Beiträge von Tai im Thema „Graduelles Training (aus: "Buddhas Lehre von der Wiedergeburt")“

    accinca:


    Ist es zenistisch zu sagen: Wenn du die Soheit siehst hau sie Tot?


    Lol, ja, absolut. Aber du weißt ja, wie es gemeint ist: Eine Soheit, die ich sehe, kann nur eine bedingte Vorstellung und somit das genaue Gegenteil von dem Zustand sein, auf den 'Soheit' im zenbuddhistischen Kontext hindeutet. Wenn etwa ein Zen-Meister merkt, das seine Schüler den Begriff 'Soheit', den er vielleicht mal in einer Dharmarede verwendet hat, nun wie ein Wappen vor sich hertragen, dann kann er ihnen schon mal raten, Soheit totzuschlagen.



    Danke, das kann ich gut nachvollziehen.

    Frieden-und-Freude:


    Diese Idee eines "ursprünglichen Einsseins mit allem", die Du oben beschreibst, wird von einigen Theravada-Lehrern, die ich kenne, sehr kritisch gesehen, und zwar als eine romantische Schwärmerei.
    Hier ein recht amüsanter Vortrag dazu:
    https://muttodaya.org/de/mutto…20_falschgeld_mettiko.mp3


    Ja. Dass sich dieser esoterische New-Age-Schwulst dann auch noch 'Buddhismus' oder 'Zen' nennen muss, kann einem schon einiges an Gleichmut abfordern.


    Mit Meister Huang Po's Lehre vom Einen Geist hat das freilich nichts zu tun:


    Zitat

    "Alles ist der Eine Geist ... Wenn ihr Schüler auf dem Weg nicht selbst zu dieser Geistsubstanz erwacht, werdet ihr den Geist mit begrifflichem Denken überlagern, den Buddha außerhalb von euch selbst suchen und gebunden bleiben an Formen in Tat und Gedanke." Huang Po, Geist des Zen


    Ich will es mal so ausdrücken: Stell dir einfach mal vor, du seiest gestorben, könntest dich aber noch an alles Erlebte erinnern, an jedes noch so kleine Detail deines Lebens. Was immer du gedacht, wahrgenommen oder erlebt hast - all dem gemeinsam ist, dass es nicht getrennt von dir geschehen ist. Du nimmst in diesem Augenblick z.B. ein Objekt wahr, sagen wir, die Tastatur deines Computers und in der Einheit von Sinnesobjekt (bedingte Form des gegebenen Objektes), Sinneorgan (Auge, Finger etc.) und Sinnesbewusstsein ("Tastatur") ist dies ein zu dir gehörendes Erlebnis, das somit Teil deines Lebens ist. Selbst wenn du jetzt denken würdest 'schon, aber die Tastatur wäre auch ohne mich hier', so wäre auch das ein Gedanke, der genau in diesem Moment diesen Augenblick deines Lebens ausfüllen würde. So verstanden ist alles, was du je erlebt hast, nicht getrennt von dir und alles, was du je erleben könntest, wäre, wenn du es denn erleben würdest, zwangsläufig ebenfalls nicht getrennt von dir. Genau und nur da, wo all diese Erlebnisse stattfinden, kann dein Erwachen stattfinden. Und nur du kannst es verwirklichen.



    Frieden-und-Freude:


    Okay, dann probiere ich mal, Dir ganz konkret zu beschreiben, wie ich übe: (...)
    Magst Du mir auch konkret beschreiben, wie Du übst?


    Ich versuche, immer das zu tun, was die Situation erfordert. Meist läuft das auf etwas Ähnliches hinaus wie das, was du beschrieben hast. Manchmal kommt auch das Gegenteil dabei heraus, wie letztens bei der Arbeit, wo meine KollegInnen und ich mit einer Person zu tun hatten, die in recht übergriffiger Manier andere eingeschüchtert und herum ge-'bullied' hat. Da war mein erster Impuls ihr, wie du es so schön ausgedrückt hast, die 'Leviten zu lesen', dann wollte ich diplomatischer vorgehen und dann entschied ich mich doch für die Leviten - wenn auch aus ganz anderen Gründen als beim ersten Impuls.


