Beiträge von Merkur-Uranus im Thema „Ein säkularer Buddhismus – von Stephen Batchelor“

    mukti:
    Merkur-Uranus:

    Oder er wird sich einem säkularen christlichen Prozess unterziehen, wie es mittlerweile viele Christen machen (weit mehr als Buddhisten übrigens): http://gott90.de/


    Gegen säkular ist nichts einzuwenden, aber ein Christ der nicht an Gott glaubt folgt nicht der überlieferten Lehre des Christus. Man kann Theorien aufstellen dass Christus gar nicht von Gott gesprochen habe und damit die Bezeichnung "Christ" rechtfertigen, so wie ein Elektriker sagen könnte er ist eigentlich Mechaniker, weil auch mechanische Elemente beim Elektriker vorkommen. Aber ist er deshalb wirklich Mechaniker? "Ich bete nicht weil ich nicht an Gott glaube, aber die Ethik des Christus gefällt mir, daher bin ich Christ". Da stimmt doch was nicht.



    Der Begriff "Gott" bleibt ja durchaus bestehen - nur eben die Definition was "Gott" ist, ändert sich.

    Geronimo:

    Du verstehst nicht das das alles Äußerlichkeiten sind, so wie die Wahl der Ausrüstung, der Kleidung und des Bergführers. Auch der Zugang selbst ist eine Äußerlichkeit, ob du dich nun von Norden, Süden, Westen oder Osten näherst, das macht auf grundlegender Ebene keinen Unterschied, Außer vielleicht das es im Süden etwas steiniger sein kann, und im Norden etwas eisiger, was den Aufstieg naturgemäß etwas schwieriger gestalten wird.


    Aber der Akt des Bergsteigens an sich ist für alle Menschen, für alle Zeiten, vollkommen unabhängig vom Berg, immer der gleiche, Ein Bein vor das andere, Hindernisse überwinden, und den Gipfel fest im Blick. Den Berg interessiert es nicht die Bohne ob du deine Ausrüstung bei Globetrotter (Buddhismus) oder bei Adidas (irgendeine andere Religion) gekauft hast. Ihn interessiert auch nicht woher du kommst, welcher Kultur du angehörst oder wie dein Lehrer heißt. Das ist ihm alles vollkommen egal. Das einzige worauf es ankommt ist, das der Berg bestiegen wird,


    Es gibt nur ein Dharma. Es spielt überhaupt keine Rolle aus welcher Richtung wir uns nähern und welche Techniken wir dabei verwenden. Es gibt daher auch nicht viele verschiedene absolute Wahrheiten zu entdecken, sondern nur exakt genau eine. Aber das versteht man erst wenn es bereits zu spät ist, im besten Sinne. Die Welt der Vielfalt kennt dagegen unendliche viele relative Wahrheiten, aber das hat mit Buddha-Dharma alles überhaupt nichts zu tun. Am Ende gibt es nur einen einzigen Weg, egal welcher Kultur, Schule oder Tradition du angehörst. Nur zu Anfang glaubt man noch das es viele Wege gibt...


    Okay, bleiben wir bei dem Beispiel mit dem Berg!


    Nach einer tiefergehenden Analyse wirst du feststellen, dass du Hilfe brauchst, wenn du den Gipfel erreichen möchtest. Ich meine, der Berg ist wirklich hoch und steil. Diese Hilfe wird dir in deinem Fall von einheimischen Sherpas angeboten, die sich bereit erklären, dich auf den Gipfel zu führen. Die Sherpa sind eine Bevölkerungsgruppe im nordöstlichen Teil von Nepal. Sie sind in der Regel Buddhisten und gut an die äußerst harten Lebensbedingungen im Hochgebirge angepasst. Zudem haben sie ungefähr ein Liter mehr Blut in ihrem Körper sowie die doppelte Menge an roten Blutkörperchen als ich und du. Dadurch sind sie zu schier unglaublichen Leistungen fähig. Es fühlt sich also schon mal ziemlich gut an, zu wissen, dass sie dich unterstützen werden.
    Gut, du stehst jetzt am Fuße dieses gewaltigen Berges, die Sherpas warten geduldig neben dir, in der Ferne hörst du ein Yak schnauben. Nimm dir einen Moment, um dich einmal anzusehen. Was hast du eigentlich an? Trägst du dasselbe wie ein traditioneller Sherpa? Nun, vermutlich nicht. Stattdessen trägst du so etwas wie eine 3-lagige Gore-Tex Pro Hose für mehre hundert Euro, eine wasserfeste, atmende Lafuma Prescott Jacke, Triple Points Gamaschen von Lowe Alpine und Ajungilak Bivakboots.


