind diese Worte und Gedanken so tot wie die Meister. Sie sind tot wie diese Worte hier, die du gerade hier auf deinem Bildschirm liest. Aber wenn Du sie mit offenem und kritischem Geist liest, werden sie in Deinem Geist wieder lebendig. Und mit solchen, als Gedanken eines Lesers wieder zu Leben erweckten Worten, haben viele Meister in ihrem grenzenlosen Mitgefühl nicht nur für die Wesen, die gerade mal zufällig in ihrer Rufweite waren, gesorgt, sondern für alle Wesen, die des Lesens und Verstehens mächtig sind. Nicht nur Dogen und Hakuin, die Liste ist lang - Sengcan, Yongjia, Baizhang, Chinul, um ein paar wenige Namen tröpfeln zu lassen und um von den indischen Patriarchen (drei hatte ich kürzlich hier genannt) mal zu schweigen. Sollten wir uns nicht deren Beispiel - so weit wir davon entfernt sein mögen - zu Herzen und als Vorbild nehmen? Den Zeichen, die die Vorfahren hinterlassen haben, mit ganzem Körper und Geist folgen, empfiehlt Dogen.


    Warum die hartnäckige Abwehr, das bemühte Missverstehen, das gehässige Abwerten und Verächtlichmachen - die stolz zur Schau getragene Lernresistenz? Mir fällt dazu nur eine Erklärung ein. So reagiert man, wenn man glaubt, etwas erkannt zu haben und nicht bereit ist, in Erwägung zu ziehen, dass man womöglich noch ein langes Stück Weg vor sich hat - oder sich gar verirrt. Dass man noch viel zu lernen und zu verstehen hat. Weil man nicht bereit ist, das, was man erlangt zu haben glaubt, los und hinter sich zu lassen - und dazu jede Hilfe anzunehmen, auch die der toten Meister. Wie ich schon schrieb - was man nicht zulässt, kann man auch nicht loslassen. Das Wunder geschieht beim Loslassen.


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    gbg:

    "Liebe und tue was Du willst"


    Das meinte ich mit "aufdringlich". In ein Kaffekränzchen hineinplatzen und den Leuten Leitungswasser aufschwatzen wollen. Okay, aus Liebe und Sorge um die schädlichen Folgen des Koffeins, aber das macht es um keinen Deut weniger aufdringlich.


    Dass er mich liebt, nehme ich auch dem Zeugen Jehovas an meiner Haustür ab. Aber wenn ich dem sage, dass ich mit seiner Religion nichts am Hut habe und lieber meinen eigenen Kopf benutze, dann schüttelt er den Staub von den Füßen und geht. Nimm Dir mal ein Beispiel dran.


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    gbg:

    Dein Blatt hast Du jetzt ja offengelegt


    Lies noch mal nach. Ich habe allenfalls drauf hingewiesen, was Kant als sein Blatt offengelegt hat. Offen gesagt bezweifle ich, dass Du es Dir jemals genauer angeschaut hast.

    gbg:

    D.h. sie sind als Formen notwendig für äußere und innere Anschauung, aber was sie als Formen sind, wer weiß das schon?!


    Darauf gibt es mindestens zwei ernstzunehmende Antworten (das ist jetzt "mein Blatt"). Kant sagt, dass sie als reine Formen empirischer Anschauung nicht selbst Gegenstand empirischer Untersuchung sein können (genau das bedeutet nämlich "a priori"). Mithin kann man zwar darüber spekulieren, "was sie als Formen sind" (das nennt sich Metaphysik) aber auch nicht mehr. Kants 'Ding an sich' (dass Du uns hier ständig als 'Brahman' verkaufen willst) ist jenseits des empirischen Erfahrungshorizonts. Es lässt sich nur transzendental analysieren und da kommt nun einmal nicht mehr dabei heraus, als dass es nur mittelbar - und zwar eben grundlegend vermittels dieser beiden elementaren Formen der Anschauung (da kommt natürlich noch ein bisschen mehr dazu, z.B. die transzendentalen Ideen) - erfassbar ist und die Aussagen, die wir darüber machen, nur etwas mit den Formen unserer Anschauung zu tun haben, nicht aber mit dem Ding an sich selbst. Genau darum geht es ja auch in der 'Kritik der reinen Vernunft': um die Möglichkeiten und vor allem Grenzen (die so gerne von metaphysischen Spekulanten überschritten werden) der Vernunfterkenntnis. Wittgenstein hat das im Tractatus (wo es ebenfalls darum geht, Denken und Sprache eine Grenze zu ziehen bzw. sie aufzuzeigen) auf die griffige Formel gebracht: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“


