Beiträge von Sudhana im Thema „Die Lehrrede an die Kālāmer in chinesischer Tradition“

    Leider funktioniert der Link auf Pattons Übersetzung von MA.16 nicht (mehr?). Soweit ich sehe, wird die Fragestellung der Kalamer dort im wesentlichen mit einer Erläuterung insbesondere der ethischen Teile des achtfachen Pfades beantwortet; einen Verweis speziell auf die Praxis der brahmavihāra / apramana sehe ich da auf Anhieb nicht, was mich noch eher überrascht hat als die fehlende Empfehlung kritischer Prüfung durch eigene Erfahrung


    Nun liegt beides - śīla und apramana - inhaltlich ja nicht so weit auseinander. Bemerkenswert scheint mir aber doch in der Paliversion der Verweis auf eine bhāvanā-Praxis zur ethischen Kultivierung anstelle der śīla. Es wäre natürlich interessant zu wissen, welche Textfassung nun die ältere ist - anders gesagt, welche der beiden Fassungen stärker redigiert ist. Ich tippe auf den Palitext als eine jüngere Version - wobei ich die inhaltliche Entwicklung, die da stattgefunden hat, durchaus positiv empfinde. Anders herum - wenn denn der aus dem Kanon der Sarvastivadin stammende (ins Chinesische übersetzte Text) der jüngere wäre, würde ich diese (zumindest auf einer gemeinsamen mündlichen Überlieferung beruhende) Entwicklungslinie als 'Verflachung' der ursprünglichen Aussage ansehen. Insgesamt scheint mir auch die Argumentation in der Pali-Version stringenter, 'ausgearbeiteter', was für mich auf eine spätere Textstufe hindeutet. Ich ginge sogar so weit, aus der Ermutigung zur kritischen Prüfung von Lehren einerseits und der Empfehlung einer 'laientauglichen' bhāvanā-Praxis andererseits (statt Laien im wesentlichen auf dāna zu verweisen) einen Einfluss früher 'mahayanischer' Ideen bzw. eine Reaktion auf Kritik von dieser Seite insbesondere hinsichtlich Einbeziehung von Laien herauszulesen. Dass sich das Mahāyāna erst deutlich nach der schriftlichen Fixierung des Palikanon 'formierte', ist mir natürlich bekannt.


    Interessant natürlich auch, dass beide Paralleltexte nicht einmal in 'parallelen' Körben tradiert wurden - der Mādhyamāgama entspräche ja eigentlich dem Majjhima Nikāya, dem Anguttara Nikāya wiederum entspräche eher dem Ekottarāgama. Ein weiteres Indiz dafür, dass beide Texte bis zur Verschriftlichung eine schon längere Zeit getrennte Entwicklung genommen hatten.

    Das wofür die Pali-Lehrrede oft herhalten muss, ist in der chinesischen Lehrrede nicht vorhanden.

    Ja, offensichtlich nicht. Wobei ich denke dass bei der Pali-Lehrrede ursprünglich nicht beabsichtigt war auszudrücken dass sich jeder ausschließlich auf seine eigene Erkenntnis stützen sollte.

    Ich empfinde es auch so, dass dieses Sutta nicht eigentlich als 'Hohelied' kritischer Überprung gedacht war, auch wenn sich die entsprechende Passage ("Geht nicht, ihr Kalamer ...") natürlich bei vielen Gelegenheiten als Zitat anbringen lässt. Ich habe dieses Sutta immer so verstanden, dass es dabei darum geht, nichtbuddhistischen Laien (in diesem Fall den Kalamern) weltanschaulich neutral eine Quelle der Erkenntnis aufzuzeigen, die sie selbst nutzen können: die Praxis der vier brahmavihara und die Beobachtung ihrer Auswirkungen.