Beiträge von Leonie im Thema „Fragwürdiges Interview mit Dzongsar Jamyang Khyentse in "Buddhismus Aktuell"“

    der Guru wird durch den Schüler geprüft, nicht durch ein Patentamt. Es teilt einem keine Institution von außen mit, dass das ein geeigneter Guru sei. Dafür ist man schon selbst verantwortlich. Natürlich erkundigt man sich auch über die Person. Ein irgendwie aus der Bahn laufendes Ego fällt auf. Jemand der grundsätzlich bereit ist, Leute zu missbrauchen, fällt schon vorher auf. Unkontrollierte sexuelle Begierde sieht man z. B. an Blicken die sekundenweise aufblitzen. Welche nicht in Interaktion mit der begehrten Person auftauchen, sondern für diese unerwünscht. Man kann sich erkundigen ob jemand sowas jemals erlebt hat.

    Bleiben wir doch mal bei dem Vergleich zur Medizin - Paracelsus hat diesen Spruch mit dem Gift und der Dosis in die Welt gesetzt - Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei - seit dem 15 Jh. hat sich dann eine Menge im Gesundheitswesen getan - aus einer auf persönlicher Erfahrung basierten Heilkunde wurde eine evidenzbasierte wissenschaftliche Disziplin, deren Erfolge sich an der Überlebensrate zeigt. Es gibt allerdings noch immer Bereiche, die eine rechtliche Nische besiedeln und als Heilpraktiker fungieren.

    Es braucht also eine sehr gute Unterscheidungsgabe und somit viel Erfahrung, um zu erkennen, welche Dosis denn nun noch heilsam ist, ohne dass der Patient tot umfällt. Die Frage der Überwachung der ärztlichen Praxis war also eine lebenswichtige Angelegenheit und deshalb haben bereits 1685 die Ärzte selbst hier die Initiative ergriffen und einen "wohlwollenden Diktator" überzeugt:

    Zitat

    Das Brandenburgische Medizinaledikt: 1685

    Ärzte lebten in Mitteleuropa bis Mitte des 17ten Jahrhunderts hinein zum größten Teil als Gelehrte. Sie waren nicht organisiert und unterlagen in ihrer Berufsausübung keinen einheitlichen Regeln. Die Prüfung und Abnahme ihrer fachlichen Fähigkeiten erfolgte über die Universitäten. Die Ausübung der Heilkunde war jedoch nicht auf Ärzte beschränkt. Daneben wirkten auf Straßen und Plätzen auch Bader, Barbiere, Wundärzte, Okkultisten und andere Heiler aller Art.

    1661 ergriffen Ärzte aus der Mark Brandenburg die Initiative und traten an den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. mit der Bitte heran, dem Wirken der allenthalben tätigen Heiler ordnend entgegenzutreten. Das Anliegen der Ärzte wurde - wenn auch erst 24 Jahre später - aufgegriffen. 1685 erließ der Große Kurfürst das Preußische Medizinaledikt und setzte damit ein "Collegium Medicum" - eine Art Medizinbehörde - ein, das die Berufstätigkeit von Ärzten und anderen Heilern künftig unter staatliche Kontrolle stellte. Die im Collegium Medicum arbeitenden Ärzte waren Beamte. Im Jahr 1725 wurde das Edikt präzisiert und verschärft. Es enthielt eine feste Approbations- und Gebührenordnung, regelte die Rechte und Pflichten der Heilberufe untereinander und gab erstmals einheitliche Ausbildungs- und Prüfungsanforderungen vor.

    Nun ist das bloß ein Beispiel für einen Prozess zwischen unterschiedlich qualifizierten Personen in der ärztlichen Heilkunde. Ähnliches hat sich seither auch in der Psychotherapie vollzogen. Da psychische Krankheiten auch ein soziales Problem sind, unterliegen auch sie einer staatlichen Kontrolle. Als letzten Bereich dürfte nun die sogenannte Spiritualität in den Blick gekommen sein, da sich unter dem Dach der Religionen jede Menge an Missbrauch gesammelt hat und auch der "geistliche Missbrauch" thematisiert wird. Es geht dabei vor allem darum, Straftatbestände zu formulieren und Gesetze, die ein Eingreifen von Staatsanwaltschaften ermöglichen. Warum? Nun man weiß, dass es Abhängigkeiten gibt, die es den Opfern sehr schwer machen, die Missbrauchsstruktur zu erkennen und Scham und Angst zu überwinden. Es hat lange gedauert, bis sich die Debatte von den Einzelfällen zu dem System verlagert hat, das hinsichtlich der Kontrolle versagt hat.


    Dass der Guru durch den Schüler geprüft wird, verdeckt die andere Seite, nämlich das System, dem der Guru angehört und das ihn überhaupt erst als geeignet bestimmt hat. Alles Fehlverhalten fällt damit auch auf das dahinter stehende System zurück, dem Vajrayana. Aber nicht nur diese Richtung, sondern auch solche, die sich auch Schüler-Meister Konstellationen stützen, wie den Rinzai-Zen. Soweit mir bekannt, waren alle Missbrauchsfälle im Zen aus dieser Tradition.

    Danke svea.

    Da braucht es nur das Schlusskapitel, um das Anliegen und die Intention zu erkennen.


    Zitat

    In spite of the scandals, misunderstandings, miscommunications,

    shortage of facilities and outright mistakes that have been made over

    the years, I would say that the overall profit on Buddhadharma in the

    West’s balance sheet stands at about 80%. This high level of success

    is a result of the tremendous blessings of the unequalled Vajrayana

    tradition, the great lineage holders and the dharmapalas.


