Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Fleischkonsum und Buddhismus“

    Das ist ein guter Anfang. Sieh das Huhn, wie es einen Wurm frisst. Und schon verstehst du, dass der Mensch, der ein Huhn verspeist, das Huhn ist (und nicht nur isst). Die Natur verleibt sich ein.

    Wir leben nicht mehr im Naturzustand, dafür ist unsere Kultur zu komplex und die Masse der Menschen zu groß. Natürlicherweise sterben Tiere einfach, ohne dass sie eine medizinische Rundumversorgung Jahrzehnte lang künstlich am Leben halten würde. Darum passt dieses "Mensch und Huhn sind eins" schon lange nicht mehr, wenn es überhaupt je gepasst hat – zumindest in dem Sinne, den du hier anführst. Das "Einssein" mit allen Wesen, mit der gesamten Wirklichkeit, findet auf einer vollkommen anderen, weit subtileren Ebene statt, die sicher nicht zu einem erweiterten Ökozid führt.


    Wesen der Natur sind oft blind für die Konsequenzen ihres Handelns. Die buddhistische Lehre besteht ja gerade darin, sich die Konsequenzen des eigenen Handelns bewusst zu machen.

    Befreiung bedeutet allmähliche Emanzipation von instinkthaftem, blinden Tun durch systematische Selbst-Erziehung. Man kann auch deutlich profaner sagen: Erwachsenwerden durch Übernahme von Verantwortung für sich und andere. Folgen wir weiterhin blind den "natürlichen" Impulsen (milliardenfach verstärkt durch eine hoch technisierte, kapitalistische Marktwirtschaft), macht "die Natur" mit Menschen, was sie auch mit Hefebakterien in der Maische macht: wir verrecken an unseren Ausscheidungen.


    Freiheit im buddhistischen Sinne ist eben nicht, alles machen zu können, was einem gerade in den Kopf kommt, sondern nicht alles machen zu müssen, was man sich gerade wünscht; mit anderen Worten: eine Wahl treffen zu können. Tiere haben diese Möglichkeit nur eingeschränkt.


    Sich selbst annehmen bedeutet nicht, jedem "natürlichen" Impuls zu folgen und ihn zu feiern. Es bedeutet, jeden Impuls zu kennen, um verantwortungsvoll mit dieser Energie umzugehen.


    Noch tragischer ist es, wenn man glaubt, frei zu sein, alles tun zu können, was man gerade möchte, weil man angeblich die Kategorien von Gut und Böse zugunsten eines "befreiten Naturzustandes" überwunden hat. Das führt nur zu einem aufgeblähten Super-Ego, das sich am Ende für die ganze Welt hält. Und weil es sich für die Welt hält und damit Shunyata vollkommen missversteht, glaubt dieses Super-Ego die Dualität zwischen Ich und Welt überwunden zu haben: Die Welt ist meine Illusion. Das ist aber keine Non-Dualität, sondern fatalistischer, egozentrischer Positivismus.


    Ich möchte dir das nicht unterstellen. Ich höre nur unter Buddhisten immer wieder diese Haltung.

    Ich habe mal meinen Versuch dokumentiert, einen aus dem Nest gefallenen blinden Spatz zu retten. Vergeblich. Der andere war auf meinem Balkon verhungert oder vertrocknet. Oh ja, die Natur, sagte scho Woody Allen, sei grausam.

    Ja, natürlich ist die Natur aus menschlicher Perspektive betrachtet grausam. Leiden gehört zum Daseinskreislauf. Die Frage für mich als Praktizierenden ist, ob ich das Leid, das ohnehin schon da ist, durch mein Handeln vermehre oder nicht. Ahimsa und die sechs Paramita machen mich freier, und mindern das Leid, sofern ich Ursache dafür bin, und lindern mein Leid, weil ich mich nicht mehr so sehr von Gier und Egoismus leiten lassen muss.


    In der Massentierhaltung findet eine Optimierung zwischen niedrigen Kosten und Tierleid statt, um möglichst viel Fleisch möglichst günstig auf den Markt zu werfen. Genaue diese emotionslose Optimierung, die aus Tieren Objekte macht, bringt diese Höllen hervor. Es gibt hier einen Unterschied zu dem gestorbenen Jungvogel: Die Motivation von Produzent und Konsument, die die Fleischindustrie unterhält, ist viel stärker mit Geistesgiften verbunden als das Sterben eines Jungvogels, der zufällig aus dem Nest gefallen ist.


    Auch im Zen geloben wir aber die Bonnō, so vielfältig sie auch sein mögen, zu überwinden.

    Aber nicht Boykott etc. Es wurde ja hier schon am Beispiel von Naturvölkern gezeigt, wie man noch dem toten Tier gegenüber Respekt bezeugen kann.

    Massentierhaltung und Respekt? Ernsthaft?


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    Nein, dann würde es ja da stehen. Das ist eine Interpretation von dir, meinetwegen. Aber da es ein Laienpfad sein darf, hat es keinerlei Verbotschance (siehe oben) und handelt sich um Freiwilligkeit.

