Zitat daraus:
Über eine rein akademische Ausbildung hinaus müssen unsere jungen Tulkus lernen, wie man abwartet, bis man an der Reihe ist, wie man teilt, was geteilt werden sollte, und andere grundlegende Elemente menschlichen Anstands und sozialer Verpflichtungen. Wenn sie bedient werden und alles geschenkt bekommen, werden viele dieser Tulkus nicht einmal das einfache menschliche Wissen des Teilens lernen und am Ende unfähig sein, in dieser Welt zu leben. Sie brauchen nicht nur eine Ausbildung zu Führungspersönlichkeiten, sondern einen Grundkurs in menschlichen Beziehungen.
Lehrer und Erzieher müssen wissen, dass sich einige dieser jungen Tulkus aus Frustration sogar Verbrennungen zugefügt oder sich mit Rasierklingen geschnitten haben – genauso wie es andere verstörte Teenager tun. Solch ein Verhalten bringt uns zum Bewusstsein, welch gefährliche Zeit und welch unsichere und heikle Generation dies ist.
Zitat daraus:
Ich stelle mir oft vor, wie einige dieser hochgestellten Lamas davon träumen müssen, allein herumzulaufen, ihr Gepäck selbst zu tragen, einen Tee in einer Teestube zu trinken oder in einer Rikscha zu fahren. Es ist ihr eifriges Gefolge, das ihnen dies verwehrt; denn vonseiten unserer traditionellen Gesellschaftssysteme besteht ein starker Druck, dass diese Lamas sich auf bestimmte Weise benehmen müssen, und ihre Anhänger sie mit Gefolge, Dienern, Brokaten und allen Arten von traditionellen und modernen Statussymbolen umgeben müssen.
Es gibt sogar eine tibetische Redensart (mit der ich als Kind und Jugendlicher getadelt wurde), dass Lamas wie eine goldene Statue sein sollten – was bedeutet, dass wir ganz still sitzen, nicht nach rechts oder links schauen und uns mehr wie ein wertvoller Gegenstand benehmen sollten denn als ein menschliches Wesen. Es gibt eine andere Redensart, dass ein Schneelöwe als Schneelöwe in den hohen Bergen bleiben solle, denn wenn er nach unten ins Tal komme, werde man ihn für einen Hund halten. Diese beiden Redensarten offenbaren, wie Lamas davon abgehalten werden, sich unter das „gemeine Volk“ zu mischen, aber ebenso, wie veraltet unsere traditionelle Pädagogik für die Erziehung von Lamas für eine moderne Gesellschaft ist.
Teil-Zitat aus dem Fazit des Artikels:
Es ist kein Wunder, dass Tulkus, wenn sie etwa 20 Jahre alt werden, häufig sehr sonderbar geworden sind, nichts über die Welt wissen und ihnen ihre Klöster, ihr Personal und nahe Verwandte jeden Moment ihres Lebens diktieren. Noch größer ist das Problem, wenn diese Umgebung selbst korrupt und der Vetternwirtschaft ergeben ist, wie es allzu oft der Fall ist.
Als Folge dessen kann die Szene, die Neulinge im tibetischen Buddhismus vorfinden, enorm verwirrend sein: mit angeblich allwissenden Lamas, die nicht einmal ihr nächstes Gefolge kontrollieren können. Tibeter werden solch himmelschreiend seltsames Verhalten entschuldigen, indem sie sagen, dass es nicht die Schuld des Lamas sei – der Lama ist immer erhaben –, sondern sein Gefolge oder seine Vertrauten das Problem seien.
Doch irgendwie macht das die nüchterne Tatsache auch nicht besser, dass unsere Tulkus selten wahre Praktizierende des Dharma sind, gestört und ohne Bezug zu ihrem eigenen Leben und schon gar nicht in der Lage, wahre Führerschaft gegenüber Schülern und Anhängern zu übernehmen. Ich kann nur beten, dass ihr merkwürdiges Verhalten irgendeinen unsichtbaren Nutzen hat, der von gewöhnlichen Lebewesen wie mir nicht erfasst werden kann.
Ich frage mich gerade, welchen Nutzen das überhaupt haben könnte.
Und dabei stelle ich mir die gewöhnlichen Lamas vor, die ich bereits kennengelernt habe und über welche zum Teil wahre Berichte existieren über sexuellen Missbrauch (von Sangha-Mitgliedern).
Hier ist ja nun von der Fragwürdigkeit der Erziehung junger Tulkus die Rede, und der Verfasser, Dsongsar Khyentse Rinpoche, ist selbst einer und weiß, wovon er spricht.
Wenn ich nun beides zusammenbringe, so geht mir durch den Kopf, dass das Gefolge dieser Tulkus (und wenn sie zu Besuch in eines ihrer Zentren kommen, zählen die jeweiligen Resident-Lamas dort ja auch zum Gefolge) In Versuchung kommen, wenigstens ein bisschen von dem goldenen Glanz dieser Tulkus zu erheischen.
Es ist wie das Ausgießen eines leckeren süßlichen Getränks auf eine breite Fläche - am Ende bleibt dann ein unappetitlicher klebriger Fleck übrig,
Die breite Fläche steht hier in meiner Visualisation für die gewöhnlichen Sangha-Mitglieder. Die kriegen es nämlich letztendlich dann ab, aber keiner der Insider fragt nachher nach dem Schaden. Der klebrige Fleck wird so schnell wie möglich wieder weggeputzt, indem sich alle gegenseitig was vorheucheln und vertuschen.
Also, nochmal kurz: die gewöhnlichen Lamas wollen auch gern etwas von dem "Glanz" ihrer verzogenen Tulkus abbekommen und benehmen sich den Sangha-Mitgliedern gegenüber so ähnlich (wie der Tulku ihnen gegenüber). Das versetzt sie in die Illusion, dass sie selbst bereits kurz vor der Erleuchtung stehen (überspitzt gesagt), und dann sind dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.
Das Eingangsthema hatte ja eine andere Färbung als die, welche ich hier einbringe. Aber ich muss das hier unbedingt tun, denn ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass ein Lama, mit dem Hintergrund eines solchen Umfelds, und mit welcher Person auch immer, auf Dauer eine normale Liebesbeziehung eingehen kann.
In diesem Sinne finde ich es enorm wichtig und auf bestimmte Weise erhellend, die 150 Seiten lange Masterarbeit, eingangs eingestellt von Sudhana , wenn man sie gründlich gelesen hat, zu vergleichen mit dem von mir eingestellten Artikel des Autors Dsongsar Khyentse Rinpoche.