    Er hat schon sehr das westliche Profitdenken internalisiert. :grinsen:


    Im übrigen heißt im Englischen der Ausdruck "poison as medicine" - das ist schon ein wesentlicher Unterschied zu dem Buchtitel.


    Mich erinnert das ganze Bemühen um das Verstehen einer geheimnisvollen Lehre, die unter Schweigen auch verborgen bleiben soll, an die Katholische Kirche und deren Klerus, die durch ihre Schweigegelübde den ganzen Laden an die Wand gefahren haben, weil sie sich sicher glaubten vor der Öffentlichkeit und vor Strafverfolgung. Hier ist es dann in einer freien Welt möglich, dem ganzen Treiben durch das Austrocknen der Geldzuflüsse und den Entzug von Anerkennung ein vorläufiges Ende zu bereiten. Nicht dass es immer wieder Menschen gibt, die Kulte und Sekten suchen, aber Transparenz und Gesetze können hier helfen.


    Mich kotzt das inzwischen auch nur noch an.

    Er etablierte in seiner Sangha keinen "wohlmeinenden Diktator" als Nachfolger sondern etablierte relativ egalitäre Strukturen. Und die Idee dass jemand so heilig ist, das jemand er über allen ethischen Normen steht verwarf er.

    Buddha etablierte gar nichts - er sagte, seid euch selbst Zuflucht, seid euch selbst eine Insel - und verwies damit auf die Verantwortung jedes Einzelnen. Anders geht es auch gar nicht. Es ist nicht möglich, sich auf einen anderen zu stützen - aber das ist das Bemerkenswerte dieser Ausgabe von Buddhismus- Aktuell - Was trägt? - nur das Buddhadharma.


    "Sei Dir selbst eine Insel" – Selbstvertrauen durch die Buddhalehre in herausfordernden Lebenssituationen entwickeln | Bodhi Vihara

    Zitat

    Darum, Anando, weilt euch selber zur Leuchte3, selber zur Zuflucht, ohne andere Zuflucht, die Lehre als Leuchte, die Lehre als Zuflucht, ohne andere Zuflucht. Wie aber, Anando, weilt der Mönch sich selber zur Leuchte, sich selber zur Zuflucht, ohne andere Zuflucht, die Lehre als Leuchte, die Lehre als Zuflucht, ohne andere Zuflucht?

    Da wacht, Anando, der Mönch

    • beim Körper über den Körper,

    • bei den Gefühlen über die Gefühle,

    • beim Bewusstsein über das Bewusstsein,

    • bei den Geistesformationen über die Geistesformationen,

    unermüdlich, klar bewußt, achtsam, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Trübsinns. So weilt, Anando, der Mönch sich selber zur Leuchte, sich selber zur Zuflucht, ohne andere Zuflucht, die Lehre zur Leuchte, die Lehre zur Zuflucht, ohne andere Zuflucht.

    Die da also, Anando, jetzt eben oder nach meinem Verscheiden, sich selber zur Leuchte verweilen, sich selber zur Zuflucht, ohne andere Zuflucht, die Lehre zur Leuchte, die Lehre zur Zuflucht, ohne andere Zuflucht, die werden, Anando, oberhalb des Dunklen meine Mönche sein, die da eifrig Übung lieben”.


    Es ist fahrlässig - als erwachsener Mensch - anderen Menschen zu vertrauen, wenn ich noch nicht einmal mir selbst voll vertrauen kann. Daher kann nur einer dem anderen eine Zuflucht sein, der selbst Zuflucht für sich geworden ist. So jemand braucht keine "Schüler" und so jemand muss auch nicht der Guru eines anderen sein. So jemand ist nichts anderes als einer, der gewissenhaft auf einen Anderen achtet, damit dem nichts Übles geschieht. Solange es noch rechtsstaatliche Grundsätze gibt und eine Verfassung, die die Würde des Einzelnen achtet, ist der Willkür Grenzen gesetzt, wenn Menschen in einer Notlage auf andere angewiesen sind.


    Das Interview ist so aus der Zeit gefallen, dass ich überhaupt nicht verstehen kann, wie so ein Interview noch möglich ist. Aber: wir sind ja offensichtlich auf einem Weg des Rückschritts - und da findet man dann wenig dabei, wenn über wohlwollende Diktaturen gefasel wird.


    SN 47.19 das Sedakam sutta


    Zitat

    Die rechte Vorgehensweise dabei, sprach der Erhabene, ist folgende: “Wie Medakathalikā, die Gehilfin, dem Meister gesagt hat:

    • ‘Ich werde auf mich achten’, so sind die Pfeiler [Grundlagen] der Achtsamkeit (satipatthāna), ihr Mönche, zu pflegen:

    • ‘Auf den anderen werde ich achten, so sind die Pfeiler [Grundlagen] der Achtsamkeit zu pflegen.

    • Auf sich selber achtend, ihr Mönche, achtet man auf die anderen.

    • Auf die anderen achtend, achtet man auf sich selber.

    Und wie, ihr Mönche, achtet man, auf sich selber achtend, auf den anderen?

    • Durch Pflege, durch Entfaltung, durch häufiges Tun.

    So, ihr Mönche, achtet man, auf sich selber achtend, auf den anderen.

    Und wie, ihr Mönche, achtet man, auf den anderen achtend, auf sich selber?

    • Durch Geduld (khanti),

    • durch Gewaltlosigkeit (avihiṃsā),

    • durch Liebe (mettacitta),

    • durch [An-]Teilnahme (anudaya).

    So, ihr Mönche, achtet man, auf den anderen achtend, auf sich selber.