Sudhana:Alles anzeigen
Ich wurde da wohl zumindest teilweise missverstanden. Zunächst zur Begrifflichkeit: ich schrieb nicht von sozialem Kapital, sondern von symbolischem Kapital, ein von Pierre Bourdieu eingeführter Begriff, den ich insbesondere in religionssoziologischen Kontexten für nützlich halte. Soziales Kapital spielt hier bei unserem Thema sicherlich ebenfalls eine Rolle. So ist soziales Kapital (etwa die Zugehörigkeit zu einer religiösen Organisation durch Priesterordination) Teil des symbolischen Kapitals bzw. es wird in (persönliches) symbolisches Kapital transferiert.
Ich halte den Begriff 'symbolisches Kapital' in unserer Diskussion hier für hilfreich, weil er geeignet ist, den Begriff 'Mißbrauch' in einem grundsätzlichen (nicht rein strafrechtlichen oder auch nur moralisierenden) Sinn verständlich zu machen. Symbolisches Kapital ist auf soziale Anerkennung angewiesen, denn die Verfügung über solches Kapital ist das Maß sozialen Prestiges, von Autorität. Diese Anerkennung beruht wiederum (nicht anders als bei ökonomischem Kapital) auf Annahmen - gewissermaßen einem Vertrauensvorschuss. Eine typische Annahme ist da zum Beispiel, dass ein mit dem symbolischen Kapital eines ordinierten Priesters Ausgestatteter seine Lebensführung an besonders hohen moralischen wenn nicht gar altruistischen Standards ausrichtet; was ja dann in aller Regel auch durch bestimmte, mit dem Ordinationsritus verbundene ethische Gelübde zum Ausdruck gebracht wird. Es ist mithin hier die soziale Gruppe (die religiöse Institution), die eine Person mit symbolischem Kapital ausstattet, weil sie auf dessen Eignung vertraut - d.h. darauf, dass er den mit dem symbolischen Kapital verbundenen sozialen Erwartungen gerecht wird. Dieselbe Erwartung wird der Person von außerhalb entgegen gebracht.
Der Mißbrauch im weiteren Sinne, der Mißbrauch des symbolischen Kapitals, ist also das Nicht-Bedienen dieser Erwartungshaltungen der Eigengruppe und der Fremdgruppe. Anders ausgedrückt: ist Mißbrauch des Vertrauens, das von Seiten der Institution Voraussetzung für die Ausstattung mit symbolischem Kapital war und des Vertrauens, das seitens der Gesellschaft insgesamt dieser speziellen Form symbolischen Kapitals entgegen gebracht wird. Das Ergebnis ist natürlich, dass seitens der Gesellschaft die Anerkennung des missbrauchten Kapitals sinkt - d.h. der Wert dieser speziellen Form des symbolischen Kapitals sinkt. Davon ist nun natürlich die religiöse Institution, die 'Garant' dieses symbolischen Kapitals ist, unmittelbar betroffen, da der soziale Wert des persönlichen symbolischen Kapitals, mit dem die Angehörigen der Institution ausgestattet sind (und mit dem sie Andere ausstatten dürfen), sinkt. Genau dies ist natürlich auch der Grund, warum Institutionen in der Regel versuchen, Mißbrauchsfälle nach Möglichkeit der öffentlichen Wahrnehmung zu entziehen. Dahinter steckt primär ein Eigeninteresse, den persönlichen sozialen Status zu wahren und weniger 'Solidarität' oder gar Komplizenschaft mit dem Missbraucher. Umgekehrt ist das öffentlich Machen von Mißbräuchen nicht notwendig (oder ausschließlich) durch das Interesse motiviert, das Risiko von Mißbrauch zu verringern, sondern zielt oft ebenso auf die Entwertung bestimmter Formen symbolischen Kapitals und damit auf die Institution, die Garant dieses Kapitals sind. Entsprechende Klagen z.B. der katholischen Kirche über Instrumentalisierung von Mißbrauchsfällen sind nicht ganz unbegründet.
Mißbrauchsfälle kann man durch institutionelle Kontrollmechanismen und sicherlich auch durch sparsameren Umgang mit dem symbolischen Kapital verringern. Sie sind jedoch nicht grundsätzlich verhinderbar; wie ich bereits schrieb, ist dies schlicht anthropologisch bedingt. Grundsätzlich kann (und sollte) man jedoch aus Mißbrauchsfällen als Institution die Konsequenz ziehen, die Garantenrolle ernst(er) zu nehmen - was dann ggf. auch heisst, öffentlich die Verantwortung dafür zu übernehmen, wenn man als Garant versagt hat. Was unweigerlich früher oder später einmal geschieht. Eine 100%-ige Garantie dafür, dass symbolisches Kapital nicht missbraucht wird, kann es nicht geben. Auch nicht, wenn man die Verantwortung für die Ausstattung damit z.B. an einen (wie ich denke, durchaus zu recht) hoch respektierten und anerkannten Zenmeister wie Hozumi Gensho Roshi delegiert. Auch der ist hier Missbrauchsopfer - und Missbraucher insofern, als er dem in ihn selbst gesetzten Vertrauen, zu erkennen wenn jemand seines Vertrauens nicht würdig ist, nicht gerecht wurde. Wobei ich nicht zu beurteilen vermag, wie weit Hozumi Gensho Roshi selbst dem 'Mythos des Zenmeisters' Vorschub leistete - oder sich in dieser Hinsicht gar irgendwelchen Selbsttäuschungen hingab.
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Ich würde das symbolische Kapital als Markenwert verstehen. Welchen Schaden nimmt das Unternehmen Katholische Kirche in der Ortschaft Oberstinkenbrunn, wenn sich herausstellt, dass der Pfarrer was mit seiner Köchin hat? Zuvor: 45 Besucher der Sonntagsmesse. Danach: 8 Besucher. O weh…
Soziales Kapital scheint mir ein für das Verständnis von Ökonomie wichtiger Begriff. Zentral scheint mir hier das Vertrauen. Vertrauen der Marktteilnehmer zueinander, Vertrauen zum Rechtsstaat, vielleicht auch das Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft. Der Begriff zeigt, dass Wirtschaft Verantwortung braucht.
Vertrauen scheint also für das symbolische wie auch soziale Kapital entscheidend.