Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Alles brennt -Firesutta (SN 35.28)“

    Aber es kann auch zu innerer Ruhe und Ausgeglichenheit führen.

    Ja, klar, zumindest so lange nichts dazwischen kommt, was das ausgeklügelte System aus Wünschen, Abneigungen und Vorstellungen, was denn ein ausgeglichenes Leben ausmacht, aus dem Gleichgewicht bringt: z.B. Alter, Krankheit und Tod. Oder, um es eine Nummer kleiner zu machen: einfache Gewöhnung. Alle Menschen (ich auch) umgeben sich (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) mit Dingen, Gewohnheiten und Regeln, die möglichst wenig Leid und möglichst viel Freude bereithalten. Würde das auf Dauer funktionieren, wäre die buddhistische Lehre überflüssig.


    Das besondere ist ja, dass die buddhistische Lehre einen Weg darstellt, der das Wohlbefinden von Begehren, Abneigungen und äußeren Bedingungen weitgehend unabhängig macht. In Relation zu dieser Form des Wohlseins, sind die ständigen Versuche, das Feuer von Begehren und Abneigungen zu bekämpfen, sehr unbefriedigend. Buddha drückt das so aus:


    Zitat

    " Māgandiya, früher, als ich ein Leben zu Hause führte, vergnügte ich mich, versorgt und ausgestattet mit den fünf Strängen sinnlichen Vergnügens: mit Formen, die mit dem Auge erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen; mit Klängen, die mit dem Ohr erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen; mit Gerüchen, die mit der Nase erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen; mit Geschmäckern, die mit der Zunge erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen; mit Berührungsobjekten, die mit dem Körper erfahrbar sind, die erwünscht, begehrt, angenehm und liebenswert sind, die mit Sinnesgier verbunden sind und Begierde hervorrufen. Ich hatte drei Paläste, einen für die Regenzeit, einen für den Winter und einen für den Sommer. Ich hielt mich die vier Monate der Regenzeit über im Regenzeit-Palast auf, vergnügte mich mit Musikern, die alle Frauen waren, und ich ging nicht zum unteren Palast hinunter."


    "Bei einer späteren Gelegenheit, nachdem ich den Ursprung, das Verschwinden, die Befriedigung, die Gefahr und das Entkommen im Falle der Sinnesvergnügen der Wirklichkeit entsprechend kannte , überwand ich das Begehren nach Sinnesvergnügen, entfernte ich das Fieber nach Sinnesvergnügen, und ich verweile ohne Durst, mit einem Geist, der inneren Frieden hat. Ich sehe andere Wesen, die nicht frei von Sinnesbegierde sind, die vom Begehren nach Sinnesvergnügen verzehrt werden, die vor Fieber nach Sinnesvergnügen brennen, die in Sinnesvergnügen schwelgen, und ich beneide sie nicht, auch ergötze ich mich nicht daran. Warum ist das so? Māgandiya, weil es eine Freude gibt, abseits von Sinnesvergnügen, abseits von unheilsamen Geisteszuständen, welche himmlische Glückseligkeit übertrifft. Da ich mich an jenem erfreue, beneide ich nicht, was geringer ist, auch ergötze ich mich nicht daran."


    Quelle

    Wenn ich hier zum Beispiel lese, dass alles brennt und juckt dann fasse ich das als einen persönlichen Kommentar zu einer eigenen Erfahrungswelt auf. Die weiteren Zeilen dazu passen ja auch zu einer depressiven Episode

    Das ist keine depressive Episode. Das ist das normale Leben, wie es eben ist. In Relation zur Stille wird das Wünschen, Wollen, Nicht-Wollen und Planen zum Lärm. Ich laufe, ohne es zu merken, das ganze Leben mit einem schweren Rucksack herum, erst wenn ich ihn einmal kurz absetzen durfte, merke ich, wie schwer er zuvor immer schon gewesen ist:


    Zitat

    3. "Die Last will ich euch zeigen, ihr Mönche, den Träger der Last, der Last Aufladen und der Last Abwerfen. So höret und achtet wohl auf! Ich werde sprechen.


    4. Was nun, ihr Mönche, ist die Last? 'Die fünf Gruppen des Anhangens', so wäre zu antworten. Welche fünf? Es sind dies die Gruppen des Anhangens: Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen, Bewußtsein. Das, ihr Mönche, wird die 'Last' genannt.


    5. Und was, ihr Mönche, ist der Träger der Last? Das 'Individuum', so wäre zu antworten; nämlich dieser oder jener Ehrenwerte solchen Namens, solchen Geschlechtes [73]. Das, ihr Mönche, wird 'Träger der Last' genannt.


    6. Und was, ihr Mönche, ist das Aufladen [74] der Last? Es ist dieses Begehren, das Wiedergeburt erzeugende, mit Lust-Gier verbundene, hier und dort sich ergötzende, nämlich das Begehren nach Sinnlichkeit, nach Dasein, nach Nichtsein. Das, ihr Mönche, wird 'Aufladen der Last' genannt.


