Zunächst ist zu bedenken (um dies verdeutlichend zu wiederholen), dass die Herangehensweise der modernen westlichen Medizin an die Problematik einer Definition des Todes durchaus nicht rein wissenschaftlich ist, sondern auch auf einer rational nicht begründbaren ethnozentrischen Voraussetzung beruht – nämlich auf dem abendländischen Leib-Seele-Modell. Als Gegenbeispiel sei hier das - durchaus mit modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen kompatible - buddhistische Menschenbild angeführt, das sich besonders deutlich vom christlich geprägten Bild eines beseelten Körpers unterscheidet. Der Mensch ist nach buddhistischer Auffassung eine Einheit psychischer und physischer Faktoren, wobei keinem dieser Faktoren die Rolle eines 'Persönlichkeitskernes' oder einer Seele zugewiesen werden kann. Eine Person existiert demnach nur durch das Zusammenwirken dieser grundsätzlich gleichwertigen Faktoren, als ihre Funktion. Eine eingehende Erörterung ist z.B. bei Suwanda H. J. Sugunasiri, The whole body, not heart, as seat of consciousness: the Buddha's view, Philosophy East and West, 45/3, July 1995, P.409-430 zu finden.
Der Tod ist nach diesem Verständnis daher nicht der Eintritt eines bestimmten Ereignisses – etwa der Ausfall eines bestimmten Organs – sondern wird prozesshaft begriffen als die allmähliche Auflösung eben dieses Funktionszusammenhanges der die Person ausmachenden Faktoren. Da keiner dieser Faktoren für sich als Träger des Ich begriffen wird, kann auch keiner von ihnen allein ein Kriterium für den Eintritt des Todes, also für einen abgeschlossenen Sterbeprozess, liefern. Einen bestimmten Zeitpunkt innerhalb dieses Auflösungsprozesses als Eintritt des Todes zu definieren, kann daher nur eine rein formale Festlegung sein. In dieser formalen Festlegung liegt die eigentliche Problematik der 'zweckgerichteten Definition', da bei den hierzu herangezogenen Kriterien tendenziell Nützlichkeitserwägungen die entscheidende Rolle spielen, die nicht dem Sterbenden selbst, sondern anderen Zwecken dienen.
Sicher ist eine solch formale Definition des Todeseintritts nicht rein willkürlich, doch täuscht sie eine Zäsur vor, die aus sich selbst heraus – jenseits der erwähnten Nützlichkeitserwägungen – nicht zwingend nachvollziehbar ist. Die Tatsache, dass bei Feststellung des Hirntodes der Sterbeprozess in ein nicht mehr umkehrbares Stadium eingetreten ist, darf nicht den Blick dafür verstellen, dass man es immer noch mit einem Sterbenden zu tun hat, der Anspruch auf Respektierung seiner Würde hat.
Aus dem rein formalen, legalistischen Charakter der Definition von ‘Tod’ folgt, dass eine Organentnahme zum Zweck der Transplantation (also zu einem medizinisch noch sinnvollen Zeitpunkt) auf jeden Fall einen Eingriff in den Sterbeprozess bedeutet. Bedenklich ist ein solcher Eingriff insbesondere, da nach buddhistischer Lehre in das zentrale Heilsziel der Befreiung noch im Verlauf des Sterbeprozesses eingetreten werden kann, das bewusste Erfahren des Auflösungsprozesses zumindest aber einer Annäherung an dieses Ziel förderlich sein kann. Dass mit dem Ausfall der sog. höheren Bewusstseinsfunktionen ein solches Erfahren ggf. stark verändert ist, sich auf einer anderen geistigen Ebene abspielt, ist unzweifelhaft. Aus der Unmöglichkeit, einen solchen Modus der Erfahrung medizinisch-wissenschaftlich nachzuweisen (argumentum ex silentio), kann und darf jedoch nicht auf seine Nichtexistenz geschlossen werden.
In traditionell buddhistischen Ländern wird daher in der Regel großer Wert darauf gelegt, diese Erfahrung des Sterbeprozesses, sein ‘Erleben’, zeitlich weit über das Verlöschen wahrnehmbarer körperlicher Funktionen hinaus möglichst frei von jeglichen störenden Einflüssen zu halten. Dies betrifft emotionalen Stress (z.B. durch Angehörige, die in unmittelbarer Nähe des Sterbenden ihrer Trauer allzu deutlich Ausdruck geben) und selbstverständlich auch physische Störungen, wobei ein Eingriff in die körperliche Integrität des Sterbenden oder Toten sicher deren extremste Form ist.
