Beiträge von Jojo im Thema „Etikettieren im Zen“

    diamant:

    Hm, Jojo, ich sehe da eine gewisse Ansicht, die dir natürlich unbenommen ist


    Ich will nicht ausschließen, dass ich komplett daneben liege. Meine Ansichten werden immer vorläufiger :D

    diamant:

    Und möglicherweise kommt es wieder, weil man den Vorgang zu sehr ans Auf-dem-Kissen-sitzen bindet ...


    Kann sein, dass "es" wiederkommt, wenn ich mit dem Sitzen aufhöre. Im Moment blicke ich noch nicht so richtig, was da passiert. Ich will das aber auch gar nicht erst ausprobieren und sitze deshalb lieber regelmäßig weiter. Vielleicht blicke ich eines Tages genau, was da passiert, und kann dann mit dem Sitzen aufhören.


    Zitat

    Erst mal scheint hier ein Zirkelschluss verborgen: Wenn also nicht vernichtet wird, dann stimme die Aufmerksamkeit eben nicht.


    Richtig. Es funktioniert über eine Rückkopplung. Anfangs begreift man gar nicht, was da passiert. Man steht völlig im Dunkeln. Irgendwas löst sich auf und verschwindet, Punkt. Dann, mit der Zeit, fange ich an, einen Zusammenhang zu sehen: Ich stelle fest, dass - wann immer sich etwas auflöst - dem eine bestimmte Art von Aufmerksamkeit voraus gegangen ist. Es dämmert mir sozusagen. Ich kann diese Art von Aufmerksamkeit aber nicht bewusst und zielgerichtet herstellen. In diesem Stadium bin ich gerade.


    Zitat

    Meines Erachtens führt das bloße Gewahrsein nicht zum Vernichten. Beispielsweise kann ich mir eines Schmerzes sehr bewusst sein, aber er geht deshalb nicht weg.


    Das ist keine Sache des Erachtens. Eine bestimmte Art von Gewahrsein führt zum Vernichten. Oder besser: zur Auflösung von Trübungen. Vor allem von Schmerzen.


    (die Gewohnheiten muss ich aus meiner Behauptung übrigens wieder rausnehmen. Das mit den Gewohnheiten ist offenbar eine andere Kiste.)


    Ich muss aber zugeben, dass ich das erst seit wenigen Tagen so klar beobachten kann.


    Zitat

    Auf der geistigen Ebene kann ich mir eines aggressiven Anliegens bewusst sein, aber es lässt sich dadurch ggf. einfach besser steuern, also kontrollierter.


    Jedem aggressiven Anliegen liegt ein Schmerz zugrunde, und zwar einer, den man physisch wahrnehmen kann. Wenn ich bei dem aggressiven Anliegen bleibe, vermeide ich diesen zugrundeliegenden Schmerz.


    Sitzen hilft. Langes Sitzen ohne Vorher-wissen-was-dabei-rauskommt hilft mehr, einfach weil es einen in den eigenen Körper zwingt.


    Das aggressive-Anliegen-steuern-wollen ist nur ein Notbehelf, solange der Schmerz noch nicht durchschaut und losgelassen ist. Vinaya halt. Das reicht mir nicht, und es funktioniert bei mir auch nicht auf Dauer. Meine Erfahrung ist, wenn der Schmerz wegfällt, verschwindet auch die Aggression, da ist nichts mehr zu steuern.


    Zitat

    ein Mensch, der keiner Gefühlsregungen mehr habe (und keinen solchen Spaß wie Harpo) sei ein Ideal. Und dahin denkt leider auch Mahasi. Er meint, man käme durch solche Vipassana-Übungen näher ans Menschenideal und endet bei einem, der sich bereitwilig zum Schlachtopfer anderer machen lässt. Dabei müsste er, wenn er bei solchen Gedanken und Gefühlen seine eigene Methode praktiziert, etwas anderes feststellen


    Keine Ahnung, was Mahasi sich so gedacht hat. Es ist kein Zufall, dass ich Zazen mache. Jedenfalls stelle ich fest, dass mein Gefühl, ein Schlachtopfer zu sein, sich mehr und mehr auflöst, und dass ich mehr und mehr handlungsfähig werde, und zwar in dem Maß, in dem meine Trübungen sich auflösen. Und am Anfang dessen stand eine Zeitlang das Etikettieren, nach dem System von Ayya Khema.

    diamant:

    Das denke ich jedoch schon. Denn Mahasi trifft die klassischen Wertungen in seinem "Gesamtwerk"


    Und ich denke nein. Da sind wir wohl unterschiedlicher Meinung, und warum auch nicht.
    Ich will nicht hier nicht Mahasis Advokaten spielen, weil er letztlich eine Übertechnisierung des Dharma repräsentiert, der ich nicht folgen kann. Aber etwas Wahres ist an dem dran, was er sagt.


