Es ist nunmal das Subjekt, was man nicht zum Objekt (machen?) kann.
Du sagst, selbst in tiefer Meditation ist immer etwas da, was man wahrnehmen kann. Man? Solange diese Instanz des "Ich" existiert, die einem wie auch immer gearteten Objekt gegenübersteht, besteht auch die Ich-Illusion. Eine der zentralen Aussagen im Buddhismus ist, dass ein Ich, also ein Subjekt nicht auffindbar ist. Gibt es also dann nur noch Objekte? Keineswegs! In der tiefen Meditation endet diese Trennung der Wirklichkeit in Subjekt und Objekt. Das Ich (Subjekt) erlischt vollkommen, das Du (Objekt) erlischt vollkommen. Wenn Subjekt und Objekt verschwinden, was bleibt dann noch? Dann ist doch alles weg! Keineswegs! Es ist alles da. Allerdings lässt sich über die Bestehensweise dessen kaum eine Aussage machen – außer über die Negation. Es ist nicht das, nicht das, nicht dies, nicht jenes.
Eine grobe Vorstellung davon kann man bekommen, wenn man sich ein paar einfache Begriffe vergegenwärtigt. Gibt es die Kategorien groß und klein, lang und kurz, hell und dunkel, gut und böse? Ja, auf jeden Fall! Aber es gibt sie nur in Abhängigkeit zu etwas anderem und zueinander. Aus sich heraus existiert keine diese Kategorien. Das gleiche gilt für Farben, Formen, Töne, etc. Sie existieren nur in Relation zu einem wahrnehmenden Bewusstsein. Der westliche, philosophische Begriff hierfür ist Qualia.
Auch Gegenstände jeder Art existieren nur in Abhängigkeit zu ihren Teilen, zueinander, innerhalb bestimmter kultureller Konventionen und (ganz wichtig) in Relation und als Produkt (etwas Zusammengesetztes) einer Wahrnehmung, eines Bewusstseins, eines Gefühls, einer Empfindung, eines Körpers. Genauer gesagt existiert nichts, was nicht durch Wahrnehmung, Bewusstsein, Gefühl, Empfindung und Körperlichkeit in Erscheinung treten würde, und zwar als scheinbar eigenständige Objekte, die einem scheinbar eigenständigen Subjekt gegenüberstehen würden. Dabei bringen die einen erst das andere hervor und zwar in jedem Augenblick neu, als Wirkung der Bedingungen des vorhergehenden Augenblicks.
Es gibt – absolut gesehen – kein Auto. Es gibt aber Teile und Funktionen, die in Relation zueinander und in Relation auf ein Subjekt die Benennungsgrundlage für den Begriff Auto bilden. Und selbst diese Teile und Funktionen bestehen wiederum aus Teilen, Funktionen und Relationen, die jeweils die Benennungsgrundlage für den jeweiligen Begriff bilden. Das geht so bis in die kleinsten Teile hinunter. Daraus besteht die gesamte konventionelle Wirklichkeit.
Das gleiche gilt natürlich auch für die "Gegenstände" Bewusstsein, Ich, Persönlichkeit, Zeit, Leben, Tod, Subjekt, Objekt und auch für die Polarität von Subjekt und Objekt, u.s.w..
Jetzt stell Dir eine Seinsweise vor, die all diese Konstruktionen vollkommen als Konstruktionen erkennt, und das nicht nur theoretisch sondern faktisch, eine Seinsweise, die das tatsächlich sieht? Das Ergebnis ist zum Beispiel folgendes:
Deshalb, Shariputra, gibt es in der Leere [13] keine physische Gestalt, keine Empfindung, Wahrnehmung, mental-emotionales Gedächtnis oder Objekt-Bewusstsein; [...] weder Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper noch Denk-Organ [14], [...] nichts, was man sehen, hören, riechen, schmecken oder tasten kann, keine Daseinsfaktoren, [...] keine Sehempfindungs-Elemente [15] und so weiter bis hin zu den kognitiven Bewusstseins-Elementen.
[...] (In der Leere gibt es) weder Fakten-Wissen noch Ignoranz [16], weder Wissens-Abbau noch Unwissenheits-Abbau und soweiter bis hin zu: weder Altern noch Sterben [17] noch Alters- und Todes-Aufhebung; kein Leiden: weder dessen Ursache noch dessen Beendigung und keinen Weg (der Befreiung vom Leiden) [18], kein Höheres Wissen, keine Bestrebungen [19].
Ebenso gibt es das Leiden, den Ursprung, die Beendigung und den Weg nicht, keine Weisheit, kein Erlangen und auch kein Nicht-Erlangen.
Deshalb: nichts erstreben die Bodhisattvas, im Reinen Gewahrsein weilend, sind sie frei von hinderlichen Gedanken.
[...] Von Gedanken nicht behindert, (daher auch) nicht beängstigt, die Verzerrungen (des Ego) überwunden habend, (ist ihre persönliche Existenz) zu guter Letzt ausgelöscht.[20]
https://de.m.wikisource.org/wiki/herz-sutra
Die Welt der Begriffe, Dinge, Konstruktionen und Konventionen ist eine reine Vorstellungswelt, die nicht im Einklang mit der letztlichen Wirklichkeit steht, aber in unmittelbarer Abhängigkeit zu ihr existiert. Die durch Meditation und Kontemplation erlangte Entlarvung dieser Vorstellungen als Illusionen bringt eine lebendige Wirklichkeit hervor, in der nichts (NICHTS) aus sich heraus eigenständig existiert, nichts Bestand hat, und alles ständig im Werden und Vergehen begriffen ist.
Liebe Grüße
Thorsten