    Was die jeweilige Situation erfordert, kann meiner Auffassung nach nicht pauschal, sondern immer nur bezogen auf die jeweiligen Umstände adäquat entschieden werden. Im Groben versuche ich mich an die Fünf Silas zu halten, die ich (wie in den meisten Zen-Gruppen/Tempeln üblich) bei meiner Zufluchtnahme (vor 15 Jahren) angenommen habe. Was dabei jeweils herauskommt, hat viel mit Weisheit und Lebensreife (oft auch leider nicht :) ) zu tun. Es trägt für meine Mitgeschöpfe und mich hoffentlich zu einem achtsameren Miteinander bei. Dass mich die Kultivierung der drei Tugenden schrittweise dem Erwachen näherbringt, glaube ich allerdings nicht. Das Erwachen hängt meiner Auffassung nach stattdessen maßgeblich davon ab, es tatsächlich zu verwirklichen. Im Umkehrschluss glaube ich allderdings, dass ein Mensch, je erwachter desto weniger Gründe hat, sich Gier, Wut und Verblendung hinzugeben.


    _()_
    Tai

    Frieden-und-Freude:


    "Diese Idee von einem "Buddhawesen" zu dem man erwacht, bleibt mir dennoch erst einmal fremd ..."


    :like: Sehr zenmäßig, dieser Zweifel an einer Idee! :)


    Wie sollte auch diese oder überhaupt irgendeine Idee (die ja zwangsläufig nichts anderes als Vorstellungen sein können) auch nur ansatzweise einem Phänomen wie 'Erleuchtung' gerecht werden? Dennoch abstrahiert unsere menschliche Art, miteinander zu kommunizieren, aus und in Vorstellungen. Eine Lehre wie die des Meister Huang Po kann also nur ein Fingerzeig auf etwas sein, das der Schüler selbst erfassen/erfahren muss. Mit 'Buddhawesen' oder 'Buddhanatur' bist laut dieser Lehre eben genau du in deiner ursprünglichen Soheit gemeint. Das heißt: Während dir die Idee eines Buddhawesens legitimer Weise fremd vorkommt, deutet der Begriff 'Buddhawesen' gerade auf die Wesenheit hin, der das in dem Moment fremd vorkommt. Neben 'Buddhanatur' und 'Soheit' gibt es im Zen noch eine ganze Reihe anderer Begriffe, die ebenfalls nichts anderes sind als Fingerzeige auf dein ursprüngliches Einssein mit allem: Der 'Eine Geist', das 'Unbedingte', dein 'wahres Gesicht' usw.


    Frieden-und-Freude:


    Das heißt doch aber zugleich, dass ohne die lange Zeit des "Ansammelns und Wirkens" der Augenblick der vollkommenen Verwirklichung gar nicht möglich wäre.


    Naja, das hieße jetzt, dem guten Huang Po das Wort im Munde herumzudrehen und ihm einen Gedanken unterzuschieben, den er gar nicht geäußert hat. Ich verstehe ihn so, dass die blitzartige, vollkommene Verwirklichung eher wie ein Sprung auf eine andere Ebene ist, auf die du aber durch noch so verdienstvolle Taten nicht wirklich hinarbeiten kannst. Entscheidend ist vielmehr die vollkommene Entschlossenheit genau jetzt.


    _()_
    Tai


    p.s.: Vielen Dank für die beiden Links weiter oben!
    Mich würde trotzdem interessieren, wie du persönlich ganz konkret die Fähigkeit trainierst, Gier, Hass und Verblendung allmählich zu überwinden - falls du darüber reden möchtest. Ich kann mir vorstellen, das einiges davon dem Zenni vielleicht gar nicht so fremd ist, nur im Zenkontext anders benannt wird.

    Frieden-und-Freude:

    Viele Menschen möchten ja gern irgendwelche Erleuchtungen, ohne etwas systematisch zu üben, geschweige denn, an ihren Untugenden zu arbeiten.
    Wenn jetzt jemand behauptet, ohne Fortschritte bei den Tugenden und speziell auch der Sinneszügelung ist überhaupt nicht an irgendwelche nachhaltigen Fortschritte auf dem achtfachen Pfad zu denken, ist das unpopulär. Schon klar! ;)


    Der Schlüssel liegt darin, was man unter "irgendwelche Erleuchtungen" versteht.


    Zenmeister Huang Po (Lehrer von Lin Chi/Rinzai) beschreibt es als Erwachen unseres ursprünglichen Buddhawesens und geht im Folgenden auch auf eine stufenweise/graduelle Praxis ein.


