Beiträge von Karnataka im Thema „Was ist Glück?“


    Kants Gehirnschaden: gut möglich, dass ich die Idee zu der früher geposteten Satire einem deiner Beiträge verdanke... (:
    sehr bekannte Untersuchungen: https://de.wikipedia.org/wiki/…mente_zur_Willensfreiheit

    Vielen Dank für die Beiträge! Meiner wird jetzt recht lange. Er ist aber geordnet und man kann vieles gut überspringen - meine Kritik an Kant folgt dann am Ende.


    Zunächst zur „Glückseligkeit“ bei Aristoteles:


    Aristoteles sieht spezifisch menschliches Glück im Gebrauch der Vernunft, welche die Formung des Charakters bestimmt. Dementsprechend ordnet er in seinem berühmten Tugendkatalog fünf Verstandestugenden und elf Charaktertugenden, nämlich Tapferkeit, Besonnenheit, Freigiebigkeit, Großherzigkeit, Ehrbewusstsein, Seelengröße, Sanftmut, Freundlichkeit, Gewandtheit, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit. Seine umfangreichste Untersuchung gilt der letzten Tugend, der Gerechtigkeit. Die Tugenden Freigiebigkeit und Großherzigkeit betreffen den Umgang mit Geld und dessen rechte Mitte, sie sind keine Tugenden des Herzens. Überhaupt geht es bei allen Bestimmungen darum, das rechte, vernünftige Maß zu finden, Extreme zu vermeiden. Daher ist die wesentliche Eigenschaft der aristotelischen Ethik, emotional-kognitive Eigenschaften für das Leben in der Gemeinschaft zu ordnen und vernunftvoll zu regeln, zugleich unser Denken als das höchste, ja göttliche Glück zu empfehlen. Göttlich ist das Unbewegte, das sich ewig selbst denkt, der Mensch nimmt Anteil daran, so die metaphysische Lehre des Aristoteles.


    Zur Aufnahme in die christliche Ethik:


    Im Unterschied zur platonischen gerät die aristotelische Philosophie für lange Strecken in Vergessenheit; erst im späten Mittelalter kehrt sie aus dem arabischen Raum ins abendländische Denken zurück und wird sodann besonders von Thomas von Aquin (1224-1274) aufgegriffen. Dessen Umformulierung des aristotelischen Tugendkatalogs bringt aber zu Tage, was längst zum allumfassenden Prinzip geworden ist und sich schon Jahrhundert zuvor bei Augustinus (354-430) findet: Philosophie ist die Schau Gottes und die Liebe zu Gott, der Philosoph ist der Liebhaber Gottes, doch vollzieht sich diese Liebe in der reinen Liebe des Menschen zum Menschen. Auch handelte es sich längst nicht mehr um eine kleine Denkschule irgendwo in Griechenland, sondern um eine Religion, die sich in ganz Europa ausgebreitet hat. Die Bestimmungen, mit denen Thomas den Tugendkatalog erweitert, sind dann vor allem Liebe (caritas), Hoffnung (auf ein ewiges Leben) und Glaube an Gott.


    Neuzeit:


    Die Tugendethik als früher moralphilosophischer Ansatz prägt in ihrer christlichen Ausrichtung das Mittelalter. In der Neuzeit gerät sie jedoch für die Philosophie weitgehend in Vergessenheit. Der Grund dafür liegt einerseits darin, dass ihr metaphysischer Kontext fragwürdig wird. Auch wenn die Göttlichkeit des Menschen vielleicht schon in der Antike angezweifelt wurde, es fortan für Ethik galt, den Menschen zu verbessern, so wird nun die Göttlichkeit des Ganzen zum Gegenstand der Skepsis. Die Ethik der Aufklärung bildet die Opposition zur Theologie. Damit verwirft sie die Angelegenheit der Charakterbildung und der eigenen Glückseligkeit.


