Im Kern ist es wohl diese: Man stelle sich vor, ein Buddhist und ein Wissenschaftler (nehmen wir jemanden vom Kaliber eines Richard Dawkins oder Daniel Dennet), sitzen einem Moderator am philosophischen Stammtisch gegenüber und sollen erklären, was ihre Weltsicht eigentlich voneinander unterscheidet. In der Theorie ... nicht in der Praxis, denn Letztere ist bei den Materialisten ja noch beliebiger als bei Buddhisten.
Was wäre die Antwort?
Ich versuche mal, das ein wenig aufzudröseln. Zunächst einmal - Du formulierst Deine Vorstellung so, dass sie einen Gegensatz (bzw. etwas sich wechselseitig Ausschließendes) zwischen 'Buddhist' und 'Wissenschaftler' impliziert. Da sollte man sich zunächst fragen, ob das tatsächlich so ist, dass ein Wissenschaftler kein Buddhist sein könne oder ein Buddhist kein Wissenschaftler. Meines Erachtens ist dem nicht so und die, bei denen das der Fall ist, sind auch nicht schizophren. Falls Du das anders siehst, haben wir vermutlich unterschiedliche Vorstellungen davon, was unter einem 'Wissenschaftler' und / oder einem 'Buddhisten' zu verstehen ist.
Sodann - ich vermute mal anhand der von dir genannten Beispiele, Du meinst sowohl Geisteswissenschaftler als auch Naturwissenschaftler bzw. es ist Dir egal, welche Sorte wir da nehmen. Die Philosophie bildet da so etwas wie eine Schnittstelle - und nur in Bezug auf Philosophie macht dann eine Bezeichnung wie "Materialist" auch Sinn. Materialismus ist eine philosophische Grundposition, aber keine für Wissenschaftler notwendige (oder auch nur übliche) Ausgangsbasis. Ich vermute stark, Du verwechselst da 'Empirismus' mit 'Materialismus'.
Der Buddhadharma enthält selbst durchaus starke empiristische Elemente. Das mit Sicherheit wichtigste dabei ist der Abgleich der empirischen Beobachtung buddhistischer Praxis hinsichtlich ihrer Wirkung auf die empirische Erfahrung 'Duḥkha' mit der buddhistischen Überlieferung. Anders ('buddhistischer') formuliert: die gründliche Prüfung von Lehre und Lehrer. Das ist dann möglicherweise der Aufbau und die Bestätigung von Śrāddha ('Vertrauen' - was nun einmal etwas anderes ist als 'Glaube' im christlich-theologischen Sinn).
Sorry jetzt für die Fachterminologie - aber ohne eine halbwegs klare Vorstellung, was diese Begriffe bezeichnen, macht eine Diskussion auf dem von Dir angezielten Level nicht wirklich Sinn. Sich eine solche zu verschaffen, ist mE eine Bringschuld für die Teilnahme an einer sinnvollen Diskussion zum Thema Positionierung des Buddhismus zur Wissenschaft im modernen Sinn. Wie oben schon angedeutet - man sollte dann schon eine nicht allzu verschwommene Vorstellung davon haben, worum es beim "Buddhismus" geht und was unter einem "Buddhisten" zu verstehen ist.
Der Unterschied zwischen einem Wissenschaftler und einem Buddhisten liegt in den Fragestellungen, mit denen man sich beschäftigt. Was, wie schon angedeutet, nicht ausschließt, dass man sich mit beiden (oder keiner davon) beschäftigt. Ich setze mal als bekannt voraus, womit sich Wissenschaft beschäftigt. Grob: mit Sammlung, Auswertung, Systematisierung und schließlich Deutung empirischer Daten (Theoriebildung). Der Buddhismus beschäftigt sich hingegen mit soterologischen Fragen bzw. einem existentiellen Problem - eben Duḥkha. Als Hilfestellung zum Verständnis dieses recht komplexen Begriffs hier die Erläuterung eines Brückenbauers. Die Antworten sind übrigens bei beiden Fragestellungen empirisch begründet, wobei meines Erachtens das experimentelle Nachvollziehen des Erwachens (bodhi) nun eher weniger schwierig ist als etwa das experimentelle Nachvollziehen der Theorie der primordialen Nukleosynthese ...
Die doch sehr unterschiedlichen Fragestellungen machen Widersprüche zwischen den Antworten, zu denen man mit beiden kommt, eher unwahrscheinlich. Es fehlt da schlicht an Konfliktfeldern und wo es zu Überschneidungen kommt (etwa mit der Psychologie), zeigen sich diese eher fruchtbar für beide Seiten. Was nicht zuletzt an der weitgehenden Dogmenfreiheit des Buddhismus liegt. Ein solches Überschneidungsgebiet ist insbesondere auch die Philosophie und die abendländische Philosophiegeschichte hat nicht das geringste Problem damit, heute in buddhistischen Denkern wie Nāgārjuna oder Dōgen Philosophen von Weltrang zu sehen. Deren Denkansätze sind zwar völlig andere als die des abendländischen Materialismus (notabene auch des Idealismus), aber mit Empirismus im allgemeinen und Wissenschaft im besonderen hat man da kein Problem. Und umgekehrt braucht man auch keines zu haben ...