Beiträge von Andreas L.

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    Irgendwann wurde mal in einem Forum Shin Buddhismus zum Theravada gezählt, kannst du dir vorstellen woher das kommt?


    Ehrlich gesagt nein. Außer es ist derselbe Grund, der immer wieder zu seltsamen Mißverständnissen bezüglich Jodo Shinshu führt - man kennt diese Schule, obwohl eine der größten überhaupt (oder sogar die größte, die Zahlen schwanken da), schlicht nicht unter westlichen Buddhisten. Das, was einem noch passieren kann, ist, wenn jemand sie kennt, aber haarsträubende Vorstellungen darüber hat. 'Ach ja, dieses buddhistische Christentum....' oder 'Och nee, dieser Tu-Nichts Buddhismus' etc.. Selbst in akademischen Zirkeln befassen sich nur recht wenige mit dieser Tradition. Das alles mal zusammengenommen, ist es dann wohl auch egal, Shin zum Theravada zu zählen, keine Ahnung :lol:


    Gassho


    Andreas

    Hallo Maitrikaruna,


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    Das Prozesshafte des Dharmas verstehe ich so, dass ich es z.B. als keine Verfälschung der Lehre Buddhas verstehe, wenn neue Formen/Schulen entstehen, solange die Essenz bestehen bleibt.


    Sicher, das meinte ich, als ich sagte, der Dharma hatte immer den Charakter von Experimenten mit dem, was Leiden beendet. Und Experimente gingen und gehen halt weiter.


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    Dennoch ist Ethik für uns wichtgig, wir üben die sechs Paramita, aber wir tun dies (sollten wir tun) absolut/radikal BEDINGUNGSLOS. Genauso wie wir BEDINGUNGSLOS auf Buddha vertrauen. (ich meine: wir üben es bedingungslos zu tun )
    Es ist sicher nicht das Gleiche, wie Shinran Shonin lehrt


    Vielleicht ist das mißverständlich rübergekommen, Shinran hat nicht einem amoralischen Leben das Wort geredet. Es gibt einen Ausspruch von ihm, der allerdings zu seiner Zeit das hervorgebracht hat, was man 'radikalen Amidismus' nennt. Shinran sagte, um das eigentliche 'Ziel' von Amidas Wirken deutlich werden zu lassen: Entgegen der landläufigen Meinung, daß wenn ein Böser erlöst wird, der Gute wohl um so eher und sicherer der Erlösung teilhaftig wird sagte er: Sogar der Gute wird erlöst, um wieviel mehr der Böse!


    Das bedeutet nur, daß gerade der 'Böse' das Ziel des 'Allerbarmens Buddhas' ist, weil dieser eher seine eigenen Grenzen und Beschränkungen wahrnimmt, der 'Gute' sich meistens auf dieses 'Gutsein' noch einiges einbildet und damit seine Fesseln wieder enger um sich schlingt. Dieser Ausspruch führte aber dazu, daß es Menschen gab, die dies wie einige Gnostiker interpretierten a la 'Sündigt viel, auf das euch viel vergeben werde!" Dagegen hatte sich Shinran scharf ausgesprochen, weil auch dies aus reiner Berechnung geschehen würde und dies sei eine Stärkung des Ego. Für Shinran führten nicht die Silas (die er entgegen anderen Traditionen seinen Schülern nicht 'gab' und bis heute 'nehmen' Shin Buddhisten in der Regel die Silas auch nicht, im Sinne eines Gelübdes) zur Befreiung, sondern für ihn war es so, daß sich ethisches Verhalten automatisch ergeben würde bei jemandem, der Amidas befreiendes Wirken erfahren hat. Dies sei dann ein ethisches Verhalten, welches gänzlich ohne 'Hintergedanken' auskäme und deswegen frei von Berechnung und 'um-zu' Motivation sei.


    @tomate,


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    das ist nicht korrekt, denn im zen finden wir auch das prinzip des "nichts ist heilig".


    Ich halte das schon für korrekt, denn die Erleuchtungserfahrung ist auch im Zen oft mit verstörendem Schauer verbunden. Davon abgesehen, wenn man sagt im Zen gibt es dieses Heilige im Sinne von Otto nicht (was zu hinterfragen wäre), dann bliebe der Punkt eben dennoch bestehen. Dort, wo es das Heilige gibt, dort ist es in der Regel eine Mischung aus Tremendum und Fascinas. Die Shinjin Erfahrung durch Amida hat keinerlei Tremendum-Aspekt.


