Beiträge von Hendrik im Thema „Sind die klassischen Texte insgesamt für jeden Buddhisten verbindlich?“

    Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden‘, dann o Kalamer, möget ihr sie aufgeben.“ Das gilt für mich auch und gerade für die klassischen Texte, die eben NICHT autoritatives Buddhawort sind, sondern Ausdruck des Glaubens und des Erkenntnisstands der Väter, dem ich mich anschließen kann oder auch nicht.

    1. Warum sind die überlieferten Lehrreden Buddha Sakyamunis kein autoratives Buddhawort, sondern nur ein Ausdruck des Glaubens?
    2. Warum glaubst du denn, dass wir heute besseres Wissen über die Themen, die Buddha Sakyamuni gelehrt hat, besitzen?


    Danke für die Fragen. Es ist sicher wichtig, das einmal zu erörtern.


    Die akademische Buddhologie ist sich weitgehend darüber einig, dass die uns heute vorliegenden Texte NICHT wie eine Mitschrift original Buddhawort sein können. Zwischen gesprochenem Wort und Niederschrift sind 400 oder 500 Jahre vergangen. Es hat mehrere Übersetzungsszenarien gegeben, viel Interpretationsarbeit, bei der Mönche das vorliegende Matarial an die Bedürfnisse ihrer Zeit angepasst haben und die Texte redaktionnell bearbeiteten.


    Der Oriantalist Johannes Bronkhorst z.B. schreibt, die klasssichen Texte seien sicher nicht Buddhawort aber sie enthalten Buddhawort.


    Nun finden wir auch Widersprüchliches in den klasssichen Texten. Das ist darauf zurückzuführen, dass sie zum Teil Spiegel der vielen alten Schulen sind, die alle bis auf das Theravada untergingen. Die bud. Tradition hat mit viel Aufwand versucht, diese in ein einheitliches System zu quetschen - und sind (nicht nur meiner Meinung nach) gescheitert.


    Der Indologe Jens-Uwe Hartmann schreibt: "Gelehrte Mönche trugen nicht nur ihre eigene Auslegung der Lehren des Buddha vor, sondern zitierten gleichzeitig abweichende Lehrmeinungen anderer Gelehrter, mit denen sie sich auseinandersetzten. Aus diesen Schriften tritt uns das Bild einer lebendigen Gelehrtengemeinschaft entgegen."


    Man kann das an den Texten auch linguistisch zeigen, dass Elemente um ein Buddhawort herum arrangiert wurden, immer wieder was hinzugefügt und abgeändert wurde. Es gibt ein paar aufschlussreiche Fussnoten in der Übersetzung der Mittleren Sammlug von Kurt Schmidt dazu, die man sich als Einstieg mal ansehen kann. Die Suttas sind späte Kompositionen. Die Lebensbeschreibung Buddhas reine hagiografische Fantasie.


    In einer der ältesten Schriftsammlungen der Pali-Literatur, dem Sutta Nipata, den frühbuddhistischen Lehrdichtungen, begegnet uns dann auch ein ganz anderer Buddha als in den späteren Sutten-Sammlungen. Im Muni-Sutta etwa finden wir lediglich einen Asketen und keinen erleuchteten Königssohn, der Adelige und Könige zur Belehrung empfängt, und der Vorsteher einer großen Mönchsgemeinde ist.


    Das alles sind nichtmal irgendwelche neueren Thesen in der Buddhologie, sondern seit Jahrzenten anerkannt, Mainstream quasi. Nur die bud. Community liest die Texte noch wie ein evangelikaler Christ seine Bibel: Als wörtliches Zeugnis des Religionsgründers.


    Das bedeutet, wir finden in den Texte, was die frühe Gemeinde für das Dharma hielt, was ihr wichtig war – und da waren sich nicht immer alle einig. Deshalb sind die Texte nicht weniger wertvoll. Im Gegenteil. SIe sind ja das früheste Zeugnis, das wir haben.


    Und das bedeutet nicht, dass wir "besseres Wissen" über die Buddhalehre haben. Wir haben einen anderen Zugang. So wie alle Menschen vor uns einen eigenen Zugang hatten.

    Was macht man mit diesen Texten, die so einen Schmarrn vertreten?

    1. Man legt sein Vorurteil, dass sie einen Scharrn sind, mal für längere Zeit beiseite.
    2. Man studiert unvoreingenommen die Lehrrede, um die Intention Buddha Sakyamuni zu erfassen und zu verstehen.
    3. Es ist hilfreich, weitere Lehrreden Buddha Sakyamuni dafür heran zu ziehen. Allein in den Lehrreden des Majjhima Nikaya behandelt Buddha Sakyamuni in 30 von den 150 Suttas das Thema Kamma.


    Ich persönlich halte es mit der Empfehlung an die Kalamer: "Geht, Kalamer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftsgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kalamer, selber erkennt: Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden‘, dann o Kalamer, möget ihr sie aufgeben.“ Das gilt für mich auch und gerade für die klassischen Texte, die eben NICHT autoritatives Buddhawort sind, sondern Ausdruck des Glaubens und des Erkenntnisstands der Väter, dem ich mich anschließen kann oder auch nicht.


    Das Wort Buddhist wird von vielen Lehrern nicht verwendet, stattdessen sagen sie, sie sind Anhänger oder Übende des Buddha- Dharmas. Als solcher gehört der Glauben an ein Leben im Jenseits dazu, auch das mit dem Karma, alles was in den Schriften steht. Sonst ist man kein Anhänger des Buddha- Dharmas. Denn dieses Religiöse gehört zu der Lehre dazu.

    Das ist nicht richtig. Was dazugehört und was nicht, wird in den verschiednen Traditionen sehr unterschiedlich gesehen. Wenn Du mit "den Schriften" den Pali-Kanon meinst, was ich vermute, dann ist das erstmal nur der verbindliche Kanon EINER Tradition, des Theravada.



    Warum hältst du das den für einen Schmarrn? Solltest nicht gerade du als Globaler Moderator die tiefe dieser Lehren erkennen und ein Vorbild sein?

    Na, das mit dem Vorbild sehe ich lediglich in der Frage des Umgangs hier: wertschätzend und tolerant. Ich versuche darauf zu achten, dass diese Werte in Kommunikation hier Beachtung finden.


    Ich bin kein Guru, der irgendwas besser wüsste als andere. Das maße ich mir nicht an. Ich bin auch kein Verteidiger eines „wahren“ Buddhismus. Ich weiss auch gar nicht, was das sein sollte. Ich habe meine eigenen Überzeugungen, wie jeder andere auch, die ich auch vertrete. Ich erkenne dabei an, dass meine Ansichten im fluss sind und sich ändern, dass ich dazu lerne und andere vielleicht doch recht haben. Frage mich also morgen nochmal, ob ich dies oder das immer noch als "Schmarrn" bezeichnen würde. Derzeit tue ich dies.