Beiträge von Bebop im Thema „Tenzin Palmo über Fleisch-essende (Laien), was haltet ihr davon?“

    Ich glaube, das Problem ist nicht verstanden. Das Hauptargument lautet, Tierleid zu beenden.


    Das Hauptanliegen der buddhistischen Übung ist die Erkenntnis der Leere und eine praktische Umsetzung dieser Erkenntnis oder des Erwachens.


    Eine flache Erkenntnis ist, nur bestimmte Lebewesen ins Blickfeld zu nehmen.


    Eine tiefere Erkenntnis wäre, jedes Lebewesen als individuelle Existenz zu erkennen (hier geht es noch nicht darum, ob das Lebewesen sich selbst als Ich erkennen kann, wie man das Delphinen, Menschenaffen usw. nachsagt, hier geht es darum, dass ich erkennen kann, wie eine Ameise - in meinem Beispiel - sich von einer anderen unterscheidet, und das geht weiter runter bis zu Bakterien, von denen ich freundliche und unfreundliche in meinem Körper habe).


    Dann gelangt man zur Erkenntnis, dass man auf dieser Ebene, um überleben zu können, ein Massenmörder an individuellen Existenzen ist (angefangen z. B. von Bakterien, von denen man die bösen etwa mit Antibiotika vernichtet, und zwar in Millionenzahl, eine Zahl, die man nie bei Hühnern oder Schweinen erreicht, selbst wenn man lebenslang jeden Tag zum KFC essen geht).


    So wie Palmo zu argumentieren bedeutet also, unwissend zu sein, und unachtsam zu sein, weil nicht erkannt wird, wo das eigentliche Morden stattfindet und dass es überlebensnotwendig ist. Was Palmo versucht, ist einer der Kardinalirrtümer buddhistischer Praxis, der Versuch einen edlen Menschen über ganz bestimmte Verhaltensweisen (und letztlich gedanklich gezüchtete Abneigungen) zu schaffen. Richtig wäre, zu erkennen, in welchen Zwängen ganz realistisch ein Menschenleben existieren MUSS, und diese in ein vernünftiges Verhältnis zu setzen. Dass wir Tiere aus der Massentierhaltung essen, ist deshalb ein Problem geworden, weil wir zu viele Menschen sind und zu wenig Ackerflächen haben, um all diese Tiere auf Dauer zu füttern. Es ist eben nicht vorwiegend ein moralisches Problem sondern eins der Überbevölkerung dieser Erde, weil diese Tiere, von denen hier die Rede ist und die für uns getötet werden, ohne unseren Esswillen nicht leben würden, und weil sie ganz offensichtlich leben wollen, weswegen es nicht per se falsch sein kann, sie ins Leben zu bringen. Aber auch sterben müssen, weswegen es nicht falsch sein kann, dass sie sterben. Es gibt in der Natur außer dem Menschen kein Wesen, das einen Anspruch auf natürlichen Tod erheben kann. Kein anderes Wesen tut dies. Darum ist es auch legitim, das eigens ins Leben gebrachte Wesen, das gegessen werden soll, dafür zu töten. Es lässt sich moralisch anzweifeln, aber nicht schlüssig genug widerlegen. Hingegen ist genau das Töten derjenigen Wesen, die wir nicht unbedingt zum Überleben töten - wie in meinem Beispiel die Ameisen -, fragwürdiger. Bei diesen Wesen müssten wir also viel genauer schauen, wann es angebracht ist oder nicht. Oder der Tatsache ins Auge sehen, wer wir wirklich sind. Wir sind nicht so edel wie Palmo meint sein zu können, wenn wir keine Tiere mehr essen. Das macht für unser Menschsein einen ganz marginalen Unterschied.


    Dann weicht man also auf ein Feld aus, das diskussionswürdig ist, weil die Tierhaltung zum großen Teil mangelhaft ist. Aber unser Anteil des Mordens ist daran vergleichsweise gering. Das Problem wird also völlig verzerrt, aufgeblasen. Wenn man einmal in dieser Denke drin ist, kommt man schwer wieder heraus. Da haftet sich dann schon beim Einkauf ein Gedanke an den anderen.

    Für mich hat sich damit bestätigt, wo ich ungefähr Tenzin Palmo verorte, denn es sind nicht ihre ersten "auffälligen" Aussagen. Es ist schon interessant, wenn zuerst ins Spiel gebracht wird, dass da doch eine erfahrene Praktizierende Bescheid wissen müsste. Aber über was? Weiß jemand, der 30 Jahre Silikon in Brüste einsetzte, wie man ein Auto repariert? Weiß jemand, der sich jahrelang in ein stilles Kämmerlein zurückgezogen hat, wie die Welt sich ernähren soll? Die Antwort sollte erstmal Nein lauten. Der Trugschluss läuft hier über die Schiene Mitleid. Nur weil jemand sich damit als Tugend beschäftigt hat, heißt das nicht, dass er oder sie die Bandbreite dessen ausschöpfte.


    Ich habe Vegetarismus am Anfang meiner buddhistischen Praxis einige Jahre lang durchgezogen, und das als jemand, der auf einem Bauernhof mit allerlei Dingen verwöhnt wurde in der Kindheit, Pferdesalami inklusive. Auch Ehrlichkeit ist eine Tugend, und darum muss ich erst mal sagen, dass es ein Verlust von Sinnenfreude ist. Es sind oft Asketen, die diesen Aspekt vernachlässigen, oder sie verweisen auf ein Anfängerniveau buddhistischen Verständnisses, wonach ja alle Sinnenfreuden selbstverständlich zu tilgen seien. Das bedeutet für mich, sich als Mensch so zu kastrieren, dass das Mitgefühl schon an der Behandlung der eigenen Person gescheitert ist. Es ist eine Entscheidung für ein archaisches Buddhismus-Verständnis. Um es mit Zen zu sagen, man zähmt den Ochsen, aber man geht nicht auf den Marktplatz zurück, sondern Tausende Kilometer weit, um einen rein vegetarischen Markt zu finden.