    Gassho


    Andreas

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    Was genau war Shinran Shonin’s Ansicht bezüglich eines uebernatuerlichen Wesens und dessen eingreifen in das inndividuelle Dasein der Wesen, zb. Mit Geschenken etc.?


    Shinran war Buddhist und das bedeutet, was es für alle Buddhisten bedeutet - Götter, 'übernatürliche Wesen', Geister etc. werden nicht geleugnet, sie spielen aber für die Erlangung der Befreiung aus dem Leiden keine Rolle. Allerdings gab es in Japan schon zu Shinrans Zeiten eine starke Verflechtung des Buddhismus mit den Kami, also den Gottheiten des Shinto, sowie die Funktionen der verschiedenen Schulen im Sinne einer 'magischen' Schutzwirkung für den Staat und die Bürger.


    Shinran lehnte jeglichen Aberglauben aus, lehnte Divination und Kami Verehrung etc. radikal ab. Ausschließlich Amida Buddha lag im Fokus seiner spirituellen Suche.



    Jodo Wasan 48


    To take refuge in the Pure Land of Amida
    Is to take refuge in all other Buddhas' [Lands];
    To praise one Buddha with one mind
    Is to praise the Unhindered Ones.
    (Shinran)


    Ein von mir ebenfalls sehr geschätzter Shin Priester, Rev. George Gatenby aus Australien, kommentiert diesen Wasan hier:


    http://www.gatenby.id.au/notes/jw48.htm


    Gassho,


    Andreas

    Nur ne kleine Anmerkung - wenn ihr meine Ausführungen als eigenen Thread auskoppeln wollt, dann nennt ihn besser Shin-Buddhismus, das ist der Name, der überall (neben Jodo Shinshu) verwendet wird. Oder macht einen Doppeltitel: Shin-Buddhismus/Jodo Shinshu.


    Gassho


    Andreas

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    die sog. "Ander-kraft" (worin besteht das "anders"sein und was ist unter "kraft" im zusammenhang zu verstehen?) sind meiner meinung nach worte, die auf besondere aspekte dieser lehre hindeuten, wenn sie auch wahrscheinlich nicht einzigartig in der vielfalt buddhistischer schulen sein mögen.


    Das 'Andere' bezieht sich nicht so sehr auf das 'Sein' (nicht etwa im Sinne christlicher Theologie, die Gott als 'den ganz anderen' definiert, um seine Transzendenz zu betonen), als vielmehr auf die 'Richtung'. Wir erfahren den Dharma generell als etwas, das wir quasi 'von außen' erleben, wir hören Belehrungen, lesen Sutren, hören Musik, die Rituale begleitet, nehmen uns wahr, wie wir den Dharma in unser Leben hereinlassen, was es dann transformiert. Es ist eben nicht so, daß man beschließt, 'so, jetzt befreie ich mich mal' und man legt mit der Praxis los, die einen dann befreit, weil man so fleißig war. Obwohl genau das die Einstellung zu sein scheint, die viele haben, gerade im Westen wird das oft so im Sinne einer Managerreligiosität verstanden. Man erarbeitet sich sein Häuschen, werkelt an seiner Karriere, kraxelt die Leiter des Erfolgs rauf, etc.. und dann überträgt man diese zutiefst ego-zentrische 'Macher'-Sicht einfach auf den Buddhismus und erarbeitet und erkämpft sich die Befreiung vom Ego.


    Eben dieser Münchhausen-Trick wird im Shin Buddhismus als unmöglich betrachtet. Wobei man hier diverse Sichtweisen unterscheiden muß, Shinran selber hat, soweit ich weiß, nie gesagt, daß diese Befreiuung aus eigener Kraft generell unmöglich sei, aber er hat diesen Pfad der Weisen als den definitiv schwierigeren betrachtet und für sich und die Mehrheit der Menschen als unmöglich betrachtet.


    In der Jodo Shinshu hat sich dann im Laufe der Zeit aber durchaus die Vorstellung herausgebildet, daß es in diesem Zeitalter des Mappo quasi für alle unmöglich ist. Man mag dies als nicht auf den Gründer stützbare Interpretation deuten, aber man kann es durchaus als konsequente Umsetzung der einzelnen Aussagen Shinrans zu bestimmten Punkten auffassen. Besonders spielt hier seine spezifische Auffassung des Karmas hinein, die bei Shinran eine 'Verschärfung' erfahren hat.


