Beiträge von Sudhana im Thema „Spezielle Frage zum japanischen Zen“

    Ob Zen Religion ist oder nicht, hängt davon ab, was einer unter Religion versteht.


    Zen is not a religion.

    Natürlich hat Leonie völlig recht. Wobei der von ihr verlinkte Autor es sich mit seiner einem simplen Wörterbuch entnommenen Definition doch ein wenig arg einfach macht ... Übrigens genau diese Definition verdeutlicht, was ich mit "christlich-abendländischem Blickwinkel (also nicht voraussetzungslos)" und "dezidiert christlich geprägter Begriffsgeschichte" angesprochen habe. Da hat man sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Begriff auch nur ein wenig von dieser Wurzel zu abstrahieren, um ihn auf andere Sachverhalte anwendbar zu machen und natürlich kann das so gar nicht auf den Buddhismus passen. Was nun speziell die Ecke angeht, aus der der Text kommt, habe ich ja schon in meinem letzten Posting einen Artikel verlinkt, was mich der Mühe enthebt, das weiter zu kommentieren. Stattdessen ein mE etwas ernstzunehmenderer Versuch einer Definition von Religion:


    Zitat


    Erstens: Religion ist stets etwas, das jeden Einzelnen persönlich angeht. Darin ist sie anders als die Kultur. Kultur betrifft zwar jeden einzelnen, aber nicht jeder einzelne muß sie auch zu seinem persönlichen Anliegen magen. Was Religion ist, läßt sich demnach nicht von außen verstehen. Das heißt: Allein das religiöse Bedürfnis ist der Schlüssel zum Verständnis dessen, was Religion ist. Einen anderen Weg gibt es nicht. Hinsichtlich der Frage nach dem Wesen der Religion ist dies der wichtigste Punkt. Zweitens: Wenn vom Wesen der Religion die Rede ist, so befindet sich die Frage: "Welchen Zweck hat Religion für uns?" bereits als Frage im Irrtum. Aus ihr spricht eine Haltung, welche Religion ohne religiöses Bedürfnis zu verstehen sucht. Diese Frage wird daher von einer anderen Frage durchbrochen, die aus dem Fragenden selbst kommen muß. Einen anderen richtigen Weg zum Verständnis dessen, was Religion ist oder welchem Zweck sie dient, gibt es nicht. Die Frage, welche die erste Frage durchbricht, ist die Gegenfrage: "Wozu existieren wir?" Hinsichtlich alles anderen können wir fragen, welchen Sinn seine Existenz für uns habe. An die Religion lässt sich diese Frage jedoch nicht richten. In Hinblick auf alle anderen Dinge können wir uns selbst (oder die Menschheit) zum telos ihrer Beziehung zu uns machen und demgemäß ihren Wert für unser Leben und unsere Existenz bestimmen. Wir können uns (oder die Menschheit) zum Mittelpunkt machen und uns ausrechnen, welche Bedeutung ihnen als Inhalte in unserem Leben (oder im Leben der Menschheit) zukommt. Wenn diese Daseins- und Denkweise, in der wir uns zum telos aller anderen Dinge machen, erschüttert wird und die dieser Haltung entgegengesetzte Frage auftaucht: "Wozu existieren wir selbst denn?", dann tut sich erst der eigentliche Ort auf, von dem aus Religion in Sicht kommt."

    Zitat aus: Keiji Nishitani, Was ist Religion? Insel Verlag; 2. Auflage (1986)

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    Wenn ich mir so meine Erfahrungen in der Praxis (deutsche Gruppen) und Theorie (Internet, Bücher) angucke, schien mir der Zen im Verhältnis zu anderen Richtungen des Buddhismus recht "unbuddhistisch" und säkular. Damit meine ich, dass die buddhistische Begriffe wie Wiedergeburt, Karma, Boddhisattvas, transzendente Buddhas, Sutren etc. kaum eine oder gar keine Rolle spielen und der Schwerpunkt immer auf Zazen bzw. der alltäglichen Praxis liegt.

    Hallo Xa Loi,

    grundsätzlich ist es problematisch, Begriffe wie "Religion" oder gar "säkular", die aus dem Kontext der abendländischen und somit christlich geprägten Kultur stammen, auf andere Kulturen und deren Phänomene zu übertragen, weil diese dabei unvermeidlich aus einem christlich-abendländischen Blickwinkel (also nicht voraussetzungslos) wahrgenommen werden. Das zeigt sich alleine schon in der Schwierigkeit, einen Begriff wie "Religion" (mit einer dezidiert christlich geprägten Begriffsgeschichte) so zu definieren, dass er z.B. auch auf den Buddhismus anwendbar ist. Wenn man nun ungeachtet dieser Problematik einfach einmal davon ausgeht, dass der Buddhadharma eine Religion ist, dann ist "Zazen bzw. die alltägliche Praxis" selbstverständlich eine religiöse Praxis und keine "säkulare". Es sei denn, jemand betreibt Zazen als Wellness-Meditation. Das wäre dann allerdings auch nicht wirklich Zazen ...