    Es hat sich für mich herausgestellt, dass es a) im Umgang mit Tieren keinerlei Unterschied für diese macht, ob ich welche (andere) gegessen habe, b) keinen Unterschied für mich macht in der Kommunikation und Zuwendung zu Tieren, c) nichts an meinem Mitgefühl für Menschen verändert hat. Die Tatsache, dass sich mir Dekaden nach dem Abbruch meiner vegetarischen Ernährung noch genauso, wahrscheinlich sogar intimer als früher, Tiere aus der Natur nähern, gibt mir da gewissermaßen recht. Demnach ist diese Frage ein reines Gedankenproblem, und um sie tiefer zu begreifen, sollte man sich vielleicht fragen, wer da überhaupt was und warum denkt. Man sollte genau begreifen, wann da wie ein Gefühl von Mitempfinden und eine Überzeugung wie die von Tenzin aufkommt. Und wenn man das kann, dann kommt man sehr wahrscheinlich eben nicht zu ihren Schlüssen, weshalb mein Entsetzen eher dahin geht, dass ich mit Tenzin mal wieder eine Praktizierende vor mir sehe, die ihre Geistesschulung wahrscheinlich nicht richtig machte. Nicht richtig ist, wenn am Ende ein ganz deutlicher Dualismus steht. Denn in ihren Aussagen ist ja nicht automatisch differenziert in die Problemfelder Massentierhaltung usf. Es handelt sich eher um ein Pauschalurteil, was also intellektuell unredlich ist UND von der Praxis her.


    Nun setze ich dem gern etwas Konkreteres entgegen. Ich habe heute mindestens 3 individuelle Leben ausgelöscht, nämlich kleine Ameisen, die neben meiner Tastatur auftauchten, obwohl ich schon die "Ameisenkreide" in deren Laufwege an der Wand rieb (was in der Regel für ein paar Wochen Ruhe sorgt). Dies dient meiner Zimmer- und Nahrungshygiene, ich will möglichst keine Insekten hier haben (einem Bekannten sind sie in sein Notebook rein). Draußen könnten sie von einem Beute machenden Tier getötet werden. Die Natur der Ameise ist ein solches Schicksal. Wenn Aliens kämen, die Menschen essen, würde sich z.B. unser Schicksal entsprechend ändern, dann wäre es ggf. die menschliche Natur, als Futter für Aliens herzuhalten oder als Ungeziefer zerdrückt zu werden. Die Geistesübung im Zen - und ich hoffe im übrigen Buddhismus - soll vor allem zu einer knallharten Erkenntnis von Realität führen.


    In einem weiteren Schritt kann man sich natürlich fragen, welche Alternativen es gibt, allerdings wird in solchen Threads regelmäßig bereits eine Prämisse vorausgesetzt, dass es nämlich nötig sei, diese zu finden. Und das ist es nicht, solange man nicht an diesem Gedanken haftet - und wenn man an ihm haftet, dann ist die Übung falsch. Der Reflex, die Ameisen zu zerdrücken, ist - für mich - vollkommen natürlich. Ich begrüße aber jeden Fachmann, der es schafft - oh , da ist schon wieder eine ..., dabei habe ich den Arbeitsplatz gestern erst geputzt - sie ganz aus dem Haus zu halten. Was sich nicht ändert durch mein Tun ist meine Zuneigung und meine Hochachtung z.B. vor Ameisen. Um sie nicht anzulocken, habe ich gerade sogar einen Wischmop-Gang durch meine Bude hinter mir. So ist das Ganze ein eher vernünftiges Abwägen. Was Tenzin mit solchen Tieren macht, weiß ich nicht, vielleicht holt sie sich lieber die Malaria von einer entsprechenden Mücke, wenn die auf ihr hockt, und lässt sie gewähren.


    Wenn wir jedenfalls dauernd individuelle Lebewesen töten, und zwar in weitaus größerer Zahl als die, die wir essen und meist ja für uns töten lassen, ist diese Diskussion um die für die Nahrung Getöteten nicht vollständig, sie fokusiert auf einen Teilaspekt eines Problems, das so nicht lösbar ist, weil wir Teil einer Natur sind und die Tiere auch. Diese Tiere, von denen sie im Grunde spricht, gibt es ja meist nur, weil wir sie essen. Wenn man sagt, es sollte sie prinzipiell nicht geben - nehmen wir mal für einen Moment an, sie würden anständig gehalten und kurz und schmerzlos getötet -, da sie ja nur zu unserem Genuss auf die Welt kommen, dann sagt man Folgendes: Nicht zu leben ist besser als zu leben. Das ist eine These z.B. der Anti-Natalisten, übertragen auf Tiere. Darum glaube ich, dass insgeheim oder unbewusst die Anhänger solcher Thesen wie Tenzin lebensfeindlich eingestellt sind bzw. die Natur nicht in ihrer Realität akzeptieren. Sie haben Buddhismus praktiziert, um einen Schleier über die Welt zu legen, statt ihn zu lüften.