Beiträge von void im Thema „Der Begriff "Lamaismus"“

    Sudhana:

    Ich fühle mich, was die Verwendung des Begriffs 'Lamaismus' angeht, mit Giuseppe Tucci - oder, um "neuere westliche" (und sogar deutschsprachige) renommierte Religionswissenschafter zu nennen, z.B. Karl-Heinz Golzio und Heinz Bechert - in guter Gesellschaft.


    kilaya:

    Für mich überwiegt hier klar die Innenperspektive derer, die damit bezeichnet werden. Auch wenn die emotional gefärbt ist. Deren Gewicht hast Du in Deiner Waagschale komplett ausgelassen.


    Einen Religionswissenschaftler sollte sich ja nicht von der Innenperspektive vereinnehmen lassen. Aber es ist ja überhaupt nicht einsichtig, warum ein Angehöriger seiner Religion sich beim praktizieren seiner Religion einer religioswissenscaftliche Begrifflichkeit der Aussenperspektive vorschreiben lassen sollte.


    Vielleicht sollte man von daher mit der Begrifflichkeit des anderen als "Fremdsprache" leben. So wie man ja auch nicht mit jedem Franzosen diskutiert, dass man jetzt eben kein "Allemanne" ist und nichtmal schwäbelt.

    kilaya:

    Für mich ist der Knackpunkt die historische Verwendung des Begriffs. Das macht es auf der einen Seite nicht rein persönlich, das als Affront zu empfinden, und auf der anderen Seite nicht blos zu einer "Meinung". "David Bowie ist als Sänger eher mau" ist eine Frage des persönlichen Musikgeschmacks, mehr nicht. Da hängt kein historischer Kontext mit dran.


    das war ja dieser Kontext:


    Zitat

    http://info-buddhismus.de/Tibe…sten_Dagyab_Rinpoche.html


    "Im Lauf des 19. Jahrhunderts wird das Tibet-Bild jedoch wieder negativer. Vor allem die Erforschung des Buddhismus führt ab 1850 zu einer Abwertung des tibetischen Buddhismus. Die Frage, welcher Buddhismus der echte ist, beantworten die westlichen Forscher historisch: natürlich der älteste. Der ›reine‹ Buddhismus wird folglich mit dem Pali-Kanon und dem Theravada identifiziert. Alle späteren Entwicklungen gelten hingegen als fortschreitende ›Entartung‹, wobei der tantrische Buddhismus als ärgste Dekadenz gilt. Der tibetische Buddhismus wird als ›Lamaismus‹ bezeichnet, was eindeutig abwertend gemeint ist. Bis heute hat sich ja diese Wortschöpfung leider in vereinzelten Veröffentlichungen gehalten. Diese Sicht des Buddhismus orientiert sich offenbar an der protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts und ihrer historisch-kritischem Methode. Der Mahayana und der tibetische Buddhismus erscheinen den Autoren als eine Art Katholizismus: Die Hierarchie der Lamas benutzt den Aberglauben, um das Volk in Abhängigkeit zu halten."


    Im tibetischen Buddhismus einen degenerierten,dekadenten,katholischen Aberglauben zu sehen ist sicher ein übel herabsetztender Kontext.


    Aber was ist mit einer Sicht, die Buddhismus in erster Linie mit dem Palikanon identifiziert? Das ist ja jetzt keine so ungewöhnliche Position, oder? Nimmt man den Palikanon als Messlatte, dann wird man ja auch viele Elemente des tibetischen Buddhismus für sich selber als "nicht dem Dharma entsprechen, wie es Shakyamuni gelehrt hat" sehen. Auch wenn man natürlich respektieren kann, das jemand eine andere Sicht hat und andere Wertungen vornimmt.


    Wenn man den tibtischen Buddhismus als eine Mischung von buddhistichen und nicht-buddhitischen Elementen sieht dann ist der Begriff "Lamaismus" vielleicht gut, weil er (genau wie "Zennist") diese Unterscheidung offen hält. Wie ein Ethnologe spricht man in einer Aussenansicht "von dem was Lamas lehren." ohne bei jedem Satz urteilen zu müssen ob das jetzt Dharma ist oder nicht.