    Richtig ist, dass Zen stark praxisorientiert (und nicht dogmatisch / glaubensorientiert) ist, was jedoch etwas anderes ist als säkular, da es sich, wie gesagt, um eine buddhistisch-religiöse Praxis handelt. Richtig ist aber auch, dass diese Praxis religiös-theoretisch begründet ist - und zwar in einer spezifisch buddhistischen exegetischen Tradition. Das wird verdeutlicht durch Dinge wie z.B. die Reihe der Zen-Patriarchen oder noch mehr durch das kechimiyaku (das 'Stammbaum-Zertifikat'), das der Praktizierende bei der Ordination (auch der Laien-Ordination) erhält und das die direkte Übertragungslinie zu Shakyamuni Buddha aufzeigt. Überhaupt ist diese Ordination (ob nun shukke tokudo oder zaike tokudo) hinsichtlich "religiöse Praxis" ein entscheidender Punkt - vor allem weil hier das Moment der Selbstverpflichtung zu einer ethischen Praxis (die kai oder Bodhisattva-Gelübde) zentral ist. Diese Praxis ethischen Handelns ist wiederum mit der Zazen-Praxis verbunden, sie ist ihr Ausfluss, ihre natürliche Manifestation im Handeln. kai soku zen.


    Ohne die Bodhisattva-Gelübde, ohne jukai, kann man zwar von einer säkularen Praxis sprechen - aber das ist nach meiner Auffassung auch keine Zen-Praxis, sondern bestenfalls eine daran orientierte oder durch sie inspirierte Praxis.


    Dass in der religiösen Laienpraxis die von mir angesprochene exegetische Tradition keine wichtige Rolle spielt, ist zutreffend. Und speziell im Westen ist Zenpraxis überwiegend Laienpraxis. Bei jemandem, der eine Priesterordination (shukke tokudo) empfängt, sieht das schon etwas anders aus. So jemand absolviert in Japan in der Regel neben der praktischen Ausbildung im Kloster ein mehrjähriges Studium der Buddhologie an einer Hochschule und im Westen tut so jemand (zumindest nach meiner Auffassung) gut daran, sich behelfsweise ernsthaft autodidaktisch mit dieser exegetischen Tradition zu beschäftigen. Und dazu gehören nicht nur die klassische (schulspezifische) Zen-Literatur, angefangen mit dem Plattform-Sutra, sondern auch die Werke, auf die man sich gemeinsam mit anderen buddhistischen Traditionslinien bezieht. Das sind selbstverständlich die 'basics', seien es nun die im Tripitaka überlieferten agamas oder deren Gegenstück im Palikanon, die nikayas. Das sind selbstverständlich die Prajnaparamita-Sutren, das Lotossutra, das Avatamsaka-Sutra, Vimalakirtinirdesha, Surangamasutra usw. usf. Dazu natürlich auch die Schriften insbesondere der wichtigeren der indischen Patriarchen des Zen: Nagarjuna, Kanadeva, Vasubandhu, Asvagosha ...


    Das Besondere am Zen ist lediglich, dass diese Praxis des Schriftenstudiums nie den Primat der Zazen-Praxis in Frage stellt. Die Schriften sind Referenz der Zazen-Praxis und ohne diese sinnlos. Ihr Studium gibt dem Praktizierenden ein Mittel, die eigene Praxis zu verstehen und - hoffentlich - verständlich machen zu können und dient so deren Übertragung. Auch, wenn die eigentliche Übertragung "außerhalb der Schriften", von Herzgeist zu Herzgeist (ishin denshin) stattfindet - ein (wenn auch kleiner) Aspekt des Herzgeistes ist der Intellekt und dieser arbeitet mit Worten und Schriften, wo es notwendig und sinnvoll ist.


    Übrigens: auch im Zen sind Bodhisattvas ein "omnipräsentes Thema". Freilich weniger die transzendenten als die immanenten ... ;).


    Ansonsten wäre noch anzumerken, dass jemand, der Zen und Zenpraxis lediglich im Kontext westlicher Übungsgruppen kennt, in einem japanischen Zen-Kloster ziemlich fremdeln würde. Alleine der Umfang täglicher Sutrenrezitationen von frühmorgens (choka fugin) über mittags (nitchu fugin) bis zum Tagesabschluss (banka fugin) würde sein Bild von Zen als ausschließlicher Zazen-Praxis kräftig erschüttern.


    Leider gibts nur wenig - und vorwiegend englischsprachige - Literatur zum "real existierenden Zen" in Japan. Sehr lesenswert, wenn auch aus Sicht eines Tendai-Priesters geschrieben (mE weitestgehend auf Zen übertragbar): Stephen Covells 'Japanese Temple Buddhism'. Hinsichtlich Rinzais-shu: Jan Borups'Japanese Rinzai Zen Buddhism: Myoshinji, A Living Religion'. Hinsichtlich Soto-shu Joshua Aaron Irizarrys 'A Forest for a Thousand Years: Cultivating Life and Disciplining Death at Daihonzan Sōjiji, a Japanese Sōtō Zen Temple'. Hinsichtlich ritueller Praxis im Zen allgemein: Steven Heine and Dale S. Wrights 'Zen Ritual: Studies of Zen Theory in Practice '.


    Abschließende Anmerkung. Das hier:

    Ich habe schon immer wieder Stimmen gehört und Beiträge gelesen, in welchem davon gesprochen wurde, dass wahrer Zen nichts mit Buddhismus zu tun hat, und daher auch keine Religion sein kann

    sind mE Stimmen, die in der Regel aus der Ecke von Leuten kommen, die ihren esoterischen oder christlich-mystischen Übungen gerne einen exotischen Anstrich verleihen und das dann gerne als "Zen" ausgeben. Zen sells. Was darüber hinaus auf einen äußerst unreflektierten Umgang mit dem Begriff "Religion" hindeutet, auf dessen Problematik ich eingangs hingewiesen habe. Dazu ein Link auf einen schon etwas älteren Artikel. Das dort eingebettete Video ist leider mittlerweile depubliziert.


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