Zitat
So, nun mal einen Gang zurück - das, was Du beschreibst und in den Zentren erlebst, muss ein neues Phänomen sein, oder ich habe einfach das Glück gehabt, mit einer Gruppe an Fakten Interessierter studieren und die Thematik vertiefen zu dürfen - ungestört von kontraproduktiven emotionalen und irrationalen Einwürfen. ... Ich habe so etwas in all den Jahren (Jahrzehnten) nicht erlebt.
....
PS: Was ich allerdings im Retreat erlebte, und verwundert zur Kenntnis nahm, waren Menschen, die der Welt entrückt, mit verklärtem Blick Mala-schwingend 10 cm über dem Waldboden zu schweben schienen ...
Wenn das nicht das Ergebnis von Irrationalität und Emotionen ist, dann wüsste ich nicht was sonst.
Die einen schweben halt im Himmel und die anderen sind erst mal sehr skeptisch und hinterfragen alles, was sie nicht verstehen. Beides sind legitime Möglichkeiten der Annäherung.
Es gibt Leute, die gehen in ein tibetisches Zentrum, weil sie sich irgendwie angesprochen fühlen, oft von der Person des Dalai Lama. Andere weil es kein anderes Zentrum gibt. Wieder andere werden mitgeschleppt usw. Jeder bringt sein Päckchen, seine Geschichte, seine Neigungen und seine Widerstände mit. Ich habe in meiner Sangha noch nicht erlebt, dass irgendjemandes individuelle Herangehensweise verurteilt oder abgelehnt wurde. Alle Fragen werden beantwortet, so gründlich es nötig ist. Wenn jemand mit bestimmten Erscheinungen nicht klarkommt, dann darf auch das sein. In so einem entspannten Klima, kann man sich viel eher auf die Eigenheiten der tibetischen Tradition einlassen. Da wo ich die ersten beiden Jahre hinging, war das anders, obwohl die Gruppierung mit ihr angeblichen westlichen Orientierung hausieren geht. Nirgendwo habe ich abergläubischere Leute getroffen: Sie wären rückwärts auf den Händen gelaufen, wenn es der Lama nur gesagt hätte.
Da wo ich jetzt bin, ist es traditionell. Und natürlich glauben auch viele an Dinge, die uns im Westen eher fremd sind. Aber es ist insgesamt unaufgeregter und entspannter.
Mir war das ganze Brimborium auch fremd, ich war keine Katholikin. Das war aber auch ein Vorteil. Und vor allem sehe ich es als Vorteil, dass ich mich nicht von einer Religion abgewendet habe, also nicht in Fundamentalopposition gehen musste. Weil ich Kunst und Literatur liebe und mich schon immer mit Mythen usw. befasst habe, konnte ich mich schnell eingewöhnen. Außerdem war ich gleich von meinem Lehrer angetan, er hat es mir leicht gemacht, mich einzulassen; und weil er auch noch der große Gelehrte dieser Linie ist und im Westen lebt, kann er gut erklären und auf das westliche Denken eingehen und es zulassen. Letztendlich hat dies mich dann sogar für die katholische Bilderwelt geöffnet: Ich kann diese Dinge mit ganz anderen Augen sehen und stehe nicht verstört vor "fremden Glaubensdogmen". Außerdem ich bin von meinem Hintergrund her multikulturell und multireligiös, dazu habe ich ein Fach der Kulturwissenschaften studiert.
Ich werde aber nie eine Tibeterin und ich kann und werde deshalb auch nicht alles 1:1 adaptieren und plötzlich an Himmelswesen glauben, nur weil es die Tibeter tun. Ich sehe vieles als kulturelle Eigenheiten. Hermeneutisch gesehen macht das für mich Sinn. Jedoch, ein Himmelswesen wird für mich eine Allegorie bleiben, die vielleicht einen historischen Hintergrund hat, die aber als Allegorie einen Sinn für mich ergibt, und nicht als real existierendes Wesen, an das ich zu glauben habe. So wie Gott für mich eben nicht der alte Kerl mit Rauschebart ist, der ab und an mal ein Donnerwetter veranstaltet. Wobei ich beides nicht vergleichen möchte, da z.B. eine Allegorie in weiten Teilen erklärbar ist, Gott sich aber jeglicher Beschreibung entzieht.
Mein Zugang zum Vajrayana ist demnach ein säkularer Zugang.
Wenn Leute wie Bachelor sich um einen säkularen Zugang zum Dharma bemühen, wenn sie versuchen die kulturellen Eigenheiten fremder Kulturen herauszuschneiden und versuchen, den Kern zu finden, in einer Weise, in der er mit dem Denken und der Kultur des modernen Menschen kompatibel ist, dann finde ich, dass dies ein lobenswertes Unterfangen ist und durchaus logisch. Wie ein Vorschreiber schon schrieb, jedesmal wenn der Dharma in eine Kultur getragen wurde, hat er sich an diese angepasst und wurde er mit den Mitteln und Bildern der jeweiligen Kultur vermittelt, verschmolz mit ihr, ging in ihr auf. Nichts anderes tut Bachelor. Vielleicht werden das die Menschen in fünfhundert Jahren rückblickend sehen können und den Säkularen Buddhismus als ebenso als genuin für unser Europa heute betrachten, wie wir heute den Vajrayana Tibets (wobei wir nicht außer acht lassen sollten, dass viel Buddhisten witzigerweise den Vajrayana nicht als "wahren Buddhismus" erachten.) Die Entwicklung hat erst angefangen. Die Lehren Buddhas sind noch nicht lange hier angekommen.