Beiträge von JoJu91 im Thema „Ohne Einübung der Sila gibt es keine buddhistische Praxis“

    Der Gewissenlose und Schamlose ist leicht zu erkennen, er rechtfertigt seine Tat immer mit der Schuldzuweisung an Umstände oder andere Menschen.

    Etwas schwerer ist der Gewissenlose und Schamlose zu erkennen, wenn alle oder die Mehrheit so handelt, wie der Gewissenlose und der Schamlose handelt.


    Die Mehrheit akzeptiert meist das als richtig und gut, was die eigene Mehrheit tut.


    Was immer wieder zu grossen Katastrophen führt, deren Ursachen im Rückblick dann kinderleicht zu erkennen sind.


    :cry:

    Mensch, das klingt für mich, als wärst Du ziemlich hart mit Dir!

    Da hab ich noch nie drüber nachgedacht, aber jetzt wo Du es erwähnst ...


    In meinen Dreissigern war ich ein echter Hardcore-(Zen-)Buddhist.

    Bin um 4:40 aufgestanden, um vor der Arbeit 50 Minuten im Lotussitz Zazen zu üben :medim:

    Heute bin ich eher der Wellness-Buddhist.


    Aber es stimmt, ohne ein gewisses Maß an Disziplin und Härte gegen mich selbst wäre ich bei meiner Persönlichkeits-Struktur längst schon untergegangen.

    Als Gegengewicht gönne ich mir dann die regelmäßigen kleinen Sünden.

    Ein ständiger Rhythmus zwischen Härte und Laissez-Faire sozusagen.

    Balu der Bär praktiziert mit seiner natürlichen Gemütlichkeit da sicher anders.


    Geistes-Sammlung heisst bei mir nicht, dass ich mich formell in den Lotus-Sitz begebe und Zazen übe. Es ist mehr ein im-Flow-bleiben durch regelmässige entspannte Gedanken-Pausen.

    Wenn das mal einen Tag nicht klappt, merke ich es deutlich an meiner Lebensqualität.


    Ich habe da am Ohrläppchen einen kleinen virtuellen Schalter, wenn ich den antippe, höre ich auf zu denken, denn wenn ich über meine Situation zuviel nachdenken würde, würde ich wahnsinnig, auch wenn ich nicht in Stalingrad bin. Vilsmeier-Fans wissen, was ich meine.


    Die Kapelle auf der Titanic spielt weiter :party:


    Ein Gutes Neues :om:

    Tja, das Problem besteht wohl darin, das "rechte Maß" richtig (= im Sinne der Buddhalehre) zu definieren...

    Mein Kriterium ist "Wie leicht fällt mir heute (!) die Geistes-Sammlung" ?


    Fällt mir die Geistes-Sammlung heute schwer, frage ich mich, wo denke, rede, handle ich falsch ?


    Habe ich offene Rechnungen mit Mitmenschen, fällt mir die Geistes-Sammlung schwer.

    Tägliche Vergebung und tägliche Wiedergutmachung sind essenziell, meine hochexplosive Freundin ist hier die ideale Sparringspartnerin, wie überhaupt alle meine wenigen Frauen, von der eine schon verstorben ist und an deren Grab ich heute ohne Groll mit Liebe stehen kann.


    Ich lebe seit Ende der 1980er "straight edge", nehme konsequent keinerlei Alkohol, Drogen, Nikotin, Psychopharmaka mehr. Schmerzmittel nur wenn es unbedingt sein muss, etwa die drei Tage nach einer Fraktur vor acht Jahren. Nur beim Zahnarzt spiele ich nicht den Helden, hier lasse ich mir eine ordentliche Portion Lokalanästhesie verpassen.


    Anflüge von Wut, Hass, Gier machen Geistes-Sammlung schwer.


    Regelmässige körperliche Bewegung reguliert Atem und Geist, leitet Wut-Energie ab.

    Eine Rückschau auf meine eigenen, aus Dummheit verbrochenen Schandtaten, zwingt mich zu Toleranz gegenüber den Fehlern meiner Zeitgenossen.