    Zitat

    "Jeder Moment der Achtsamkeit (awareness) bedeutet ein allmähliches Vernichten latenter Trübungen (defilements)", so hat er es mal ausgedrückt. Ich setze hier dagegen, was nach meiner Erfahrung im Zen geschieht (und für mich ist Zazen nicht korrektes Sitzen, sondern eben diese Form geistiger Wachsamkeit und das Beobachten innerer Vorgänge): "Jeder Moment der Achtsamkeit ist ein allmähliches Akzeptieren der Trübungen."


    Und meine Erfahrung ist: Vernichten ist genau das, was passiert, wenn die Aufmerksamkeit stimmt. Es ist eine körperliche Erfahrung - ein fast zischendes Brennen, bis es sich ausgebrannt hat, und anschließend steht man vom Kissen auf und irgendwas ist weg: ein zwanghafter Gedanke, eine Angst, eine Gewohnheit, eine körperliche Spannung. Und es bleibt weg.


    Das kann ich nicht herstellen. Bei mir hat das keine Regelhaftigkeit, es passiert mir zufällig und ungesteuert. Ich bin sozusagen mit einem ungeregelten Flammenwerfer unterwegs: mal geht er an, mal geht er aus, ich kann ihn nicht gezielt auf was richten, sondern er sucht sich seine Objekte selber, und welchen Umfang und welche Intensität die Flamme hat, habe ich leider auch nicht im Griff. Aber ich glaube, dass das genau das ist, was Mahasi meint: das Vernichten von Trübungen.


    Und das hat nichts damit zu tun, nach einer Checkliste ein besserer Mensch zu werden.

    Das Mahasi-Style Noting hast du vielleicht ein bisschen verzerrt dargestellt. Es ist ohnehin eine extreme Form dieser Technik, über die man sich gut und gerne streiten kann. Egal.


    Es geht beim Etikettieren / Noting nicht ums Funktionieren. Dass die Dinge "von selbst besser ablaufen", quasi automatisch, versteht sich. Und genau das ist doch das Problem:


    Wir funktionieren wunderbar mit unseren Automatismen, bis sie uns eines Tages in die Sackgasse fahren: in eine körperliche oder in eine psychische. Die ganzen Bewältigungsstrategien, die wir uns im Laufe des Lebens drauf geschafft haben, die physischen, die psychischen und die sozialen, tendieren dazu, unbewusst zu werden, sich zu verselbständigen und sich immer weiter zu verstärken, bis sie im Extremfall letztlich zur Dysfunktionalität führen.


    Beim Noting geht es unter anderem darum, solche Automatismen offenzulegen.
    Man betrachtet physische, psychische oder gedankliche Impulse, indem man sie verbalisiert.
    Wenn man das eine Weile gemacht hat und dadurch was gelernt hat, ist der nächste Schritt, vom Noting (Verbalisieren) zum Acknowledging (einfaches Bewusstwerden) überzugehen. Das ist faktisch der Schritt zu (Za-)zen.


    Zazen ist nur eine andere Art und Weise, die Automatismen, die uns führen, in die Bewusstheit aufsteigen zu lassen.
    Man betrachtet physische, psychische oder gedankliche Impulse auf der somatischen Ebene. Das geht auch ohne Sitzen, jedoch erlaubt beim Sitzen die Unbewegtheit des Körpers besser, alle Arten von Impulsen wahrzunehmen.


    Es sind einfach zwei verschiedene Grundtechniken, jede davon wieder mit mannigfachen Varianten.


    Und man kann Zazen natürlich eine Zeitlang mit Noting kombinieren, ohne dass was kaputt geht.
    Es ist dann kein "richtiges" Zazen im Sinne von perfektioniertem Könner-Shikantaza, aber es ist eine vollgültige Übung, die bei manchen Leuten gut funktioniert.
    Man muss eben ausprobieren, ob man dazu gehört, oder ob es einen eher stört.


    Die Aufmerksamkeit immer wieder auf den Atem "richten" ist auch kein "richtiges" Zazen, übrigens.
    Was ist richtiges Zazen? Diese Diskussion erinnert mich an die Frage, ob es richtiges Zazen ist, wenn man nicht im vollen Lotus sitzen kann.
    Oder an die Aussage eines mir bekannten Rinzai-Lehrers, "richtiges" Zazen beginne erst nach Kensho.