    Besonders Immanuel Kant, der Aufklärungsphilosoph schlechthin, bestimmt die Frage nach dem moralisch gerechten Urteil als alleinigen Gegenstand der Ethik. Dafür aber taugt die eigene Glückseligkeit als Urteilsinstanz nicht. Diese Verengung und Spezialisierung hin zu einer normativen Ethik gilt ebenso für den Gegenspieler der kantischen Ethik, den Utilitarismus. Auch der Utilitarismus verfolgt keinen tugendethischen Ansatz, sondern argumentiert eine nur andere These zum moralischen Urteil. Der Gegenstand der Glückseligkeit aus Nächstenliebe verschwindet damit nicht nur aus dem ethischen Diskurs, sondern aus der Philosophie überhaupt, erscheint er doch als viel zu eng an metaphysische Spekulationen geknüpft. Erst in jüngster Zeit erfährt zumindest die Tugendethik eine Renaissance. Dennoch wird man in Lehrbüchern der philosophischen Ethik die Begriffe Mitgefühl und Liebe nicht leicht finden.


    Immanuel Kant:


    Was sind die Gründe, weshalb Kant das bislang dominante Prinzip Glückseligkeit aus der Ethik ausschließt? Kant verwendet sprachlich wunderbare und komplexe Argumentationen, die Semestervorlesungen füllen können. Doch lassen sich seine Gedanken durchaus auch verkürzt darstellen.


    Kants Ethik versteht sich als Pflichtethik, als Selbstverpflichtung auf ein Testverfahren zum moralischen Urteil, den Kategorischen Imperativ. Dieser besagt, dass die Intention (Maxime), die wir mit einer Handlung verknüpfen, verallgemeinerbar sein muss. Diese Verallgemeinerung meint, dass sie ein allgemeines Gesetz abgeben können muss. Tut sie das nicht, ist unser Handeln unmoralisch.


    Beispiel: Ich möchte Geld aus der Firmenkassa stehlen. Meine allgemeine Intention würde demnach lauten: Immer, wenn ich in Geldnot bin, entwende ich Geld aus der Firmenkassa, wo ich beschäftigt bin. Auf ein Gesetz verallgemeinert bedeutet dies: Das Bestehlen der eigenen Firma ist Menschen, die in Geldnot sind, erlaubt. Hier sagt die Vernunft jedoch, dass ein solches Verhalten der Wirtschaft schweren Schaden zufügen würde. Das System der Wirtschaft würde aufgrund mangelnder Integrität und Korruption kaum funktionieren, übermäßige Ressourcen müssten in Schutzmaßnahmen fließen, allgemeines Misstrauen, hohe Arbeitslosigkeit wäre die Folge. Damit würde sich die Not erst recht vergrößern. Das Testverfahren des Kategorischen Imperativs weist meine Absicht daher als unmoralisch aus. Wörtlich lautet es u.a.: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. (Kants zweiter Grundgedanke betrifft den unveräußerlichen Wert des Menschen)


    Kant möchte kein neues Verständnis dessen, was ethisch korrektes Handeln ist, postulieren. Sondern er möchte den Menschen über das, was sein eigenes Moralverständnis ist, aufklären. Wir wissen immer schon irgendwie, dass anderen die gleichen Rechte und Pflichten zukommen wie uns selbst. Kant gibt diesem Wissen einen Grundsatz, eine Formel; die Formel der Verallgemeinerung. Diese Aufgabe hat Kant freilich genial ausgearbeitet und sie bietet bis in die heutige Zeit einen hauptsächlichen Ansatzpunkt für Ethik. Denn egal, was zur philosophischen Ethik gesagt wird, die Auseinandersetzung mit Kant findet sich praktisch immer.


    Kants Ausschluss der Glückseligkeit


    Hier soll es also um die Argumente, weshalb Kant die eigene Glückseligkeit für eine Begründung von Ethik verwirft, gehen. Seine Argumente lauten:


    * Der Kategorische Imperativ ist bewusst nur die reine Verallgemeinerung oder Gesetzesform und besagt nichts Konkretes. Vergleichbar wäre die Goldene Regel: Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden willst. Auch hier wird nichts Konkretes genannt, sondern ein allgemeines Gesetz. Kant findet seine Regel allerdings besser, denn für sich kann man alles Mögliche wollen, aber als Gesetz? Eigene Glückseligkeit schließlich kann tatsächlich alles Mögliche präferieren. Daher ist sie als moralische Regel nicht zu brauchen, meint Kant.
    * Eigene Glückseligkeit kann mit selbstsüchtiger Absicht zu tun haben: Ob das so ist, kann allein die Vernunft klären. Daher gilt ein unbedingter Vorrang für die Vernunft. Ethik darf nicht hinter das als gültig erkannte Prinzip, den Kategorischen Imperativ, zurückgehen.


