Igor07 Ich glaube das Beispiel gefällt mir nicht aber nun hast du es vorgestellt und vielleicht ist es doch nützlich.
Der Pali Kanon vermeidet ja meist metaphysische und physikalische Aussagen. Kosmologische Erklärungen sind eher Fußnoten. Fokus liegt auf dem Leiden und dessen Ursachen. Es ist eine antike Psychologie oder eine psycho-Philosphie.
Du beschreibst eine Situation die aufgrund ihrer Gewalt äußerst leidhaft ist. Schmerz, Kontrollverlust, Mitleid, überwältigt sein, Verletzung, Greuel.
Was wäre innerhalb des buddhistischen Lehrgerüsts nun eine adäquate Reaktion? Und was hat es mit Karma zu tun?
Karma wird gerne - ich vermute es ist ein Reflex im Westen - mit der newtonschen Physik verglichen, Actio=reactio. Dieser Vergleich ist aber glaube ich ein kategoriefehler, denn im Buddhismus bezieht sich Karma weder auf Physik (in dieser Kategorie argumentier Newton) noch um Metaphysik. Es geht um das, was sich in unserem innersten abspielt.
Es geht also darum: wie gehen wir nach der Gräueltat damit um? Wie reagiert unser Geist während dessen? Und in diesem Rahmen wird Karma relevant. Denn unsere geistigen Gebilde sind kausalketten unterworfen. Auf zahlreichen möglichen Pfaden ist ein Gedanke oder eine Emotion Ausgangsbasis für einen anderen Gedanken oder eine Emotion. So kann Wut zu Hass führen, Wut auf eine Person zur Wut auf die Menschengruppe „abschaum“ führen. Dann programmieren wir direkt einen Auslöser um negative Emotionen wieder hervorzuholen und immer wieder zu verstärken. Oder wir landen in Gedankenspiralen. Sehr schön beschrieben hat das Paul Watzlawick beschrieben in seiner „Geschichte mit dem Hammer“.
Wer schlechte Karma sät wird schlechtes Karma ernten ist also nur insofern an die physische Welt geknüpft als dass wir diese über die Sinne (ggf. verzerrt auf jeden Fall aus einer einzelnen Perspektive) wahrnehmen.
Das ist ein Unterschied zur Karma Interpretation der Jains, die starten mit einem metaphysischen/ kosmologischen Modell und in der Konsequenz,tragen einige Asketen sogar einen Mundschutz, damit sie keine fliegen einatmen und somit um negatives Karma aus der physischen Handlung zu vermeiden.
Wenn man also dein Fallbeispiel betrachtet in seiner Relation zum achtfachen Pfad und deiner Handlung in diesem Moment so rüstet und das dharma mit Rüstzeug aus um zu verhindern dass aus den Handlungen Leid entsteht. Und zwar egal wie du dich in dem Moment entschieden hast, ob du „Feigling“ warst oder „Retter“ ob du die Täter angegriffen hast oder nicht. Und ich würde auch behaupten es macht einen unterschied ob die Handlungen in diesem Moment sich aus Hass speisen oder aus dem Wunsch einen geliebten Menschen zu verteidigen. Die geschilderte Situation ist natürlich in gewisser Weise singulär.
„Ich nehme Abstand Lebewesen zu töten“ als Sila-Gelöbnis hilft natürlich auch dabei dass man weniger Schuldgefühle hegen muss, hilft also den Geist zu beruhigen und bestimmte reaktive Ketten von Geistesphänomenen (wofür im Pali auch der Begriff Dharma verwendet wird) garnicht erst entstehen zu lassen.
In der physischen Kategorie - die der Buddhismus garnicht direkt bespricht - haben wir Beispiele für sich selbst aufrecht erhaltene Reaktionsketten, eine exotherme Reaktion: Feuer.
Insofern ist es naheliegend dass vom erlöschen gesprochen wird — Nibbana. Und was ist mit der Wiedergeburt? Dem wieder-werden? Bhava. Es ist das Fort-lodern im samsara.
Am Ende kann man aus der persönlichen Betrachtung noch einen Schritt weiter gehen und feststellen dass über Sprache und Interaktion karmaketten garnicht auf eine Person beschränkt sind sondern nicht halt machen, andere Personen „anstecken“.
Wer als Kind Gewalt erlebt hat, ist in Gefahr diese Gewalt an die eigenen Kinder weiter zu geben, wer mit Hass konfrontiert wird ist in Gefahr selbst zu hassen.
Insofern bietet der Buddhismus für die geschilderte Ausnahmesituation einige Mittel an um das Leid zu mildern, durch Verständnis, Anteil und Rücksichtsname, durch Übung der Brahmavihara und Vermeidung von Geistesgiften.
Da das Leben in der Gesellschaft nie frei ist von ambiguitäten und solchen Ausnahmesituationen offeriert der theravada Buddhismus den Weg der Bikkhus.
Deine Ausnahmesituation ist nur ein Beispiel warum vollständiges erwachen im Alltagstrubel schwierig ist.