    7. Und was, ihr Mönche, ist das Abwerfen der Last? Es ist eben dieses Begehrens restlose Aufhebung und Vernichtung, die Entsagung, Entäußerung, Erlösung, die Haftensfreiheit. Das, ihr Mönche, wird 'Abwerfen der Last' genannt.'


    Quelle


    Erst in Relation zum freien Atmen wird die Beklemmung spürbar, die selbst die erfüllten Wünsche durchdringt. Aber es braucht leider viel Übung, Achtsamkeit, Kraft und Disziplin, diese Freiheit im Alltag zu kultivieren, vor allem als "Haushälter". Auch wenn manchmal kleine Löcher in der Dunkelheit sind, sind Verwirrung und Unfreiheit doch sehr stark.

    Alles brennt. Wenn ich meinen Alltag betrachte, so fällt mir auf, dass ich ständig von irgendetwas getrieben werde, um großes und kleines und kleinstes Unwohlsein zu vertreiben. Damit meine ich nicht irgendwelche großen Ziele oder Aktionen, sondern das kleine, kleinste ruhelose und unablässige Abändern dessen, was gerade ist.


    Beispiel: Ich sitze auf einem Stuhl. Kaum ein paar Sekunden vergehen, so wird die Sitz-Haltung leicht unangenehm, sodass ich eine andere Haltung einnehme. Immer wieder kommen mir während dieses Gezappels Ideen, was ich tun könnte: Jetzt einen Kaffee, einen Tee vielleicht? Etwas lesen? Zu warm, zu kalt, zu lau, zu wenig lau? Diese Musik, jene Musik, Stille, ein Hörbuch, etwas arbeiten? Einen Spaziergang, etwas im Netz anschauen, YouTube, eine Doku, etwas Buddhistisches, hier im Form etwas schreiben? Etwas essen, jemanden anrufen, duschen?


    Ständig spielt mein Hirn unbewusst und halbbewusst Möglichkeiten durch, das leichte Unbehagen, die Langeweile, die Abwesenheit von etwas Angenehmem, die Anwesenheit von etwas Unangenehmem zu verändern. Ständig kommen neue Assoziationen, neue Motivationen und Wünsche werden geboren... STÄNDIG, ohne Unterlass und zumeist unbemerkt! Und das schimpft sich dann "Freizeit". In dieser "Freizeit" bin ich nie frei. Irgendein Wunsch ist ständig da, und ich muss mich ihm gegenüber irgendwie verhalten: Ihn ignorieren oder erfüllen, ihn aushalten oder ihm nachgeben.


    Niemals ist Ruhe. Alles brennt und juckt und zieht und zerrt.


    Ausnahme: in der Meditation gibt es Sequenzen, wo keine neuen Wünsche geboren werden, wo alles ist wie es ist und gut ist. Das Ziehen und Zerren ist weg. Für ein paar Augenblicke bin ich nicht mehr am Motor von Wünschen, Abneigungen und unablässiger Suche nach einer vermeintlichen Verbesserung angeschlossen. Der Sog ist fort, das Feuer brennt nicht mehr so stark. Und mir fällt auf: Im Alltag brennt alles. Meine Welt, mein Wesen, mein Wünschen: Alles brennt!


    Buddha vergleicht dieses Getriebensein mit dem Zustand eines Leprakranken, der sich die Wunden an einem Kohlenfeuer ausbrennt und in diesem Schmerz des Ausbrennens Erleichterung (wir nennen das Glück) empfindet:


    Zitat

    Angenommen, Māgandiya, es gäbe einen Leprakranken mit Wunden und Blasen an den Gliedern, der, von Würmern zerfressen, mit den Fingernägeln den Schorf von seinen wunden Stellen kratzte und seinen Körper zur Erleichterung über einer Grube mit brennender Holzkohle einbrannte; je mehr er den Schorf abkratzt und seinen Körper einbrennt, desto fauliger, übelriechender und stärker infiziert würden seine wunden Stellen werden, und doch würde er ein gewisses Maß an Befriedigung und Vergnügen daran finden, seine wunden Stellen zu kratzen. Ebenso, Māgandiya, schwelgen Wesen, die nicht frei von Sinnesbegierde sind, die vom Begehren nach Sinnesvergnügen verzehrt werden, die vor Fieber nach Sinnesvergnügen brennen, dennoch in Sinnesvergnügen; je mehr solche Wesen in Sinnesvergnügen schwelgen, desto mehr wächst ihr Begehren nach Sinnesvergnügen an, und desto mehr werden sie von ihrem Fieber nach Sinnesvergnügen verbrannt, und doch finden sie ein gewisses Maß an Befriedigung und Vergnügen bedingt durch die fünf Stränge sinnlichen Vergnügens.


    Quelle


    Dumm ist, dass ich immer wieder ins unbewusste Getriebensein abdrifte, manchmal über Stunden und Tage. Nur die Meditation bringt manchmal kurzzeitige Unterbrechungen dieses Zustandes. Oder ich nutze die Meditation, um den derzeitigen Zustand zu unterbrechen, weil ich etwas Angenehmes von der Meditation erhoffe. Damit wird dann sogar die Meditation Gehilfe der Geistesgifte.


    :roll: