Beiträge von Sudhana im Thema „Relative und absolute bzw. letztendliche Wahrheit“

    Viel Dank, mukti , für Deine wichtige Anmerkung. Ich bin in Diskussionen schon gelegentlich auf die unrichtige Vorstellung gestoßen, das Schema der zwei Wahrheiten sei eine 'Spezialität' des Mahāyāna. Jedoch ist das Verständnis (sofern überhaupt vorhanden) dieser beiden Traditionen unterschiedlich, was man beim Dialog zwischen Theravadin und Mahāyānin beachten sollte. Grundsätzlich geht es um die sprachlichen Ausdrucksmittel in der Kommunikation des Buddhadharma - und da ist beim Theravada zwischen der konventionellen Sprache einerseits (die uns in den Sutten des Palikanon überwiegend begegnet) und der philosophisch-psychologischen Fachsprache des Abhidhamma andererseits zu unterscheiden.


    Dieses Konzept der 'zwei Wahrheiten' erfuhr durch Nagārjuna (vgl. insbes. MMK 24.8 - 24.12) eine Wandlung des Verständnisses, das zu einem Merkmal mahāyānischer Traditionen wurde. Durch seine Methode der logischen Dekonstruktion zeigte er auf, dass philosophische Konstrukte, wie sie insbesondere im Kontext der dharma-Theorie diskutiert wurden (und in den Abhidhamma / Abhidharma - Texten der diversen Kanones ihren Ausdruck gefunden hatten), eben auch nur dies sein können: Konstrukte, 'entfaltete [Vorstellung]', prapañca. 'Wahrheit' im Sinne des Übereinstimmens von Aussagen mit dem So-Sein ihres Objektes ist nach diesem Verständnis etwas, das sich grundsätzlich sprachlichem Ausdruck und logisch-diskursivem Erfassen gänzlich entzieht.


    Trotzdem ist diese Wahrheit nicht völlig unkommunizierbar. Was sich kommunizieren lässt, sind dṛṣṭi: Ansichten. Ansichten basieren immer auf einer Perspektive (einer Subjekt-Objekt-Beziehung) und diese Perspektive wiederum ist die Relation des Ansehenden auf etwas Angesehenes. Diese Relation lässt sich sprachlich ausdrücken - und wenn das 'Angesehene' die Wahrheit, paramārthasatya, ist, dann haben wir im Ausdruck eine relative Wahrheit, saṃvṛtisatya. Wenn.


    Festzuhalten ist, dass in beiden Traditionen beide Wahrheiten nicht als widersprüchlich angesehen werden - aber zu beachten ist bei relativen Wahrheiten eben die Relation. Wobei ein nicht unwichtiger Teil dieser Relation das Eingehen auf den Empfänger der relativen Wahrheit ist. Übrigens ist das auch der Grund, warum zur Einleitung einer Sutte standardmäßig die Einführung in die Situation gehört, in der sie gesprochen wurde. Insbesondere die soziale Funktion und damit der Verständnishorizont des oder der Belehrten (Bhikkus, Brahmanen, Adlige, Kaufleute, Jäger, Holzfäller usw. usf.) ist für die Gestaltung der 'Botschaft' von Belang - was dem Leser oder Hörer Hier und Jetzt (idR kein Bhikku, Brahmane, Adliger ...) auch ein gewisses Einfühlungsvermögen abfordert. Genau da liegt die Fallgrube des Fundamentalismus. Diese Notwendigkeit der 'Gestaltung' ist übrigens auch der Ansatz, aus dem im Saddharma Puṇḍarīka Sūtra das didaktische Konzept der 'geschickten Mittel' (upāyakauśalya) entwickelt wurde.


    Mit 'Samsara' oder 'Nirvana' hat das alles erst einmal gar nichts zu tun. Es geht lediglich darum, wie man über das Unaussprechliche spricht.


    _()_