Beiträge von itune im Thema „Buddhismus Aktuell 1/2016: einige weitere Anmerkungen“

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    Wenn in meiner geistigen Welt Menschen defilieren, die Unheilsames verrichten, bezieht sich das auf frühere Ursachen, die in 'meinem' Geistkontinuum entstanden sind.


    Das ist schon richtig. Aber ich kann ja nicht so viel für das Geistkontinuum von anderen. Das müssen sie schon selbst klären. Ich kann hier nur etwas zum Verbalkontinuum, der Diskussion, beitragen. Gelegentlich natürlich schweigen, um das Geistkontinuum der anderen nicht noch anzuregen. Um beim Thema zu bleiben - wenn du da sonst Bedarf hast, kannst du ja eine PN senden -: Mit dem Ton, den der Unbuddhist anschlägt, geschieht ebenfalls ein solches Anregen. Aber es muss sich doch keiner über ihn aufregen, solange er/sie sich über sich selbst - und seine Reaktion darauf - zuerst aufregen müsste. Die Frage, die der Unbuddhist stellt, ist doch auch die: Wieso lasst Ihr Euch von so vielen dahergelaufenen Buddhisten verarschen und das Geld aus der Tasche ziehen? Eine Frage, die ich selbst zwischen den Zeilen immer wieder stelle. Und wieso fallt ihr auf die Konzepte des "Dharma" rein und presst zwanghaft euer Leben da rein, anstatt allen Ballast fortzuwerfen und zu schauen, was da tatsächlich euch und der Zukunft der Menschheit dienen kann?

    Yofi, ich möchte vermeiden, das zu tun, was ich gerade kritisierte, nämlich vom Thema abzuweichen. Ich glaube, dass sich das genau zeigt, wie einer Meditation oder Zazen betreibt. Wenn er sich dabei gedanklich um sich selbst dreht und die Gedanken nährt, statt ziehen zu lassen, also z.B. Aversionen pflegt, dann treten die immer wieder außerhalb der Meditation zutage. Skeptischer könnte ich zumindest sagen, dass ich oft beobachtet habe, wie Menschen ihre Macken hartnäckig beibehielten, trotz Meditation. Selbst wenn sie sich dabei gedanklich also anders verhalten hätten, wäre die Quintessenz die Gleiche: Meditation hat sie im ethischen Sinn kein bisschen verbessert.

    morpho:

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    Woher sollst du auch wissen, dass im Zen B. die "Obrigkeit" lediglich von funktionalem Schlag ist


    Das ist schon klar. Für mich haben sie nie eine besondere Funktion erfüllen können. Ich kann dir aber garantieren, dass selbst die als besser angesehenen und populären Lehrer sehr häufig der Meinung waren, es wäre ein feiner Zug von ihnen, mich z.B. zu sich einzuladen (also in ihre eigenen Tempelbetriebe). Von vornherein steckt doch da nicht nur Freundlichkeit hinter, sondern auch: Mach du dich mal auf den Weg zu MIR. Das ist die Falle, in die fast alle Äbte, Roshis etc. irgendwann zu tappen scheinen.


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    Es gibt immer wieder Leute, die nach Gründen suchen, ihre sagen-hafte Autonomie, "Intelligenz" und Widerstandsfähigkeit zu behaupten.


    Finde ich eher selbstverständlich, da braucht man doch keine Worte verlieren. Nicht selbstverständlich finde ich dagegen Unterordnung oder der bloße Umstand einer Kleiderordnung (das "Körperliche"), wenn ich nach spiritueller Erkenntnis und "Befreiung" trachte.

    Der Ausdruck "Pegida-Buddhismus" gefällt mir. Ansonsten ist es wie üblich mit den Threads hier, irgendwann versuchen immer die gleichen Leute persönliche Aversionen in Zehnwort-Pingpong-Beiträgen einzuflechten und dem Kern der Themen eher auszuweichen. Dazwischen gehen sie aufs Kissen zurück, um sich die nächsten Aversionen auszudenken. Das nennen sie dann Meditation oder Zazen.


