Karnataka hat geschrieben:
“Ich halte es für sinnvoll und undogmatisch, Theorie und Erfahrung zu trennen.”
Ich halte genau das Gegenteil für richtig. Jede Theorie kann sich nur auf Erfahrung gründen. Bei den Naturwissenschaften würde man sagen: auf dem Experiment, das ja nichts anderes ist als Erfahrung. Anderernfalls würde es sich um Spekulation oder bestenfalls um Hypothesen handeln.
Weiterhin schreibt Karnataka:
“Die praktische Ebene bildet die Erfahrung des Klaren Lichtes. Diese Erfahrung, die manchmal in Verbindung mit Todesangst oder größter Verzweiflung auftritt, scheint mir aus einer lichthaften Wahrnehmung und einer Intuition gebildet: man hält die Unvergänglichkeit der lichthaften Wahrnehmung für wahr, ohne einer Begründung zu bedürfen. Zweitens besagt die Intuition, dass dies unsere eigene Natur ist.”
Ich halte es in diesem Zusammenhang für nützlich, die ausserordentlich zahlreichen und gut dokumentierten Berichte über Nahoderfahrungen zur Kenntnis zu nehmen, in denen immer wieder Bezug auf das “helle , weisse aber nicht blendende Licht” , auf die empfundene, unsagbar intensive Liebe, auf den Frieden, auf Geborgenheit und auf den zeitlosen Zustand dieser Erfahrungen genommen wird, die allerdings in keiner Weise einer rational oder rationalistischen, naturwissenschaftlich gefärbten Begründung bedürfen, um als real oder wirklich zu gelten. In diesem Zusammenhang sollte man sich vor Augen halten, dass jede Begründung auf einer oder vielen anderen Voraussetzungen oder voraus gegangenen anderen Begründungen beruht, ohne dass dies jemals zu einem endgültigen Anfang führen würde. Jedes wirkliche Wissen, über das ein Mensch verfügen kann, stammt aus dem eigenen unbewussten Urgrund und kann niemals bewiesen oder weitergegeben werden. Seine, des Wissens, Weitergabe an Dritte verwandelt sich automatisch in reine Information, die nur einen relativen Wert besitzt.
Weiterhin fragt Mukti:
“Was meint der Begriff „Bewusstsein“ überhaupt?”
Die buddhistische Antwort auf diese Frage findet man im Pali-Kanon. Dort steht dem Sinne nach geschrieben, dass das menschliche Bewusstsein als letztes Aggregat keine andere Funktion hat als die Zurkenntnisnahme von Wahrnehmungen aller Art. Ohne irgendeine Wahrnehmung kann individuelles Bewusstsein demnach im besten Falle nur latent vorhanden sein und erlöscht wie alle anderen Aggregate mit dem Tode des Menschen, bleibt aber wohl latent weiterhin vorhanden ( das kollektive Bewusstsein wird davon selbstverständlich nicht berührt), der nur sein Karma hinterlässt, das bewirkt , dass unter Zuhilfenahme von zwei Menschen verschiedenen Geschlechts ein neues Menschenwesen entsteht mit allen seinen Aggregaten, auch einem Bewusstsein, welches (das Menschenwesen) nach der Art und den Eigenschaften des Karmas (bezw. seiner Folgen) des zuvor verstorbenen Menschen geboren wird und sich auf dieser Grundlage weiter entwickelt. Ich drücke mich so kompliziert aus, um dem Begriff “Reinkarnation” oder “Seelenwanderung” aus dem Wege zu gehen, die es dem Buddhismus zufolge nicht geben kann.
Bei aller Verehrung, die ich für den Dalai Lama als Retter und Bewahrer der tibetanischen Kultur und seines Buddhismus nach der chinesischen Besatzung empfinde, kann ich seinen Artikel über das Bewusstssein in manchen Teilen nicht sehr ernstnehmen.
Soweit ich es erkennen kann, ist Bewusstsein raum- und zeitlos und kann daher nicht in verschiedene Ebenen aufgeteilt werden. Sehr wohl dagegen können Wahrnehmungen, die dem Bewusstsein zugeführt werden oder auch nicht in verschiedene Ebenen aufgeteilt werden. Und hier teile ich die Auffassungen des D.L. wenn er von “grob” und “subtil” spricht, auch wenn ich diese Ausdrücke zur Beschreibung von Wahrnehmungen nicht so verwenden würde.
Zur weiteren Klärung des Begriffes Bewusstsein: Ein geburtsblinder Mensch kann kein visuelles Bewusstsein besitzen, da er keine visuellen Wahrnehmungen hat. Er kann z.B. auch nicht wissen, was für den sehenden Menschen der Begriff “schwarz” bedeutet. Sollte er aber im Verlaufe seines Lebens aus irgendwelchen Gründen das Sehvermögen erlangen, so wird sich automatisch auch das visuelle Bewusstsein bei ihm einstellen. Genauso verhält es sich mit allen anderen erdenklichen oder nicht erdenklichen oder vorstellbaren Wahrnehmungen, welche der Mensch im Laufe seiner geistigen Entwicklung erfahren mag. Er benötigt dazu kein extra supersutiles Bewusstsein jedoch sicher supersutile Wahrnehmungen, wie sie uns von vielen Menschen mit Nahtod-Erfahrungen berichtet werden.
Ich müsste hier einen ganzen Roman schreiben, um zu dem angeschnittenen Thema auf alle Ausführungen des D.L. einzugehen. Dafür ist aber hier nicht der Platz noch ist dies meine Absicht. Ich beschränke mich daher im Weiteren auf einige einzelnen Begriffe, die der D.L. hier anführt und die m.E. einen kritischen Kommentar benötigen.
