Ich habe das hier an anderer Stelle schon mal gepostet, vielleicht tut es ja etwas zur Sache:
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Da nun begab sich der Pilger Vacchagatto dorthin, wo der Erhabene weilte, wechselte freundliche denkwürdige Worte mit ihm und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend, wandte sich nun der Pilger Vacchagotto also an den Erhabenen:
„Wie ist es, Herr Gotamo, gibt es ein Selbst?“
Auf diese Worte schwieg der Erhabene.
„Wie ist es denn, Herr Gotamo, gibt es kein Selbst?“
Ein zweites Mal nun schwieg der Erhabene. Da erhob sich der Pilger Vacchagotto und ging fort.
Nicht lange, nachdem der Pilger Vacchagotto fortgegangen war, wandte sich der Ehrwürdige Anando also an den Erhabenen:
„Warum, o Herr, hat der Erhabene die Frage des Pilgers Vacchagotto nicht beantwortet?“
„Hätte ich, Anando, auf die Frage des Pilgers Vacchagatto, ob es ein Selbst gibt, geantwortet: ‚Es gibt ein Selbst.‘ so wäre ich den Asketen und Brahmanen gefolgt, die Ewigkeit behaupten. Hätte ich aber, Anando, auf die Frage des Pilgers Vacchagotto, ob es kein Selbst gibt, geantwortet: ‚Es gibt kein Selbst.‘ dann wäre ich den Asketen und Brahmanen gefolgt, die Vernichtung behaupten.
„Hätte ich, Anando, auf die Frage des Pilgers Vacchagotto, ob es ein Selbst gibt, geantwortet: ‚Es gibt ein Selbst‘ würde das der Erkenntnis entsprechen: ‚Alle Dinge sind nicht Selbst‘ [sabbe dhammā anattā]?“
„Gewiß nicht, o Herr.“
„Hätte ich aber, Anando, auf die Frage des Pilgers Vacchagotto, ob es kein Selbst gibt, geantwortet: ‚Es gibt kein Selbst.‘ so würde der verwirrte Vacchagotto noch mehr in Verwirrung geraten sein: ‚Früher hatte ich ein Selbst, jetzt nicht mehr‘.“
Dreh und Angelpunkt dieses Suttas ist die Tatsache, dass sowohl Behauptung als auch Leugnung des Selbst beide von einer impliziten Grundannahme der Zulässigkeit von Behauptung oder Leugnung ausgehen. Auf den ersten Blick erschiene es zulässig, gemäß dem Diktum "sabbe dhammā anattā" (Dhp 279) zu sagen, "Es gibt kein Selbst". In der Leugnung eines Selbst ist Selbst aber implizit immer mitgedacht (‚Früher hatte ich ein Selbst, jetzt nicht mehr‘, als verwirrte Konsequenz der Leugnung), Behauptung und Leugnung haben beide ihren Ursprung in der (zumindest impliziten) Annahme eines Selbst.
Ferner wird sowohl im Pāli als auch im Deutschen "selbst" schlichtweg als rückbezügliches Personalpronomen gebraucht. Dabei steht "selbst", als ein erstarrter Genitiv des Demonstrativpronomens "selb-" im Kasus der Herkunft und Zugehörigkeit (daher auch oft "leer von einem Selbst und was zu einem Selbst gehört). Substantiviert wird daher "das Selbst, mein Selbst" als Prinzip jeglicher Zugehörigkeit der Erfahrung immer vorreflektiv und unthematisch mitempfunden; eine Seele („der Ātman“) ist dabei die, durch Ansicht entstandene, vorgestellte dingliche Entsprechung dieses Zugehörigkeits-Prinzips.
Was heißt also "sabbe dhammā anattā"? In Übereinstimmung mit dem Anattalakkhana-Sutta erläutert der Kommentar zum Dhammapada es folgendermaßen:
"tattha sabbe dhammāti pañcakkhandhā eva adhippetā. anattāti “mā jīyantu mā mīyantū”ti vase vattetuṃ na sakkāti avasavattanaṭṭhena anattā attasuññā assāmikā anissarāti attho."
"Darin sind mit "alle Phänomene" eben die Fünf Gruppen gemeint. „nicht-selbst": nicht-selbst im Sinne der Nichtkontrollierbarkeit, dass es nicht möglich ist, Kontrolle auszuüben wie "Nicht sollen sie altern! Nicht sollen sie sterben!", leer von Selbst, ohne Besitzer, ohne Herr, ist der Sinn."
Es ist deutlich zu bemerken, dass anattā hier kein Adjektiv ist, sondern Nom. Sing. von anattan. Vergl. Schmidt, Kurt, 1951: „Pāli. Buddhas Sprache.“ Paul Christiani, Konstanz, p. 15: „anattā ist N sing des Substantivs anattan […]. Dies ist wichtig! Der Sinn ist also nicht: Alle Dinge sind wesenlos (Adjectiv pl), sondern: Alle Dinge sind nicht das Selbst, nicht das Ich (Substantiv sing).“
Dies wird aus anderen Stellen im Kanon deutlicher, wo ersichtlich ist, dass anattā nicht mit seinem Bezugswort kongruiert, z.B. im Anattasuttam des Khandhasaṃyuttaṃ in SN, III, p. 21: […]rūpaṃ, bhikkhave, anattā, vedanā anattā, saññā anattā, saṅkhārā anattā, viññāṇaṃ anattā. […], „Form, Mönche, ist nicht Selbst, Gefühl ist nicht Selbst, Wahrnehmung ist nicht Selbst, Gestaltungen sind nicht Selbst, Bewusstsein ist nicht Selbst.“
Liebe Grüße.