Choenyi:Alles anzeigenIch persönlich sehe in der Angelegenheit eigentlich die kulturellen Unterschiede, die zu diesem allen führte.
Als Buddha nach und nach immer mehr Regeln einführte (für die Mönche) war dies der damaligen Zeit geschuldet und der damaligen Schülern und ihren Schwierigkeiten entsprechend. Wenn man als -moderne Frau- hinschaut, wundert man sich, warum Nonnen zuerst ja mal gar nicht vorkamen und dann später sogar noch wesentlich mehr Regeln bekamen. Dies alles auch wieder aus dem kulturellen Kontext heraus. Wäre ich jetzt eine Feministin würde ich sagen: völlig unfair... aber vom damaligen Standpunkt heraus
Als ich die Anschuldigungen der Schüler las und die Geschehnisse erinnerte ich mich einer eigenen Geschichte, die ich mal erlebte. Wir hatten in Halscheid (ein kleines Karma Kagyü Zentrum im Westerwald) mal drei Monate einen Rinpoche leben, der Arzt und Heiler war... ich assistierte ihm oft und er hatte unglaubliche Fähigkeiten.
Er schlief jede Nacht nur 2-3 Stunden, hatte Energie ohne Ende... der Hauslama und ich waren fix und foxi... denn es war wirklich anstrengend... wir brauchten ja schon a bissl mehr Schlaf und er hielt uns wirklich gut auf Trab...
Einmal gab er eine Einweihung und ich verteilte den Schülern etwas Amrita (so eine Flüssigkeit) und dabei stieg ich über versch. Dharmatexte die verteilt im Raum neben den Schülern lagen. Plötzlich stand er auf (der Rinpoche) und scheuerte mir richtig heftig eine. Alle waren geschockt. Ich nicht minder.... dann setzte er sich wieder... es war Totenstille im Raum und dann erklärte er die Kostbarkeit der Dharmatexte... dass man NIEMALS über solche steigen sollte... usw... und von einer Zeit in der es seeeehr lange Zeit keinen Dharma geben würde und wie kostbar das alles sei...
Das verrückte war, ich habe keinerlei Aggresion verspürt von seiner Seite während des Schlages... Wirklich... ich war ihm nicht böse... oder fühlte mich angegriffen... ich habe NIE WIEDER in meinem Leben einen Dharmatext achtlos irgendwo überschritten oder überhaupt als achtlos gesehen somit hatte diese eine krasse Unterweisung in Form eines Schlages voller Erfolg bei mir
man kann natürlich sagen, dass hätte nu auch gereicht es einfach nur zu sagen und er hätte mir keine scheuern müssen... klar, aus dem "westlichen" Kontext heraus... aber in Tibet herrschten wirklich auch andere Sitten... dieses verklärte "heilige" Tibet...war in seinem Ausdruck nicht immer sanft und "peacy"...
Ich habe mit zwei Kinder im Zentrum gelebt und natürlich schlage ich meine Kinder nicht. Der Hauslama fand immer, ich sei die beste Mutter der Welt, smile, weil er so etwas gar nicht kannte... meine Kinder waren sehr ruhige kids und sehr lieb... und er fand das irgendwie strange... dass sie so waren ohne dass ich sie schlug... dass ist völlig anders in Tibet gewesen...
und jetzt kommen wir nochmal zu der Rolle der Frauen... die Frauen hatten -bis heute- die absolute Arschk.... in Tibet... also nix Gleichberechtigung... es gab für sie fast überhaupt keine Möglichkeit den Dharma zu studieren, geschweige denn z.Bsp. lesen zu lernen und zu praktizieren... usw... also jetzt kommen hier Tibeter in den Westen (geprägt natürlich von ihrem eigenen kulturellen Hintergrund) und sind fast nur von Frauen umgeben... die dem Lama an den Lippen hängen...
Ich will mit meinen Zeilen in keinster Weise die Problematik und das daraus entstandene Leid der Frauen schmälern. Ich will es auch nicht gutheißen... es geht mir mehr darum, aufzuzeigen, dass es eben, wie Anfangs gesagt, der kulturellen Unterschiede entsprechend geschehen konnte...
Mir persönlich ist es immer wieder ein großes Anliegen gewesen den Lehrer nicht zu verklären... man sagt ja nicht umsonst, der beste Lehrer lebt drei Täler weit entfernt... wenn man nämlich nah an einem Lehrer ist, dann ist das richtig schwierig... da ist der Mensch und da ist der Lehrer und da sind alltägliche Dinge...