    Eine andere ernstzunehmende Antwort geben Madhyamaka und das Prajñāpāramitāsūtra: Form ist Leere, Leere ist Form. Wobei Form (rūpa) für den gesamten empirisch fassbaren Erfahrungsbereich steht, 'Leere' hingegen keiner Vernunfterkenntnis, aber unmittelbarer (d.h. wenn man sich Kants Diktion bedient: nicht durch Begriffe oder sonstige Formen der Anschauung vermittelter) Erfahrung zugänglich ist. Also kein 'Ding an sich' einerseits und die empirische, durch apriorische (d.h. ohne empirische Basis gegebene) Formen vermittelte Wahrnehmung des Dings an sich, sondern im Akt unmittelbarer Erfahrung realisierte Identität von Anschauung und Angeschautem. Tat tvam asi. Dazu braucht man aber weder einen Atman noch einen Brahman bemühen, auch keinen Isvara. Wenn man sich schon auf den schlüpfrigen Weg begibt (und Buddha hat aus gutem Grund gezögert, dies zu tun, bevor er seine Bedenken aus besserem Grund zurückgestellt hat), aus der eigenen Erfahrung heraus für Andere empirisch (was etwas anderes heisst als 'praktisch') weder verifizierbare noch falsifizierbare Thesen aufzustellen (mal offen gelassen, ob es sich um echte Erfahrung oder nur eine weitere metaphysische Spekulation handelt), dann tut man gut daran, den Grundsatz philosophischer Sparsamkeit zu befolgen. Im Abendland ist das unter der Bezeichnung 'Ockham's razor' bekannt.

    gbg:

    Also beide Du und Ich zurück zu Augustinus.


    Also, wenn Du mir schon einen Kirchenvater aufs Auge drücken willst, dann möchte ich schon um eine etwas genauere Quellenangabe bitten. Noch besser ein Zitat. Ich habe 'De civitate Dei' und auch die 'Confessiones' gelesen, wenn auch aus historischem und nicht theologischem Interesse heraus. Ich habe weder Lust, das zu wiederholen noch das Verlangen nach noch mehr Augustinuslektüre. Inwiefern z.B. Augustins im 11. Kapitel der 'Confessiones' entwickelter (im übrigen ebenfalls apriorischer) Zeitbegriff tiefere (und vor allem nüchternere) Erkenntnis vermitteln soll als der von Kant, vermag ich jedenfalls nicht zu sehen. Warum also zurück zu Augustinus? Hat der Kant etwas (außer der Gnade der früheren Geburt) voraus? Eine vernünftige ontologische Interpretation des Zeitbegriffs jedenfalls hat auch Augustinus nicht zu bieten. Da würdest Du eher bei Dōgen Kigen (im Uji-Kapitel des Shōbōgenzō) fündig - aber ich schätze, dazu fehlen Dir derzeit die dazu notwendigen epistemologischen Voraussetzungen. Es wäre jedenfalls sehr freundlich von Dir, wenn Du Dich nicht auf schwammige und vage Andeutungen beschränken sondern mal richtig Butter bei die Fische geben würdest.


    Was Dein Folgeposting von 3:48 Uhr angeht - der erste Teil ist trivial; der zweite (wo Du Dein Steckenpferd der Zweidimensionalität reitest) hört sich für mich - sorry - nach Geschwurbel an. Die oben erwähnte philosophische Sparsamkeit ist eine Sparsamkeit der Annahmen - nicht der Argumente. Um einen schon Zitierten nochmals sprechen zu lassen: "Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen".