    Zitat

    "Unser ursprüngliches Buddhawesen ist frei von jeder Gegenständlichkeit. Es ist leer und allgegenwärtig, ist die unbegreifliche Freude grenzenlosen Friedens. Dringe tief in es ein, indem du selbst dazu erwachst. Das, was du in jedem Augenblick vor die hast und bist, ist dieses Buddhawesen in seiner Vollkommenheit; es gibt nichts außer ihm." Huang Po, der Geist des Zen, Kap. 8


    Was hier als 'Buddhawesen frei von jeder Gegenständlichkeit' bezeichnet wird, beschreibt ein Unbedingtes, also etwas, das jenseits aller bedingten Erfahrungen grundsätzlich immer gegeben ist. Es entspricht genau dem, was Tychiades in seinem Zitat aus dem Ajāta Sutta eingebracht hat, nämlich dem "Ungeborenen, Ungewordenen, Unerschaffenen, Ungestalteten", das eine "Entrinnung aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Gestalteten" zu erkennen gibt.


    Persönlich würde ich gar nicht bezweifeln, dass ein graduelles Training signifikanten Einfluss auf jedwede unserer bedingten Alltagserfahrungen haben kann. Was im obigen Sutta und bei Huang Po als 'Erleuchtung' beschrieben wird, findet aber auf einer grundsätzlich anderen Ebene statt und zeichnet sich gerade durch sein non-duales Wesen aus. Aus Zensicht findet, was du erlebst, immer jeweils genau jetzt statt. Genau jetzt kannst du aber nicht in das Erwachen eines nondualen Gewahrseins eintreten und dabei gleichzeitig an der dualen Vorstellung gradueller Entwicklungen festhalten. Huang Po erklärt es so (Fortführung des oben begonnen Zitats):


    Zitat

    "Selbst wenn du alle zehn Stufen einer Bodhisattva-Entwicklung, eine nach der anderen, durchschreitest – sobald du endlich in einem blitzartigen Augenblick die vollkommene Verwirklichung erreichst, wirst du nur das Buddhawesen erfahren, das alle Zeit bei dir war. Auf allen vorherigen Stufen wirst du ihm nichts hinzugefügt haben und die Äonen des Ansammelns und Wirkens werden dir wie unwirkliche Traumhandlungen erscheinen. So sagt der Tathagata: „Durch die vollkommene unübertroffene Erleuchtung habe ich wahrlich nichts hinzugewonnen. Wäre etwas zu erreichen gewesen, hätte Dipankara Buddha nicht jene prophetischen Worte über meine Buddhaschaft gesprochen. Dieser Dharma ist ohne jede Unterscheidung, sein Name ist Bodhi."" ebd.(Das Zitat im Zitat entstammt dem Diamant-Sutra)


    Lieber Friede-und-Freude, du siehst, es handelt sich hierbei nicht so sehr darum, unpopulären Praxismethoden aus dem Weg zu gehen, sondern stellt einen den meisten heute noch lebendigen Zen-Traditionen inhärenten Bestandteil von Praxis und Grundverständnis dar.


    Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich hinzufügen, dass die Ausbildung spezifischer Fähigkeiten zur Überwindung von Gier, Hass und Verblendung damit keineswegs diskreditiert wird. Auch Zen-Praktizierende müssen sich in tausendundeiner bedingten Alltagssituation ja irgendwie verhalten und wir alle sind sicher gut beraten darin, Zurückhaltung, Gelassenheit und Weisheit zu kultivieren statt uns von Gier, Zorn und Verblendung treiben zu lassen (da ich von Theravada so gut wie gar nichts weiß, wäre ich übrigens sehr interessiert daran, von dir Konkretes über die von dir angewandten Methoden zu erfahren). Im unbedingten Sosein des Erwachens sind aber alle Tugenden und Geistesgifte laut Zen schon per Definition zwangsläufig aufgehoben. Hierzu noch einmal Huang Po:


    Zitat

    "Zurückhaltung, Gelassenheit und Weisheit existieren nur im Gegensatz zu Gier, Zorn und Unwissenheit. Wie könnte es ohne Täuschung Erleuchtung geben? ... Nimm an, du wolltest die Leere mit zahlosen Juwelen schmücken; woran könntest du diese festmachen? Das Buddha-Wesen gleicht der Leere. Wenn du sie auch mit unschätzbaren Verdienst und Weisheit schmücktest, wo könnte diese sich festsetzen? Sie würden nur das unsichbare Buddhawesen verbergen." ebd., Kap. 15


    _()_
    Tai