Tychiades:
Deshan kam auf den Trichter, aber nicht von selbst. Es bedarf immer eines Anstoßes, wie auch beim 6. Patriarchen. Wie du ja selbst mal hier schriebst, durch das Studium, das Lesen von Schriften, erwacht einer nicht.
Ich denke, die Problematik lässt sich sehr gut als map–territory relation beschreiben. Inklusive des psychologischen Aspekts, dass Menschen dazu neigen, die 'map' für das 'territory' zu halten. Diese Verwechslung ist das, worauf die Reiskuchenverkäuferin Deshan aufmerksam macht, indem sie unmittelbar 'map' und 'territory' miteinander konfrontiert.
Das Paradigma 'the map is not the territory' entwertet natürlich nicht die 'map' - nur ist deren entscheidendes Kriterium 'usability', Nützlichkeit, und nicht Wahrheit (was hier, um im Bild zu bleiben, absolute Genauigkeit wäre). Interessant ist da das Verhältnis von Nützlichkeit und Genauigkeit, eine schwierige Relation. Mangelnde Genauigkeit beeinträchtigt ebenso wie zu große Genauigkeit (im - natürlich rein theoretischen - Extrem Lewis Carrolls 1:1 Karte) die Nützlichkeit. Ein Problem, das ja auch im 2. Kapitel des Lotossutra (upāyakauśalya, hōben) metaphorisch - also hinreichend ungenau - verdeutlicht wird. In diese Richtung geht natürlich auch Nāgārjunas Konzept der zwei Wahrheiten (saṃvṛti-satya und paramārtha-satya) - die Wahrheit, die sich in Sprache fassen lässt, repräsentiert nicht Wirklichkeit; sie ist notwendig lediglich intentional. Notwendig, weil es keine Strukturgleichheit von Wirklichkeit (Śūnyatā / Pratītyasamutpāda) und Sprache gibt. Eben die Begrenztheit der Sprache zu überwinden ist ja der Grund, warum im Chan / Zen eine Didaktik nonverbaler Unterweisung entwickelt wurde. Wobei man sich bei Deshan schon fragen kann, ob da jemand nicht einfach von einem Extrem ins andere gefallen ist - ob es wirklich hilfreicher ist, sein Publikum mit dem Stock zu verprügeln als ihm das Diamantsutra auszulegen.
Jedenfalls - das alles negiert nicht die intentionale Wahrheit der Sutren und damit ihre Nützlichkeit / Brauchbarkeit ('usability'). Die wiederum erweist sich nicht durch Studium, sondern durch das nutzen / gebrauchen. Es geht also nicht um das Studium der 'map', sondern darum, sich mittels 'map' im 'territory' zu orientieren, seinen Weg zu finden und ihn zu gehen. Das ist "ausüben was der Buddha lehrte" und dies bedeutet laut Dōgen "die Worte und Wege aller Buddhas zu manifestieren". "Worte und Wege manifestieren" verweist auf das von mir schon erwähnte "Studium mit ungeteiltem Körper und Geist", das eben auch ein Studium mit Arschbacken und Intellekt umfasst.
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