    In Hinsicht auf die "Transzendenzfalle" ist doch Folgendes zu fragen: Hältst du, Unbuddhist, eine transzendente, richtungsweisende Erfahrung (selbst wenn sie vielleicht nur einer Einbildung entspricht bzw. irgendwann genau hirnphysiologisch erklärbar wird) überhaupt für möglich?


    Verstehst du darunter im Wesentlichen ein Machtproblem, dann gibt es ja längst viele Ansätze, dieses zu umgehen. Dazu gehören der Verzicht auf klösterlichen und hierarchischen Buddhismus, teils - aber eben nur bedingt - natürlich auch die Ansätze gemeinschaftlichen Lebens, bei dem die Hierarchien eher flach gehalten werden. Das setzt aber auch Schüler/innen voraus, die nicht nach Rang und Karriere im Buddhismus streben, denn dann geht es wieder los mit Urkunden, Bestätigungen, Ernennungen. Im Zen wäre das eine Revolution, da es sich ja auf - akademisch längst falsifizierte - "Linienhalter" und Linientreue verließ. Es gibt jedoch überall immer Leute, die Karriere machen und ihrer Papiere dann auch haben wollen. Und selbst wenn nicht, wirst du hier z.B. nur wenige Zenübende finden, die überhaupt in ihren Kopp reinbekämen, dass man wirklich nichts von dem, was sie an Rituellem für wichtig halten, benötigt, um den Zenweg zu gehen oder ggf. auch eine transzendenete Erfahrung zu machen, die im Kontext dieses Zenweges anzusiedeln ist und dort Gültigkeit hat.


    Mit anderen Worten - und wie man hier im Forum immer wieder sieht - verlangt es einen mündigen und selbständigen Menschen, den man aber selten in der buddhistischen Szene antrifft. Aus vielerlei biographisch-psychologischen Gründen - und nicht bloßer Tradition - neigen zahlreiche Menschen dazu, sich unterzuordnen, zu Lehrern oder Meistern aufzuschauen und sich von ihnen Heil zu versprechen. Das stützt die Hierarchien und die Transzendenzfalle. Die Menschen sind im Großen und Ganzen nicht reif genug, sie zu umschiffen, und darum wird es immer solche geben, die für die Nachfrage dankbar ein Angebot schaffen. Der Buddhismus zieht in meinen Augen sozusagen den Typ "Untertan" magisch an.

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    Der Spekulative Non-Buddhismus sieht sich selber als eine Form der Kritik am traditionellen Buddhismus, was dadurch den Raum für neue Ideen öffnet. Es geht also mehr darum infrage zu stellen und Fragen zu stellen, als Antworten zu liefern oder reformistisch zu wirken.


    in diesem Sinne will ich auf meine entscheidende Frage an den SNB hinweisen, warum er dem Mainstream-Buddhismus abkauft, dass alles mit paticca samuppada steht und fällt. Meines Erachtens tut der SNB dies, weil er sich auch dem historischen Materialismus verpflichtet fühlt.


    Die Lehre des bedingten Entstehens erfährt schon im Mahayana eine Umdeutung gegenüber dem Theravada, wo sie schlicht formuliert die Kette des Entstehens als Kreislauf der Wiedergeburten beschreibt. Bei Nagarjuna wird sie synonym zur Leere gebraucht - alles, was bedingt entsteht, ist leer.


    Diese Theorie ist auch deshalb so populär, weil sie sich mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vertragen scheint (Chaostheorie, Quantenmechanik, Systemtheorie ...). Außerdem ließ sie sich, in Anlehnung an "Indras Netz" aus dem Avatamsaka-Sutra, gut für populäre Konzepte wie "Interbeing" (Thich Nhat Hanh) und ökologische Engagements verwenden.


