Beiträge von Frieden-und-Freude im Thema „Die Rolle des Glaubens im Buddhismus“

    Es sollte klar sein, dass die Lehre Buddhas kein blinder Glaube ist wie der Glaube, durch die Gnade eines Gottes Wohlstand zu erlangen auf dieser Welt.


    Wobei Du mir vielleicht zustimmst, dass es auch viele "Anhänger" des Buddhismus gibt, die auf genau diese "blinde" Weise glauben und sich beispielsweise eine Belohnung ihres festen Glaubens und entsprechender Taten in Form einer besseren Wiedergeburt versprechen.

    Du hattest ja selbst in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass man den Zustand des real existierenden Buddhismus in verschiedenen Ländern nicht beschönigen sollte.


    Und auch im Westen findet man immer wieder blinden Glauben auch bei Buddhisten, beispielsweise an eine wörtliche Auslegung der heiligen Texte, bei der auch die absurdesten Textstellen noch ernst und wörtlich genommen werden.

    Ein solcher religiöser Fundamentalismus findet sich also auch im Buddhismus.


    Das kommt jeweils auf die Perspektive an: Es gibt Menschen, die sich selbst bewusst als "Ungläubige" oder "Nicht-Gläubige" definieren, indem sie sich mit einer religionskritischen Weltanschauung identifizieren. (Ich meine das jetzt ganz neutral, ohne eigene Bewertung.)


    Und dann gibt es natürlich auch die Polemik bestimmter Anhänger einer (zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort) vorherrschenden Religion gegenüber allen anderen, die als "Ungläubige" bezeichnet werden.


    Mir ging es hier lediglich um den Hinweis darauf, dass es sowohl in der Gruppe derer, die sich selbst als "gläubig" identifizieren als auch bei denjenigen, die entweder sich selbst als nicht-gläubig identifizieren (oder von anderen so klassifiziert werden) sowohl tolerante als auch intolerante Menschen gibt.


    Wir sollten die Einschätzung eines Menschen aufgrund seiner Gläubigkeit oder Nicht-Gläubigkeit also nicht überbewerten. Das ist mein Punkt.

    :) Als jemand, der dogmatisch-religiösen Glauben kritisiert, ist der Ausdruck von mir natürlich nicht abwertend gemeint.


    Aber okay, "Nicht-Gläubige" wäre eindeutiger und besser.

    Es gibt intolerante, eifernde Gläubige.

    Es gibt intolerante, eifernde Ungläubige.

    Es gibt tolerante, freundliche Gläubige.

    Es gibt tolerante, freundliche Ungläubige.


    Ganz gleich, wie man zum Thema "Glauben" steht, es sollte möglich sein, die eigene Meinung frei und ohne Anfeindungen sagen zu können.

    "Glaube" ist für mich nun mal tendenziell eher mit Religion verbunden, als mit Philosophie.

    Diese Themen "Glaube" und "Vertrauen" werden natürlich auch in der Philosophie diskutiert, in den letzten Jahrzehnten übrigens zunehmend positiv akzentuiert:

    Beispielsweise in der sozialen Erkenntnistheorie, dem Umgang mit "Zeugnissen anderer" (testimony) und dem "principle of charity".


    Kurz gesagt: Es wird mittlerweile überwiegend so gesehen, dass beim Erwerb von Wissen, beim Verstehen und beim Umgang miteinander "Glauben" und Vertrauen eine wichtige Rolle spielen.

    Der entscheidende Unterschied zu dogmatisch-religiösen Glaubenssystemen besteht in der Offenheit für Kritik, Korrektur und Weiterentwicklung.

    Ja klar, was ich sagte gilt selbstverständlich auch für diejenigen, die dogmatisch beispielsweise einem materialistischen Weltbild anhängen und es gegen jede Kritik immunisieren. Auch das ist dann ein geschlossenes System, das keine kognitive Dissonanzen mehr zulassen möchte.


    Offenheit für Kritik erlaubt dagegen ein kritisches Vertrauen. Es ist kein "Ablehnen des Glaubens", allenfalls ein Ablehnen blinden Glaubens.


    Und ja! - wie gesagt: Jeder soll sein Leben praktisch so gestalten können, wie es ihm beliebt, sofern er auch anderen dieses Recht einräumt.

