Dīgha-Nikāya, die Sammlung der langen Reden 15. Die große Lehrrede über die Ursachen

  • Ich hatte ursprünglich überlegt, einen Thread zu starten, durch den mit Hilfe von Lehrredenauszügen deutlich wird, dass eben das Problem ist, dass man ein Selbst konstruiert (zusammendenkt). Im Alltag wie auch in der Philosophie. Im Sinne der Leidminderung (meiner Ansicht nach vor allem des geistigen Leids) und Vernichtung des Leids ist es essentiell so ein Ansehen und Denken abzulegen.


    Angemessene Lehhrreden die eben genau das zeigen sind für mich Majjhima Nikāya 2 (alle Triebe) aber auch Die Lehrrede über die Ursachen. Gerade die letztere ist so aufgebaut, dass ein Gesamtverständnis wiedergegeben wird. Es macht also weniger Sinn, mit ihr nur einen Bezug zu den privaten SelbstMetaphysiken oder den philosophischen Metaphysiken über ein Selbst oder die Personen herstellen zu wollen. Ich möchte trotzdem nur den Auszug bezüglich der Ansichten und Erklärungsarten über ein Selbst posten. Fragen oder Erwägungen zu den Aussagen könnten vor dem Hintergrund der gesamten Lehrrede erörtert werden. Es handelt sich für meine Begriffe um einen schwierigen und erörterungswürdigen Auszug, wie auch um eine schwierige und sehr umfassende Lehrrede.


    Zitat

    23. Wenn man, Ānanda, das Selbst erklärt, wie wird es erklärt? Insofern erklärt man, Ānanda, das Selbst als materiell und begrenzt: 'Materiell und begrenzt ist mein Selbst.' Insofern erklärt man, Ānanda, das Selbst als materiell und unbegrenzt: 'Materiell und unbegrenzt ist mein Selbst.' Insofern erklärt man, Ānanda, das Selbst als immateriell und begrenzt: 'Immateriell und begrenzt ist mein Selbst.' Insofern erklärt man, Ānanda, das Selbst als immateriell und unbegrenzt: 'Immateriell und unbegrenzt ist mein Selbst.'


    24. Wenn, Ānanda, das Selbst als materiell und begrenzt erklärt wird, wird es als materiell und begrenzt erklärt, weil es in der Gegenwart so ist, oder weil es in der Zukunft so werden wird, oder er denkt so: 'Obwohl es jetzt noch nicht so ist, werde ich es zu einem derartigen Zustande bringen.' Wenn das so ist, Ānanda, kann man sagen es besteht die Neigung zur Ansicht vom materiellen und begrenzten Selbst.


    Wenn, Ānanda, das Selbst als materiell und unbegrenzt erklärt wird, wird es als materiell und unbegrenzt erklärt, weil es in der Gegenwart so ist, oder weil es in der Zukunft so werden wird, oder er denkt so: 'Obwohl es jetzt noch nicht so ist, werde ich es zu einem derartigen Zustande bringen.' Wenn das so ist, Ānanda, kann man sagen es besteht die Neigung zur Ansicht vom materiellen und unbegrenzten Selbst.


    Wenn, Ānanda, das Selbst als immateriell und begrenzt erklärt wird, wird es als immateriell und begrenzt erklärt, weil es in der Gegenwart so ist, oder weil es in der Zukunft so werden wird, oder er denkt so: 'Obwohl es jetzt noch nicht so ist, werde ich es zu einem derartigen Zustande bringen.' Wenn das so ist, Ānanda, kann man sagen es besteht die Neigung zur Ansicht vom immateriellen und begrenzten Selbst.


    Wenn, Ānanda, das Selbst als immateriell und unbegrenzt erklärt wird, wird es als immateriell und unbegrenzt erklärt, weil es in der Gegenwart so ist, oder weil es in der Zukunft so werden wird, oder er denkt so: 'Obwohl es jetzt noch nicht so ist, werde ich es zu einem derartigen Zustande bringen.' Wenn das so ist, Ānanda, kann man sagen es besteht die Neigung zur Ansicht vom immateriellen und unbegrenzten Selbst. Insofern, Ānanda, wird das Selbst erklärt.


    25. Wenn man, Ānanda, das Selbst nicht erklärt, wie lässt man es dann unerklärt? Insofern erklärt man nicht, Ānanda, das Selbst als materiell und begrenzt: 'Materiell und begrenzt ist mein Selbst', das erklärt man nicht. Insofern erklärt man nicht, Ānanda, das Selbst als materiell und unbegrenzt: 'Materiell und unbegrenzt ist mein Selbst', das erklärt man nicht. Insofern erklärt man nicht, Ānanda, das Selbst als immateriell und begrenzt: 'Immateriell und begrenzt ist mein Selbst', das erklärt man nicht. Insofern erklärt man nicht, Ānanda, das Selbst als immateriell und unbegrenzt: 'Immateriell und unbegrenzt ist mein Selbst', das erklärt man nicht.


