Beiträge von Mabli im Thema „Können sich Psychotherapie und Buddhismus ergänzen?“

    Hallo Mabli ,


    gerne teile ich morgen oder übermorgen meine persönlichen Erfahrungen. Vorher würde mich aber noch interessieren, wo Du persönlich überhaupt ein Problem siehst/erwartest?

    Hey Aravind,


    ein mögliches Problem sehe ich darin, dass die Psychotherapie in seelischen Krisen stabilisieren möchte und dabei auch das Scheinselbst erstmal stützt und darin bestärkt über eine Identifikation mit diesem Scheinselbst das Selbstwertgefühl zu stärken. Es kann ja auch aus psychotherapeutischer Sicht durchaus angezeigt sein, das Ich zu stärken und Ich-Strukturen aufzubauen, wenn dort eine Schwäche besteht. Das steht dann aber oberflächlich betrachtet in einem diametralen Gegensatz zu dem Ziel, die Täuschung, die in diesem Selbst steckt, zu erkennen.


    Eine weitere mögliche Gefahr spricht Welwood in seinem Buch an, wenn er von spiritueller Umgehung schreibt. Dann wird Spiritualität zu einer Vermeidungs- und Abwehrstrategie, um sich nicht mit unfinished buisness, eigenen emotionalen Schwierigkeiten, zu befassen.


    Ein weiterer möglicher Konflikt besteht darin, dass die Psychotherapie sich bemüht weltanschaulich und ethisch neutral zu bleiben. Dagegen hat der Buddhismus eine klare ethische Ausrichtung und hält dazu an, ethisch zu handeln.


    Kannst du nicht einfach klar machen, welche Ziele du verfolgst, wenn du von "Synergien" sprichst? Warum befasst du dich damit? Strebst du die Ziele des Buddhismus an und glaubst mit Hilfe psychotherapeutischer Ideen diese leichter/besser erreichen zu können oder strebst du im 'do-it-yourself' Modus psychotherapeutische Ziele an und glaubst diese mit Hilfe buddhistischer Ideen leichter/besser erreichen zu können?

    Das sind genau die Fragen, auf die ich versuche im Prozess eine Antwort zu finden. Ich würde gerade sagen: sowohl als auch. Auch wenn das für dich unbefriedigend oder als Rumgeeier erscheinen mag.

    Für mich ist das auch keine rein hypothetische Frage, sondern eine praktische und lebensnahe. Ich habe selbst schon therapeutische Prozesse erlebt und praktiziere Meditation - wenn ich auch nicht Mitglied in einer buddhistischen Glaubensgemeinschaft bin.

    Ich bin also gerade selbst dabei herauszufinden inwieweit beides ineinander greifen kann oder eben auch nicht. Aus meiner bisherigen - begrenzten - Erfahrung heraus würde ich sagen, dass sich beides befruchten kann. Das hängt natürlich sehr starkt vom Kontext ab und kann nicht verallgemeinert werden. Aber ich wollte doch erwähnen, dass mich die Frage wirklich beschäftigt.

    Bei der Psychoanalyse ist es ja so, dass es darum geht Unbewusstes bewusst zu machen, sich die eigene Lebensgeschichte anzueignen und dadurch von einengenden und leidvollen Mustern befreit zu werden.

    Dies geschieht in der klassischen Psychoanalyse unter anderem in der Übertragungssituation, das heißt dass Gefühle und Einstellungen, die man gegenüber wichtigen Bezugspersonen aus der Kindheit hegt, auf den Therapeut oder die Therapeutin übertragen und dadurch einer Bewusstmachung und Bearbeitung zugänglich werden.

    Es wäre interessant in welchem Verhältnis dies zur Methode der Meditation als Weg zur Befreiung steht und ob es da eine Resonanz gibt.

    Ich tippe mal, dass sich Hegel zu sehr auf den natürlichen Intellekt verlassen hat und wünsche allen, dass sie es besser machen als er.

    Nichtsdestrotz war Hegel ein Fuchs. ^^

    Ok, du versuchst also eine dritte Perspektive einzunehmen und die Objekte "Psychotherapie" und "Buddhismus" aus dieser zu betrachten. Inwieweit diese dritte Perspektive aber ggf. gar keine genuine dritte Perspektive ist, weil auch sie Ideen von "Psychotherapie" und/oder "Buddhismus" nutzt, bleibt ungeklärt.

    Natürlich. Ein komplett neutraler Standpunkt ist sehr wahrscheinlich eine Illusion. Wenn es darum geht Anschlusspunkte zwischen Psychotherapie und Buddhismus zu finden, kann man ja auch von der Warte des Buddhismus oder der Psychotherapie argumentieren.

    Und wenn du von "Synergien" sprichst, so scheint mir, dass du dann einen Nutzen/Zweck im Sinne haben musst, anhand dem du "Synergien" erst feststellen kannst. Was ist dann dieser Nutzen/Zweck? Der Nutzen/Zweck der Psychotherapie oder der Nutzen/Zweck des Buddhismus oder der Nutzen/Zweck eines dritten Systems?

    Der "Nutzen" wären ja die Ziele. Also wobei natürlich beide, die Psychotherapie und der Buddhismus, nicht von Nutzen sprechen und keine utilitaristischen Nutzenkalküle verwenden. Die Ziele sind anderer Natur denke ich.