    Da alle Wesen seit anfangsloser Zeit im Samsara umherirren, und es damit einen unendlichen 'Tatenstrom' gibt, der sich durch die Inkarnationen der Lebewesen zieht, gibt es auch eine unendliche Folge von Wirkungen. Es erscheint deshalb als aussichtslos irgendwie zu versuchen diesen 'Karmaberg' abtragen zu wollen, weil er unendlich ist. Dies und die Betonung Shinrans genauer hinzusehen und auch gute Taten konsequenterweise als 'negativ' zu betrachten, weil auch sie weiter an Samsara binden, läßt das Karma für ihn weniger als ein neutrales Gesetz erscheinen, als vielmehr als 'karmisches Übel', das uns alle auf das Rad der Wiedergeburten bindet. Bei einer solchen Verschärfung der Sicht auf das Karma erscheint es eigentlich nur folgerichtig, wenn man davon ausgeht, daß es keinem gelingen wird, sich daraus 'selbst' zu befreien.


    Das 'Andere' ist also das, was uns in unserer Egoverblendung so erstmal nicht sichtbar oder zugänglich ist und damit 'anders' erscheint, als 'wir'. Kraft ist hier durchaus im Sinne von 'bewegend' zu verstehen, etwas, daß in der Lage ist Veränderung zu bewirken. In letzter Konsequenz fallen natürlich Jiriki und Tariki zusammen, wenn man davon ausgeht, daß es sich darum handelt, die Buddhanatur zu verwirklichen, zu erfahren, aber da dies nur eine rationale Einsicht ist, bewahrt sie uns nicht davor, immer wieder in die Fallen des Egos zu tappen. Dafür ist die Abwendung vom Ego nötig, das sich Fallenlassen in den 'Schoß der Anderen Kraft', das Vertrauen, das man sozusagen niemals 'aus dem System herausfallen' kann. Dieses Vertrauen schafft Ruhe und Sicherheit, das 'Diamantene Herz' wie es Shinran nannte, entsteht. Aber dieses Vetrauen (Shinjin) selbst ist nichts, was wir erarbeiten können, es geschieht einfach, wie ein 'Geschenk' und ist die Spiegelung von Amidas Wirklichkeit in unsere verdorbene Natur hinein, die durch die drei Wurzelgifte Gier Hass und Verblendung immer weiter verzerrt wird.


    Hier einige Ausführungen des von mir sehr geschätzten Alfred Bloom:


    Zitat

    Our mind is defiled, tainted, and filled with blind passions, i.e., the very opposite to the mind of Amida which is true, real, and sincere. We can hardly purify our minds by using our impure minds to achieve it. The true wisdom of Amida clearly sees through such passion-ridden beings and knows them thoroughly. Out of pity and concern, Amida Buddha has made and fulfilled his primal vows to save all sentient beings unconditionally. This is the true compassion of Amida. The pure heart and mind of Amida is thus given to us as a gift in the form of Namu Amida Butsu which means 'taking refuge in Amida Buddha.' When Namu Amida Butsu is accepted and received, it is called Shinjin. The contents of Shinjin are wisdom and compassion.


    Thus, Shinjin is the characteristic of the heart and mind of a person who entrusts himself or herself to the primal vows of Amida. As Shinjin is the heart and mind of Amida, it can not be defeated nor broken and, therefore, is likened to a diamond. When the diamond-like Shinjin is received by us from Amida without any single thought of doubt, we are grasped to be never abandoned (sesshu fusha) by the embrace of the compassionate power of Amida's vows, and enter into the company of truly assured, with no retrogressions, in the present life.


    (http://www.shindharmanet.com/writings/shinjin.htm)


    Auch Rev. Thomas Moser hat einige sehr gute Einblicke in einem Referat vermittelt:


    http://teaching.schule.at/brpi…0Shinrans%20Schriften.pdf


    Und was die 'Einzigartiglkeit' des Tariki Konzeptes betrifft, so ist zu sagen, daß es in dieser Gegensätzlichkeit eigentlich erst im japanischen Buddhismus entstanden ist, aber Shinrans Konzept einer 'Absoluten Ander-Kraft' ist in der Tat einzigartig im Buddhismus und wohl auch generell in der Religionsgeschichte.