    Es steht im Sutta-Nipata:

    Zitat

    Lebendiges töten, schlagen, es misshandeln, fesseln, Diebstahl und Lügenwort, Betrug und Hintergehung, Heuchelnde Hinterlist [2] und Ehebruch, - Anrüchig ist wohl dies, nicht aber Fleischgenuss!


    Quelle

    Töten, schlagen, misshandeln, fesseln: Das sind kurz zusammengefasst die Hauptcharakteristika der Massentierhaltung.

    Ahimsa funktioniert für Laien nicht als Gebot, sondern nur im Zusammenhang von der im Zen aufzulösenden Karma-Vorstellung und dem Glauben an Wiedergeburten. Das Konzept fällt beim Nachsinnen im Zen in sich zusammen.

    Ahimsa gilt selbstverständlich auch für Zen-Buddhisten und Laien-Buddhisten. Ich praktiziere seit vielen Jahren Soto-Zen. Die Schnecken werden aus dem Gemüsegarten des Klosters gesammelt und in den Wald getragen. Fleisch gibt es selbstverständlich nicht. Im Gegenteil, in Alltag und Unterweisungen sind in jeder Hinsicht Respekt und Mitgefühl gegenüber allem Lebendigen gegenwärtig.


    Ahimsa ist eine Haltung, kein Gebot. Das Ziel besteht darin, diese Haltung so weit wie möglich in das eigene Leben zu integrieren. Es ist kein Verbot, sondern, wie ich oben geschrieben habe, das natürliche Ergebnis der Einsicht der wechselseitigen Abhängigkeit.


    Ich stelle mir vor, dass ich nicht nur mit dem Tier, sondern auch mit dessen Mörder/in eins bin, oder dass ich selbst das Tier getötet habe. Das erscheint mir als der Wahrheit naheliegender.


    Genau aus diesem Grund gilt die Einübung und Einhaltung der Sila als Grundlage für die buddhistische Praxis.

    Wenn ich Fleisch kaufe, das aus einer Massentierhaltung stammt, unterstütze ich und nehme ich bewusst Tierleid in Kauf, das weit über das Leiden und Sterben in der Natur (fressen und gefressen werden) hinausgeht, weil in der Fleischindustrie Leiden, das jede Facette der tierischen Existenz betrifft, sofort mit der Geburt beginnt und so außerordentlich ist, dass in der Natur vergleichbares nicht gefunden werden kann.


    Ich habe letztlich nur drei Möglichkeiten, damit umzugehen: Entweder ich blende diese Tatsache aus und sehe nur die appetitlichen Waren in der Wursttheke, oder ich spreche Tieren ab, wie ich subjektive Empfindungen von Leid und Freude zu haben, indem ich sie zu Objekten mache. Wenn ich beides nicht machen möchte, wird mich als dritte Möglichkeit die angeborene Fähigkeit zur Empathie automatisch davon abhalten, dieses System der Vermarktung lebendiger Wesen weiter zu unterstützen.


    Ein Ziel und ein automatisches "Abfallprodukt" der buddhistischen Lehre ist zunehmende Empathiefähigkeit mit allen fühlenden Wesen. Illusionen und falsche Sichtweisen werden womöglich erkannt und korrigiert. Der Zwang, die eigenen Bedürfnisse vor denen der anderen Lebewesen in den Vordergrund zu stellen, wird im Laufe der Zeit geringer. Mit der Erkenntnis, dass ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis besteht zwischen meiner Existenz und der aller anderer Wesen, wird klar, dass ich mir und meinen Nachkommen unnötiges Leid zufüge, wenn ich unsere gemeinsame Grundlage durch mein Handeln gefährde.


    Ahimsa ist keine leere Phrase. Diese Haltung ist das unmittelbare Ergebnis und zugleich die notwendige Grundlage allen vernünftigen und mitfühlenden Handelns, das sich der wechselseitigen Abhängigkeit bewusst ist.


    Die Unterstützung von Massentierhaltung ist in diesem Sinne in vielfacher Hinsicht unvernünftig. Mit der zunehmenden Fähigkeit, mich auch in nichtmenschliche Wesen hineinzuversetzen, und dem Bewusstsein, den Ast abzusägen, auf dem unsere menschliche Kultur die Blüte von Macht und Begierde feiert, ist der Boykott von Massentierhaltung eine unmittelbare und natürliche Konsequenz. Mit Moral hat das alles wenig zu tun – eher mit der Einsicht in eine Notwendigkeit.


    Insofern schließt der achtfache Pfad konsequenterweise den Konsum von Produkten, die aus der Massentierhaltung stammen, aus. Wenn der achtfache Pfad für eine buddhistische Linie von Belang ist, wird der Boykott der Massentierhaltung – sofern möglich – für Praktizierende mit der Zeit automatisch erfolgen – ohne großes Lamento und ohne Gefühle moralischer Überlegenheit.