    Für mich ist entscheidend, dass paticca samuppada nur ein geschicktes Mittel (upaya) ist, also eine Lehre, die lediglich als Krücke auf dem Weg zur (entscheidenden) Erkenntnis dient, oder als Floß zum Übersetzen, damit klarer ist, dass man dieses irgendwann hinter sich lassen darf. Entscheidend ist nicht, was Buddha NACH dem Erwachen sagte (das ist alles upaya), sondern was er IM Erwachen erlebte/erkannte (was gar nicht sag-bar ist). Mit anderen Worten denke ich, dass sich solche aufs Erwachen folgende Äußerungen individuell unterscheiden werden, weil das Wesentliche bereits passiert ist - als "Erwachen" oder Initialzündung zu einer veränderten Sicht, einem veränderten Lebenswandel. Aufgabe dessen, der die "Nachfolge" Buddhas antritt, ist eben nicht das Rezitieren der Worte dieses anderen Menschen, sondern seiner entscheidenden Tat - des Erwachens. Und wenn dieses Erwachen, nehmen wir dies hier mal ketzerisch an, zu der Einsicht führte, dass die vier edlen Wahrheiten, das bedingte Entstehen und was sonst noch für die Kernlehre des Buddhismus gehalten wird, nur ein (vergängliches, vorübergehendes) geschicktes Mittel war - wie Stützräder, mit denen man einem Kind hilft, das Radfahren zu lernen -, dann erledigt sich vielleicht auch das Klammern an paticca samuppada. Im Zen wurden solche Gedanken bereits bei seinem Entstehen geäußert: Alle Konzepte sind eben nur Kopfgeburten.

    Unbuddhist:

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    Und das ist die Pointe um die es hier geht. Mehr nicht.


    Diese Pointe unterschreibe ich. Aber es geht bei der Achtsamkeitsübung um mehr, wenn man sie intensiver und länger betreibt. Ich habe hier irgendwo ein Beispiel gegeben. Das Klischee besagt nämlich: Wenn du isst, dann iss (und tue sonst nichts). Nach meiner Erfahrung geschieht das Gegenteil, man entwickelt zunehmend die Fähigkeit (die aber auch Nichtbuddhisten oft haben), mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, also zu essen und fernzusehen, oder zu essen und ethische Probleme gedanklich zu bearbeiten. Das wirst du hier aber wohl von kaum jemandem hören, da man lieber an den überlieferten Worthülsen festhält, obwohl man es zumindest im Zen besser wissen müsste. Die Worthülse lautet: Iss ganz bewusst und konzentriere dich nur darauf. Atme ganz bewusst und konzentriere dich nur darauf. Das alles ist im Sinne einer zeitlich begrenzten Übung interessant, aber nicht das, was Achtsamkeit im Alltag ausmacht.


    Was hingegen auch andere unterschreiben dürften, ist die "umfassendere" Achtsamkeit, die mit der Übung entsteht. Es werden also Sinne und Bewusstsein geschärft, so dass einem mehr Details erfahrbar werden, weil man z. B. draußen auf der Straße - wo es im Gegensatz zum Essen angebrachter ist - nicht in seinen Grübeleien versinkt, sondern genauer wahrnimmt, was sich hier und da abspielt. Auch auf das, was der eigene Körper macht, achtet man intensiver (was nicht immer von Vorteil ist). Es ist auch nicht das gleiche wie Konzentration, wie ich leicht feststellen kann, wenn ich Konzentrationsübungen mache und dort nicht besser abschneide als der Schnitt. Die Achtsamkeit, die gemeint ist, dürfte eher einem offeneren Gewahrsein entsprechen, als es der ständig in Gedanken verstrickte Normalo kennt. Die Folge ist dann, dass man eher zur Tat schreitet, weil man eher als andere ein Problem identifiziert. Wenn man Achtsamkeit falsch übt, ist man hingegen ständig mit der Achtsamkeit auf sein eigenes Tun beschäftigt ("Ist meine Haltung in Ordnung" usf.).


    Mein Fazit ist, dass die von dir kritisch betrachtete Achtsamkeitsübung deshalb leicht zu ironisieren ist, weil sie sich mit Banalitäten beschäftigt, die gar nicht so großer Achtsamkeit bedürfen (das tägliche Waschen, Essen usw.). Genau das wird aber bis zum Erbrechen auch in manchen Zenschulen geübt. Interessant wird es jedoch erst, wenn man gerade nicht mehr sich allein auf das Einzelphänomen (Essen, Kochen usf.) konzentriert, sondern bei konzentrierter Verrichtung des Nötigen sozusagen für das Unnötige über-empfänglich wird: Ich muss schnell zur Bank, um eine Überweisung zu tätigen - aber ich grüße die Bettlerin, ich sehe die loße Fußplatte, ich halte jemandem die Tür auf, auch wenn er vor mir in der Schlange stehen wird. Achtsamkeitsübung wird erst dann interessant, wenn sie sich nicht mehr um einen selbst dreht - was sie aber in den ironisierten Beispielen meist tut.