    Gerade für Leute, die Gelübte auf sich genommen, haben, und deswegen streng versuchen nicht zu lügen kann so etwas wichtig sein, um gleichzeitig nichts Unwahres zu sagen und höflich zu bleiben.

    Sherab Yönten:


    Das hatte ich im Laufe der Diskussion aber auch relativiert.
    Wenn jemand ehrlich erklärt, dass der Begriff, wenn er unbedingt verwendet werden muss, nicht abwertend gemeint ist, ist das auch für mich o.k.


    Ich nehme nicht an, dass jemand den Begriff böswillig verwendet.


    Aber auch schon wem jemand, das was man selber als wichtig und gut wertschätzt, als unwichtig oder sogar schädlich ansieht, kann man das als Abwertung wahrnehmen.


    Schon wenn jemand sagt "David Bowie war als Sänger eher mau" kann eine echten Bowie-Fan das als Abwertung seines Idols auffassen. Aber ist es nicht einfach eine Meinung?


    Wo ist da die Grenze?

    Sudhana:

    Als Ersatzbegriff ist 'tibetischer Buddhismus' schlicht ungeeignet, weil das, was man z.B. bei den Kalmücken findet, nun einmal kein 'tibetischer Buddhismus' ist, sondern kalmückischer.


    Es gibt ja auch eine "griechisch-orthodoxe" Kirche, was anzeigt, wohin sich die Kirche orientiert- wo die Wurzeln sind.


    Und da sind die Kalmücken ja einfach Anhänger der Gelug und Kagyu Schule, also hin auf die jeweiligen Oberhäupter orientiert.

    Sherab Yönten:

    [2. Gegen den Begriff an sich, habe ich auch nichts, Nur gegen die vermutete Abwertung


    Was meinen wir eigentlich hier mit "Abwertung"?


    Das kann ja verschiedene Sachen bedeuten. Teilweise auch nur, dass jemand, das was man selber als wichtig und gut wertschätzt, als unwichtig oder sogar schädlich ansieht. Womit ja gar keine Böswilligkeit verbunden sein muss.

    Sudhana:

    Der Begriff stammt jedenfalls in dieser Form (Lamaismus, lamaism) aus dem religionswissenschaftlich / ethnologischen Begriffsapparat und ist als wissenschaftlicher Begriff wertfrei.


    Natürlich gab es auch immer Ethologen wie Leo Frobenius, die gegenüber anderen Kulturen sehr respektvoll war, aber insgesamt hatte die Ethnologie eine Geschichte, in der der Schritt von der Völkerkunde zur Völkerschau oft klein und Wissenschaft aufs engste mit Kolonialismus und Rassismus verquickt war.


    In ihr dominiert lange Zeit ein Blick vom Entwickelten auf dem "Primitiveren" wobei man das "Exotische" oftmals sehr schwer neutral aufnehmen kann und man in die Falle gerät, es einerseits romantisch zu überhöhen oder es als "finsteren Aberglauben" abzuwerten.


    Wenn ich mir die Liste derjenigen Leute durchlese, die den Lamaismus Begriff verwenden, dann stosse ich da neben seriösen Tibetologe und Autoren auf den Abenteuerer Sven Hedin, bei dem sicher die romatische Sichtweise überwiegte.


    Aber dann ist da natürlich auch der Leiter SS-Expedition Ernst Schäfer, der für die rassistische Sicht steht. Lese ich weiter, dann finde ich auch den bizarren Albert Grünwedel, für den ( nach seiner psychischen Erkrankung) der tibetische Buddhismus ja ein sexualmagischer Okkultismus war, der auf dem Vampirismus an jungen Frauen basierte.


    Der Begriff "Lamaismus" ist stark mit einer Aussenwahrnehmung der tibetischen Religion verbunden. Vielleicht passt der Begriff, wenn man sich der tibetischen Religion aus einer Distanz nährt und sich von manchen Details befremdet fühlt.