    Eine offtopic-Anmerkung noch (diese ganze Diskussion ist hier offtopic, warum also nicht), falls Du im Unterforum 'Anregungen und Kritik' nicht mitliest. Solche Diskussionen gehören in das Unterforum 'Dialog der Philosophen, Religionen und Freidenker' - nicht in Unterforen, die vom Betreiber für den Diskurs über den Buddhadharma vorgesehen sind. Das gleiche gilt für Dein penetrantes Rekurrieren auf 'Atman und Brahman'. Das hat etwas mit Rücksicht auf die anderen Nutzer des Forums zu tun. Nicht zuletzt mit Rücksicht auf Menschen, die sich über den Buddhadharma informieren wollen und den Unterschied zu Hindu-Advaita nicht kennen. Die führst Du nämlich an der Nase herum mit Deinem Kommunikationsverhalten. Oder Du versuchst es zumindest. Man geht nicht einfach in ein Diskussionsforum, um dort dann ungebeten Satsang zu halten. Das ist unhöflich und aufdringlich. Wenn Du schon Satsang halten willst, dann warte darauf, dass die Leute zu Dir kommen.


    ()

    gbg:

    Ich sprach nicht von den Antinomien. Sondern von Raum und Zeit. ... Kant schrieb nicht was Raum und Zeit sind. Er sah sie nur als Gläser. Aber er sah nicht die in ihnen liegende Fähigkeit unser zweidimensionales Wesen zur Dreidimensionalität und Einheitlichkeit zu verhelfen mittels Raumoptik und Zeitverknüpfung.


    Sorry, aber das ist blanker bullshit, was Du da verzapfst. Kant schrieb sehr wohl, was Zeit und Raum sind (nämlich apriorische Formen der äußern und inneren Anschauung), und zwar gleich zu Beginn der Kritik der reinen Vernunft. Gleich nach der Einleitung, der Abschnitt heisst nicht zufällig 'transzendentale Elementarlehre' - denn zumindest so weit sollte man schon vorgedrungen sein, wenn man sich qualifiziert zu Kant äußern will. Wobei dieser erste Teil der transzendentalen Elementarlehre, also die transzendentale Ästhetik, in der KdrV noch am einfachsten zu verstehen und auch auch nicht sonderlich umfangreich ist. Übrigens ist Kants Auffassung von Zeit und Raum als reinen Formen ohne empirische Basis (was etwas anderes ist als 'Gläser', seien sie nun für Kurz- oder Weitsichtige geschliffen) problemlos mit der buddhistischen Auffassung der 'Leere' zu vereinbaren. Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass Du ein Bluffer mit einem sehr schwachen Blatt auf der Hand bist.


    ()

    gbg:

    Kant sprach von dem was die Vernunft zu denken aufgibt aber selbst nicht lösen kann.


    Lies Deinen Kant nochmal richtig. Kant spricht von den Antinomien der reinen Vernunft - und er löst diese ziemlich vernünftig auf, indem er die metaphysische Verwechslung von Empirie und Intellekt entlarvt, damit dann auch die Antinomien als nur scheinbar. Denn in der ersten und zweiten Antinomie sind sowohl These wie Antithese falsch (somit nicht in einem echten Widerspruch zueinander) und in der dritten und vierten Antinomie sind sowohl These wie Antithese potentiell richtig - somit ist auch hier der Widerspruch nur ein scheinbarer.


    Hast Du Dich mit Advaita genauso intensiv beschäftigt wie mit Kants Kritik der reinen Vernunft?


    ()

    blue_aprico:

    Iwo erinnert mich das an die Furcht vieler Leute "los zu lassen" oder auch "zu zu lassen", da hört und sieht man dann allerhand Rechtfertigungen, manche kommt "sehr klug" daher.


    Das Problem mit den Gedanken ist: loslassen kann man nur, was man zulässt. Was man nicht zulassen will, muss man hingegen im Griff behalten. Sich dem "einen Gedanken" Hanshans zu nähern, ist nichts anderes, als die vielen Gedanken loszulassen. Ob man dann den einen Gedanken auch noch loslässt - die Frage stellt sich früh genug, wenn es soweit ist.

    Tai:
    Sudhana:

    Hier stellt sich dann zunächst die Frage, ob (alle) Gedanken zwangsläufig täuschend sind.


    Wie ich die Zen-Lehre verstehe, ist es tatsächlich so gemeint, dass Gedanken ihrem Wesen nach illusorisch, weil etwas Vorgestelltes sind und im Zen keineswegs eine dualitäre Unterscheidung zwischen täuschenden Gedanken auf der einen und wahrhaftigen Gedanken auf der anderen Seite errichtet werden sollte.


