Beiträge von Sudhana im Thema „Dogens Kritik an anderen Lehrern (eine Übersicht)“

    Wie schon angemerkt, ist Erwachen oder Erleuchtung nicht etwas, das man erlangt und dann "hat". Wer durch die Welt läuft und sich selbst (d.h. sein Selbst) als erleuchtet bezeichnet, ist entweder ein Scharlatan oder hat einen an der Waffel. Zwar haben gemäß der Zen-Doktrin alle Wesen Buddhanatur, die Erleuchtung ist ihnen "angeboren" - doch diese Buddhanatur muss aktualisiert werden. D.h. sie tritt in einem Akt zutage, in dem der Praktizierende die Bonno (klesha, Geistestrübungen) und damit sein (persönliches) Selbst verliert, sei es im Moment eines Kenshō bei der Kōan-Praxis oder beim Shinjin datsuraku in der Zazen-Übung. Deswegen nennt Dōgen diesen Akt das 'Tun Buddhas' (Butsugyō). Das heisst nicht, dass der Praktizierende ein Buddha wird (und schon gar nicht, dass er einer bleibt); er ist selbst nichts als Klesha und verliert damit in dem Akt (sofern er korrekt ausgeübt wird) auch sich selbst - allerdings nur, so lange der Akt dauert.


    Der logische Kurzschluss der Fragestellung liegt darin, dass die genannten Personen die ihnen zur Last gelegten Handlungen sicher nicht im oder als Akt der Manifestation des Geistgrundes ohne Irrtum, Verzerrung und Verblendung (Huineng) bzw. im Jijuyū Zanmai (Dōgen) begangen haben. Natürlich ist das 'Problem' altbekannt und die Erklärung dafür so einfach wie naheliegend. Dongyō-Praxis (Praxis des unmittelbaren/plötzlichen Erwachens) ist keine "Abkürzung". Die Formel lautet "plötzliches Erwachen - allmähliche Kultivierung". Am bekanntesten ist die Darstellung dieser Formel durch die Ochsenbilder - zwischen dem 4. Bild, dem Fangen des Ochsen, und dem 10. Bild, dem Betreten des Marktes mit offenen Händen, liegen immerhin noch weitere 5 Stationen. Die Go-I, die seit Hakuin des Abschluss des Kōan-Curriculums sind (vgl. http://www.zensplitter.de/Hakuin.PDF), weisen in dieselbe Richtung.


    Vor allem hier - in der Kultivierung - liegt dann auch die Bedeutung der Bodhisattva-Gelübde. Wobei man da gar nicht einmal von Ordination (sei es Laien- oder Priesterordination) reden muss; sehr viel deutlicher wird das bei den Shi Gu Seigan, den vier großen Gelübden, deren gemeinsame Rezitation nicht grundlos fester Bestandteil formaler Zenpraxis ist:
    1. Erweckung des Bodhicitta - Die unbegrenzt zahlreichen Lebewesen; ich gelobe, sie zu befreien (shujō muhen sei gan do)
    2. Erwachen - Die Befleckungen sind unerschöpflich; ich gelobe, sie zu beenden (bonno mujin sei gan dan)
    3. Kultivierung des Erwachens - Die Tore des Dharma sind ohne Zahl; ich gelobe, sie zu studieren / in sie einzutreten (ho mon muryō sei gan gaku)
    4. Vollendung der Kultivierung - Der Weg Buddhas ist unübertrefflich; ich gelobe, ihn zu verkörpern (butsudo mujō sei gan jo)
    Notabene: Das ist natürlich nur eine Möglichkeit, die 'vier großen Gelübde' zu interpretieren und (sicherlich nicht erschöpfend) zu verstehen.


    So weit zum ersten Teil. Aber ich habe ein wenig den Verdacht, dass es darum eigentlich gar nicht ging sondern darum, provokativ (um das Wort 'trollig' zu vermeiden) Dōgen in die Reihe der 'Übeltäter' entweder ohne echte Erleuchtungserfahrung oder hinreichende Kultivierung einzureihen. Dazu sollte man zunächst einmal wissen, dass die polemischen Ausfälle Dōgens durchaus im Rahmen des zeitgenössischen innerbuddhistischen Diskurses lagen. Dieser innerbuddhistische Diskurs war nicht nur in Japan (und nicht nur im Zen) selten so weichgespült und 'political correct', wie es viele westliche Adepten heute erwarten. Andere - insbesondere der etwas jüngere Nichiren - haben ihre Position und den von ihnen propagierten Weg noch deutlich heftiger vertreten. Auch Hakuin z.B. hat ein halbes Jahrtausend später noch wesentlich deftigere Kritik an 'falschem Zen' und solchen, die es praktizieren, geübt. Man kann davon ausgehen, dass auch Dōgen selbst Ziel solcher Polemiken seitens der sich gleichzeitig etablierenden Rinzaishu war, die die Protektion der Militärregierung (bakufu) genoss. Möglicherweise waren es nicht nur Polemiken, sondern handfeste Repressionen, die Dōgen schließlich veranlassten, den von ihm gegründeten Kōshō-hōrinji in der Kaiserstadt Kyōto (der Tempel wurde erst 1648 nach Uji verlegt) zu verlassen und in die abgelegene Provinz Echizen auszuweichen. Gerade dieser Umzug (oder Vertreibung), laut Dumoulin Auslöser einer depressiven Erkrankung, markiert auch den Beginn von Dōgens Polemiken gegen das Rinzai-Zen.


    ()