    (Wenn ich Dich zuvor richtig verstanden habe, probierst Du etwas praktisch aus und prüfst hinterher, ob es für Dich funktioniert. Das ist möglicherweise genau das, was ich meine mit "Offenheit für Kritik". Denn wenn es nicht "funktioniert", veränderst Du ja etwas, statt es beizubehalten, weil es zu einem bestimmten Weltbild gehört.

    Bei "gläubigen Menschen" besteht oft das Bedürfnis, ein Glaubenssystem vollständig anzunehmen, jeden Zweifel zu eliminieren und bereits die bloße Möglichkeit zu leugnen, dass etwas an der Lehre bzw. den heiligen Texten falsch oder auch nur problematisch sein könnte.


    Diese Tendenz ist gut erklärbar: als Verringerung oder Vermeidung von "kognitiver Dissonanz".

    https://de.wikipedia.org/wiki/kognitive_dissonanz


    Es geht dabei also vor allem darum, ein Bedürfnis nach einem umfassenden, in sich geschlossenen und vor jeder Kritik geschützten Weltbild zu erfüllen. Denn das gibt ein gutes Gefühl.


    Ich halte es für völlig legitim, wenn Menschen, bei denen dieses Bedürfnis besonders stark ausgeprägt ist, dieses Bedürfnis auch befriedigen. Unter der Voraussetzung, dass sie es nicht auch anderen Menschen aufzwingen oder versuchen, andere zu indoktrinieren, was ja in der Geschichte der Religionen oft vorgekommen ist.


    Meiner Meinung nach gibt es eine bessere Möglichkeit, und zwar Offenheit für Kritik, das Aushalten von kognitiven Dissonanzen, ohne sich vorschnell festzulegen in Fragen, die unklar sind oder sich nicht leicht beantworten lassen.

    (Dazu gehören u.a. Fragen nach "Wiedergeburt" und Karma.)


    Eine solche Offenheit für Kritik ist vereinbar damit, der Überlieferung zunächst einen Vertrauensvorschuss zu geben und nicht voreilig Elemente der Tradition zu verwerfen, bloß weil sie nicht im Einklang stehen mit den bisherigen eigenen Annahmen.

    Ich plädiere also nicht für permanentes Zweifeln, was ja ein Hindernis darstellt, sondern für einen kritischen Glauben, ein kritisches Vertrauen - und eben die Offenheit für Kritik.

    Vertrauen spielt sicherlich eine wichtige Rolle - im Grunde immer dann, wenn wir etwas von anderen Menschen lernen. Schließlich können wir nur einen kleinen Teil aus eigener Erfahrung herleiten und müssen deshalb anderen Menschen glauben. Das betrifft bereits ganz triviale Dinge wie die Lektüre der Tageszeitung.


    Der Glaube und das Vertrauen sollten aber nicht "blind" sein, sondern kritisch. Mit dem kritischen Vertrauen meine ich jetzt keineswegs permanentes Zweifeln. Sondern die Bereitschaft, Zeugnisse aller Art - seien es nun irgendwelche Nachrichten oder auch religiöse Überlieferungen - kritisch zu prüfen, falls es dafür gute Gründe gibt.

    Die Prüfung ist dabei üblicherweise keine individuelle Aufgabe, sondern eine Gemeinschaftsarbeit. Beispielsweise hat sich in der Geschichte des Christentums unter dem Einfluss der Aufklärung die historisch-kritische Methode etabliert:

    https://de.wikipedia.org/wiki/historisch-kritische_methode


    Bezogen auf den Buddhismus bedeutet das für mich, dass ich der buddhistischen Überlieferung zunächst einmal einen hohen Vertrauensvorschuss gebe, aber nicht allen Textstellen im Pali-Kanon gleichermaßen vertraue. Es gibt auch eine Reihe von Textstellen, denen ich aus guten Gründen nicht vertraue.


    Die Bereitschaft, kritische Prüfung in Erwägung zu ziehen, unterscheidet meines Erachtens einen aufgeklärten Zugang zu den Texten von einem religiös-dogmatischen.


    Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. Ein angesehener und auch von mir geschätzter Theravada-Lehrer meinte einmal sinngemäß: "Immer wenn mein eigenes Denken in Widerspruch gerät zu einer Textstelle des Kanons, hat stets der Kanon recht. Ich weiß es bloß noch nicht."

    Genau das halte ich für einen religiös-dogmatischen Zugang, also für blinden Glauben, den ich so nicht teilen kann und auch nicht für vorbildlich halte.