Beiträge von Sudhana im Thema „Zen & Alkohol“

    Kann dann überhaupt irgendwas Eskapismus sein? Wozu gibt es dann überhaupt den Begriff Realitätsflucht? Wenn sich die Realität nur ändert und man ihr aber nie entfliehen kann. Dem liegt ja eben die Vorstellung zugrunde es könnte eine objektive Realität geben. Woher kommt diese Vorstellung und warum gehen die meisten Menschen davon aus?

    Nun - nach buddhistischer Vorstellung gibt es einen Eskapismus und Buddha hat einen Weg aus dieser leidhaften Realität heraus entdeckt und gelehrt. Der Haken bei der Sache ist natürlich ihre Radikalität - nicht Flucht in eine andere, weniger leidhafte Realität mit dem Manko der Unbeständigkeit, sondern Flucht aus der Realität 'Samsara' überhaupt. Ansonsten verbindet man mit dem Begriff "Realitätsflucht" eine immer wieder zum Scheitern verurteilte Vermeidungsstrategie. Der Fluchtweg führt nicht von der Realität fort - die folgt dir unerbittlich. Er führt durch die Realität hindurch. Wenn dich die 10.000 Dinge erweisen, wie es Dōgen mal formulierte. Das ist die torlose Schranke.


    Woher diese eigenartige Trennung in eine objektiv wahrnehmbare Realität und ein subjektiv Wahrnehmung erleidendes Subjekt der Realität rührt - das ist die Frage nach dem Pfeil, der uns traf. Das steht momentan nicht oben auf der Prioritätenliste. Aber gelegentlich legen wir all unser uralt verstricktes karma offen und bestimmen damit die Richtung des Weges.


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    Wollte gar nicht zuschlagen. :P Ich hab die Art gemeint, wie man es konsumiert. Berauscht man sich, um aus der Realität zu flüchten (so konsumieren es wohl die meisten), um die Realität irgendwie weicher zu machen oder macht man es ganz bewusst und schaut sich an was dabei passiert und wie sich der Geist verändert. Wobei das ja dann den Konsum jeder Droge irgendwie rechtfertigen würde, der einzige Grund für Alkohol wäre dann, dass er halt (bei uns) legal ist.

    Durch den Rausch flüchtet man nicht aus der Realität, man ändert sie. Eine von ihrem subjektiven Erleben unabhängige Realität, aus der man flüchten könnte, existiert nicht. Alkohol ist nach meinen Erfahrungen (ich hatte da in der Adoleszenz eine etwas schwierige Phase) tatsächlich eine Droge, die die Realität "weicher" macht. Das Komplement dazu ist das von mir angesprochene "Abstumpfen". Ein solches Abstumpfen halte ich für hinderlich, wenn man seinen Weg auf Wissensklarheit ausrichtet. Wenn man diese Erfahrung nicht gemacht hat und nun meint, man müsse sie nachvollziehen, um die 5. kai tiefer zu verstehen - warum nicht? Ich sage jetzt mal, das ist eine "Rechtfertigung", deren ich nicht bedarf. Aber ich hatte halt meine Lektion da schon vorab gelernt. Von objektiven Rechtfertigungen halte ich persönlich nicht viel. Es stellt sich einfach nur situativ und individuell die Frage: was ist im jeweiligen Kontext heilsam? Ich selbst bin bewusst abhängig von einer Droge - ich brauche 1,5 mg pro Tag davon zum Überleben. Du würdest bei solch einer Dosis hingegen binnen kurzem an inneren Blutungen eingehen. Von daher würde ich jetzt mal sagen, dass nicht der Konsum jeder Droge auch gerechtfertigt ist. Legal oder nicht spielt da eine allenfalls sekundäre Rolle, zumal die Legalität nicht notwendig direkt mit der Heilsamkeit einer Droge korreliert - wie man gerade an den legalen Drogen Alkohol und Nikotin sehen kann.