    26. Wenn, Ānanda, das Selbst nicht erklärt wird als materiell und begrenzt, bleibt es als materiell und begrenzt unerklärt in der Gegenwart oder in der Zukunft oder er denkt nicht so: 'Obwohl es jetzt noch nicht so ist, werde ich es zu einem derartigen Zustande bringen.' Wenn das so ist, Ānanda, kann man sagen es besteht keine Neigung zur Ansicht vom materiellen und begrenzten Selbst.


    Wenn, Ānanda, das Selbst nicht erklärt wird als materiell und unbegrenzt, bleibt es als materiell und unbegrenzt unerklärt in der Gegenwart oder in der Zukunft oder er denkt nicht so: 'Obwohl es jetzt noch nicht so ist, werde ich es zu einem derartigen Zustande bringen.' Wenn das so ist, Ānanda, kann man sagen es besteht keine Neigung zur Ansicht vom materiellen und unbegrenzten Selbst.


    Wenn, Ānanda, das Selbst nicht erklärt wird als immateriell und begrenzt, bleibt es als immateriell und begrenzt unerklärt in der Gegenwart oder in der Zukunft oder er denkt nicht so: 'Obwohl es jetzt noch nicht so ist, werde ich es zu einem derartigen Zustande bringen.' Wenn das so ist, Ānanda, kann man sagen, es besteht keine Neigung zur Ansicht vom immateriellen und begrenzten Selbst.


    Wenn, Ānanda, das Selbst nicht erklärt wird als immateriell und unbegrenzt, bleibt es als immateriell und unbegrenzt unerklärt in der Gegenwart oder in der Zukunft oder er denkt nicht so: 'Obwohl es jetzt noch nicht so ist, werde ich es zu einem derartigen Zustande bringen.' Wenn das so ist, Ānanda, kann man sagen es besteht keine Neigung zur Ansicht vom immateriellen und unbegrenzten Selbst. Insofern, Ānanda, wird das Selbst nicht erklärt.


    27. Wenn man, Ānanda, das Selbst ansieht, wie wird es angesehen? Man sieht, Ānanda, die Gefühle als das Selbst an: 'Die Gefühle sind mein Selbst.' 'Nein, nicht sind die Gefühle mein Selbst, sondern mein Selbst ist frei von Gefühlen.' So Ānanda, sieht man das Selbst als frei von Gefühlen an. 'Nicht sind die Gefühle mein Selbst, noch ist mein Selbst frei von Gefühlen, mein Selbst fühlt, mein Selbst ist fähig zu fühlen.' So, Ānanda sieht man das Selbst an.


    28. Wenn, Ānanda, jemand sagt: 'Die Gefühle sind mein Selbst', dem soll man Folgendes antworten: 'Drei Gefühle, Bruder, gibt es, das angenehme Gefühl, das unangenehme Gefühl, das weder angenehme noch unangenehme Gefühl. Welches von diesen drei Gefühlen betrachtest du als dein Selbst?'


    Zu einer Zeit, Ānanda, wenn man ein angenehmes Gefühl empfindet, zu der Zeit empfindet man kein unangenehmes Gefühl und kein weder angenehmes noch unangenehmes Gefühl, nur das angenehme Gefühl empfindet man zu der Zeit. Zu einer Zeit, Ānanda, wenn man ein unangenehmes Gefühl empfindet, zu der Zeit empfindet man kein angenehmes Gefühl und kein weder angenehmes noch unangenehmes Gefühl, nur das unangenehme Gefühl empfindet man zu der Zeit. Zu einer Zeit, Ānanda, wenn man ein weder angenehmes noch unangenehmes Gefühl empfindet, zu der Zeit empfindet man kein angenehmes Gefühl und kein unangenehmes Gefühl, nur das weder angenehme noch unangenehme Gefühl empfindet man zu der Zeit.


