Hallo Dharma Buddy.
Danke für Deine ausführliche Antwort.
Die "Identifikation mit einem Label" ist keine Frage von Lifestyle sondern für die meisten queeren Menschen das Ergebnis eines oft schmerzhaften Prozesses der Selbstakzeptanz. Es ist sogar die Voraussetzung für eine Lebensgestaltung, von Liebe und Partnerschaften. Ich glaube, Du wirst in dem Heft einige Artikel finden, die sich damit beschäftigen.
Ich hatte geschrieben, dass es auch um Gruppenzugehörigkeit, milieu-spezifische Ästhetik und Lifestyle geht, da mir durchaus bewusst ist, dass es sich auch um einen schmerzhaften Prozess der Selbstakzeptanz handelt.
Vielleicht muss ich meinen eigenen Background etwas beleuchten: Meine Mutter hatte ihr coming out als ich zwölf war und zwar auf dem Land vor fast vierzig Jahren. Das war kein Vergnügen. Auch bei einem meiner bis heute besten Freunde aus der Jugendzeit habe ich den Prozess der Selbstfindung (er ist irgendwo zwischen homo und bi) und all die Probleme, die damit zusammenhängen, sehr genau und (wortwörtlich) hautnah miterleben dürfen . Schließlich waren und sind die Kunsthochschulen, wo ich studiert habe, Orte, an denen sexuelle Orientierung und Identität eine besondere Rolle spielen. Viele meiner Freunde und Bekannte dort würden sich irgendwo zwischen LGTBQ+ verorten. Ich selbst habe auch gesucht und vieles ausprobiert. Lange Zeit hat mich Geoge Bateille sehr fasziniert, denn je genauer ich mich mit meiner eigenen sexuellen Identität beschäftigt habe, desto vielfältiger und (nicht zuletzt) abgründiger wurde das, was ich vorgefunden habe. Mit anderen Worten: für mich ist die Präsenz von queeren Menschen tatsächlich totaler Alltag, fasst schon mein Leben lang. Dass ich selbst nicht queer bin... ich habe meine eigene Sexualität als schillernd erlebt, und würde mich auch einer Zuschreibung von hetero oder bunt oder sonstwas verweigern.
Identität ist daher für mich etwas, das nie den gegenwärtigen Status meiner Person beschreibt. Es ist eine Erzählung, die ich mir von mir selbst mache, wenn ich vergangene Erfahrungen und Vorstellungen zu einer "Persönlichkeit" zusammensetze. Aber das ist nichts festes, unveränderliches, und meist ist die Erzählung ohnehin unvollständig und über weite Teile falsch. Daher glauch ich nicht, dass Identität "die Voraussetzung für eine Lebensgestaltung, von Liebe und Partnerschaften ist". Im Gegenteil. Liebe und Partnerschaft gedeihen dort, wo Identität zu Beziehung wird – zu einem Sich-in-Beziehung-setzen. Das ist ein Zustand, in dem das, was ich bin, nicht länger von Vorstellungen, dieser oder jener zu sein, und daraus resultierenden Erwartungen an mich oder andere geprägt wird, sondern von meiner Beziehung zur Wirklichkeit. Ändert sich die Wirklichkeit, verändere ich mich – verändere ich mich, verändert sich die Wirklichkeit.
Sicher ist es wichtig, dass Menschen herausfinden, wer sie sind, dass sie vielleicht auch soetwas wie eine Identität entwicklen. Aber mindestens genauso wichtig ist es, da nicht stehen zu bleiben. Wenn Menschen nach ihrer Identität suchen, und das habe ich bei mir und vielen anderen erlebt, so ist das ein Prozess, der vor allem auf Trennung und Abgrenzung ausgerichtet ist: Ich bin anders als andere Menschen. Das hat zumindest bei mir dazu geführt, dass ich andere gesucht habe, die ähnlich anders waren wie ich – und Leute verachtet habe, die nicht so waren wie ich oder das neue Gruppen-Wir, dem ich mich zugehörig gefühlt habe. Es gab Codes und Klamotten, bestimmte Gewohnheiten und Musik, die definiert haben, wie anders wir waren. Das habe ich auch bei meinen Freunden aus der LGTBQ+ Gemeinde genau so erlebt. Dort gab es ebenso Gruppenidentifikationen, die andere ausgeschlossen haben, ganz einfach, weil da unter anderem Themen verhandelt wurden, an denen andere keinen Anteil haben sollten und vielleicht auch nicht konnten. Als Mensch, vor allem als Künstler, ist es scheinbar ungeheuer wichtig eine Persönlichkeit zu haben, einen Stil, eine Form von definierbarem Produkt und Sein. Soweit so gut...
