Vielen Dank, Maha !
Du hast es sowas von auf den Punkt gebracht #1, exakt genau so wie ich es schon sehr lange empfinde! Es ist, als wären es auch meine Worte!
Und ich wundere mich, wie immer wieder westliche tibetisch-vajrayanische Probanden absolut fraglos solche Praktiken wie das Ngöndro einfach übernehmen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit - dieses ohne entsprechenden kulturellen Hintergrund. Klar hat man es leichter, wenn man nicht christlich-religiös großgeworden ist, sondern relativ weltlich (ich sage "relativ", weil niemand hier völlig neutral großwerden kann). Aber im Endeffekt bleiben diese Praktiken doch fremd, und es ist kaum möglich, sie uns nachträglich einzuimpfen.
Doch muss ich sagen: da kommt in mir gleichzeitig auch eine sehr unergründliche tiefe Trauer auf, wenn ich unmittelbar damit konfrontiert bin. Nicht, wenn ich mich inmitten einer einheimischen Gruppe mit ähnlichem kulturellen Hintergrund befinde, beispielsweise, es wäre ein Ngöndro-Kurs in Hamburg und nun ist angesagt, dass Alle Niederwerfungen machen. Nein, das ist es nicht. Dann mache ich die Niederwerfungen einfach mit und denke mir nichts dabei. Wenn ich mit katholischen Freunden eine katholische Kirche betrete, bekreuzige ich mich ja auch, schon allein aus Solidarität mit ihnen.
Nein, diese tiefe Trauer und Befremden kommt auf, wenn ich mich z. B. an einem Original-Ort befinde, wie etwa dem großen Stupa von Boudhanath in Kathmandu. Dort gibt es zwischen den Aufgangstreppen solche durch Sichtschutz-Mauern abgetrennten Bereiche, wo man ungestört seine massenhaften Niederwerfungen machen kann. Nur am Eingangsbereich dieser Areale lässt sich ein kleines bisschen "luschern" und man kann da gucken, was vor sich geht. Und, wie gesagt, das macht mich so unergründlich tieftraurig, da ich aus meinem tiefsten Grunde weiß, dass dieses nicht meine Welt ist. Ich weiß genau, dass ich, mindestens in diesem Leben, hier sehr einsam und vollkommen davon ausgeschlossen bin.
Es ist sehr wichtig, dass man auch mal ganz bewusst traurig ist. Beispielsweise denke ich zurzeit an die vielen, vielen Kriegstoten, und ich denke an männliche Verwandte von mir, die im Zweiten Weltkrieg unvorstellbares Leid erleben mussten und gefallen sind; was mag in ihnen vorgegangen sein....
und ich habe sie nie kennengelernt; manchmal spreche ich in Gedanken mit ihnen, als ob ich an ihrer Stelle etwas auf- oder nacharbeiten müsste, was sie nicht mehr schafften.... und das zerreißt mir fast das Herz. Ja, diese Trauer ist wirklich sehr wichtig, sie ist beinahe so eine Art Lebenselixier. Sie hilft uns, mehr Mitgefühl zu entwickeln. Und danach sehne ich mich.
Aber dieses Gefühl von Ausgeschlossensein wie in meinem genannten Beispiel hier, ohne in diesem Leben etwas daran ändern zu können, das fühlt sich so absolut an. Ich stehe da wie hilflos, während Andere mit tiefer Hingabe praktizieren, und ich beobachte das, als wäre ich ein Wesen wie vom anderen Stern.
Darum ziehen mich diese so maßgeblichen Pilgerorte nicht mehr an. Es ist einfach eine unbeschreibliche tiefe Kluft da. Unbeschreiblich befremdlich.
Das ist eine noch wieder ganz andere Art von Trauer, eine ganz andere Qualität von Trauer, die unumkehrbar ist.
Ich wurde ins Ngöndro eingeführt, aber schon sehr bald fühlte ich mich dabei wie ein Uhrwerk.
Doch niemand konnte mir helfen.
Ich habe mich einigermaßen damit arrangiert, dass solche Praktiken nichts für mich sind.
Mein Trost und Ventil sind innere Gespräche, inneren Strukturen nachzugehen, zu reflektieren - ja, auch klassische Musik zu hören, ein Gänseblümchen zu streicheln und aufzupassen, dass beim Umschütten von Brennnesselsamen auch ja kein Krümelchen daneben fällt. Keinen Wassertropfen verschwenden. Über Entstehen und Vergehen nachzudenken, und wie alles miteinander vernetzt ist.
Vielleicht brauchen wir einen naturverbundenen, freien Buddhismus; besser gesagt, einen freien Dharma. Einen Dharma ohne Rattern, ohne Zählen, ohne "Verdienste" und ohne schlechtes Gewissen.
Der im Westen sich entwickelnde säkulare Buddhismus ist für mich so etwas wie ein freundlicher Vorschlag, eine Ermunterung. Eine Möglichkeit, die zu heilen hilft, eine Einladung, die innerlich frei macht und alle kreativen Kräfte aktiviert. Wir müssen uns befreien von diesen uralten Traditionen, die in uns ja doch keine spirituellen Erinnerungen wecken können; auch wenn wir sie zugleich nicht ablehnen sollten. Denn wir haben nun mal andere Wurzeln.
Es hat schon seinen Sinn, dass wir hier geboren wurden und nicht woanders.
Wir müssen das erkennen und das Beste daraus machen, aus aufrichtiger Motivation.
Es gibt noch viel zu tun, aber das wird sich entwickeln. Der säkulare Buddhismus ist nur ein zarter Anfang, und was in 500 Jahren sein wird, weiß sowieso keiner.