    Das mit dem infiniten Regress hast Du jetzt aber nicht wirklich verstanden, oder? Wenn das tatsächlich "so gemeint" ist, wie Du die "Zen-Lehre" verstehst - ist das "so gemeinte" nicht auch ein Gedanke? Und ist dieser dann nicht auch seinem "Wesen nach illusorisch, weil etwas Vorgestelltes"? Wenn er aber rein illusorisch und nur eine Vorstellung ist - was ist dann von seiner Aussage zu halten?


    Ansonsten - ich habe nirgendwo "eine dualitäre Unterscheidung zwischen täuschenden Gedanken auf der einen und wahrhaftigen Gedanken auf der anderen Seite" getroffen. Echt nicht (hab's nochmal nachgelesen). Ich weiss nicht, wo Du das her hast. Hanshan und ich haben allenfalls von dem "einen Gedanken" bzw. "ungeborenen Gedanken" geschrieben (Einzahl, nicht Mehrzahl) - und auch nicht, dass der "wahrhaft" sei, sondern "korrektes Denken wahrer Soheit". Von Gedanken (Mehrzahl) habe ich wiederum geschrieben, dass sie aus einem Bewusstsein kommen, das "in sehr unterschiedlichem Grad emotional bestimmt" sein kann und "entsprechend [...] auch unterschiedlich täuschend" sind.

    Tai:

    Das Herausstellen einer prinzipiellen Berechtigung (oder Verwerflichkeit) von Gedanken scheint mir einem eher philosophischen Ansatz zu entsprechen, auf den sich meines Wissens weder Buddha, noch die mir bekannten Patriarchen eingelassen haben.


    Nun, ich weiss ja nicht, was Du unter einem philosophischen Ansatz verstehst - aber diesen von anderen zu unterscheiden, würde nun ich "eine dualitäre Unterscheidung" nennen. Was 'Buddha' angeht, so würde ich empfehlen (falls Du Mahāprajñāpāramita-sūtra, Laṅkāvatāra-sūtra, Avataṃsaka-sūtra und Saddharma Puṇḍarīka - die voller "philosophischer Ansätze" stecken - nicht gelten lassen magst), sich mal mit Yoniso Manasikāra auseinanderzusetzen. Zum Einstieg: http://www.bdcu.org.au/Yoniso-Manasikara-Sampada.pdf. Was die Patriarchen angeht, so hatte ich bereits (wenn man schon Dōgen oder Hanshan nicht gelten lassen mag) beispielhaft auf Nagārjuna und Kānadeva verwiesen. Die sind nicht zufällig in die Patriarchenliste hineingeraten, sondern als Verfasser der San Lun (drei Abhandlungen). So wie auch Aśvaghoṣa als Verfasser des Dasheng qixin lun (Mahāyāna-śraddhôtpāda) da hinein geraten ist. Ohne die Madhyamaka-Philosophie der San Lun und das Amalgam von Yogâcāra und Tathagathagarbha-Doktrin im Dasheng qixin lun hätte es nie ein Chan oder Zen gegeben - und die chinesischen Patriarchen wussten sehr gut, warum sie sich in diese Übertragungslinie einordneten.


    ()

    Hrrrmph .... äh - ritzambää ... wie war nochmal die Frage?

    bel:

    Wenn man so durch die gegenwärtigen Darstellungen von Zen-Adepten, nicht nur hier im Forum, zappt, gewinnt man den Eindruck, "Denken" sei höchst "Bäh" - unterstützt wird das dann auch durch Zitate der "Zen-Patriarchen".


    Ist das so?


    Ich versuche mal, mit Hilfe eines Zitates von Hanshan Deqing (den ich dazu etwas kommentiere) eine mögliche Sichtweise zu der Frage darzustellen.

    Hanshan Deqing:

    Was gemeinhin als Übung bekannt ist, heisst einfach, mit dem aktuellen Geisteszustand übereinzustimmen, um die täuschenden Gedanken und die Spuren der Gewohnheits-Neigungen zu läutern und loszulassen.


    Bemerkenswert ist, dass hier nicht von Aufgeben und/oder Beenden der Gedanken die Rede ist, sondern vielmehr davon, sie zu läutern.