    In allen buddhistischen Schulen, auch jenen, die generell eher die Andere Kraft betonen, gibt es immer noch Anteile einer Eigen-Kraft, die als notwendig betrachtet werden, um die Befreiung zu erlangen. Auch in den theistischen Religionen, die den 'Gnadenbegriff' kennen, also das Allerbarmen Gottes, findet sich im Grunde eine Mischung aus Jiriki und Tariki, denn um die Gnade zu verdienen, muß man die Gebote befolgen, muß man ethisch korrekt handeln usw.. Diese Idee eines Mitgefühls ist nur relativ, weil immer bezogen auf die jeweiligen Handlungen und Verhaltensweisen des Individuums, es ist Belohnung.


    Für Shinran hingegen ist die ultimative Realität absolutes Mitgefühl, welches keinerlei Einschränkungen und Bedingungen kennt, die die Befreiung der Wesen betrifft. Die Reine Land Sutren sprechen von den Gelübden Amidas, der nicht zum Buddha werden will, bevor nicht alle Wesen befreit sind. Da Amida aber als Buddha gilt, ergibt sich, daß de facto alle Wesen bereits befreit sind, womit wir wieder bei der Buddhanatur sind, die in allem präsent ist, aber nicht von jedem erkannt und erfahren wird. Man könnte vielleicht mit Rudolf Otto sagen, daß in allen Religionen und 'Gottesvorstellungen' immer eine Mischung vorliegt aus dem Mysterium Tremendum und dem Mysterium Fascinans, das Heilige läßt den Menschen erschauern (der 'Zorn Gottes' läßt den Menschen vor Furcht erstarren) und erhebt ihn gleichzeitig in Entzücken und Verklärung seiner Güte. Dies findet sich in allen Konzepten der Religionsgeschichte - außer bei Shinran. Amida als die Verkörperung der ultimativen Realität ist für ihn absolutes Mitgefühl und damit nur Fascinans, ohne jegliches Tremendum. Darin liegt die Einzigartigkeit dieses Konzeptes, seine Fülle an neuen Aspekten, die es sowohl religionsgeschichtlich/religionsphilosophisch erschließt, wie auch in seiner Auswirkung auf die Reflektion des Menschen als in und durch seine Natur gebundenes Wesen, dem aber dennoch die Befreiung aus eben diesem Zustand quasi bestimmt ist.


    Shinran hat eine Lehre absoluter Hoffnung gebracht, die über alle Grenzen hinweg, seien sie nun religiöser oder kultureller Art, im besten Sinne universal ist. Dies und der Fokus auf dem Mtgefühl macht für mich seine Lehre zur 'Krönung' des Mahayana und schließt den Kreis zurück zu Sakyamuni Buddha, der nicht nach seiner Erleuchtung in seinem Zustand der Freiheit verharrte, sondern sich aus eben diesem Mitgefühl heraus den Menschen zuwandte und sie den Dharma lehrte. Amida wird als stehender Buddha dargestellt, der sich den Menschen aktiv zuwendet, anstatt in Meditation versunken in sich zu ruhen. Es gibt auch eine Form, die bekannt ist als Mikaeri-Amida (Amida, der zurückblickt) und sehr schön eben diese Haltung veranschaulicht, das absolute Mitgefühl, das keinen zurückläßt.



    Damit wird Amida Buddha zur idealen Verkörperung dessen, was ich als Buddhist als die Grundlage dessen betrachte, was Buddha lehrte und damit wird Sakyamuni zur Verkörperung von Amida Buddha, mit der Erleuchtung des Sakyamuni kam das absolute Erbarmen Amidas in diese Welt und das bedeutet es für mich, wenn die Reine Land Sutren davon sprechen, daß Sakyamuni über Amida Buddha gelehrt habe. Das hat er natürlich so nicht getan, aber diese Sutren sprechen von derselben Wahrheit, die er verkündete und verkörperte und das macht sie zu Buddhavaccana - Worten des Buddha.



    Gassho


    Andreas

    Hallo maitrikaruna,


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    ich hab eine *Frage* an dich: Was ist die Essenz oder der Kern der Lehre von Shinran Shonin?
    Kann man das in eine paar Sätzen erklären?


    nun, das ist - wie so oft - nicht ganz einfach, es in wenigen Sätzen zu erklären. Ich will es dennoch versuchen, auf den Punkt zu bringen.


