Beiträge von Helmut im Thema „Der Begriff " Shunyata" und über das Wesen der Realität ( Fragen)“


    Aber in dem "Leerem " Geist es gibt doch keine "Unwissenheit".

    Wenn wir von der Leerheit des Geistes sprechen, geht es doch nicht um Frage was oder wie viel ist in unserem Geist vorhanden oder nicht. Die Leerheit des Geistes ist seine Natur, die darin besteht, leer oder frei von Eigenexistenz zu sein. Da unser Geist ein abhängiges Phänomen ist, kann er keine Eigenexistenz besitzen. Ein Geist, der aufgrund von Eigenexistenz besteht, kann nicht beeinflusst werden, aber wir wissen aus eigener Erfahrung, dass er beeinflussbar ist.


    Unwissenheit, Gier, Hass, aber auch Liebe, Mitgefühl oder Weisheit existieren für uns nur in diesem unseren abhängig bestehenden Geist. Weil er ein abhängiges Phänomen ist, können wir die Unwissenheit, den Hass, die Gier und all die anderen negativen Geistesfaktoren mit den jeweiligen Gegenmitteln schrittweise überwinden und so die Beendigung aller Leiden samt ihren Ursachen verwirklichen, also die dritte edle Wahrheit realisieren.

    "Es gibt viele Arten von dualistischen Erscheinungen. Eine ist die Erscheinung von konventionellen Phänomenen. Eine andere ist die Erscheinung von Subjekt und Objekt als weit voneinander entfernten und getrennten Entitäten. Eine weitere ist ist die Erscheinung emes Begriffsbildes. Wieder eine andere ist die Erscheinung von inhärenten Existenz."

    Diese dualistischen Erscheinungen von denen der Dalai Lama spricht, sind Aspekte des konventionellen Bewusstseins. Diese dualistischen Erscheinungen sind Täuschungen, weil sie uns daran hindern, die Phänomene so zu sehen wie sie wirklich sind. Diese dualistischen Erscheinungen gibt es nur im Zusammenhang mit dem konventionellen Bewusstsein.


    Auch einem Bewusstsein, das schon eine gute begriffliche Erkenntnis der Leerheit (sunyata) erlangt hat, erscheinen in der tiefen Meditation über die Leerheit diese Dualismen nicht mehr. Auch einem Bewusstsein, dass eine unmittelbare Einsicht in die Leerheit hat, erscheinen sie nicht mehr.


    Die Überwindung der dualistischen Erscheinung bedeutet, Täuschungen des eigenen Bewusstseins zu überwinden. Wenn wir die Täuschungen unseres Bewusstseins aufgeben, dann verschwindet ja unser Bewusstsein nicht. Durch das Aufgeben der getäuschten Sichtweisen geben wir ja nicht unsere Wahrnehmungsobjekte auf, sondern wir erfassen sie dann so wie sie wirklich bestehen.


    Ein von Täuschungen befreites Bewusstsein bleibt weiterhin ein Bewusstsein und hat deshalb auch weiterhin seine Wahrnehmungsobjekte. Ohne Wahrnehmungsobjekte würde es ja kein wahrnehmendes Bewusstsein geben; ohne wahrnehmendes Bewusstsein würde es aber auch keine Wahrnehmungsobjekte geben. Mit dem Überwinden der dualistischen Erscheinungen im eigenen Geist verschwindet weder Subjekt noch Objekt.

    Diesen Widerspruch gibt es nicht, denn die Befleckungen unseres Geistes, die Unwissenheit, Gier, Hass und weitere Leidenschaften, sind keine materiellen Phänomene, sondern geistige und somit auch immateriell.

    Unser Geist ist durch drei wesentliche Merkmale gekennzeichnet:

    • Er ist klar. Das heißt er ist immateriell wie Rudolf schon gesagt hat.
    • Er ist ist erkennend. Das heißt durch ihn nehmen wir unsere Welt wahr und erkennen sie.
    • Er ist leer von inhärenter Existenz. Das ist seine Leerheit, die er seit anfangsloser Zeit besitzt.

    Aus dem letzten Punkt ergibt sich, dass unser Geist ein anhängig existierendes Phänomen ist, das keinerlei absolute Charakteristika besitzt.


    Aufgrund unserer Unwissenheit, die seit anfangsloser Zeit in unserem Geisteskontinuum tief verankert ist, ist der Geist, den wir in unseren samsarischen Existenzen besitzen, befleckt. Das heißt er ist mit Leidenschaften (klesas) verbunden und die führen zu unseren Leiderfahrungen. Die durch Unwissenheit bedingten Leidenschaften sind aber kein natürlicher Bestandteil unseres Geistes. Sie sind Geistesfaktoren, die jetzt zwar mit unserem Geist verbunden sind, aber weil sie keine natürlichen Bestandteile unseres Geistes sind, können wir sie von unseren Geist; und zwar mittels des achtfachen Pfades.