    Kritik an Kants Ausschluss der Glückseligkeit


    Die Rezeption der Ethik Kants beinhaltet zu allen Zeiten viel Kritik. Meine Skepsis basiert auf folgenden Überlegungen:


    * Kants Ethik sagt grundsätzlich nur, wie zu urteilen ist. Die Frage, was uns dazu motivieren soll, bleibt unbeantwortet. Jene wechselseitige Begründung von Freiheit, Vernunft und Moralität, mit der Kant eine Vorstellung von der Zukunft der Menschheit geben will, vermag nur nach intensiver Beschäftigung mit seiner Philosophie zu berühren.
    * Damit wird ein moralisches Selbst, also die Bereitschaft, moralisch zu urteilen, von normativer Ethik immer schon vorausgesetzt. Dagegen stellt sich Tugendethik gerade dieser Frage. Dabei erklärt sie einen Ansporn zur Entwicklung innerer Werte, der mit eigenem Glück zu tun hat, und vermag derart Orientierung zu leisten.
    * Dadurch, dass die eigene Glückseligkeit von Kant eben doch fortwährend in Zusammenhang mit Eigennutz und Selbstliebe gestellt wird, versperrt seine Ethik den Weg, eine andere Glückseligkeit zu erforschen.
    * Das moralische Urteil verengt den Blickwinkel auf das Kognitive. Die Gestaltung liebevoller und fürsorglicher Beziehungen tritt in den Hintergrund, wird nicht genügend als moralische Qualität wahrgenommen.
    * Kaum ein Mensch bestimmt sein Handeln nur aus Prinzipien. Wenn wir etwa vor der Frage stehen, ob wir fremdgehen sollen, bedenken wir diese Angelegenheit doch sehr konkret, denken an unsere Partnerin etc. Auch ist nicht jedes Fremdgehen im gleichen Maß unmoralisch, da Beziehungen sehr unterschiedlich sind.
    * Die Gesetzesformel sagt uns nur das, was wir ohnehin wissen. Für ein moralisches Dilemma ist der Kategorische Imperativ aber nicht zu gebrauchen. Damit sind solche Situationen gemeint, wo sich Vor- und Nachteile von Menschen in ähnlichem Ausmaß gegenüberstehen.

    Endlich eine Gelegenheit, meine literarischen Ergüsse zu veröffentlichen! :oops:


    Immanuel Kant und die Glückseligkeit


    Kant konnte sich nicht und nicht entscheiden. Etwa morgens beim Bäcker: Sollt ich nur ein Brötchen nehmen oder vielleicht doch zwei? Nähme ich zwei, dann hätte eines mehr. Aber andererseits… Die Schlange Wartender, die sich hinter ihm bildete, wurde immer ungeduldiger, deren Murren immer lauter: Wieso geht da nichts weiter? WIESO DAUERT DAS SO LANGE?


    Regelmäßig kam Kant dann ohne Brötchen heim und musste sich fragen, was er eigentlich den ganzen Tag gemacht hatte. Er hatte doch bloß vernünftig sein wollen! Irgendwie dämmerte es ihm, dass seine Herangehensweise vielleicht doch nicht das Wahre sei und so schrieb er eines Tages die Kritik der reinen Vernunft, wobei er sich auf diverse Diskussionen im Bäckerladen bezog. Hatte die feiste Dame nicht gemeint, er könne sich seine ganze Logik sonst wohin stecken und solle stattdessen das verfluchte Ding endlich kaufen? Diesem Ding an sich, wie Kant, der mächtig Kohldampf hatte, es nun nannte, war also mit Logik nicht beizukommen. Und überhaupt, diese fürchterliche Ungeduld seiner Mitmenschen! So ein Aufstand wegen ein bisschen Warterei! Offenbar erleben wir die Dauer der Zeit sehr subjektiv, folgerte Kant. Schließlich stellte er auch noch den Raum in Frage. War die Bäckerei wirklich der richtige Ort, um erst dort über das Ding zu entscheiden? Hungrig und verzweifelt stierte er in seine Einkaufstüte, aber da war nichts…


    Erst Jahrhunderte später gelang es der Hirnforschung, aufzuzeigen, mit welch schwerem Schicksal Kant zu kämpfen hatte. Dies wurde den Wissenschaftlern am Verhalten eines Patienten deutlich, der, gefragt, ob er lieber zu dem einen oder dem anderen Termin zur Untersuchung kommen wolle, eine halbe Stunde lang Argumente für beide Möglichkeiten aufzählte, ohne zu einem Entschluss zu finden. Erst nach der Entwicklung neuer Testmethoden fiel auf, was die Behinderung dieses Patienten ausmachte: Seine Fähigkeit, Gefühle zu empfinden, war weitgehend zerstört worden. Statt nun besonders rationale Entscheidungen zu treffen, konnten der arme Mensch sich gar nicht mehr entscheiden.


