Beiträge von Tai im Thema „gelebter Zen“

    Aber was dann, beim "Lesen" geschieht - findet das wirklich "ausschließlich in meinem Gehirn statt"? Was geschieht - geschieht dies wirklich in irgendeiner Weise "ausschließlich"?

    Guter Hinweis.


    Ich verstehe es so, dass was immer ich in welchem Augenblick auch immer wahrnehme, mir vorstelle oder sonstwie erlebe, nicht von mir getrennt ist. Selbst, wenn ich mir vorstelle, es gäbe etwas von mir völlig Abgetrenntes (ein Anderes), so ist auch das lediglich eine Vorstellung, die ich in genau diesem Augenblick aufkommen lasse und die als solche natürlich ebenfalls Ausdruck dieses einen Geistes ist. Aus meiner Sicht macht es daher nicht wirklich Sinn, zwischen 'das bin Ich' und 'das ist Nicht-Ich' zu unterscheiden (ich hoffe, das beantwortet deine rhetorische Frage).


    Dass ich trotzdem munter Begriffe wie 'ich' oder 'andere' verwende, ist den Regeln und Möglichkeiten des begrifflichen Denkens und der sprachlichen Verständigung geschuldet. Schließlich sind auch alle anderen Begriffe, derer wir uns im Rahmen des begrifflichen Denken bedienen, sehr genau betrachtet nicht weniger irreführend als die Vorstellung vom Ich oder vom Anderen; sie alle abstrahieren von etwas, dem sie nur scheinbar entsprechen. Doch dass sich unsere 'Bücher' hierin vom Sutra der Berge und Flüsse unterscheiden, gilt auch nur, solange du den Worten auf den Leim gehst. Mit den richtigen Ohren gehört, plätschert selbst dieses eitle und überflüssige Geplapper von mir und uns allen genauso authentisch daher wie ein Furz oder der Nachtwind in den Bäumen vorm Fenster.


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    Tai

    Leben bedeutet aber mit dem eigenen Geist kreativ/schöpferisch Dinge hervorbringen,

    Das stimmt, denn von Augenblick zu Augenblick haben wir nichts anderes als genau diesen Geist, der wir selber sind. Daher macht es auch herzlich wenig Sinn, nach einem anderen Geist oder einem anderen Buddha zu suchen. Der einzige Buddha, den wir je finden können, ist niemals außerhalb von uns. Die Lehre des Buddha ist bildlich gesprochen wie ein Zeigefinger, der auf diesen Geist/Buddha, der wir nun mal sind, hinweist. In jedem Moment, in dem ich mich mit dieser Lehre beschäftige, ist alles, was in mir jemals geschehen kann, immernoch hundertprozentig dieser 'eigene' Geist. Deswegen ist es auch prizipiell völlig okay und mitunter extrem hilfreich, sich mit dieser Lehre zu befassen - sei sie nun vom historischen Buddha, von einem Zenmeister oder von der Bäckersfrau nebenan. Die Lehre des Buddha, ja nicht einmal die beliebigen Zufallsmeinungen von Frau Hinz und Herrn Kunz könnten jemals in der Lage sein, zu verhindern, dass wir der 'eigene' Geist sind, der wir nun mal sind. Wenn ich das Buch eines anderen Menschen lese, findet, was dabei geschieht, ausschließlich in meinem Gehirn statt. Was dabei zum Ausdruck kommt, ist immer noch hundertprozent dieser 'eigene' schöpferisch kreative Geist, der ich nun mal bin.


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    Tai

    Da man im Zen außer der Sitzhaltung nicht viel vorgeschrieben bekommt ...

    Tatsächlich repräsentiert der Zen-Weg den Geist einer großen Freiheit. Es ist die Freiheit vom Korsett unseres zwanghaften Erzeugens begrifflicher Gedanken inklusive Vorlieben und Abneigungen, eben jener Haltung, die uns davon abhält, die Soheit der Dinge/unserer Selbst zu erkenen und anzunehmen.


    Von diesem das Zen durchdringenden Geist der Freiheit mal abgesehen wird dir in der traditionellen Zenpraxis keineswegs nicht viel vorgeschrieben, sondern es gibt dort im Gegenteil nicht viel, das die nicht vorgeschrieben wird: Wie du dich im Dharmaraum zu kleiden, wann wo wie zu verbeugen hast, welche Schalen beim Essensritual in welcher Reihenfolge wann wie zu reinigen sind usw. usf. Besonders während eines Sesshins ist diese Art von Formalismus besonders ausgeprägt. Das geht so weit, dass du über den Tag eigentlich gar nichts mehr entscheiden musst, da alles vorgeschrieben ist. Und gerade darin liegt wieder eine große Freiheit: Die Freiheit, dich ganz und gar deiner Praxis und deinem Koan hingeben zu können.


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    Tai