Beiträge von Sudhana im Thema „Zen-Buddhismus und Metta“

    Festus hat völlig recht:

    Zitat

    Metta kann nicht gelehrt werden.

    - daher wird maitrī (Pali: metta) im Zen auch nicht "gelehrt". Sehr klar wird dieser Grundsatz im Tan Jing ('Plattform-Sutra') des 6. Zen-Patriarchen Huineng dargelegt:

    Huineng:

    Wenn eine Lehre vom ursprünglichen Wesen getrennt dargelegt wird, dann ist es eine formale Lehre. So eine Lehrweise lässt einen das eigene ursprüngliche Wesen aus den Augen verlieren. Man muss wissen, dass alle Zehntausend Erscheinungen das Wirken des eigenen Wesens sind. Das ist die wahre Lehre der Gleichheit von Sila, Dhyana und Prajna. Stets das eigene ursprüngliche Wesen schauen (es natürlich manifestieren) bedeutet, dass das eigene Wesen an sich Buddha ist.
    Der Geistgrund ohne Irrtümer ist Sila des eigenen Wesens (die Sila, mit dem das eigene Wesen von Anfang an ausgestattet ist).
    Der Geistgrund ohne Torheit ist Prajna des eigenen Wesens.
    Der Geistgrund ohne Wirrnis ist Dhyana des eigenen Wesens.*


    Das bedeutet nun selbstverständlich nicht, dass maitrī im Zen keinen "Stellenwert" hat - im Gegenteil. Zentraler Ausdruck buddhistischer Praxis nicht nur im Zen sondern überhaupt im chinesisch/japanisch/koreanischen Mahāyāna sind die 'Vier großen Bodhisattva-Gelöbnisse' (Jap. shi gu seigan), deren (nicht zufällig) erstes allen fühlenden Wesen gewidmet ist: shujō muhen sei gan do (眾生無邊誓願度, etwa: 'die Zahl der Wesen ist ohne Grenzen; ich gelobe, sie zu befreien'). Diese Gelöbnisse werden im Zen regelmäßig von Ordinierten (die weitere, speziellere Bodhisattva-Gelöbnisse empfangen / genommen haben) und Nicht-Ordinierten rezitiert.


    Es wurde hier schon angemerkt, dass maitrī im Japanischen gewöhnlich mit jihi (慈悲) ausgedrückt wird - ein Ausdruck, der maitrī im engeren Sinn (慈) mit karuṇā (悲) verschmilzt. Diese 'theoretische Unschärfe' verweist wiederum auf das Praktizieren, das Einnehmen der entsprechenden Geisteshaltung, in der beides nicht tatsächlich zu trennen ist. Theoretisch werden im Mahāyāna weniger maitrī und karuṇā unterschieden als vielmehr drei Ebenen bzw. Arten von jihi (sanshu jihi, 三種慈悲): auf fühlende Wesen als Objekte gerichtetes shōen jihi (生緣慈悲), auf die wahre Natur der Erscheinungen (d.h. ihre Leere) gerichtetes hōen jihi (法緣慈悲) und nichtdualistisches (nichtbedingtes, also objektfreies) muen no jihi (無緣慈悲). Letzteres wird mit dem dai jihi (大慈悲), dem 'Großen Mitgefühl' (mahā-maitrī-karuṇā) Buddhas identifiziert.


    Wie schon angesprochen ist allerdings im Zen das Augenmerk eher auf praktische Umsetzung gerichtet. Hinweise in dieser Hinsicht gibt für die Sōtō-Tradition z.B. der vierte Abschnitt des Shushōgi (ebenfalls ein Standard-Rezitationstext), der auf Dōgens Schrift Shōbōgenzō Bodaisatta Shishōbō (leider nur auf Englisch verlinkbar) beruht. Dōgen spezifiziert unter Rückgriff auf die Systematik des Yogācārabhūmiśāstra (Jap. Yugaron, 瑜伽論) die Akte von jihi als Freigebigkeit (Skrt. / Pali dāna, Jap. fuse, 布施), liebevolles Sprechen (Skrt. priya vacana / Pali piya vācā, Jap. aigo, 愛語), selbstlose Wohltaten (Skrt. artha caryā / Pali attha cariyā, Jap. rigyo, 利行) und Zusammenarbeit mit Anderen (Skrt. samānārthatā / Pali samāna attatā, Jap. doji, 同事).


    Eine praktische Anwendung dieser Prinzipien kann man sich beispielsweise hier anschauen oder hier oder hier.


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    *Anmerkung: Der "Geistgrund" ist der āśraya (yi) der Yogācāra-Lehre, dessen Transformation (āśrayaparāvṛtti, zhuan yi) die Reinheit der ursprünglichen Natur (ben xing, ein Wechselbegriff zur Buddhanatur fo xing in ihrem dharmakāya-Aspekt) offenbart. Das "eigene Wesen" oder "ursprüngliche Wesen" (mit dem die Buddhanatur, fo xing, gemeint ist) als eine Art ātman-Konzept aufzufassen, wäre ein grobes Missverständnis. Es entspricht vielmehr dem 'Ungeborenen, Ungewordenen, Unerschaffenen, nicht Bedingten', von dem Buddha im Palikanon in Udana 8.2 und Itivuttakam 43 spricht.