    Shinran Shonin ('Shonin' ist ein Ehrentitel, sein Name war Shinran) lebte von 1173 - 1263 und gehört damit zu den 'Reformern' in der Kamakura Zeit in Japan (er war Zeitgenosse von Dogen und Nichiren). Er ging als junger Mann in die Klosteruniversität des Berges Hiei, die zur Tendai Richtung des Buddhismus zählte. Dort übte er sich 20 Jahre lang in den diversen Disziplinen, was aber relativ fruchtlos für ihn blieb, d.h. es stellte sich eine ziemliche Ernüchterung bei ihm ein, daß man die Erleuchtung auch nach so langer intensiver Praxis offenbar nicht erreicht.


    In der Zeit wirkte Honen Shonin, der die Jodo Shu (Schule des Reinen Landes) gegründet hatte, eine Schule, die die bereits sehr lange Tradition des Reinen Landes des Buddhas Amida (eine aus den früheren Buddhas Amithaba und Amitayus 'gebildete' Vorstellung) in den Mittelpunkt rückte und damit zu einer eigenen Richtung innerhalb des Buddhismus machte (vorher waren diese Ideen um Amida Teil anderer Richtungen und die Praxis der Rezitation des 'Nembutsu' - die ständige Vergegenwärtigung der 'rettenden Kraft' Amidas durch seinen Namen - Namu Amida Butsu (Ich nehme meine Zuflucht zu Amida Buddha) - wurde als eine Praxis unter vielen betrachtet.


    Honen, der durch die Ausgrenzung großer Teile der Bevölkerung von dem, was man als buddhistisches Heilsziel bezeichnen kann, dazu angeregt worden war, nach einem Weg zu suchen, wie alle die Befreiung erreichen könnten, erklärte nun das Nembutsu zur einzigen Praxis, um im Zeitalter des 'Mappo' (dem Niedergang des Dharma) das Ziel überhaupt noch erreichen zu können. Für Honen und seine Anhänger war Amida ein real existierender himmlischer Buddha, ein Buddha unter vielen, der aber durch seine Gelübde alle Wesen zu erretten, eine Sonderstellung innehatte.


    Shinran wurde Schüler Honens und erfuhr durch die Vorstellung eines Tariki (Ander-Kraft) bezogenen spirituellen Weges, der sich nicht auf die Bemühungen des schwachen Egos zu stützen suchte, eine Befreiuung, da er ja in den 20 Jahren erkannt hatte, daß er nichts erreicht hatte, obwohl er sich intensiv bemühte. Im Laufe der Zeit entwickelte Shinran, der mit seinem Meister in die Verbannung gehen mußte, weil die herrschenden buddhistischen Schulen dies beim Staat durchsetzten, seine eigene Interpretation der Reine Land Lehren und führte sie weit über die Ansätze Honens hinaus.


    Für ihn war Amida nicht einfach ein Buddha unter vielen, sondern Shinran sah in ihm den Dharmakaya-als-Mitgefühl, quasi das 'Gesicht des Nirvana'. Er verabsolutierte Amida und sah in ihm nicht mehr eine Figur, die durch Aussehen, Form, Größe etc. als 'Wesen' bestimmt wurde, das in einem real existierenden 'Land im Westen' residierte (was eben die alte, traditionelle Vorstellung war), sondern für ihn war Amida die absolut existierende Buddhanatur in uns und die Verkörperung der letztlichen unbedingten Realität, das 'Reine Land' wurde zu einer allgegenwärtigen Präsenz dieser Buddhanatur und als positive Beschreibung des Nirvana aufgefasst, im Gegensatz etwa zu den negierenden Termini im Theravada, die das Nirvana 'beschreiben' indem sie sagen, was es alles 'nicht ist'. Vorher galt das Reine Land als 'Durchgangsort' zum Nirvana, als ein paradiesicher Ort in diesem Universum, eine Dimension, wo man leichter praktizieren kann, weil es die schlechten Bedingungen wie auf der Erde nicht mehr gab.


    Für Honen war die Rezitation des Nembutsu der Weg Erleuchtung zu erlangen, weil dies die Erettung durch Amida bewirkte. Für Shinran ging es darum, daß das menschliche Ego immer 'egoistisch' konditioniert ist und nicht ich-los handeln kann, es handelt immer in Berechnung (hakarai). Eine Rezitation 'um-zu' war für ihn nur eine weitere Form der 'Ich-Kraft', die versucht sich wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen und war damit von anderen Praktiken, die denselben Ursprung in der Kraft des Egos haben, nicht unterschieden und damit ungeeignet die Befreiung zu erlangen.