    Armer Immanuel Kant! Ohne Brötchen schien er immer mehr zu schrumpfen – dabei maß er ohnehin nur schlappe 1,40. Wie hätte er in seiner Emotionslosigkeit mit der aristotelischen Ethik der Glückseligkeit etwas anfangen können? Sosehr er auch nach solcher Glückseligkeit in sich forschte, er konnte sie nicht entdecken. Dank seines Gehirnschadens war da so wenig Gefühl vorhanden, dass er nicht mal in der Lage war, Wichtiges von Unwichtigen zu unterscheiden. So stand er nun jahrein, jahraus an seinem Schreibpult und kaute immer verzweifelter an der Feder: Was soll ich nur tun? Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Wer bin ich überhaupt? Wie die anderen Rationalisten füllte auch Kant ganze Bücher mit seinem Grübeln, wie man sich denn nun entscheiden solle.


    Bis dann irgendwann doch der Groschen fiel. Kant erkannte die Lösung für sein Entscheidungsproblem und in einem genialen Wurf formulierte er seinen berühmten Kategorischen Imperativ: Handle so, dass die Maxime deines Willens einem allgemeinen Gesetz entspricht. Oder einfacher: Wenn du nicht weißt, was du willst, dann tu einfach das, was alle tun!


    Die Deutschen, die bekanntlich zu jenem rationalistischen Hirnschaden neigen, waren begeistert und begannen sofort, die neue Lehre an allen Anstalten zu verschreiben. Ein anderer Patient, Schopenhauer, bemerkte zwar, dass beim Kategorischen Imperativ nie was rauskommt, was man nicht ohnehin wüsste. Allerdings litt er noch mehr darunter, dass die ganze Welt anscheinend einen Willen hatte, bloß er nicht. Insbesondere war er seinem Pudel Fiffi geradezu hörig und ließ sich oft stundenlang am Halsband durch die Gegend schleifen. Sofern ihm Fiffi das Nachdenken erlaubte, hielt sich Schopenhauer jedenfalls lieber an den Buddhismus: Wenn du nicht weißt, was du willst, so ist es das Beste, gar nichts zu wollen. Doch die meisten Hirnis fanden Kants Lösung besser.


    Was jedoch ist außerhalb der Anstalt mit Kants Ethik anzufangen? Eine breite Umfrage unter 1000 deutschen Philosophen brachte folgendes aufschlussreiche Resultat. Auf die Frage, ob sie das Testverfahren des Kategorischen Imperativs in ihrem tatsächlichen Leben schon angewandt hätten, lautete das Gesamtergebnis exakt: Zwei hatten schon mal. Nachforschungen beförderten ans Licht, dass es sich dabei einmal um einen jungen Studenten handelte, der Kant mit einer Wurstsorte verwechselt hatte, welche nicht besonders gemundet hatte. Im anderen Fall war‘s ein Lehrbeauftragter, der trotz mehrfachen Nachfragens bloß über Metaphysik dozierte, statt die Frage zu beantworten. Offenbar war er auch Lehrbeauftragter für Neurolinguistisches Programmieren, oder er war einfach nur blöd.


    Es ist sehr kompliziert, diese Missachtung der kantischen Ethik zu erklären. Nämlich Kantianern zu erklären. Ansonsten lässt sich leicht Antwort geben: Kant brachte das aristotelische Glück ausschließlich mit Eigennutz und Selbstliebe in Zusammenhang, denn er hatte, wie gesagt, keine Ahnung von Glück. Also strich er es aus der Ethik. Denn natürlich hat Eigennutz nichts mit Ethik zu tun. Mit dem Streichen der Glückseligkeit verschwand für die Menschen jedoch jede Motivation, sich mit der Sache zu beschäftigen. Und für die Ethik verbaute sich der Weg, jenes andere, gemeinsame Glück zu erforschen.

    Sudhana:
    Karnataka:

    Mal ist es gut, eine Minderheit zu schützen, mal ist es besser, zum Vorteil der Mehrheit zu handeln.


