Beiträge von Sudhana im Thema „wie lernt man das Hannya Shingyo (Herzsutra) auswendig?“

    Habt ihr einen Tipp für mich?

    Liebe Margot,

    ergänzend zu den schon gegebenen Antworten (bzw. verdeutlichend): ein Sutra (oder einen der anderen im Zen üblichen Rezitationstexte) studieren und es rezitieren sind zwei verschiedene Dinge. Bzw. Rezitation ist eine besondere Art des 'Studiums'. Wobei der Begriff 'Rezitation' es nicht ganz trifft, vielleicht wäre 'deklamieren' oder 'skandieren' besser. 'Skandieren' ist im Deutschen zwar außer Gebrauch gekommen, aber es ist die genaue Entsprechung der im Englischen üblichen Bezeichnung dieser Praxis, nämlich 'chanting'. Was es mE deutlich besser trifft als 'rezitieren'.


    Das führt dann in der Praxis auch häufig zu einem Missverständnis - insbesondere wenn deutsche Übersetzungen rezitiert (ich bleibe mal bei diesem Begriff) werden. Gerade Neulinge tendieren dazu, die Texte wie ein Gedicht zu rezitieren - also die Aussage des Textes mit Betonungen, Pausen ("da gehört doch ein Komma hin ...") usw. zu verdeutlichen.


    Das Missverständnis besteht darin, dass die Rezitationspraxis keine Übung des Intellekts ist, sondern eine 'somatische' Übung. Traditioneller ausgedrückt: der Fokus liegt auf dem 'Herz'-Aspekt von Shin 心, dem 'Herz/Geist', auf den das Herzsutra (心經) im Titel verweist. Es geht da nicht nur um den 'Herz/Geist' des Großen Prajñāpāramitā - Sūtra, seine Essenz - es geht genauso um den 'Herz/Geist' des Rezitierenden, der nicht verschieden davon ist.


    Die Rezitation kommt bei dieser Praxis nicht aus dem Kopf - sie kommt auch nicht aus dem Herzen, sie kommt aus dem Bauch, dem Hara - aber sie weitet das Herz. Seine transformierende Wirkung entfaltet diese Praxis am tiefsten in der gemeinsamen Rezitation, wenn sich das Ich in Klang und Rhythmus der rezitierenden Sangha auflöst, zum Ein-Klang wird.


    Langer Rede kurzer Sinn: die lexikalische Bedeutung der rezitierten Silben ist für diese Praxis unerheblich. Ihre Kenntnis kann für Manche sogar hinderlich sein, wenn sich dann bei der Rezitation der Intellekt mit dazuschaltet - anders gesagt: wenn das 'Ich' sich einbringt (was dann in aller Regel die Rezitation ins Stolpern bringt). Ob diese Kenntnis beim 'Auswendiglernen' hilft oder nicht, kann individuell sehr unterschiedlich sein. Bei mir war es so, dass es mir geholfen hat - was nicht heißen muss, dass es bei Dir auch so ist. Jedenfalls - hier eine Lernhilfe, die für mich nützlich war. Wobei ich, nachdem ich die Rezitation dieses Textes gelernt hatte, während der Rezitation nie wieder an irgendwelche Bedeutungen von Silben gedacht habe. Das ist schlicht nicht Sinn der Übung. Dass man selbstverständlich das Herzsutra auch im herkömmlichen Sinn studieren kann (und sollte), bleibt davon unberührt - das ist dann aber eine andere Übung, ein anderes Dharma-Tor.


    Mit der Rezitation ist es wie mit jeder Praxis. Man lernt sie durch (Aus-)Übung. Empfehlenswert ist es da, nach der täglichen Zazen-Übung zu rezitieren. Mit 'Spickzettel', wie es ja in den meisten Praxisgruppen in der gemeinsamen Praxis üblich ist. Während der Zeit, als ich das lernte, ging ich nach dem abendlichen Zazen (mit abschließender Rezitation) noch auf eine Abendrunde mit dem Hund - und rezitierte dabei. Soweit ich eben mit dem Text kam; wenn ich unsicher wurde, begann ich einfach wieder von vorne. Das ging dann eigentlich recht schnell; in ein paar Wochen hatte ich das komplett 'drauf'. Der Spickzettel wurde beiseite gelegt und ich fing an, meine Rezitation zu Hause mit keisu und mokugyo zu begleiten. Da hatte ich keine Hand mehr frei, um auch noch einen Spickzettel zu halten. Klar - das ging in der Anfangszeit auch mal in die Hose. Macht nix. Aufhören, Lächeln, von vorne anfangen. Wenn es auch dann nicht hinhaut - morgen ist auch wieder ein Tag und zwei, drei Tage übt man dann halt wieder mit Spickzettel. Ist nix dabei.


    In der Gemeinschaft ist das einfacher - die trägt einen und wenn man sich von einem kleinen Aussetzer nicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt, findet man sich meist auch schnell wieder in den Text. Wenn Du die technische Möglichkeit hast, wäre es vielleicht eine Idee, mit einem youtube-Video zu üben - z.B. dem hier. Natürlich nicht das Video anschauen, sondern mitrezitieren und sich von der Gemeinschaft tragen lassen.


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