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    Frank82 : wenn Du hier schon mit Schlagworten zuschlägst, könntest Du vielleicht noch etwas genauer erklären, was genau Du da als "Eskapismus" bezeichnest ;). Siehst Du den Rausch als Eskapismus oder das Vermeiden des Rausches? Beides kann Eskapismus sein, der "Wein der Täuschung", von dem Dōgen Zenji in Bezug auf die 5. kai spricht. Von Nicht-Eskapismus kann man eigentlich nur sprechen, wenn sich die Alternative Rausch oder Nicht-Rausch gar nicht mehr stellt. "Nichts existiert, sich darüber zu täuschen. Es ist tatsächlich die große Klarheit."


    Das "Meditationsobjekt" Alkohol - nun ja, ich kenne das eher aus dem tibetischen Bereich. Bei Shambhala z.B. gibt es so eine Übung 'mindful drinking' - mit freilich recht niedriger Alkohol-Dosierung. Kann mE eine recht nützliche Übung sein, die physiologischen und psychologischen Wirkungen des Alkohols unmittelbar zu beobachten. Eben auf einem Level, wo die Dosierung die Fähigkeit zur Beobachtung noch nicht einschränkt.


    Im Zen kenne ich so etwas nicht. Traditionell benutzt man da eher Tee als Droge. Da ist die Gefahr der Abstumpfung der Wahrnehmung geringer.


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    Essentiell ist in der Lehre des Buddha imho die Loslösung von Sinnesfreuden, bzw. von allen Betätigungen die der Befreiung nicht dienllich sind. Je erfolgreicher ein Mensch darin ist, desto mehr kommt er für mich als Lehrer in Betracht.

    "Sinnesfreuden" ist mir zu sehr Neumann. Da assoziiere ich immer den büßenden Asketen, der sich ordentlich mit der Neunschwänzigen kasteit. In der Übung - so wie ich sie verstehe - geht es eher darum, Bewertungen wie 'Freuden', 'Leiden', 'gut', 'schlecht' usw. usf. zu vermeiden. Solche Bewertungen sind der Kern von Anhaftung. "Betätigungen" sind der Befreiung grundsätzlich nicht dienlich (weswegen Zazen auch die Einübung von Nicht-Betätigung ist). Bestenfalls sind sie spiritueller Materialismus.


    Dass Nicht-Anhaftung (woran auch immer), soweit sie denn von außen erkennbar bzw. zu erschließen ist, ein gutes Kriterium ist, um einen potentiellen Lehrer zu prüfen, darin stimme ich Dir zu. Das Problem liegt wie immer im Detail: Nicht-Anhaftung lässt sich einfach vortäuschen. Es soll sogar Leute geben, die sich in der Hinsicht selbst täuschen ;). Deswegen sollte man gerade bei Nichtanhaftung an śīla in formaler Hinsicht (bzw. wenn dies zur 'Entschuldigung' eines Lehrers vorgebracht wird) sehr genau hinschauen, wie sich da natürliche śīla zeigt. Die śīla, mit der das 'eigene Wesen' (das man nicht als personales Wesen, sondern als leer verstehen sollte) von Anbeginn an ausgestattet ist. So jedenfalls der 6. Patriarch Huineng. Diese 'natürliche śīla' zeigt sich in aller Regel in 'formaler śīla' - aber nicht zwingend.


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    Arthur1788 : Danke für Deine Antwort. Zumindest ich fühle mich nicht an's Bein gepinkelt und gerate selbst auch nicht mehr allzu häufig in Versuchung, dies Anderen anzutun. Und ja, über solche Dinge sollte man offen sprechen, ohne Fragesteller abzuwimmeln, finde ich. Ich denke, gerade Deshimaru hat das selbst getan - wie mein Zitat von ihm zeigen sollte. Viele seiner Schüler haben ihn da nicht verstanden, so mein Eindruck.


    Was Du ansonsten schreibst - ich kann das sehr gut nachvollziehen, da mein Zugang recht ähnlich war. Inklusive Ausgangspunkt 'Arthur'. :)


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    Im Soto-Zen scheint exzessiver Alkoholkonsum ja schon eine gewisse Tradition zu haben: Kodo Sawakis größte Leidenschaft schien der Konsum von Sake (Reiswein) zu sein, und das hat er offenbar auch an seine Schüler weiter gegeben. Taisen Deshimaru schreibt in seinem Buch "Die Praxis der Konzentration" auf S. 103:


    "Obwohl die fünfte Regel beispielsweise vorschreibt, keinen Alkoholmißbrauch zu treiben, muß dieses Gebot dennoch je nach den Umständen (Ort, Zeit etc.) verändert werden. So denkt sich ein Zen-Meister bei der Erziehung eines Schülers nichts dabei, diesen trinken zu lassen, ja er trinkt sogar mit, wenn es nötig ist."