    Fassen wir mal kurz zusammen: Dein Ziel ist das Erwachen, so wie es Buddha gelehrt hat und du weißt, du kannst dieses Ziel erlangen. Dazu sind wir doch hier, nicht wahr. Dass wir bestimmte Dinge, die wir uns vornehmen auch erreichen. Mingyur Rinpoche bezeichnet in seinem Buch „Buddha und die Wissenschaft vom Glück“, uns Menschen als sogenannte „Purushas“. Übersetzt bedeutet das soviel wie „mächtige Wesen“. Ja, wir sind mächtige Wesen, weil wir einen Willen haben und diesen Willen realisieren können. Der Punkt ist nun, dass wir unsere Ziele jedoch nicht auf traditionelle Art erreichen werden, sondern auf eine moderne Weise, auf unsere Art und Weise. Wenn du einen 7000er besteigst, wird in deiner Tasche wohl eher ein Satellitentelefon stecken, anstatt einer Gebetsmala aus Yakknochen. Oder?


    Und genauso verhält es sich momentan mit dem Buddhismus in den westlichen Ländern. All die wunderbaren Qualitäten, die durch die buddhistische Praxis erreicht werden können, sind genau jene Qualitäten, die viele Menschen in ihr Leben integrieren möchten. Viele Menschen wollen mitfühlende Menschen sein, weise Menschen, achtsame Menschen, sie wollen ein sinnvolles Leben führen und dabei die Gipfel ihrer Bewusstseinsebenen erklimmen. Doch sie wollen dies nicht auf eine kulturfremde Art und Weise erreichen. Ja, sie können es nicht auf einer kulturfremden Art und Weise erreichen.
    Übersetzt bedeutet dies, auch wenn es buddhistische Ziele sind, die du erreichen möchtest, so bleibt dein persönlicher Bezugspunkt doch ein westlicher. Ich meine, du stehst am Rande dieses riesigen Berges und hast teleskopische Wanderstöcke in deinen Händen, die von Vaude Himalaya Mitt Unisex Handschuhen umhüllt sind. Dabei checkst du den Wetterstand, der dir durch hochmoderne Gerätschaften aus einer weit entfernten Wetterstation übermittelt wird. Du wirst vermutlich nicht den Geist des Berges anrufen und um Sonne beten (auch wenn dies unter Umständen wirksamer ist, als auf einen Plastikkasten voller Drähte und Festplatten zu starren).


    Meiner Meinung kommen so wenig Menschen mit den Qualitäten des Buddhismus in Berührung, weil sie denken, sie müssten sich wie Sherpas kleiden und anfangen sich gelbe Zipfelmützen auf den Kopf zu setzen. Das stimmt jedoch nicht. Darum geht es gar nicht. Ich bin der Auffassung, dass ein buddhistischer Ansatz, der die weitreichenden Erkenntnisse der westlichen Kultur integriert, eine mächtige und zukunftsträchtige Möglichkeit darstellt, sich den buddhistischen Inhalten auf eine angemessene Weise zu nähern.

    Die traditionellen Buddhisten verzerren sich immer so schön nach dem Bild des Mönches. Dabei sind sie zumeist zu faul, um selbst ins Kloster zu gehen und versuchen deshalb eine monastische Praxis in ein weltliches Alltagsleben zu pressen - sehr unschön.


