Hallo Sudhana,
danke für Deine sehr persönliche Antwort.
Was Deine 'persönlichen Reminiszenzen' angeht: Unsere Biographien sind sehr ähnlich verlaufen (außer dass es bei Dahn und May bei mir umgekehrt war). An den Moment, wo mir klar wurde, was Du mit
ZitatWährend dieses Gewaltdiskurses begann ich allmählich, mir meine Genossen etwas genauer anzuschauen ohne meine Wahrnehmung durch 'die gemeinsame Sache', die Utopie, filtern zu lassen und fühlte mich zunehmend unwohler in dieser Gesellschaft und noch unwohler bei dem Gedanken, wie diese Leute miteinander - und mit anderen Leuten - umgehen würden, wenn sie auch noch bewaffnet wären.
beschreibst, erinnere ich mich immer noch sehr klar: Die meisten wichtigen Erkenntnisse entwickeln sich über einen gewissen Zeitraum, aber diese Erkenntnis traf mich innerhalb weniger Stunden mit Wucht und vermutlich war das meine einzige Erfahrung, die man mit 'Erleuchtung' umschreiben könnte. (Und da ich mich bis heute im allgemeinen äußerst 'unerleuchtet' fühle, rührt daher wohl meine Meinung, dass man in bestimmten Bereichen durchaus 'erwacht' sein kann, während man in anderen strunzdumm handelt.)
Das alles wäre leeres Geschwätz von mir, wenn ich nicht versuchen würde, mit der 'Gewaltfrage' äußerst behutsam umzugehen. Ich muss mich jeden Tag fragen (und tue es auch), ob ich mich nicht einfach nur statt als 'Vorhut des Proletariats' jetzt als 'Vorhut der Lachse' verstehe. Wie verlockend ist doch der Gedanke, statt mit 'revolutionärer Gewalt' aus der 'Klasse an sich' die 'Klasse für sich' zu machen, eine 'Natur' zu befreien, die sich noch schwerer gegen die Zumutungen meiner 'Avantgarde' wehren kann...
Trotzdem (und es ist ein gewissermaßen Bloch'sches 'Trotzdem' trotz aller Fehler und allen Scheiterns) gebe ich mein Recht auf Notwehr nicht auf, in letzter Konsequenz auch mit Gewalt. Jensen erzählt eine Geschichte (deren Wahrheit ich nicht nachprüfen kann): Wälder wurden vor einem geplanten Kahlschlag vom Flugzeug aus chemisch entlaubt. Demonstrationen, 'Briefe an Ihren Abgeordneten'-Aktionen, passiver Widerstand - all das nützte nichts. Was die Aktion beendete, war der anonyme Brief einer 'Öko-Guerilla' aus ehemaligen Vietnam-Veteranen, die schrieben: 'Wir wissen, wo eure Piloten wohnen!'
Du schreibst von 'Literatur, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dieser ethischen Problematik beschäftigt'. Wenn ich das richtig sehe, zitierst Du nur Andrew Fiala. Ich bemühe mich gerade, schnell an seinen Artikel heranzukommen. So, wie Du ihn zitierst, kann ich meine ursprünglichen Anmerkungen nur wiederholen:
Zitat... (1)it is a bit of rhetoric that clouds critical thinking. [...] (2)The metaphor of war against nature is thus inapt. (3)It is also morally dangerous.
(4)One danger of this way of speaking is that if we truly believe that we are in the middle of a war against nature, (5)there is a risk of escalating tactics of resistance and protest.
Die Zahlen von 1-5 habe ich hinzugefügt. Es sind Behauptungen, die sich meiner Meinung nach nicht von selbst verstehen und begründet werden müssten.
Du schreibst
ZitatZum Teil hat das auch etwas damit zu tun, dass ich zu dieser Zeit von einer Kritik der politischen Ökonomie zu einer fundamentaleren fand. Zu einen über Marcuse, zum anderen über Zhuangzi. Noch heute halte ich speziell letzteren für so ziemlich das fundamentalste an Kultur-und Zivilisationskritik, was je geleistet wurde - inbegriffen einer scharfen Kritik von Moral. Eine Kritik, die auch auf alle Sorten von Moralisten passt - politische, religiöse und auch ökologische.
Für mich waren es Arnold Toynbee, Lewis Mumford, Stanley Diamond, John Michael Greer und Zhuangzhi.
Sudhana:Ich hoffe, mein recht schroffes Urteil über Jensen hat nicht entscheidend zu Deinem Abschied beigetragen - das täte mir leid.
Definitiv nein. Ich habe im Gegenteil aus Deinen Beiträgen immer etwas gelernt, auch wenn ich anderer Meinung war. Meine Gründe waren aktuell Moderationsentscheidungen, bei denen ich (vergeblich) um eine öffentliche Begründung gebeten hatte (da Begründungen per PN nicht angreifbar sind - ich darf sie nicht zitieren), wenn der eine Moderator (natürlich auch per PN) über den anderen behauptet, er habe irgendwie nicht den tiefen Teller erfunden, wenn es gefährlich ist, Nydahls Organisation als Sekte zu bezeichnen, es aber anscheinend okay ist, sich zu Konstruktivismus und Dekonstruktion zu äußern, ohne eine Ahnung zu haben, was die Ausdrücke bedeuten.
Danke für viele Anregungen.
Axel