    Wieso "scheint" Dir das so? Wie viele Soto-Zen-Übungsgemeinschaften hast Du denn kennengelernt und in wie vielen davon konntest Du "exzessiven Alkoholkonsum" feststellen? Gar "traditionellen"? Wie viele Schüler Sawakis (Du sprichst ja in Mehrzahl) trinken bzw. tranken denn Alkohol? Mir ist außer Deshimaru keiner bekannt, wobei mich diese Frage (anders als mein persönlicher Umgang mit der 5. kai) auch nicht sonderlich umtreibt. Ich bin nun zwar nicht viel herumgekommen, aber mir persönlich ist "exzessiver Alkoholkonsum" in diesen Kreisen (Soto-Zen) noch nicht begegnet. Allenfalls, dass man im Rahmen eines Arbeitseinsatzes (kein samu) mittags Pizza bestellt hat und einige Teilnehmer (beileibe nicht alle) sich dazu eine Flasche Rotwein teilten (die nicht bestellt war, aber kostenfrei als Bonus für die große Bestellung mitgeliefert wurde). Exzessiv würde ich das nicht nennen, traditionell auch nicht ... Dass zumindest während eines Sesshin - also beim gemeinsamen Üben - Alkohol nicht absolut tabu ist habe ich noch nicht miterlebt.


    Zunächst: Sawaki und Deshimaru sind erstens nicht (vor allem nicht in Bezug auf ihren Umgang mit der fünften kai) repräsentativ für das Soto-Zen insgesamt und zweitens ist es sicher sinnvoll, zwischen beiden zu differenzieren. Ich bin jetzt nicht so der große Freund von Sawakis Texten und habe daher nicht viel von und über ihn gelesen. Das, was ich gelesen habe, hat mir jedoch den Eindruck vermittelt, dass seine "größte Leidenschaft" Zazen war und nicht der Alkohol. Was letzteres angeht, so ist die fünfte kai keine Selbstverpflichtung, keinen Alkohol zu trinken, sondern eine Selbstverpflichtung, "nicht den Wein der Täuschung" zu verkaufen - was zumindest nach meinem Verständnis impliziert, ihn auch nicht sich selbst zu verkaufen. Was auch einen sehr viel weiteren Bereich impliziert als lediglich Alkoholrausch. Generell umfasst diese kai den Umgang mit allem, das geeignet ist, zu täuschen und - aus solchen Täuschungen resultierend - unheilsame Handlungen zu bedingen. Man kann sich beispielsweise auch an bestimmten Medien berauschen ... In diesem Sinn kann man mE durchaus auch das "surāmeraya" in den Pali-Texten verstehen und die dort für diese sīla gegebene Begründung geht ja in dieselbe Richtung, beruht also auf den potentiellen Folgen einer solchen Intoxikation.


    Ob sich nun Sawaki oder Deshimaru durch ihren Alkoholkonsum täuschen ließen und in Folge unheilsam handelten, ist eine Frage, die letztlich nur sie selbst beantworten konnten. Mit einiger Sicherheit kann man allerdings davon ausgehen, dass Deshimaru zumindest ein körperliches Alkoholproblem hatte.

    Zitat

    "Dreißig Jahre habe ich daran gedacht, mit dem Trinken aufzuhören. Manchmal machte ich es, aber mit dem Willen war es schwierig. Man bot mir Whisky an und wenn Besucher kamen, öffnete ich die Flasche. Das ist nicht so gut. Ich habe vor vier, fünf Tagen mit dem Saké, mit dem Whisky auftgehört ... und es kommt zu Wohltaten. Mein Körper ändert sich tief. Ich muß weitermachen."