    Ich verstehe deine Worte so, dass deine Sicht auf die Dinge geprägt ist von dem Wunsch dich einem philosophischen System anzupassen (eine "(Post-)Moderne [Sicht] ... nach Hegel"), um deine Erfahrungen in einem einheitlichen System zu integrieren.

    Hegel war der letzte Philosoph in der kontinentalen Philosophie, der den Versuch unternahm ein System zu entwerfen, das die ganze Welt erklären kann. Wenn man dem Systemgedanken folgt, führt das dazu, dass man Probleme mit Dissonanzen, Lücken, Rissen und Unstimmigkeiten hat, denn man möchte ja letztendlich doch alles in einer Einheit zusammenführen. Daran ist Hegel ja auch gewissermaßen gescheitert.

    Der Sachverhalt, dass die Gleichzeitigkeit von Psychotherapie und Buddhismus im Subjekt notwendigerweise ein integriertes System erforderlich macht, ist von natürlichen Bedürfnissen aber eigentlich unberührt.

    Dieses theoretische System (etwa bei Hegel) ist natürlich etwas anderes als ein intuitives Bedürfnis nach Konsistenz und Kontinuität im eigenen Selbstbild. Das meinst du wahrscheinlich, wenn du von du von dem "notwendigerweise integrierten System im Subjekt" und kognitiven Dissonanzen sprichst. Nur ist der Widerspruch den du da zwischen Psychotherapie und Buddhismus konstruierst in meinen Augen zum Einen sehr abstrakt und zum Anderen muss er auch nicht zwingend in der Praxis wirksam werden. Das hängt von dem Kontext und vielen weiteren Faktoren ab.

    Vielleicht verstehst du ja als "sinnvolle Ergänzung" deine individuelle Zusammenstellung des Typs individuelle Zusammenstellungen von aus der Psychotherapie und/oder dem Buddhismus entliehenden Ideen zur Steigerung des individuellen Wohlbefindens.

    Ich nehme einfach die Ziele der Psychotherapie und des Buddhismus, also die (Wieder-)Herstellung von Autonomie und psychosozialer Integrität und das Erlangen von nibbana und frage, ob sich diese Ziele gegenseitig ausschließen oder im Rahmen der Verfolgung dieser Ziele vielleicht sogar Synergien entstehen können.

    Es ist sicher hilfreich, wenn Psychotherapeut und spiritueller Lehrer nicht gegeneinander arbeiten. Das heißt sie sollten dem jeweils anderen Bereich zumindest Akzeptanz entgegenbringen und im Idealfall auch ein Grundverständnis mitbringen, was im jeweils anderen Bereich passiert. Schädlich wäre es sicher, wenn sie sich gegenseitig ins Handwerk pfuschen, der Eine dem Anderen widerspricht oder dessen Methoden schlecht redet.

    Die Frage nach der Gleichzeitigkeit von Psychotherapie und spiritueller Praxis läuft nach meiner Einschätzung auf ein integriertes einheitliches System hinaus. Das Subjekt erfährt ja dann parallel seine Psychotherapie und seine spirituelle Praxis und wenn diese für das Subjekt kein integriertes einheitliches System bilden, dann läuft das mit großer Wahrscheinlichkeit auf kognitive Dissonanz hinaus.

    Das mit dem einheitlichen System ist so eine Sache. (Post-)Moderne Menschen in einer funktional differenzierten Gesellschaft haben es da schwer, wenn sie den Anspruch aufrecht erhalten alle Erfahrungen zu einem einheitlichen System zu integrieren. Die Philosophie hat den Anspruch aufs System bereits nach Hegel aufgegeben. Die Frage ist, ob sich dieser Anspruch heute noch in der Alltagserfahrung der Menschen aufrecht erhalten lässt.


    Das Konzept der kognitiven Dissonanz ist ja selbst Teil des medizinisch-psychologischen Systems und damit in seiner Geltung durchaus begrenzt. Daneben gibt es die Systeme Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Erziehung, Religion, Recht, intime Beziehungen, Familie und was weiß ich noch. Diese Systeme funktionieren jeweils nach eigenen Logiken, die sich nicht ohne weiteres ineinander übersetzen lassen.

    Und nochmal: für mich geht es nicht darum ein einheitliches System aus Religion und Psychotherapie zu konstruieren, sondern die Möglichkeit einer sinnvollen Ergänzung in den Blick zu nehmen. Dafür muss der Therapeut nicht zum Guru werden und der spirituelle Lehrer nicht zum Therapeut. Das kann personell durchaus getrennt sein.

    Das Zitat von mir ist etwas aus dem Kontext gerissen, Um die Frage geht es in dem Buch, das ich in diesem Thread vorstelle. Die Möglichkeit einer sinnvollen Ergänzung würde ich nicht so kategorisch ausschließen. Man kann die Frage auch umformulieren:

    Kann die Heilung oder Genesung in psychotherapeutischer Arbeit durch eine gleichzeitig ergänzend stattfindende spirituelle Praxis befördert werden? Kann die spirituelle Entwicklung durch eine ergänzend stattfindende psychotherapeutische Arbeit befördert werden?

    Es geht nicht darum Psychotherapie und Buddhismus zu einem einheitlichen System zu integrieren. Die wissenschaftlich untermauerte Kunstlehre der Psychotherapie und die religiös-spirituelle Praxis können meiner Meinung nach durchaus unbeschadet nebeneinander bestehen.