    Der säkulare Buddhismus zeigt diesen Zwiespalt offen auf und bietet angemessene Möglichkeiten, die Lehre des Buddha im 21. Jahrhundert zu praktizieren.

    Christof Spitz - der Dolmetscher des Dalai Lama und Lehrer am Tibetischen Zentrum Hamburg - sagt folgendes dazu:


    "Ich bin mit Schmithausen der Meinung, dass die Kern-Praxis des Buddhismus nicht auf den Karma-Glauben angewiesen ist, unter der Bedingung, dass andere Maßstäbe für ethisches Handeln gefunden werden. Āryadeva nennt ja eindeutig die Gewaltlosigkeit, und um diese zu entwickeln, gibt es andere Mittel als den Glauben an Karma, nämlich Mitgefühl.


    Wiedergeburt, selbst wenn es sie geben sollte, woran Āryadeva und andere indische Meister wahrscheinlich glauben, ist sowieso Teil des Leidenskreislaufs, warum also daraus einen Bestandteil des Weges zur Befreiung machen?


    Und man kann und sollte sich wohl auch ernsthaft die Frage stellen, ob das Konzept der Wiedergeburt in Höllen- bis Götterbereichen noch zeitgemäß ist. Mit zeitgemäß meine ich nicht, ob es modern genug ist oder nicht, sondern, inwieweit es unseren heutigen Erkenntnissen entspricht, die sich in vielen Bereichen weiterentwickelt haben seit der damaligen Zeit. Wer wollte das bestreiten? In den klassischen buddhistischen Texten wird zum Beispiel die Bedeutung des Gehirns gar nicht erkannt, allenfalls könnte man die Beschreibung der Sinnesfähigkeiten noch irgendwie damit in Verbindung bringen. Wollen wir deshalb den Erkenntnisfortschritt der letzten Jahrhunderte negieren?


    Die zentralen Lehren aber sind davon meines Erachtens nicht tangiert und bleiben trotzdem gültig: die Lehre vom abhängigen Entstehen und vom Nicht-Selbst; die Sicht der Verbundenheit der Lebewesen und der Bedeutung von Nicht-Verletzen und Mitgefühl; die Notwendigkeit von ethischen Werten; die Tatache, dass unser Denken und Handeln Wirkungen auf uns selbst hat (diesen Teil der buddhistischen Variante der Karma-Lehre würde ich auch für wesentlich halten); die Bedeutung von meditativer Schulung. Zusammenfassen kann man das zu den zwei Punkten, die auch Āryadeva für den Kern der Lehre Buddhas hält.


    Insofern kann doch jemand, der sich auf diese beiden Punkte konzentriert, und andere Punkte eher als kulturell geprägtes Beiwerk hält, mit starken Argumenten sich als Buddhist empfinden."

    Dieser Essay lotet die Möglichkeit einer vollständig säkularen Neudefinition von Buddhismus aus. Er argumentiert, dass eine solche säkulare Re-Formation über das Modifizieren einer traditionellen buddhistischen Schule, Praxis oder Ideologie hinausgehen würde, welches nur auf ihre Vereinbarkeit mit der Moderne abzielt, sondern ein grundlegendes Überdenken der Kernideen beinhalten würde, auf denen die Konzeption des «Buddhismus» beruht. Beginnend mit einer kritischen Interpretation der vier edlen Wahrheiten, wie sie in Buddhas erster Lehrrede dargelegt werden, schlägt der Autor vor, Erwachen nicht im Sinne von «Wahrheiten» zu begreifen, die zu verstehen sind, sondern als «Aufgaben», die zu vollenden sind. Solch eine pragmatische Herangehensweise macht es möglich, über die Grenzen einer auf Glauben beruhenden Metaphysik der klassischen indischen Erlösungslehre (Buddhismus 1.0) hinauszugehen, und zu einer praxisbezogenen, post-metaphysischen Vision des Dharmas (Buddhismus 2.0) zu gelangen.


    http://www.saekularerbuddhismus.org/?page_id=1251