    Hanshan Deqing:

    Darauf deine Anstrengungen zu richten, wird Übung genannt. Wenn innerhalb eines einzigen Augenblicks die täuschenden Gedanken plötzlich enden, wirst du deinen eigenen Geist bis auf den Grund wahrnehmen und erkennen, dass er gewaltig und offen ist, hell und leuchtend - in sich vollkommen und vollständig.


    ... was als Resultat der Übung endet, sind täuschende Gedanken. Hier stellt sich dann zunächst die Frage, ob (alle) Gedanken zwangsläufig täuschend sind. Eine Bejahung dieser Frage führt zu dem in der westlichen Philosophie unter dem Namen 'Paradoxon des Epimenides' bekannten infiniten Regress, denn selbstverständlich wäre dann der Gedanke, dass alle Gedanken täuschend sind, selbst ein täuschender Gedanke. Daraus folgt, dass die Annahme "alle Gedanken sind täuschend" schon aus formallogischen Gründen nicht richtig sein kann. Das sollte zumindest jedem einleuchten, der sich schon einmal entweder mit abendländischen oder indischen Logikern (z.B. den Zen-Patriarchen Nagārjuna und Kānadeva) befasst hat. Weiter im Text:

    Hanshan Deqing:

    Dieser Zustand, Sein in ursprünglicher Reinheit, bar jeder Dinglichkeit, wird Erleuchtung genannt. Getrennt von diesem Geist existiert kein spiritueller Fortschritt, keine Erleuchtung. Die Essenz deines Geistes ist wie ein Spiegel und all die Zeichen täuschender Gedanken und des Haftens an Bedingungen sind verunreinigender Staub des Geistes. Deine begriffliche Auffassung von Erscheinungen ist dieser Staub und dein emotional bestimmtes Bewusstsein die Verunreinigung. Wenn alle täuschenden Gedanken dahinschmelzen, wird sich die zu Grunde liegende Essenz aus eignem Antrieb offenbaren. Wie wenn die Verunreinigung durch Polieren entfernt wird, gewinnt der Spiegel seine Reinheit wieder. Dasselbe gilt für die Ausübung der Lehre.


    Der entscheidende Punkt in Hanshans Argumentation ist die "begriffliche Auffassung von Erscheinungen" - das in der Tat eine Definition von "Denken" im herkömmlichen Sinn. Dieses Denken veranschaulicht Hanshan mit dem Bild "Staub". Die Frage ist jedoch, was macht diesen "Staub" zu einem "verunreinigenden Staub" bzw. "Denken" zu "täuschendem Denken"? Dazu führt Hanshan eine zweite Komponente ein: das mit dem Denken verbundene "emotional bestimmte Bewusstsein" ist die "Verunreinigung". Ist nun Denken zwangsläufig mit einem emotional bestimmten Bewusstsein verbunden? Ist ein nicht emotional (also durch die Grundantriebe Gier und Hass in ihren reinen wie vermischten, groben wie subtilen Formen) bestimmtes Bewusstsein fähig, zu denken? Zumindest theoretisch ist dies ja ohne weiteres denkbar - die Frage ist jedoch, wie ein solches Denken, ohne "Spuren der Gewohnheits-Neigungen" (vgl. 1. Absatz) ist und wie es praktisch möglich ist. Die Erfahrung eines solchen Denkens ist uns nicht - jedenfalls nicht jedem von uns - ohne weiteres möglich.


    Ein zweiter Punkt: das Bewusstsein kann in sehr unterschiedlichem Grad emotional bestimmt sein - entsprechend sind Gedanken bzw. das Denken auch unterschiedlich täuschend. Dabei kann ein weniger täuschendes Denken - wenn es zu der "Übung", die darauf gerichtet ist, "mit dem aktuellen Geisteszustand übereinzustimmen, um die täuschenden Gedanken und die Spuren der Gewohnheits-Neigungen zu läutern und loszulassen" motiviert, zu einer Aufhebung und Überwindung stärker täuschender Gedanken führen, wenn schon nicht zur Aufhebung von Täuschung überhaupt. Darum geht es in der Upaya-Doktrin und Dōgen drückt diesen Gedanken(!) mit diesem Bild aus:

    Dōgen:

    "Obwohl die Weisen alle Übungen entwerfen, die die Wurzel von Schlingpflanzen abschneiden, üben sie nicht, dass 'abschneiden' bedeutet, Schlingpflanzen mit Schlingpflanzen abzuschneiden; sie wissen nicht, dass Schlingpflanzen von Schlingpflanzen umschlungen sind. Wieviel weniger können sie dann wissen, dass Schlingpflanzen auf Schlingpflanzen folgen. Wenige verstehen, dass die Dharmanachfolge Schlingpflanzen ist. Niemand hat dies gehört. Niemand hat es je gesagt. Wie könnte es da Viele geben, die es bestätigt haben?"