Bei allen genannten Vorbehalten sollte jedoch ein anderer Aspekt keinesfalls übersehen werden. Die bewusste Entscheidung für eine Organspende ist eine ethisch begrüßenswerte Entscheidung, sie ist praktizierte Freigebigkeit und Mitgefühl; sie kann das Leiden Kranker lindern und durch diese radikalste Form des Sich-Entäußerns zum Nutzen Anderer auf heilvolle Weise die Überwindung von Anhaftung und Ich-Illusion fördern. Dies ist der Grundgedanke hinter buddhistischen Texten wie z.B. dem Sasa-Jataka (Jatakam Nr. 316) des Palikanon oder dem mahayanischen Vyaghri-Jataka. Voraussetzung dafür ist jedoch als Vorbereitung eine intensive persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben und ein im Bewusstsein der Konsequenzen gefasster, freiwilliger und vorbehaltloser Entschluss. Es ist dies eine Entscheidung, die ein jeder nur für sich persönlich treffen kann – sie kann und darf ihm nicht aufgedrängt werden und sie sollte auch nicht anderen Menschen, insbesondere den Angehörigen Sterbender, aufgebürdet werden.
Aus diesem Grund ist beim Fehlen einer eindeutigen Willensäußerung eines potentiellen Organspenders eine Organentnahme ethisch fragwürdig und auch den Angehörigen ist eine stellvertretende Einwilligung in eine Organentnahme bei Zweifeln über die Einstellung des Sterbenden nicht zu empfehlen. Gerade um den Angehörigen die zusätzliche emotionale Belastung durch ein solches Ansinnen, das an sie herangetragen werden könnte, zu ersparen, ist es empfehlenswert, rechtzeitig eine eindeutige persönliche Entscheidung zu treffen und diese im Organspendeausweis zu dokumentieren.
Die Diskussion um Organspende ist allerdings leider häufig zu sehr verengt auf die Problematik der postmortalen Organentnahme ("Leichenspende"). Ein anderer und kaum weniger komplexer Aspekt des Problemfeldes Organspende ist die sogenannte Lebendspende. Dabei spielen die oben angesprochenen philosophischen oder medizinethischen Erwägungen bezüglich des Sterbeprozesses keine Rolle. Es ist gar nicht möglich, hier grundsätzliche und generelle Aussagen unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in die körperliche Integrität oder einer möglichen gesundheitlichen Gefährdung des Spenders zu machen, da unter dem Begriff Lebendspende in dieser Hinsicht sehr unterschiedliche Vorgänge zusammengefasst werden - von der harmlosen Blut- oder Samenspende bis hin zur Nieren- und Teilleberspende.
Hier ist jedoch ein anderer Aspekt von besonderer Bedeutung, der im Zusammenhang mit der Organtransplantation von Lebendspenden geeignet ist, in der Summe mehr Leid zu erzeugen als zu lindern. Das medizinisch Machbare hat neue Bedürfnisse geweckt und damit auch einen potentiellen Markt geschaffen - einen sehr lukrativen Markt, da ein großes Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage besteht. Die internationale Bellagio-Arbeitsgruppe über Transplantation, körperliche Unversehrtheit und den internationalen Organhandel stellte schon 1997 in einem Bericht fest:
Zitat "Gerade diese Knappheit hat Ärzten, Krankenhausverwaltern und Politikern in einer Anzahl von Ländern Anreize gegeben, ethisch zweifelhafte Strategien zur Beschaffung von Organen zu verfolgen. Sie sind weniger durch den Wunsch motiviert, die Bedürfnisse der Patienten in ihren Ländern zu erfüllen, als durch Zahlungen von Ausländern. Speziell hat der weltweite Fehlbedarf den Verkauf von Organen gefördert
[...]
Das physische Wohlbefinden benachteiligter Populationen, besonders in Entwicklungsländern, ist ohnehin gefährdet durch eine ganze Anzahl von Bedingungen, eingeschlossen die Gefahren von Mangelernährung, minderwertiger Behausung, unsauberes Wasser und parasitäre Infektionen. Unter diesen Umständen Organverkauf dieser Liste noch hinzuzufügen, würde eine bereits verletzliche Gruppe einer weiteren Bedrohung ihrer physischen Gesundheit und körperlichen Integrität aussetzen.
[…]
Selbst in entwickelten Ländern würde sich der Verkauf von Organen lebender Personen dem Missbrauch ausliefern."