    Ich selbst esse immer weniger Fleisch. Manchmal blende ich das Tierleid aus und kaufe in der Metzgerei Fleisch. Früher war es mir einfach egal, ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht und habe mir Massen von Billigfrikadellen und -würsten reingezogen. Das geht heute nicht mehr. Aber ich rede mir auch oft genug noch alles schön, indem ich Biofleisch kaufe oder beim Konsum von Milch und Käse das damit verbundene Tierleid ausblende. Ich lebe, wie wahrscheinlich die meisten Menschen, im Zustand der mehr oder weniger starken kognitiven Dissonanz. Phasenweise mal stärker, mal weniger stark. Ich weiß es eigentlich besser, bin aber inkonsequent im Handeln.


    Mein innerer Widerstand dagegen wird aber größer, merke ich. Irgendwann wird mich die buddhistische Lehre dauerhaft zum Verzicht auf tierische Produkte führen, und das wird dann eine natürliche Konsequenz sein, die mir Freude macht. Die buddhistische Lehre war und ist das in meinem Leben, was mich am meisten verändert hat und noch immer verändert – und ich habe großes Vertrauen darin.

    Ich bin heute auf eine Tatsache gestoßen, die wohl jede Bemühung, sich fleischlos zu ernähren, ad absurdum führt: Gemüse und Obst werden mit Schlachtabfällen gedüngt - auch Biogemüse. Das hatte ich bisher nicht gewusst.

    Je weniger Menschen Fleisch essen, desto weniger Schlachtabfälle landen auf den Feldern, und andere Formen der Düngung werden gefunden:


    Menschliche Fäkalien als Dünger: Scheiße auf den Acker bringen
    Die Firma Finizio darf als einzige in Deutschland menschlichen Kot auf Versuchsfeldern verarbeiten. Beim Scheiß-Kongress wird größer gedacht.
    taz.de

    Drohender Phosphormangel - Menschliche Fäkalien als Dünger
    Unser Kot und Urin auf dem Gemüseacker? Igitt, würden wohl die meisten sagen. Doch die Fäkalien enthalten wertvolle Nährstoffe und vor allem Phosphor – und der…
    www.deutschlandfunkkultur.de

    Neue Richtlinie: Bald kann menschlicher Kot vielleicht zu Dünger werden
    Dank einer neuen Richtlinie kann vielleicht bald Dünger aus menschlichen Exkrementen hergestellt werden, das wäre gut für's Klima.
    www.watson.de

    Ich finde 'es muss eine Einsicht entstehen' ist die Sache des Einzelnen, da kann man von aussen niemanden hinzwingen zu der eigenen Einsicht die alle entwickeln müssen.

    Darauf können wir leider nicht warten. Darum müssen Gesetze verfasst, Verbote erlassen und Einschränkungen gefunden werden!


    Solange es erlaubt war, Abwässer in die Flüsse zu leiten, gab es immer wieder Menschen, die das getan haben. Zudem erleichtern Gesetze das Richtige zu tun. Viele Denken ja, wenn und weil es nicht verboten ist, mache ich es eben, egal, ob es richtig oder falsch ist. Oder glaubst Du, dass Menschen jemals freiwillig nicht schneller als 120 auf der Autobahn fahren werden?

    Wenn alle Menschen in den Industrienationen (vor allem die mit unterem-mittlerem bis hin zu gutem und sehr gutem Einkommen) von dem schädlichen, was sie tun und verursachen (Fleisch essen, Flugreisen, Autofahren, Konsum von Billig- und Wegwerfwaren, u.s.w.) nur noch die Hälfte täten, wäre das ein gewaltiger Fortschritt für Natur und Artenschutz.


    Man muss nicht unbedingt auf alles verzichten. Es bringt schon viel, alles maßvoller zu tun, mit mehr Achtung vor den Produkten, mit mehr Bewusstsein für ihre Herkunft, für die Menschen, die sie herstellen, für die Bedingungen, unter denen sie erzeugt werden, und für die Folgen für Umwelt, die Produktion, Nutzung und Verbrauch hervorrufen.


    In den 70er Jahren lag das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) in Deutschland bei der Hälfte des derzeitigen BIP. Er ging den meisten Menschen damals nicht besser und nicht schlechter als heute:



    Es muss die Einsicht entstehen, dass dieses "zu-Viel" des zeitgenössischen Lebens kein "Mehr" an Glück oder Zufriedenheit bringt. Weniger Raum, weniger Konsum, weniger Reisen, weniger Mobilität, weniger Fleisch, etc... wird anfangs weh tun. Dafür werden wir aber wieder eine freundlichere Perspektive für uns und unsere Nachkommen auf diesem Planeten bekommen.

    Das Essen von Tier oder Pflanze ist nicht das Problem. Problematisch ist, wie beides produziert wird und welche negativen Implikationen das für alle Beteiligten hat (Wasserverschmutzung durch Überddüngung, Rückgang der Biodiversität durch Pestizide, Tierleid, CO2-Emissionen, etc.)


    Immer wieder gern zitiert:



    Anrüchig