    Und kurz darauf lässt Dōgen Bodhidharmas Schüler Dōfuku seinem Lehrer sein Verständnis so darlegen:

    Dōgen:

    "Meine gegenwärtige Sicht ist, dass man, ob ohne am geschriebenen Wort zu haften oder vom geschriebenen Wort losgelöst, doch in der Funktion des Weges wirkt".

    Das ist Bodhidharmas Haut - und Dōgen spricht deutlich aus, dass die nicht weniger wert ist als sein Fleisch, seine Knochen, sein Mark. Dass Dōfukus Verständnis nicht seichter ist, als das von Eka.

    Dōgen:

    "Jene, die so sprechen, haben nie die Buddhas und Patriarchen studiert und es fehlt ihnen die korrekte Überlieferung der Worte des Patriarchen [Bodhidharma]. Wir sollten verstehen, dass es in den Worten "Haut, Fleisch, Knochen und Mark" des Patriarchen kein 'seicht' oder 'tief' gibt".
    (Zitate aus Shōbōgenzō Kattō)


    Doch zurück zu Hanshan - ich überspringe einen Absatz:

    Hanshan Deqing:

    Im Allgemeinen gesprochen gibt es in diesem Zeitalter des Verfalls der Lehre mehr Leute, die üben, als Leute, die tatsächlich Verwirklichung erfahren. Es gibt mehr Leute, die ihre Mühen verschwenden als solche, die Stärke erlangen. Warum ist dies so? Sie üben ihre Anstrengungen nicht auf direkte Weise aus und kennen nicht die Abkürzung. Statt dessen füllen viele Leute lediglich ihren Geist mit vergangenem Wissen von Wörtern und Sprachen wovon sie gehört haben, oder sie messen die Dinge mit dem Maßstab ihrer emotionalen Wertungen, oder sie unterdrücken die täuschenden Gedanken, oder sie blenden sich selbst mit Visionen an den Tore ihrer Sinne. Diese Leute klammern sich an die Worte der Alten in ihrem Geist und halten sie für wirklich. Darüber hinaus haften sie an diesen Worten als an eigener Sicht. Nichts wissen sie davon, dass nichts davon auch nur im Geringsten nützlich ist. Dies nennt man "nach dem Verständnis Anderer greifen und den eigenen Zugang zur Erleuchtung verbergen".


    Man könnte dies als Gegenposition zu Dōgen missverstehen - wenn da nicht die kleine, aber bedeutsame Einschränkung "lediglich" wäre ("Statt dessen füllen viele Leute lediglich ihren Geist mit vergangenem Wissen von Wörtern und Sprachen") - und man sich dann nicht fragen müsste, warum Hanshan selbst sich überhaupt die Mühe gemacht hat, dickleibige Bücher zu schreiben. Das Manko ist: "Sie üben ihre Anstrengungen nicht auf direkte Weise aus". Das verweist nicht darauf, dass das "vergangene Wissen von Wörtern und Sprachen" falsch oder hinderlich ist - es alleine ist lediglich nicht hinreichend. Das "Üben auf direkte Weise" ist absolut unverzichtbar. Das Üben mit dem rechten Denken (shō shiyui) ist es allerdings auch. Man übt im Sitzen, Liegen, Stehen und Gehen - und auch, wenn man nicht sitzend Gehen oder liegend Stehen kann, so ist und bleibt es doch eine Übung.