(veröffentlicht in Transplantation Proceedings 1997, 29:2739-45, hier übersetzt)
Der drohenden Kommerzialisierung der Transplantationsmedizin und der Entwicklung eines weltweiten Organhandels traten schon früh internationale Organisationen mit Erklärungen entgegen (u.a. die World Medical Association, die Transplantation Society und die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen). 1987 wurden in Deutschland zunächst die wichtigsten Grundsätze für Organtransplantationen in einem Transplantationskodex zusammengefasst, zu dessen Einhaltung sich die deutschen Transplantationszentren verpflichteten. 1997 wurde schließlich mit dem Transplantationsgesetz das Verbot des Organhandels in Deutschland gesetzliche Norm. Auch die vom Europarat initiierte, am 1. Dezember 1999 in Kraft getretene sog. Bioethikkonvention, ergänzt durch das Zusatzprotokoll vom 24.01.2002, untersagt in Artikel 21 die Verwendung des menschlichen Körpers und von Teilen davon zur Erzielung finanziellen Gewinns.
Das klingt beruhigend - ist aber kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Denn der illegale Organhandel - speziell der besonders gewinnträchtige mit Nieren von Lebendspendern - ist auf Grund der enormen Gewinnspanne trotzdem eine Wachstumsbranche. Dies wurde spätestens durch den im Jahre 2003 im Auftrag des Europarates von der Schweizer Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot-Mangold erstellten Bericht deutlich; schon damals hatten skrupellose Makler in osteuropäischen Ländern aufgrund des dort herrschenden materiellen Elends neue ‘Quellen’ erschlossen. Der Bericht Trafficking in organs in Europe (Council of Europe, Parliamentary Assembly, Doc. 9822, 3 June 2003) ist zwar nach über 15 Jahren nicht mehr sonderlich aktuell, doch ist seine Lektüre nach wie vor mehr als empfehlenswert - wobei die Organmafia mittlerweile insbesondere das Elend afrikanischer Flüchtlinge (im wahrsten Sinne des Wortes) ausschlachtet, wie eine CNN-Reportage aus dem Jahr 2011 zeigt (Refugees face organ theft in the Sinai - CNN). Mit der Nepal-Connection beschäftigt sich eine weitere Reportage desselben Senders aus dem Jahr 2014 (Nepal's Organ Trail: How traffickers steal kidneys - CNN). In China hat sich eine regelrechte Transplantationsindustrie entwickelt (An Update | The International Coalition to End Transplant Abuse in China) - wobei die vielleicht wichtigste Quelle hier Exekutierte sind. Da verschwindet dann auch die Grenze zwischen Lebendspende und postmortaler Spende, wobei der Begriff 'Spende' eigentlich nur noch zynisch gebraucht werden kann.
Eine wichtige Frage ist hier natürlich, wer denn die Kunden der Organhändler sind, wer sind die Endabnehmer? Dieser Frage geht z.B. der hier vorgestellte Dokumentarfilm u.a. nach: 2014: Documentary explores organ trafficking - CNN Video Auch, wenn es selten ausgesprochen wird - wer es wissen möchte, erfährt ohne größere Probleme, dass es in manchen Ländern (ein hinreichend dickes Portemonnaie vorausgesetzt) möglich ist, das Problem eines fehlenden Spenderorgans auf eine Weise zu lösen, die das Gesetz hierzulande verbietet.
Es ist das altbekannte Globalisierungsproblem - die Ausbeutung der Armen durch die Reichen im internationalen Maßstab. Auch, wenn unser persönliches Einkommen vielleicht allenfalls für exotischen Sextourismus ausreicht und hingegen der Transplantationstourismus - noch - eher eine Angelegenheit für "Besserverdienende" ist: wir in den reichen europäischen Ländern gehören zu den Profiteuren der globalisierten Weltwirtschaft. Auch hier: noch. Um so mehr Anlass, sich darüber Gedanken zu machen, welche Rolle die 'Geistesgifte' Gier, Hass und Wahn im Zusammenhang Transplantationsmedizin spielen. Natürlich wird niemand, der auch nur ein Fünkchen Mitgefühl hat, einem Kranken, der die Möglichkeit sieht, seine Lebensqualität durch eine Organtransplantation entscheidend zu verbessern, Vorträge über unheilsame Motivation halten. Aber gerade, wenn es in diesem Zusammenhang um Mitgefühl geht, sollte man sich doch der Frage stellen, ob die Entwicklung der Transplantationsmedizin in der Summe zu überwiegend heilsamen oder unheilsamen Konsequenzen führt. Diese Entwicklung wird vor allem in den Ländern der sog. 'ersten Welt' noch vor allem durch freiwillige Organspenden vorangetrieben - nicht ohne immer wiederkehrende Hinweise interessierter Kreise auf einen eklatanten Fehlbedarf an Organen. Ein Fehlbedarf, der zukünftig eher noch weniger durch freiwillige Spenden abzudecken sein wird, als dies heute der Fall ist. Da ist die persönliche Entscheidung pro oder contra Organentnahme durchaus auch eine Entscheidung pro oder contra Förderung dieser Entwicklung - und des zwangsläufig damit entstehenden Marktes.