    Buddhaghosa:

    Ob Zazen bis in die Jhana führt, mag ich nicht abschätzen.


    Wenn ich dem Lehrer, dessen Sesshin ich derzeit frequentiere, glauben darf, ja, und dann noch weiter.


    Interessant, dass du darauf hinweist, dass nach Mahasi Sayadaw ab dem 2. Jhana das Benennen zur Ruhe kommt. So deutlich habe ich das noch nirgendwo gelesen.

    Aiko:

    http://buddhaweg.de/Lehre/Kuse…Alltags%20realisieren.htm

    Zitat

    Joshu fragte Meister Nansen


    Schon "praktizieren" ist es nicht. Man fängt natürlich mit irgendwas an - und dieses irgendwas, die Praxis oder Übung, die muss mit der Zeit abfallen. Und da ist alles Übung, Praxis und von mir aus auch Erleuchtung.


    Meister Nansen kann mich mal.
    Soll ich hinter alten Meistern herrennen, und meine eigene Nase in meinem eigenen Gesicht ignorieren?
    "Ihr rennt hinter den wertlosen Erkenntnissen der Alten her, ihr wendet Euch Worten und Sprüchen zu, und interpretiert sie nach Eurem Gusto, ihr kritzelt die Worte von irgendeinem toten alten Kerl in ein großes Notizbuch, wickelt das in vier oder fünf Ellen Tuch und lasst dann keinen hineinsehen. Blinde Idioten! Welche Art von Saft wollt ihr aus diesen vertrockneten Knochen pressen?"
    Angeblich von Lin-ji. Aus: https://beingwithoutself.files…2014/06/ordinary-mind.pdf, Seite 22.


    Immer dieses "Das ist es nicht, das ist es nicht." Umgekehrt wird ein Schuh draus. Das ist es, und das auch, und das auch, und das auch.
    Zen lässt nichts aus. Wenn Zen nicht so anarchisch wäre, würde ich es damit nicht aushalten. Zen, wie ich es im Moment verstehe, ist eine einzige große Einladung zum Experimentieren, Erforschen, Selber-Herausfinden, nichts-auslassen.
    Also rein ins kalte Wasser. Oder vielleicht mal eine Suppe probieren, die man noch nie gegessen hat.

    mindfullness:

    Aber für den Beginn finde ich es wie gesagt dennoch praktisch


    Ja, ist es. Ich habe vier Jahre lang auf dem Kissen herumgesessen und mehr oder weniger auf die Erleuchtung gewartet. Dann habe ich aufgegeben und sechs Jahre gar nicht mehr gesessen.


    Dann bin ich durch Zufall auf Ayya Khema gestoßen und auf ihren Vorschlag, nach folgendem System (oder so ähnlich) zu etikettieren: Auslöser, Wahrnehmung, Empfindung, Gedanke. Also zu unterscheiden: Was löst eine Wahrnehmung aus? Z.B. der Boden. Worin besteht die Wahrnehmung? z.B. Kontakt Boden-Knie. Was ist die Empfindung? z.B. Druckschmerz. Folgt darauf ein Gedanke? z.B. hm, gefällt mir nicht, hoffentlich wird das nicht schlimmer (aus dem Buch "Vier Ebenen des Glücks").


    Das habe ich dann mehr oder weniger ein paar Monate lang ziemlich systematisch gemacht, und habe erst in diesem Zusammenhang gemerkt, dass meine Aufmerksamkeit sich in der Regel gar nicht mit meinen Wahrnehmungen und Empfindungen beschäftigte, sondern mit meinen Gedanken über meine Wahrnehmungen und Empfindungen. Vorher bin ich vier (!) Jahre um diese Erkenntnis herumgerutscht. Außerdem habe ich ziemlich lang daran herumgeknackt, was der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Empfindung sein soll. In der Zeit habe ich viel gelernt, was mir geholfen hat, mit negativen Emotionen besser umzugehen. Einfach durch das konsequente Aufsplitten: Wo ist der Auslöser? Was ist die Wahrnehmung? Was für eine Empfindung entsteht dadurch? Was für Gedanken entstehen dadurch?


    Shinzen Young hat auch ein ganz gutes System. Ich finde es für mich aber zu kompliziert:
    http://www.shinzen.org/Retreat…%20Note%20and%20Label.pdf
    aus: http://www.shinzen.org/ / Stichwort im Menü "For Students"
    Der ist bestimmt gut für Ingenieure.


    Wenn man nicht dran festklebt, kann sowas meiner Meinung nach sehr nützlich sein, und einem helfen, sehr viel klarer zu sehen, was im eigenen Geist abgeht.