Der D.L. schreibt: “Bewusstsein kann nicht aus Materie entstehen”.
Es überrascht mich, dass der D.L. in diesem Zusammenhang überhaupt von Materie sprechen kann, zumal der Buddhismus in allen seinen Spielarten die Existenz von Materie als solche ablehnt und lehrt, dass alle Sinneswahrnehmungen nichts anderes sind als reine Vorstellung. Es entzieht sich meinem ureigenen erkennenden Wissen, ob das “Klare Licht” die Quelle für das Vorhandensein von Bewusstsein sein kann oder nicht. Der D.L:. spricht in diesem Zusammenhang wie folgt:
“Wir können nun die Frage aufwerfen, ob das Bewusstsein des Klaren Lichts inhärent, von seinem eigenen Wesen her existiert. Tatsache ist, dass auch das subtilste Bewusstsein nur in Abhängigkeit von vielen Faktoren besteht. Zum Beispiel ist es abhängig von einzelnen Augenblicken,………..”
Hier passe ich. Ich nehme als Information zur Kenntnis, was der D.L. hierzu schreibt. Aber zueigen machen kann ich mir diese Auffassung nicht. Meiner Meinung zufolge ist auch das KLare Licht eine Wahrnehmung eines a priori vorhandenen Bewusstseins. Aber ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen und lasse offen, ob ich dies so richtig sehe oder nicht.
Weiterhin schreibt der D.L.:
“Einzelne Momente dieses Bewusstseins reihen sich quasi aneinander und bilden eine Kontinuität. Weder ein einzelner Moment dieses Bewusstseins noch all die Momente zusammen sind dieser Bewusstseinsstrom des Klaren Lichts; vielmehr existiert das Kontinuum als Benennung inAbhängigkeit vieler Momente.”
Hier begeht m.E. der D.L. eine gedankliche Unreinlichkeit. Ein Kontinuum kann niemals aus Bruchstücken (einzelne Momente) zusammengesetzt sein. Das ist ein Widerspruch in sich selbst. Und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, das hier die weitverbreitete Kenntnis der Quantentheorie etwas hineinspuckt.
An anderer Stelle schreibt der D.L.:
“Somit ist das Ich oder Selbst ohne Anfang und hat kein Ende.”
Das bedeutet für mich eine weitere Überraschung. Soviel ich weiss, lehnt der Buddhismus in allen seinen Verzweigungen die Existenz eines “ich” oder”selbst” kategorisch ab. Ich verstehen nicht, wie der D.L. zur Verwendung dieser Begriffe gelangt.
Soweit mein Kommentar zu diesem Thema. Zum Abschluss hier noch etwas aus einer ganz anderen Quelle, nämlich über den Urgrund aller Dinge von Dionysius dem Areopagita:
“Noch höher aufsteigend sagen wir von ihr (der Allursache) aus, daß sie weder Seele ist noch Geist; ihr ist auch weder Einbildungskraft, Meinung, Vernunft oder Denken zuzuschreiben, noch ist sie mit Vernunft und Denken gleichzusetzen, noch wird sie ausgesagt, noch gedacht. Sie ist weder Zahl noch Ordnung, weder Größe noch Kleinheit, weder Gleichheit noch Ungleichheit, weder Ähnlichkeit noch Unähnlichkeit. Sie hat weder einen festen Stand, noch bewegt sie sich, noch rastet sie. Ihr ist auch weder Kraft zuzuschreiben, noch ist sie mit Kraft identisch, noch mit Licht. Sie ist weder lebendig noch mit Leben identisch. Auch ist sie nicht Sein, nicht Ewigkeit, nicht Zeit. Sie kann aber auch nicht gedanklich erfaßt, noch gewußt werden. Auch ist sie weder mit Wahrheit, noch mit Herrschaft oder Weisheit gleichzusetzen. Sie ist weder eines noch Einheit, weder Gottheit noch Güte. Sie ist auch nicht Geist in dem Sinne, wie wir diesen Ausdruck verstehen, noch mit Sohnschaft oder Vaterschaft gleichzusetzen oder mit irgend etwas anderem, von dem wir oder irgendein anderes Wesen Kenntnis besäßen. Sie gehört weder dem Bereich des Nichtseienden noch dem des Seienden an. Auch erkennt sie die Dinge nicht so, wie sie (tatsächlich) sind, noch erkennt sie die Dinge in ihrem tatsächlichen (begrenzten bzw. zusammengesetzten) Sein. Sie entzieht sich jeder (Wesens-) Bestimmung, Benennung und Erkenntnis. Sie ist weder mir Finsternis noch mit Licht gleichzusetzen, weder mit Irrtum noch mit Wahrheit. Man kann ihr überhaupt weder etwas zusprechen noch absprechen. Wenn wir vielmehr bezüglich dessen, was ihr nachgeordnet ist, bejahende oder verneinende Aussagen machen, dann ist es nicht etwa sie selbst, die wir bejahen oder verneinen. Denn sie, die allvollendende, einzige Ursache aller Dinge, ist ebenso jeder Bejahung überlegen, wie keine Verneinung an sie heranreicht, sie, die jeder Begrenzung schlechthin enthoben ist und alles übersteigt.
S.74ff.
Aus: Pseudo-Dionysius Areopagita, Über die mystische Theologie und Briefe Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Adolf Martin Ritter
© 1993 Anton Hiersemann Verlag, Stuttgart (Bibliothek der griechischen Literatur, Band 40)
Auszugsweise Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung des Anton Hiersemann Verlages, Stuttgart
--------------
Ist das nicht das “Jenseits vom Jenseits”, von dem die tibetanischen Buddhisten zuweilen sprechen?