Beiträge von void im Thema „Koans bei Kafka?“

    Ich habe ja in meinem Eingangsposting geschrieben, ob die Erzählungen den Sinn von Koans nahekommen. Ich wollte daraus nicht wirklich Koans machen.

    Ein Koan ist etwas, was einen mit der Nase auf die Unhaltbarkeit der eigen Sicht stößt und so zu deren Überwindung führt. Es ist etwas, was die "Große Frage von Leben uns Tod" so auf den Punkt bringt, dass es schmerzt. Von daher ist da sowohl in der Situation mit der Maus als auch in der Besessenheit des Professors mit Kreisel etwas davon vorhanden. Da hast du vollkommen recht.


    Aber irgendwie auch nicht, weil beide in sich abgeschlossen sind. Sie handeln eher von einer Frage als eine zu sein. Für den Professor ist der Kreisel vielleicht ein Koan aber nicht für mich als Leser. Von daher kann ich es nicht als solchen verwenden.

    Ein Koan, das auch tatsächlich im Zen Anwendung findet, bleibt doch trotzdem dem Zen zugehörig und Kafka nicht, wenn ich da Parallelen finde, void.


    Dein einleitender Satz hat mich jetzt gerade daran erinnert, dass ich es als Kind nicht gut haben konnte, wenn sich die Speisen auf dem Teller vermischten. Alles musste einzeln für sich liegen. Kartoffeln, Gemüse, Fleisch. Es war "schrecklich" für mich, dass die Soße vom Fleisch zum Gemüse floss.

    Ich denke, dass ist nicht der Punkt. So wie es Koans nach dem Muster "Wenn du X tust, schlage ich dich! Wenn du X tust, schlage ich dich. Was tust du!" kann man sich auch die Geschichte von der Maus als etwas vorstellen, was man als Koan verwenden kann: "Maus! Wenn du nach links läufst, läufst du in die Falle! Wenn du nicht nach links läuft, frißt dich die Katze! Wohin läufst du!" vorstellen. Wenn Kafka seine Geschichte als Koan intendiert hätte, hätte er sie vielleicht so formuliert.


    Der Punkt ist: Er hat das nicht. Eine Fledermaus ist kein mißglückter Vogel und ein Pinguin kein mißglückter Fisch. Es ist etwas anderes, etwas was vielleicht seine eigene Geschichte hat. Die Maus weiss das die Falle ihr Schicksal ist, sie zögert aber ihr Schicksal anzunehmen, sie schrickt aber davor zurück. Mich erinnert dass an Hiob:


    Auch Hiob blickt auf eine "Falle": Auf tote Diener, gestohlenes Vieh, Schmerzen, Einsturz, den Verlust seiner Kinder. Aber weil er trotz all dem sein Vertrauen in Gottes Wege nicht verliert und offenen Herzens in die Falle geht, erwischt ihn der Teufel nicht. Während die Maus bei Kafka, weil sie nicht gottesfürchtig vertraut, Opfer der Katze wird.


    Falle und Katze sind hier nicht symmetrisch!


    Für mich ist es ein Reichtum, dass es unterschiedliche spirituelle Ansätze gibt. Und ich sehe es als problematisch an, wenn man im einem eine verkorkste Version andere sieht. Wenn man in "Dukkha" ein mißglücktes Konzept von "Erbsünde" sieht oder eben aus einer geglückten Geschichte aus der chassidischen Tradition einen seltsamen Koan macht.

    Ich finde es nicht gut, alles mögliche als "Koan" zu bezeichnen. Ein Koan ist ja eine ganz bestimmte Praxis mit einem Lehrer im Buddhismus.


    Auf der anderen Seite gibt es auch wo anders eine tiefe Beziehung zwischen dem Religiösen und dem Paradoxen.


    Diese hängt wohl damit zusammen, dass die normale Sicht des Menschen so weit von der Realität entfernt ist, er sich also in einer "unhaltbaren Situation" befindet. Und da gibt es immer wieder Geschichten, die diese "unhaltbare Situation' auf den Punkt bekommen.


    Im Christentum gibt es beispielsweise die Geschichte vom "Augustinus und den Knaben".

    Man erzählt von ihm, dass er, zu der Zeit, als er das Buch „De Trinitate“ vorbereitete, an einem Strand entlang ging. Da erblickte er einen Knaben, der eine kleine Grube im Sand gemacht hatte und mit einem Löffel Wasser aus dem Meer schöpfte und in die Grube goss. Als Augustinus ihn fragte, was er da mache, antwortete der Knabe, er habe vor, mit dem Löffel das Meer trockenzulegen und in die Grube zu füllen. Augustinus erklärte, das sei unmöglich, und lächelte über die Einfalt des Knaben. Der aber erwiderte ihm, eher sei es für ihn möglich, das fertigzubringen, als für Augustinus, in seinem Buch auch nur den kleinsten Teil der Geheimnisse der Dreifaltigkeit zu erklären. Und er verglich die Grube mit dem Buch, das Meer mit der Dreifaltigkeit und den Löffel mit dem Verstand des Augustinus. Danach entschwand er. Da ging Augustinus in sich, betete und verfasste danach, so gut er konnte, das Buch über die Dreifaltigkeit.“

    Es läuft also darauf hinaus, wie beschränkt unser Denken ist und wie wenig und wie falsch es die Wirklichkeit erfasst. Etwas was Augustinus zur Demut anhält.


    Im Sufismus findet man in Geschichten von Mullah Nassrudin ähnlich Beispiel und im Judentum in vor allem in der Tradition der Chassidim, der auch Kafka sich verbunden fühlte.


    Zuflucht nimmt Kafka dann 1915 öfters auch bei Georg Mordechai Langer, einem Prager Juden, der jahrelang das Leben eines „Chassiden“ zu führen versuchte. Mit ihm besucht Kafka einen Wunderrabbi, dessen Lehrreden er im Tagebuch nacherzählt.

    Vor dem Betreten des Allerheiligsten musst du die Schuhe ausziehen, aber nicht nur die Schuhe, sondern alles, Reisekleid und Gepäck, und darunter die Nacktheit, und alles, was unter der Nacktheit ist.

    Während der Leser bei Kafkas Geschichten ein wenig mit der Absurdität sitzengelassen ist, schließt sich für ihn da eine Praxis an.


    Und so endet ja ein Koan nicht beim Absurden sondern fängt da an und mündet in eine "Koanarbeit".