    Dass der Begriff "Lamaismus" in der Mongolistik verwendet wird, kann ich verstehen: In der Mongolistik geht es ja eher um kulturelle Aspekte. Also z.B darum wie die Gesellschaft strukturiert ist, und welche Rolle dabei welche religiösen Figuren habe.


    Es ist eine ethnologische Unterscheidung keine religiöse. Blicke ich durch so eine Brille könnte es z.B für Südostasien Sinn machen, "Waldmönche" und ihrer Lebensweise von "Stadt-Mönchen" und deren Lebensweiseabzugrenzen. Vollkommen unabhängig, welcher Tradition diese angehören.


    Nimmt man religiöse Unterscheidungen vor, so hält man sich normalerweise nicht mit kulturellen Oberflächlichkeiten auf, als ob derjenigen eine gelbe oder einr rote Münze haben, im Wald leben oder in der Stadt, prächtige Würdenträger sind oder Bettelmönche.


    Zitat

    Wie benennst du den Buddhismus in der Mongolei, Bhutan, Sikkim, kilaya?


    Ich bin zwar jetzt nicht kilaya, aber für mich stellt sich die Situation folgendermaßen dar: In allen Fällen ist es so, das man sich auf die tibetischen Übertragungslinien bezieht: In Sikkim ist das die Nyingma Linie die auf Guru Rinpoche zurückgeht, in der Mongolei ist hauptsächlich Gelug-Schule vebreitet, in Bhutan Kagyü und Nyingma-Traditionen.


    In der Mongolei ist es ja sogar so, dass deren religiöses Oberhaupt direkt vom Dalai Lama eingetzt wird. Für Bhutan und Sikkim kann man es (im Gegensatz zur Mongolei) sogar ethnisch fassen: Es sind die Angehörigen der tibetischen Minderheit, die dem dem tibetischen Buddhismus anhängen.


    Sikkim, Bhutan und auch Teile der Monolei sind Randgebiete des tibetischen Kulturraum

    • Ein Zentrum, aus dem der Vajrayana hervorging war die buddhitische Universität Nalanda in Bengalen, von wo aus viele Lehrer nach Tibet gingen. Es gibt also eine Kontinuität zwischen Indien und Tibet und das was den Yajayana ausmacht ist doch natürlich das ganze Lehrgebäude an Texten und Techniken dass da enstand - dem gegenüber die Bezeichnung "Lama" ganz nebensächlich ist. So wie die alten Bezeichnungen "Gelbmützenmönche" und "Rotmützenmönchen" vollkommen oberflächliche Details herausgreifen.



    • Natürlich könnte man Lama eben als Übersetzung für den Begriffs "Guru" ansehen, und sich fragen, ob der Begriff Lamaismus gerechtfertigt ist, weil Guruyoga ein wichtiger Bestandteil des tibetischen Buddhismus ist. Guruyoga ist aber nur ein Aspekt des tibtischen Buddhismus und nicht "der zentrale Bestandteil"- inwieweit macht es dann Sinn diesen herauszustellen? "tibetischer Vajrayana" oder "tibtischen Buddhismus" sind sicher umfassendere Bezeichnungen.



    • Eine Motivation, den Begriff "Lamaismus" zu verwenden, ist um damit auszudrücken, dass man den Yajrayana nicht für Buddhismus hält sondern für etwas anderes. Ein wenig so, wie manche Protestanten einst die Katholiken abwertend "Paptisten" nannten. Man sah in ihnen keine Mitchristen, sondern Abweichler, die statt Jesus zu folgen einen Papst "vergötzen" und abeteten.


      Uns so wird vielleicht auch jemand den tibetischen Buddhismus als eine Abweichung sehen, in der man statt zu "Buddha, Dharma und Sangha" zu einem "Guru" Zuflucht nimmt - wesegen es für ihn naheliegt, es deswegen "Guruismus" oder "Lamaismus" nennen zu wollen. Es schwingt also ein Vorwurf mit, nicht Buddhismus im engeren Sinne zu sein, der sicher als abwertend aber teilweise sogar als Beleidigung empfunden werden kann.