    Ist das denn ein Widerspruch? Ist es wirklich "besser", zum Vorteil der Mehrheit eine Minderheit nicht zu schützen? Ist das wirklich ein "Vorteil" für die Mehrheit - denn wie sich eine Mehrheit konstituiert, ist ja immer abhängig von einer ganz konkreten Fragestellung. Wer im Sinne einer Fragestellung - sagen wir mal beispielhaft: der Pigmentierung seiner Haut - zur Mehrheit gehört, kann sich schnell im Sinne einer anderen Fragestellung - etwa der Religionszugehörigkeit - in einer Minderheit wiederfinden. Da ist dann die Nichtberücksichtigung eines Minderheitenschutzes plötzlich nicht mehr so vorteilhaft.


    Mein Beispiel bezog sich ja auf die Frage, ob es einen Grundsatz für vernünftiges Handeln gibt. Darüber wurde Jahrhunderte gestritten. Die Kontrahenten waren wesentlich die (deutschen) Kantianer und die (englischen) Utilitaristen.


    Sehen wir folgende Diskrepanz: Der utilitaristische Grundsatz, die größtmögliche Menge an Glück für die größte Zahl zu befördern, lässt schon mal das einzelne Individuum über die Klinge springen (würde ich behaupten). Anders der Kategorische Imperativ: Jeder Mensch ist ein Zweck für sich, behandle ihn nie als bloßes Mittel.


    Darauf bezog ich mich mit dem Beispiel von Minderheit und Mehrheit. Vielleicht lässt dieses Beispiel erkennen, dass wir uns nicht nach einer „Ideologie“ richten können, um der Vielfalt möglicher Situationen gerecht zu werden.

    Grundsätze dienen wohl dazu, schnell urteilen zu können. In schwierigen Situationen, so genannten Zwickmühlen, können sie die Last der Entscheidung jedoch kaum mildern, würde ich sagen.

    Sudhana:

    Ich vermute mal, dass Dir nicht wirklich klar ist, was "reine Vernunft" eigentlich bedeutet - z.B. bei Kant, dem Aufklärer par excellence. Sie ist per definitionem "immer und überall" "gültig" - allerdings ist sie eben gerade nicht auf die "reale Welt" bezogen, insofern man darunter sinnlich Erfahrbares versteht. Die Formulierung eines "Grundsatzes", wie Kants kategorischer Imperativ einer ist, der wiederum das Fundament von Kants aufklärerischer Ethik ist, beruht daher auf dem, was Kant im Gegensatz zur reinen Vernunft als praktische Vernunft bezeichnet.


    ()


    Ha, ha, ich vermute mal, dass dir nicht wirklich klar ist, was „reine Vernunft“ eigentlich bedeutet! Kant formuliert seinen Kategorischen Imperativ ja ohne Rückgriff auf sinnliche Erfahrung. Daher spricht er auch hinsichtlich seiner praktischen Vernunft von einer reinen Vernunft.


    Spekulative oder praktische Vernunft – am Ende gibt es für Kant nur eine und dieselbe Vernunft, die bloß in der Anwendung unterschieden sein muss.
    http://www.textlog.de/33219.html


    Grundsätzlich stimme ich zu: Die Religionskritik der Aufklärung war und ist natürlich sehr notwendig.


    Allerdings habe ich auch Kritik an der Kritik der Aufklärung. :)
    Denn es gibt keinen Grundsatz für eine reine Vernunft, der immer und überall in der realen Welt gültig wäre. Mal ist es gut, eine Minderheit zu schützen, mal ist es besser, zum Vorteil der Mehrheit zu handeln. Es braucht also nicht nur Vernunft, sondern eine mitfühlende Vernunft.


    Besonders scheint es mir falsch, die „Glückseligkeit“ aus der Ethik zu verdrängen, wie Kant das tut. Wir sind so beschaffen, dass es uns um Eigennutz geht. Daher ist die philosophische Ethik eine Sache für Hörsäle. Der Zusammenhang von Mitgefühl und Glück scheint mir dagegen zentral.