    Neben der Tatsache, daß Shinran den Reine Land 'Mythos' radikal anders interpretierte (und ihn damit an die Basislehren des Mahayana wieder annäherte), Amida 'abstrahierte', verabsolutierte und letztlich mit der Buddhanatur identifizierte, die in uns immer zur Erleuchtung hin wirkt, vollzog er den radikalsten Schritt - den radikalsten in der gesamten Religionsgeschichte in meinen Augen, weil er 'Religion' gänzlich vom 'Tun' abtrennte - dadurch, daß er die Erlangung des Nirvanas als Geschenk sah. Dieses Geschenk Amidas, dieses völlig natürlich-gegebene (jinen), entspringt nicht dem Tun eines in totaler Verblendung existierenden menschlichen Egos, sondern dem Vertrauen (Shinjin) auf das völlig 'andere', dem Nicht-Ich. Diese 'Ander-Kraft' (Tariki) gilt Shinran als der Schlüssel, um das Ego quasi zu neutralisieren, dort wo Ich-Kraft (Jiriki), die Fesseln immer enger schlingt, weil man sich nur um sich dreht (und auch der Impuls, sich selbst zu befreien, ist ein 'egoistischer'), befreit das Vertrauen auf die rettende Kraft Amidas, weil man sich abwendet vom Ego und ohne jedwede Bedingung (was sich sowohl auf irgendein Tun, wie auch auf Ethik bezieht - nichts kann die befreiende Kraft Amidas aufhalten, aber auch kein noch so makeloses Leben kann die Befreiuung bewirken - die Auskoppelung der Moral aus der Religion macht Shinrans Konzept einzigartig in der Religionsgeschichte, aber auch anfällig für antinomistische Deutungen), die zu erfüllen wäre, entfällt die ständige Konzeption eines 'um-zu'. Da wie Sakymamuni lehrte das Ego als größte Illusion den gesamten Leidenskreislauf in Bewegung hält, zielt Shinrans Weg der absoluten Ander-Kraft auf das Herz des Leidensproblems, weil diese totale Transzendierung des uns immanenten Egoismus dieser Illusion letztlich den Boden entzieht. Konsequenterweise ist für Shinran das Nembutsu auch keinerlei Mantra, es bewirkt nichts, es ist eine Danksagung für das erlebte 'Vertrauen-Können', für das 'totale Loslassen', welche der Mensch ohne Absicht spricht. Das Nembutsu steigt völlig natürlich aus einem auf, es sagt sich selbst - und deshalb spricht man im Shin Buddhismus vom 'Namen der Dich ruft'. Amida ist Namu Amida Butsu, der Ruf und die Antwort fallen in eins und vergegenwärtigen das, was 'hinter' all unseren Berechnungen und Bemühungen steht und 'sichtbar' wird, wenn Shinjin entsteht und das Ego entmachtet.


    Durch diese völlig neue Interpretation der Reine Land Lehre, wurde Shinran zum Begründer der Jodo Shinshu (Wahren Schule des Reinen Landes), obwohl er selber sich immer als Schüler seines Meisters Honen sah.


    Das ist nur eine extrem verkürzte Darstellung des Shin-Buddhismus und ich empfehle Dir, im Internet entsprechende Informationen einzuholen, wenn Du einen tieferen Einblick wünschst.


    Zitat

    Gerade wegen deiner Anmerkung des *Prozesshaften des Dharmas* interessiert es mich


    Dies bedeutet für mich nur, daß die Lehren Buddhas immer den Charakter eines Experimentes hatten, die Suche um das Leiden zu beenden, d.h. jemand experimentierte und fand wirksame Wege aus dem Zustand des Leidens und die verschiedenen Traditionen sind entstanden, weil weitere 'Experimente' stattfanden auf der Grundlage der Lehren Buddhas. Verschiedene Traditionen konzentrierten sich auf spezifische Teile dieser Lehren und entwickelten sie weiter im Sinne einer ständigen Reflektion darüber, was 'funktioniert'. Der Buddha regte ja deutlich an zum konstruktiven 'Zweifel' und deshalb bin ich Mahayana Buddhist, da ich den Dharma als lebendiges Schatzhaus von Erfahrungen eines dynamischen Weges zur Freiheit betrachte. Einem 'theravadischen Fundamentalismus' (in der ursprünglichen Wortbedeutung verstanden), wie er leider recht oft - gerade bei Konvertiten - vorkommt, der außer dem Pali Kanon nichts gelten läßt, kann ich deswegen nichts abgewinnen.



    Gassho


    Andreas