Beiträge von Sôhei im Thema „Gibt es ein Selbst?“

    Jede Fragestellung oder Aussage bezüglich Selbst, Seele, atta oder anatta ist in ihrer Reichweite begrenzt, da keiner dieser Begriffe evident oder selbsterklärend ist.
    Niemand von uns kann sich "sich selbst" losgelöst vom Körper vorstellen. Und niemand kann sich tatsächlich vorstellen, "ein anderer zu sein"; denn in dem Moment wo ich X bin, bin ich ja nicht mehr Y. Und damit erübrigt sich auch die Frage ob es irgendein Fortbestehen von mir geben könnte, wenn der Leib nicht mehr funktioniert, und später sogar zerfallen ist.
    Ich denke der anatta-Ansatz im frühen Buddhismus will ganz einfach einer zu starken Jenseits-Ausrichtung (oder halt nächstes Leben, Wiedergeburt, wie immer man das nennen will) entgegenwirken, welche Menschen daran hindert jetzt zu leben (und, modern gesprochen, ihr Potential zu entfalten).
    Da der gute Buddha halt über 30 Jahre zu allen möglichen Leuten geredet hat, ist das aber nicht das einzige. Nur halt er halt kein in sich geschlossenes System verkündet, sondern immer wieder neue ihm hilfreich erscheinende Zugänge.

    bel:
    Sôhei:

    es hinkt doch gerade der Buddhismus hinter der Wertschätzung dieser Welt hinterher, mit seinem Genörgel am Samsara und dem "sabbe sankhara dukkha".


    Oder aber, "sabbe sankhara dukkha" wird im Westen deshalb als "Genörgel" auf gefaßt, weil man den Begriff "dukkha" falsch bestimmt, durch westlich philosophische, oder auch nur sprachliche Projektionen.


    Würde ich nicht so sehen. Sonst würde sich das mit den Vier Edlen Wahrheiten doch wohl erübrigen, oder nicht?
    Oder wie übersetzt und deutest du diesen Satz?

    void:


    Die westliche Trennung zwischen Immanenz und Tranzendenz basiert doch darauf, dass das konkrete "Hier und jetzt" gegenüber den "ewigen, tranzendenten Weisheiten" relativ wertlos ist. Das entspricht doch überhaupt nicht dem buddhitischen Denken.


    Diese Trennung ist doch in den unzähligen Denktraditionen des "Abendlands" weder absolut, noch die einzige Sichtweise. Umgekehrt: es hinkt doch gerade der Buddhismus hinter der Wertschätzung dieser Welt hinterher, mit seinem Genörgel am Samsara und dem "sabbe sankhara dukkha".

    accinca:


    Wir sprachen doch hier über eine Existenz von einem permanenten Selbst und nicht allgemein von Existenz.
    -


    Nun, das eine und das andere hängen nunmal durchaus zusammen.

    Elliot:


    Ist das dann auch Spekulation oder aber unmittelbare Erfahrung und Einsicht, die der eine gewinnt, der andere aber nicht?
    Elliot


    Ob Spekulation oder Erfahrung - darüber lässt sich nur spekulieren.
    Sagen lässt sich zunächst mal nur, dass unklar ist bzw. Uneinigkeit besteht, was damit überhaupt gemeint sein soll; wie das möglich sein soll; und wie es im Kontext anderer Aussagen in den Sutten zu verstehen ist bzw. dazu passt.
    Es gibt allerdings noch eine dritte Möglichkeit: es ist weder Spekulation, noch Einsicht; sondern Einbildung.
    Und viertens: es ist ein Gleichnis, eine Metapher.
    Fünftens, sechstens, ...

    bel:

    Solange es keine falsifizierenden Hinweis gibt, ist das Merkmal als gültig zu erachten - zumal sich die Antithese prinzipiell der fasifizierenden Beobachtung entzieht.


    Habe hier gerade eine Tasse vor mir stehen. Zehn Sekunden angeschaut. Hat sich nicht verändert. Universalität widerlegt, oder die Hypothese wird genauer formuliert.
    Davon abgesehen: es obliegt demjenigen, der eine Hypothese ("alles vergeht/ist vergänglich") aufstellt, sie so zu formulieren, dass sie falsifizierbar ist; ansonsten entzieht er sich bzw. seine Hypothese dem wissenschaftlichen Diskurs. Dann kann ich eben auch den unergründlichen Willen eines unerkennbaren Gottes postulieren - den kannst du auch nicht falsifizieren.

    bel:


    Ebenso kann keine Substanz "Anatta" (mit Existenz im Sinne von a)) beobachtet werden, man beobachtet aber sehr wohl, daß die Dinge sich ständig ändern und zwar in Abhängigkeit.


    "es gibt weder den Ātman noch den Nicht-Ātman" ist also in dem Sinne zu verstehen, daß es weder eine unbedingte/unveränderlich Atta-Substanz noch eine solche Anatta-Substanz gibt - was es aber wohl gibt (nämlich im Sinne von beobachtbar) ist das universelle Merkmal anatta.


    Hmm. Ich würde sagen, dass Beobachtungen eben gerade nicht universell sind. Du kannst zwar alles mögliche beobachten, und bei vielen Dingen vielleicht auch Veränderung erkennen (bei manchen Phänomenen hingegen könnte das sogar fraglich sein); aber empirische Beobachtungen erlauben eben gerade keine Allaussagen.
    Sprich: aus der Beobachtung das sich dieses und jenes verändert (hat), kann eben nicht geschlossen werden, dass sich alles immer verändert hat, verändern wird, verändern muss. Und auch andersrum wird kein Schuh draus: das universelle Merkmal erst zu postulieren, weil man kann es eben nicht in der Beobachtung überprüfen (da man nicht alles beobachten kann).