    Zum Dalai Lama Zitat möchte ich anmerken:


    Wohin man auch blickt, wird die Rolle der Motivation deutlich. Siehe Buddhaland: Egal wie differenziert die Regeln auch sind oder wie gekonnt sie jeweils angepasst werden, wird es immer die Möglichkeit geben, zwar regelkonform, dennoch aber destruktiv zu agieren. Restlos geht die Sache in die Hose, wenn die Verantwortlichen nicht integer sind und eigennützige Absichten verfolgen. Natürlich trifft das auf Buddhaland nicht zu, es kann aber sehr wohl auf Gesellschaft und Politik zutreffen.


    Deutlicher noch wird das Gewicht der inneren Motivation bei Nahverhältnissen. Gerade gestern hatte ich eine Diskussion darüber, wie wichtig es sei, dem eigenen Kleinkind „Grenzen zu setzen“. Ich denke, dass viele Dinge in der Erziehung einfach „von Herz zu Herz“ passieren. Statt über Erziehungsregeln fürs eigene Kind allzu sehr nachzudenken, sollte die liebevolle Beziehung im Vordergrund stehen. Kindererziehung ist jetzt nur ein Beispiel.


    So verstehe ich den DL, wenn er meint, aus der richtigen Motivation würden automatisch die richtigen Handlungen folgen.

    mukti:


    Eine gute Übung ist auf grundsätzliches Wohlwollen zu achten. So dass die Äußerungen und Handlungen immer von dem Wunsch getragen sind, dass alle glücklich sein mögen und man nie zur Ursache von Leid wird.


    Es ist ein enger Zusammenhang von Tugend (Sila) und Güte.


    Auch der DL meint, dass es auf die richtige Motivation ankommt. Aus ihr folgen beinahe automatisch die richtigen Handlungen. Verhaltensregeln sind also gar nicht der Kern.


    Philosophisch:
    Der Zusammenhang von Glück und Ethik findet sich zwar schon bei Aristoteles, weshalb dieser Strang der Ethik auch Tugendethik genannt wird. Später wurde der Gedanke in die christliche Ethik eingebunden, gelangte aber mit der Aufklärung in die Kritik. Die Aufklärer wollten das Gute vernünftig bestimmen, nicht jedoch aufgrund von Glücksgefühlen oder religiösen Empfindungen.

    mukti:


    Daran gibt es doch keinen Zweifel? Übrigens auch das Wohlbefinden anderer.
    Problematischer scheint mir dass man das immer wieder vergessen und irgendwelchen Hassgefühlen, Zynismus, Arroganz usw. unterliegen kann. Hier ist auch ein Zusammenhang zur wörtlichen Übersetzung von "Sati" als "Erinnerung". Insofern hat liebevolle Güte auch was zu tun mit Achtsamkeit.


    Das sehe ich genauso.


    „Erinnerung“ würde ich in dem Sinne verstehen, dass es gilt, eine Einsicht zu erinnern. Denn die Einsicht, dass manche Empfindungen wie etwa Zorn destruktiv wirken, besonders wenn sie gemessen an der Situation übertrieben sind, muss man sich ja unter Umständen vergegenwärtigen.


    Die Rolle der Achtsamkeit wäre also nicht, etwa jeden Zorn, jedes Begehren oder jedes Konkurrenzgefühl abzuwürgen. Oft würde es schon reichen, sich die eigene Emotion einzugestehen und das langfristige Wohl im Auge zu behalten.

    In jedem Fall scheint mir sinnvoll, Wünsche und Bedürfnisse zu hinterfragen. Das völlige Lösen, "verlöschen", scheint mir aber nur in einem bestimmten buddhistischen Kontext maßgeblich.


    Allgemein existieren neben den Grundbedürfnissen auch soziale Faktoren, etwa der Wunsch nach Anerkennung. Darüber hinaus spielen auch biologische Faktoren (Beeinflussung durch Licht oder Sport) für geistiges Wohlbefinden eine Rolle.


    Der Dalai Lama spricht in seiner säkularen Ethik von zwei unterschiedlichen Ebenen der Zufriedenheit und argumentiert, dass jene zweite, „innere“ Ebene stark mit dem Gefühl der Fürsorglichkeit (Mitgefühl etc.) in Verbindung steht.
    Dabei liegt der Zusammenhang von Fürsorglichkeit mit unserem Bedürfnis nach intimen Beziehungen auf der Hand. Überdies entsteht für viele Menschen ein Zusammenhang zum Gefühl der Sinnhaftigkeit.


    Ein interessanter Punkt scheint mir, ob wir durch die Konzentration auf liebevolle Güte unser geistiges Wohlbefinden fördern können.