Es gibt nur ganz wenige Schüler die in der Lage sind NAH an einem Lehrer zu sein... ohne das es zu Komplikationen kommt (dass sie die Weisheit des Lehrers erkennend stabil halten können)... ganz wenige... und das liegt nicht daran, dass ein Schüler alles machen muss was ein Lehrer ihm sagt, sondern das liegt an der kulturellen Historie und auch an der "unterscheidenen Weisheit" die zum einen natürlich der Lehrer haben sollte (die hier wohl teilweise fehlte) und natürlich an den Schülern selbst... die sich benehmen als sei der Lehrer gottesähnlich... dass ist Humbug... wirklich...
Ich habe lange Jahre vielen Lehrern assistiert und je "normaler" ich sie behandelte umso lieber war es ihnen... ist doch klar... natürlich ist bei einem "Interview" z.Bsp. oft so eine Kraft am wirken und da wir das nicht gewöhnt sind verklären wir es... aber richtig ist es nicht... meine Meinung...
Hingabe ja, aber bitte nicht völlig den Verstand ausschalten...und keiner von uns möchte hier so behandelt werden wie die tibetischen Frauen... ja, geht´s noch? Also ist es sehr sehr wichtig, dass dies jetzt auch -endlich- mal relativiert wird... meiner Meinung nach...
und klar, die Hingabe, die im Vajayana als ein geschicktes Mittel gilt (und ja auch in ganz vielen Geschichten erzählt wird, ob Milarepa mit Marpa, etc.) ist natürlich Vorbild aber sollte doch auch als eine "Metapher" gesehen werden und nicht als Anleitung wirklich ALLES vorbehaltlos zu machen was ein Lama sagt... auch Milarepa hat rebelliert... sich aufgeregt... geschmollt... usw.... ja, richtig so....Vajrayana bedeutet ja nicht, sich selbst völlig zu verleugnen... das ist doch falsch verstandene Hingabe... meiner Meinung nach...
Die jetzige Diskussion um SR ist für mich persönlich ein Ausdruck einer neuen Ebene, die jetzt stattfinden darf... SR wird -hoffentlich- anerkennen dass es eben hier eine andere Kultur ist und dass man Frauen und Menschen nicht auf diese Art -erzieht- oder -ausnutzt- ... und die interne Sangha wird sich auch genau anschauen müssen wo ihr eigener Part dabei war, es derart lange mitzuspielen wo sich wohl alle sehr sehr schlimm gefühlt haben... und sich somit auch selbst verleugneten... und andere ebenso...
die Kritik an der Kritik, die stört mich im Vajrayana eigentlich am meisten, wenn ich ehrlich bin... denn, man kann sagen, dass es dafür kaum Vorbilder in Tibet gab... und hier im Westen sind wir daran gewöhnt Dinge in Frage zu stellen und da ist meiner Meinung nach, auch der tibetische Lehrer gefragt das zu lernen... wie wir hier ticken... und wir umgekehrt auch... wie tickt denn eigentlich dieser Lehrer...
Es ist auch -in meinen Augen- nicht immer nur hilfreiche wenn alles ganz besonders "harmonisch" läuft... auch so ein verklärtes Bild in spirituellen Kreisen... gerade die Konflikte, das hadern, der Schmerz, die Zweifel.. all das gehört zum Pfad dazu...
mögen wir es als Chance begreifen...
und möge es zu einem besseren Verständnis untereinander führen...
so meine Gedanken und Gefühle dazu
ch.
Liebe Choenyi,
danke für deinen aufschlussreichen Beitrag.
Zu Machtmissbrauch und interkulturellen Missverständnissen und dieser ganzen Thematik findet sich bei Jack Kornfield "Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen", Kap.10 "Die schmutzige Wäsche" (S.173-194) einiges zum Verständnis der Bedingungen für solche Entwicklungen zu lesen.
Dein Erlebnis fällt mit den beschriebenen Wirkungen sicherlich nicht darunter. Es wurde kein Vertrauen gebrochen, du hast die Intention gefühlt und es hat -wieviele- Leute auf dem Weg einen Schritt weiter gebracht. So mein Verständnis. Im Zweifel kannst du ja immer nochmal mit Zeugen des damaligen Vorfalls über ihre damalige emotionale Reaktion während dessen und infolge persönlich das Gespräch suchen.
Liebe Grüße