Aus der Lehre des Buddha habe ich etwas für mich wichtiges mitgenommen: Identität ist eine leiderzeugende Illusion. Das, was ich bin, entsteht in jedem Augenblick neu aus Ursachen und Umständen, aus Beziehungen zur Wirklichkeit. Eine Kontinuität gibt es nur aufgrund von Vorstellungen und Gewohnheiten, die aber über weite Teile illusionär, leidhaft und veränderbar sind. Das ist eine ungeheuer entlastende Erkenntnis. Ich bin persönlich heilfroh, dass ich niemand mehr sein muss, dass es einfach unwichtig ist, wer oder was ich bin.
Ich persönlich halte es für völlig unrealistisch zu glauben, wir Menschen seien frei von Identitäten oder könnten sich davon befreien. Das würde ja im Endeffekt auch bedeuten, große Teile unserer Kultur zu transzendieren. Wir uns vielleicht als "aufgeklärt", "demokratisch", "Buddhist:in", "hetero", "schwul", "Ehemann", "Vater" usw.
Genau das bedeutet es auch. Wir Menschen sind nicht frei von Identitäten, aber wir können es bis zu einem gewissen Grad werden. Es ist völlig unbedeutend, ob Du Dich als "aufgeklärt", "demokratisch", "Buddhist:in", "hetero", "schwul", "Ehemann", "Vater" bezeichnest. Das sind alles lediglich Vorstellungen, die nur in Relation zu anderen Vorstellungen Wirklichkeit entwickeln. Entscheidend ist, wie Du im jeweiligen Augenblick handelst.
Zitat Eine Identität z.B. als "Ehemann" bedeutet, sich zu einer Beziehung zu bekennen, Verantwortung zu übernehmen, das Leben auf eine langfristige Beziehung zu zweit auszurichten.
Das hat mit dem Label "Ehemann" nichts zu tun, sondern damit, mit einem anderen Menschen in eine Beziehung zu treten, bei der die sogenannte "Identität" vor dem In-Beziehung-Sein in den Hintergrund tritt. Sich also immer wieder wieder neu in der Beziehung mit dem anderen verändern lassen.
Wir können aber nicht auf die Label verzichten. In dem Heft schreiben vier Menschen, die sich als nicht-binär definieren, u.a. ein Monastic. Was würde denn passieren, wenn wir auf die Label verzichten? Gerade dieser Aspekt wird unsichtbar. Zurück bleiben nur die Kategorien unser Kultur, die christlich geprägt ist: "Gott schuf den Menschen als Mann und Frau". Für alles andere hat unsere Kultur noch nicht mal Begriffe.
So, so. Weil die beiden Label "Mann" und "Frau" also zu eingrenzend sind, ist es sinnvoll, einfach noch ein paar neue zu erfinden? Gerade die Label, die Vorstellungen und Kategorien sind es doch, die uns eingrenzen, unfrei machen und determinieren. Lies mal "Sexualität und Wahrheit" von Michel Foucault. Foucault analysiert hier sehr anschaulich, wie man angefangen hat im späten 18. Jahrhundert (bis heute) in der Psychologie Sexualität in verschiedene mehr oder weniger pathologische Kategorien zu unterteilen. Und das diente und dient vor allem einem Zweck: die Gesellschaft (die kapitalistische Macht bei Foucault) bekommt Kontrolle über den freien (und somit bedrohlichen und nutzlosen) Sex, und kann sich so diese stärkste aller Energieen im kulturellen und wirtschaftlichen Wertschöpfungsprozess dienlich machen. Begriffe sind sehr ambivalente Erfindungen: So nützlich sie auch sind, Sachverhalte zu benennen, so leiderzeugend sind sie, wenn sie dazu führen, dass ich sie mit der Realität verwechsele.
Hier die Bunten, da die Grauen. Hier die Homos, die Heteros. Hier die Norm, da die Abweichung. Genau das führt zu Leid, Aggression und Trennung. Dabei sind das nur Begriffe, die einzig eine relative Bedeutung haben.