    Taisen Deshimaru, I Shin Den Shin Nr. 90 / 1980 (deutsche Ausgabe, Hrsg. AZI)


    Etwas problematischer ist die Frage der Auswirkungen auf Andere, die gerade in dieser Angelegenheit auch bedeutender ist. In der klassischen Formulierung der Bodhisattva-Gelübde (im Mahayana Brahmajala Sutra) ist das fünfte der zehn Hauptgelübde das, keinen Alkohol zu verkaufen (Anderen zugänglich zu machen). Das Gelübde, selbst keinen Alkohol zu trinken, ist lediglich eines der 48 Nebengelübde (das zweite). Insbesondere problematisch sind Wirkungen auf Andere bei Lehrern, die Anderen als 'role model' dienen (was unvermeidlich ist). Da kann man nun spekulieren, ob Deshimarus problematischer Umgang mit Alkohol mit bedingt war durch seine Wahrnehmung von Sawakis 'unproblematischem' Umgang mit Alkohol (wobei es da sicherlich schwerer wiegende Ursachen und Bedingungen gab). Auch Deshimaru selbst scheint da zumindest zeitweise eine gewisse Vorbildwirkung gehabt haben - zumindest wurde vor ca. zwei Jahrzehnten von Kritikern über einen recht sorglosen Umgang mit Alkohol speziell in La Gendronniere berichtet. Ob das zutreffend war, weiss ich nicht - aber derartige Vorwürfe gegenüber Schülern Deshimarus sind mir schon sehr lange nicht mehr zu Ohren gekommen.


    Wie auch immer - Deshimaru ist seit 36 Jahren tot und Sawaki auch schon seit über einem halben Jahrhundert. Vorschlag: mach doch einfach einmal ein Sesshin mit bei einer Übungsgruppe, die zur AZI oder ZVD gehört. Dann weisst Du aus eigener Anschauung, ob es da wirklich zugeht wie in einer Spelunke. Gezwungen, mitzutrinken wirst Du ganz gewiss nicht ...


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    Zitat

    Der Zenmeister Wuzu Fayan aus der Provinz Qi hatte dank des Hohepriesters Haihui Shoudan vom Berg Baiyun in der Provinz Shu seine Untersuchung der großen Angelegenheit abgeschlossen und hatte Knochen und Mark tief durchdrungen. Shouduan machte ihn zum Verwalter der Mühle am Fuß des Berges. Jedes Jahr erhielt Fayan Geld für das Mahlen von Reis und Weizen. Er eröffnete eine Pfandleihe um Zinsen zu verdienen, stellte Arbeiter ein und abgesehen von Essensopfern ging das verbleibende Geld an den Tempel. Leute spionierten ständig Fayan hinterher und kritisierten sein Verhalten vor Shoudan, wobei sie behaupteten, Fayan verbringe seine Tage in der Mühle mit Weintrinken, Fleischessen und der Beköstigung weiblicher Gäste. Der ganze Tempel war in Aufruhr. Als Fayan dies hörte, kaufte er absichtlich Fleisch und Alkohol und hängte sie vor der Mühle auf; auch kaufte er Kosmetikartikel für seine weiblichen Freunde. Immer, wenn Zenmönche an der Mühle vorbeikamen, fasste Fayan die Frauen an, neckte sie und scherzte mit ihnen ohne jegliche Zurückhaltung.

    Eines Tages ließ ihn Shoudan in die Gemächer des Abts kommen und befragte ihn, ob dies wahr sei, worauf Fayan ohne weitere Worte zustimmend nickte. Shoudan gab ihm plötzlich eine Ohrfeige. Fayans Gesichtsausdruck blieb unverändert und er machte eine Niederwerfung, als er ging. Shoudan tadelte ihn und sagte: "Geh einfach sofort". Fayan sagte: "Bitte wartet, bis ich meine Abrechnung und die Buchhaltung für meinen Nachfolger abgeschlossen habe."

    Einige Tage später sagte Fayan zu Shoudan: "Abzüglich der Ausgaben für Alkohol und Fleisch verbleiben für das Tempelguthaben dreihunderttausend in bar." Shoudan war darüber sehr erstaunt und verstand, dass kleingeistige Leute lediglich auf ihn eifersüchtig gewesen waren.

    aus: Dogen Zenji, Reine Vorschriften für die Tempelverwaltung (Chiji Shingi)