    Deshalb gibt es den von dir, Igor, vermuteten Widerspruch nicht.

    Wenn die Ablehnung des Leides eine Form des Leidens ist, dann müsste man das Leiden befürworten.

    Ist das so, folgt der zweite Satzteil aus dem ersten?


    Ich würde den Begriff 'annehmen' (oder 'akzeptieren') bevorzugen, das ist etwas anderes als befürworten.

    Wenn man nicht leiden möchte, muss man die Ablehnung des Leidens aufgeben, weil dies ja Leiden ist. Das kann ja nur dadurch geschehen, dass man das Leiden annimmt, befürwortet oder akzeptiert.

    Helmut


    wenn der Baum von unserer Benennung, von unserer Interpretation abhängig ist, warum gilt dann deine Aussage : "aber alle abhängig bestehenden Phänomene existieren ja real und sind keine gedanklichen Fiktionen" ?

    Die abhängigen Phänomene unserer Welt sind ja Phänomene, die es tatsächlich gibt, und nicht irgendwelche Gedankenfiktionen sind.


    Die Phänomene der Welt in der wir leben gibt es ja wie zum Beispiel deine Wohnung oder deine Kleidung. Beim abhängigen Bestehen (pratityasamudpada) geht es nicht darum ob es die Phänomene, die wir unserer Welt erleben gibt oder nicht, sondern darum wie die Phänomene, die wir erleben, existieren.


    Der Baum ist eben nicht nur von unserer Benennung abhängig, aber auch. Dies ist nur ein Aspekt seines abhängigen Bestehens. Genauso ist er auch von seinen Ursachen und Bedingungen und seinen verschiedenen Teilen abhängig. Alle drei Aspekte des abhängigen Bestehens eines Phänomens sind immer gleichzeitig gegeben.

    Ich gehe jetzt erst einmal nur auf deine erste Frage ein, denn sonst würde der Beitrag zu lang und ich mag keine langen Beiträge.


    Das mit der Leerheit (sunyata) ist nicht so ganz einfach und ruft auch immer wieder Verunsicherung hervor. Mein Lehrer empfielt immer, wenn man mit Leerheit noch nicht so recht zu Rande kommt, sollte man sie erst einmal beiseite lassen. Deshalb beschränke ich mich jetzt auf das abhängige Bestehen (pratityasamudpada).


    Der Baum, den du genannt hast, ist ein abhängig bestehendes Phänomen, weil er

    • durch vielfältige Ursachen und Bedingungen entstanden ist; aus einem Samen und mitwirkenden Bedingungen wie Erde, Nährstoffe, Licht, Wärme, Wasser; er ist zum Beispiel auch von den Pilzgeflechten abhängig, die sich sich mit den Baumwurzeln verbinden und die Nährstoffaufnahme unterstützen;
    • als Ganzes von seinen Teilen abhängig ist. Der Baum existiert nur, weil er Wurzeln, Stamm, Äste, Zweige, Blätter usw. besitzt;
    • weil er von unserer Benennung abhängig ist. Wenn wir nichts als Baum interpretieren, benennen, gibt es für uns keinen Baum.

    Der Baum, der in unserem Garten steht, ist also von vielen Faktoren abhängig, die nicht der Baum selber sind. Er ist allerdings nicht davon abhängig, ob er sich in einem See widerspiegelt.


    Diese drei Punkte kann man für die Analyse aller Phänomene anwenden; nicht nur in Bezug auf materielle sondern auch in Bezug auf geistige Phänomene und auch auf die Person, denn auch diese ist lediglich ein abhängiges Phänomen; aber alle abhängig bestehenden Phänomene existieren ja real und sind keine gedanklichen Fiktionen.

    Igor07 ,

    zu deiner Bitte, die du mir per PN geschickt hattest:


    Weiter vorne gab es einen Beitrag in dem auf Faust angespielt wurde, der nach dem suchte was das Innerste der Welt zusammenhält. Ich würde mal sagen, dass es das abhängige Entstehen (pratityasamudpada) ist. Wenn du im zweiten Teil deines Threadtitels nach dem Wesen der Realität fragst, dann würde ich sagen: Das abhängige Entstehen und die Leerheit sind das Wesen der Realität, sie sind das was die Realität ausmacht.


    Die Realität besteht gerade darin, dass alle Phänomene in Abhängigkeit existieren und deshalb leer von inhärenter Existenz sind. Weil alle Phänomene ohne Ausnahme leer von inhärenter Existenz sind, bestehen sie alle ausschließlich in Abhängigkeit.


    Deshalb ist Wandel, Veränderung möglich. Deshalb funktionieren die vier edlen Wahrheiten und das Gesetz von der ursprünglicher Entstehung (auch als 12 Glieder des abhängigen Entstehens übersetzt). Das hat zur Folge, dass es möglich ist Samsara zu überwinden und Freiheit von allen Leiden und deren Ursachen vollständig zu verwirklichen durch den achtfachen Pfad.