    Bei der Gier helfen regelmässige bewusste kleine Sünden, Humor und die demütige Einsicht, Du bist kein Heiliger.


    Nur gegen die Dummheit, da weiss ich noch kein echtes Gegenmittel, ausser den leidvollen Weg von Versuch und Irrtum.


    :cry:

    Aha... :) Fragt sich nur, was "zu hoch" denn wäre?

    Im Film "Der Name der Rose" gibt es zwei Männer, die die Sittlichkeit zu hoch ansetzen:


    Der schwarze Abt, der sogar das Lachen als Werk des Teufels betrachtet.

    Der Groß-Inquisitor Bernardo Gui.


    In einem Film über Hildegard von Bingen gibt es die junge Nonne, an deren Unterleib man nach ihrem Tod einen Dornengürtel findet, mit dem sie ihre Sexualität in Zaum halten wollte ...


    Die Beispiele für missverstandene Sittlichkeit sind fast unendlich.


    Die grössten Verbrechen der Menschheit wurden von guten Menschen in bester Absicht begangen.


    :cry:

    Das bedeutet: Da ist keiner, der der Geistessammlung großes Gewicht beilegt, ohne auch der Sittlichkeit großes Gewicht beizulegen.

    Sicher. aber da bin ich gebranntes Kind


    In meinen unsittlichen Jugendjahren hielt ich mich für einen sittlichen Gutmenschen und wollte die Welt retten, statt meine eigenen zahlreichen Schattenseiten anzugehen.

    Bis ich einen langen Bericht über die Roten Khmer in Kambodscha las.

    Das war ein Schock fürs Leben.

    Was wäre aus mir geworden, wenn ich meine Teenagerzeit nicht im Bayern des "Faschisten" FJS verbracht hätte, sondern in Kambodscha, als junger Kommunist mit schwarzer Kleidung und rotem Stirnband ?

    Wieviele Menschen hätte ich auf den Killing Fields ermordet, im Dienste der Guten Sache, im Kampf für Gleichheit und Gerechtigkeit, gegen Kapitalismus und Faschismus :nosee: :nospeak: :nohear: ?


    Meine Lehre daraus:

    Auf keinen Fall meine Maßstäbe für Sittlichkeit auf andere Menschen übertragen und sie danach beurteilen. Das rechte Maß halten, Mara packt den spirituellen Schüler oft bei einer Tugend, die der Schüler übertreibt.


    :doubt:

    Das bedeutet, da gibt es keinen, der vollkommen in Weisheit ist, aber nicht vollkommen in Sittlichkeit oder nicht vollkommen in Geistessammlung. Da gibt es auch keinen, der vollkommen in Geistessammlung, aber nicht vollkommen in Sittlichkeit ist.

    Je vollkommener die Geistessammlung, desto vollkommener die Weisheit, desto vollkommener die Sittlichkeit (aus Samadhi folgt Prajna folgt Sila).


    Aber nicht umgekehrt.


    Viele verzweifeln daran, dass ihnen soviel Böses geschieht, wo sie doch so gut (sittlich) sind und verkennen die Richtung der "Ursache-Wirkung"-Kette.


    Vollkommene Sittlichkeit führt nicht automatisch zu vollkommener Weisheit und vollkommener Geistessammlung. Nirvana lässt sich nicht durch gute Taten verdienen, um es populär zu sagen.


    Ein gewisses Maß an Sittlichkeit ist natürlich Voraussetzung für Geistessammlung.

    Der Maßstab sollte aber nicht zu hoch angesetzt werden.


    Die evangelikalen christlichen Bewegungen etwa in den USA erscheinen manchen Buddhisten als Kindergarten, aber ihr Erfolg besteht oft schlicht darin, dass die Mütter ihr Geld nicht mehr auf dem Strich verdienen und die Väter nicht mehr ihr Gehalt versaufen und die Kinder Mangel leiden. Dieses Mindestmaß an Sittlichkeit ist für sehr viele Menschen in weiter Ferne.


    Eine sehr interessante Lehrrede hast Du da zitiert.


    :?