    29. Auch das angenehme Gefühl, Ānanda, ist vergänglich, verursacht, bedingt entstanden, hat die Eigenschaft des Schwindens, des Vergehens, des Verblassens, des Aufhörens. Auch das unangenehme Gefühl, Ānanda, ist vergänglich, verursacht, bedingt entstanden, hat die Eigenschaft des Schwindens, des Vergehens, des Verblassens, des Aufhörens. Auch das weder angenehme noch unangenehme Gefühl, Ānanda, ist vergänglich, verursacht, bedingt entstanden, hat die Eigenschaft des Schwindens, des Vergehens, des Verblassens, des Aufhörens. Wenn er ein angenehmes Gefühl empfindet denkt er: ‚Das ist mein Selbst.' Wenn jenes angenehme Gefühl aufhört, dann denkt er: ‚Vergangen ist mein Selbst.' Wenn er ein unangenehmes Gefühl empfindet denkt er: ‚Das ist mein Selbst.' Wenn jenes unangenehme Gefühl aufhört, dann denkt er: ‚Vergangen ist mein Selbst.' Wenn er ein weder angenehmes noch unangenehmes Gefühl empfindet denkt er: ‚Das ist mein Selbst.' Wenn jenes weder angenehme noch unangenehme Gefühl aufhört, dann denkt er: ‚Vergangen ist mein Selbst.' Wenn er sagt: ‚Das Gefühl ist mein Selbst', so muss er schon in diesem Leben das Selbst ansehen als: Vergänglich, mit Angenehmem und Unangenehmem verbunden, mit der Eigenschaft von Entstehen und Vergehen versehen. Daher, Ānanda, ist es nicht schlüssig dieses so anzusehen: ‚Das Gefühl ist mein Selbst.'


    30. Wenn er, Ānanda, Folgendes sagen würde: 'Nein, nicht sind die Gefühle mein Selbst, sondern mein Selbst ist frei von Gefühlen', dem soll man Folgendes sagen: 'Wenn es alle Gefühle nicht gäbe, gäbe es dann den Gedanken: 'Ich bin'?'" - "Nein, das nicht, Verehrungswürdiger." - "Daher, Ānanda, ist es nicht schlüssig, dieses so anzusehen: 'Nein, nicht sind die Gefühle mein Selbst, sondern mein Selbst ist frei von Gefühlen.'


    31. Wenn er, Ānanda, Folgendes sagen würde: 'Nicht sind die Gefühle mein Selbst, noch ist mein Selbst frei von Gefühlen, mein Selbst fühlt, mein Selbst ist fähig zu fühlen', dem soll man Folgendes sagen: 'Wenn die Gefühle, Bruder, ganz und gar, vollkommen, restlos aufhören würden, wenn alle Gefühle nicht da sein würden, wenn alle Gefühle aufhören, könnte dann der Gedanke sein: 'Das bin ich'?" - "Nein, das nicht, Verehrungswürdiger." - "Daher, Ānanda, ist es nicht schlüssig, dieses so anzusehen: 'Nicht sind die Gefühle mein Selbst, noch ist mein Selbst frei von Gefühlen, mein Selbst fühlt, mein Selbst ist fähig zu fühlen.'


    32. Wenn, Ānanda, ein Mönch das Gefühl nicht als sein Selbst ansieht, noch sein Selbst als frei von Gefühlen ansieht, noch sein Selbst so ansieht: 'Mein Selbst fühlt, mein Selbst ist fähig zu fühlen', wenn er es so ansieht, dann wird er in der Welt nichts ergreifen. Wenn er nichts ergreift, bangt er um nichts. Nicht bangend erlöst er sich selber und weiß: 'Vernichtet ist die Geburt, vollbracht der Reinheitswandel, das zu Tuende getan, nichts ist mehr nach diesem.' Wenn einer, Ānanda, in Bezug auf diesen gemüterlösten Mönch die Ansicht hat und sagen würde: 'Der Vollendete ist nach dem Tode', dann ist diese (Ansicht) unrichtig. Wenn einer, Ānanda, in Bezug auf diesen gemüterlösten Mönch die Ansicht hat und sagen würde: 'Der Vollendete ist nicht nach dem Tode ...., ist und ist nicht nach dem Tode ...., weder ist er noch ist er nicht nach dem Tode', dann ist diese (Ansicht) unrichtig. Aus welchem Grunde? Solange aber die Benennung ist, solange die Möglichkeit für Benennung ist, solange das Definieren ist, solange die Möglichkeit der Definition ist, solange Erklärungen sind, solange die Möglichkeit für Erklärungen ist, solange die Kenntnis ist, solange das ganze Gebiet der Kenntnis ist, solange ist der Daseinskreislauf, solange läuft der Daseinskreislauf weiter. - Mit diesen höheren geistigen Kräften ist der Mönch erlöst. Wenn einer in Bezug auf diesen Mönch die Ansicht hat und sagen würde: '(Dieser) durch höhere geistige Kräfte erlöste Mönch sieht nicht wirklichkeitsgemäß, dann ist diese (Ansicht) unrichtig.

    Lehrrede über die Ursachen