    Man sollte sich bewusst sein, dass Hanshan, wenn er im Folgenden im Zusammenhang mit der "Übung" davon spricht, sich "von Wissen und Verstehen zu lösen" nicht meint, sich damit vom Denken zu lösen - sondern vielmehr, das Denken auf einen Gedanken zu reduzieren und den Geist darauf zu richten. Natürlich ist dies dann auch nicht die "eine Übung". Es ist "Sitzen" - nicht "Sitzen, Liegen, Stehen und Gehen". Zumindest ist es nicht "Holz hacken", nicht "Autofahren", nicht "schlaue Bücher (oder Forumsbeiträge) schreiben" oder "allen Wesen von Nutzen sein". Das alles ist ohne "Wissen und Verstehen" schlecht möglich. Wenn sich das "Wissen und Verstehen" des "einen Gedankens" hingegen in der Übung einstellt - dann ist das das "Wissen und Verstehen" aller Gedanken. Es ist das "Wissen und Verstehen", das aus dem "einen Gedanken" selbst kommt und nicht aus dem durch "emotional bestimmtes Bewusstsein" und "emotional bestimmte Begriffe" "verunreinigenden" Denken. Positiv ausgedrückt: reines Denken. Hanshan nennt es den "ungeborenen Gedanken".

    Hanshan Deqing:

    Um dich der Übung zu widmen, musst du dich zuerst von Wissen und Verstehen lösen und mit geeintem Geist all deine Anstrengung auf einen Gedanken richten. Hege in deinem Geist die feste Überzeugung, dass er ursprünglich rein und klar ist, ohne das geringste beständige Ding - er ist strahlend und vollkommen und er durchdringt das Reich der Wahrheit. Eigentlich gibt es keinen Körper, keinen Geist, keine Welt, noch gibt es irgendwelche falschen Ansichten und emotional bestimmte Begriffe. Gerade in diesem Augenblick ist dieser eine Gedanke selbst ungeboren. Alles, was sich nun vor Dir offenbart, ist nur Schein und ohne Substanz - es ist alles Widerspiegelung des wahren Geistes. Arbeite auf diese Art, sie zu vernichten. Du solltest Deinen Geist fest ausrichten, um zu beobachten, wo die Gedanken entstehen und wo sie enden. Wenn Du so übst - gleich, welche Arten von täuschenden Gedanken auftauchen; ein Schlag, und sie sind alle zerschmettert. Sie alle werden sich auflösen und verschwinden. Du solltest niemals täuschenden Gedanken folgen oder sie bestehen lassen. Meister Yongjia hat uns ermahnt: "Man muss den verweilenden Geist abschneiden." Der Grund dafür ist, dass der Erscheinungen wahrnehmende Geist der Täuschung ursprünglich ohne Wurzel ist. Du solltest niemals einen täuschenden Gedanken für real halten und versuchen, in deinem Herzen daran festzuhalten. Bemerke ihn, sowie er erscheint. Sowie du ihn bemerkst, wird er verschwinden. Versuche nie, Gedanken zu unterdrücken sondern lasse sie zu, wie Du einen Kürbis beobachtest, der auf dem Wasser davon treibt.


    Zur "Wurzel" hatten wir ja schon Dōgen. Ich will da jetzt nicht darauf rekurrieren (man lese notfalls selbst nach), denn eigentlich geht es ja um etwas Anderes, nämlich um die Übung. Entscheidend für die Übung ist also nicht, das Denken zu unterlassen, sondern der Umgang mit den Gedanken. Es gilt, den verweilenden Geist abzuschneiden, die Anhaftung - nicht die oder den Gedanken.

    Hanshan Deqing:

    Lass Körper, Geist und Welt beiseite und erzeuge einzig diesen einen Gedanken wie ein Schwert, das den Himmel durchbohrt. Gleich, ob Buddha oder Mara erscheinen, schneide sie ab wie ein Knäuel verwirrter Seidenfäden. Gebrauche geduldig all deine Anstrengung und Stärke um deinen Geist bis an das äußerste Ende zu drängen. Was man "einen Geist, der korrektes Denken wahrer Soheit aufrecht erhält" nennt, bedeutet, dass korrektes Denken Nicht-Denken ist. Wenn du in Lage bist, Nicht-Denken zu betrachten, steuerst du bereits auf die Weisheit aller Erwachten zu.


    So ist Nicht-Denken tatsächlich zu verstehen - als "korrektes Denken wahrer Soheit". Zur Soheit gehören auch die mehr oder weniger täuschenden Gedanken - nur liegen sie nicht als "verunreinigender Staub" auf einem Spiegel oder der "Essenz des Geistes". Spiegel und Geistessenz sind selbst nur Staubkörnchen, die mit allen anderen gemeinsam im Sonnenlicht tanzen und glitzern.


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