    Die Frage war offenbar: Wozu Buddhismus, wenn es auch andere Arten der Selbstoptimierung gibt? Oder wozu überhaupt diese Selbstoptimierung, die nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen sogar Stress erzeugt, wenn man sich reinsteigert, also kontraproduktiv ist?


    Was den Buddhismus unterscheidet, sind offensichtlich nicht seine Werte (erst, wenn man ins Detail geht, fängt man sich an zu streiten - Liebe und Gebefreudigkeit, ja, aber geht die Liebe z.B. so weit, dass man kein Fleisch mehr isst usw.).


    Ein paar Unterschiede in der Weltanschauung ergeben sich, wenn man bedingtes Entstehen in den Mittelpunkt seiner Erwägungen stellt, aber mir scheint, dass die meisten Menschen unabhängig vom Buddhismus sehr wohl eine Ahnung davon haben.


    Treibt dich diese Frage um, Unbuddhist? Ich glaube, die Antwort wurde schon gegeben, aber du lehnst diese ab, weil du sie für ein Hirngespinst hältst. Nach meiner Ansicht ist der Buddhismus der Versuch einer höchsten Transzendenz, also eines Überschreitens des begrenzten Menschseins. Wenn man dies nicht für möglich hält, kann man Buddhismus auch leicht gegen andere Dinge austauschen, z.B. in Fragen der Selbstoptimierung, der Moral, des Rituals. Im Falle der Transzendenz ist es womöglich ein gravierender Unterschied, ob der Mystiker mit Gott/Allah eins werden will (kann?) oder, wenn ich es mal so sagen darf, mit niemandem. Nimmt man diese Idee an, würde es vielleicht genügen, dass es dem Mystiker selbst etwas gibt. Es wäre ja legitim, wenn dieser Mystiker sagt: Mir hat es was gebracht! Eine andere Frage wäre, ob es sich dann noch in angenehmer Weise auf seine Umwelt auswirkt.


    Ansonsten nämlich sieht es meines Erachtens so aus, dass Praktizierende von Religionen die Welt nicht besser machen. Neuere Forschung fand auch heraus, dass religiöse Moral dazu dient, strikte Moralvorstellungen vor allem in Bezug auf Sexualität zu verankern ("Theorie der reproduktiven Religiosität", siehe http://www.sueddeutsche.de/kul…ie-1.2877820?reduced=true): "Was die meisten Themen betrifft, die nicht explizit mit Sex, Heirat und Fortpflanzung zu tun haben, scheint der Einfluss der Religion eher gering zu sein". Dazu wurden 300.000 Menschen in 90 Ländern befragt. Verstöße gegen Sozialverhalten und sexuelle Normen wurden von den Religiösen streng getadelt, mit der Ehrlichkeit z.B. nahm man es aber nicht so genau. Fazit war: Es ging nur um Teilsaspekte der Optimierung, nicht um Großzügigkeit und Vertrauen, sondern um die Sicherung von Ehe und Fortpflanzung.


    Deine Frage, Unbuddhist, würde ich so beantworten: Der Buddhismus bringt in moralischer Hinsicht nur etwas, wenn man für eine eher restriktive Ehe- und Forfpflanzungsmoral ist. Auf anderen Gebieten bringt er nichts. Er versagt also im Sinne der Selbstoptimierung weitgehend, das Training der Achtsamkeit funktioniert nicht recht. Eine andere Frage wäre, ob er auf dem Gebiete der Entgrenzung (Transzendenz) der geistigen Erfahrungswelt mehr erreicht. Und ob sich daraus vielleicht sogar ergibt, dass die einseitig-restriktiven Auswirkungen seiner Moral "korrigiert" werden können.