Beiträge von Sudhana im Thema „Eine Bitte an die "Gesetzeseifrigen": Pali-Kanon für Halberleuchtete. Wo und wie anfangen?“

    accinca:
    Zitat

    Si̱e̱·gel
    Substantiv [das]
    1.Stempel, zum Abdrucken eines Emblems in eine weiche Masse.
    2.Abdruck eines Siegels.


    Was hat das mit dem Buddha zu tun?


    "Siegel" (Chin. / Jap. 一印, yiyin / irin) steht hier für Skrt. निमित्त nimitta - Zeichen / Kennzeichen, Symbol, Merkmal. Gebraucht im Sinne 'unterscheidendes Merkmal' - also das, was als spezifisches Merkmal den Buddhadharma von anderen Lehren unterscheidet. In Pali (wie im Skrt. nimitta) ebenfalls im Sinn von 'Zeichen / Anzeichen' gebraucht, jedoch ist der Bedeutungsraum (wie auch im Skrt.) deutlich größer, vgl. die entsprechenden Einträge in Nyanatilokas 'Buddhist Dictionary' und im Pali-English Dictionary von Rhys Davids / Stede.


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    Elliot:

    dann würde ich doch erstmal nachsehen, wo in den Lehrreden der Begriff "Vier Siegel" auftaucht.


    Im Majjhima Nikaya schon mal nicht, da bin ich mir ziemlich sicher.


    Vielleicht möchtest Du etwas näher erläutern, worum es sich dabei handelt? Manchmal werden ja einfach auch Synonyme verwendet.

    Wie ich kürzlich in einem anderen Thread schrieb, scheint der Begriff der "Vier Siegel" auf das Avataṃsakasūtra (Mahāvaipulya Buddhāvataṃsaka Sūtra, Chin. Huayan Jing, Jap. Kegon Kyō, Tib. mdo phal po che) zurückzugehen. Die ersten drei "Siegel" sind die tilakkhaṇa (die natürlich auch im Mahayana als trilakṣaṇa bekannt sind), als viertes Siegel gilt nibbāna / nirvāṇa.


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    Festus:

    Ergänzend: ein dhāraṇī speziell speziell zum Schutz der "Gesetzeseifrigen" bzw. der Schluss davon. Ob es was nutzt, ist eine andere Frage - so etwas zu rezitieren ist aber sicher sinnvoller als dieses Mantra:

    Zitat

    »Diese da denken: 'Gesetzeseifrig sind wir! Gesetzeseifrig sind wir!' So denken diese aufgeregten, aufgeblasenen, unsteten Plapperer, diese verworrenen Schwätzer! Ohne Achtsamkeit sind sie und ohne Wissensklarheit; ungesammelt sind sie, geistig zerfahren und lassen ihren Sinnen freien Lauf. Worin sind diese wohl gesetzeseifrig? Wozu sind diese wohl gesetzeseifrig? Inwiefern sind diese wohl gesetzeseifrig?«


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    Morpho:

    Zwecks Zufluchtobjekt; letzte Zeilen Sudhana, siehe oben. Auch Zufluchtsobjekt:Dharma scheint sich zu unterscheiden. Im Mahayana, zumindest im Zen aber, ist das Zufluchtsobjekt NICHT der "Lehrkörper".

    Der Unterschied im Verständnis ist vor allem beim Zufluchtsobjekt Sangha extrem. Für Theravadin ist gemäß AN 11.12 Zufluchtsobjekt lediglich der Ariya Sangha - um zu der gezählt zu werden, muss jemand zumindest 'Stromeingetretener' sein.


    Aber es soll ja auch im Zen Gemeinschaften geben, wo der 'Ariya Sangha' in der Zendo übt und der Rest vor der Tür sitzen muss ... :D


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    Tychiades:

    Es gibt dazu eine Reihe von Beispielen im Zen, wie die Frage von Pai-chang Huai-hai mit der Wasserflasche (Fall 40 Mumonkan).

    Ja - wobei ich mich frage, ob sich Baizhang da nicht doch zu billig abspeisen ließ, auch wenn Guishan sehr elegant und ohne Anlauf die Hürde von Affirmation und Negation nimmt. Dahui beispielsweise ging die Sache etwas anders (freilich mit sehr viel mehr Worten) an, als er seinen Stock (shippei) vorzeigte:

    Zitat

    Nennt ihr dieses einen Stock, liegt ihr falsch. Nennt ihr dies nicht einen Stock, liegt ihr auch falsch. Sagt nichts, aber bleibt auch nicht stumm. Ihr dürft nicht denken, ihr dürft nicht raten. Es ist euch nicht erlaubt, aufzustehen und den Raum zu verlassen. Nichts, was ihr tut, ist angemessen. Wenn ihr euch den Stock schnappen wollt, dann los, schnappt ihn euch. Ich werde dann meine Faust um ihn schließen und von euch eine Aussage verlangen. Wenn ihr wollt, dass ich meine Faust öffne, ist das auch in Ordnung. Aber dann verlange ich von euch eine Aussage zur ganzen Welt. Könnt ihr diese auch wegnehmen?

    Die zwölf Abteilungen der Schriften sind "eine Aussage zur ganzen Welt". Baizhangs umgetretene Wasserflasche macht hingegen nur den Boden nass. Und Guishan macht sich nicht einmal die Mühe, die Schweinerei selbst aufzuwischen. Den Boden zu nässen ist freilich immer noch besser als dies (oder die Schriften) zu kommentieren, wie ich zu meiner Schande einräumen muss. "Das Faktum - der Schlag mit dem Stock - ist wahr, ist evident" - aber andererseits ist es ja meistens ganz gut, dass uns diese Art der Faktenvermittlung hier in Buddhaland nicht auch noch zur Verfügung steht. :)


    Jedenfalls ist die 'Wahrheit' einer Aussage (eines 'Nicht-stumm-bleibens') zu einer Blume, einer Wasserflasche, einem Shippei oder zur ganzen Welt abhängig von den momentanen Bedingungen und Umständen - weswegen ich es vorziehe, von 'intentionaler Wahrheit' statt von Wahrheit zu sprechen. Die Begegnung Yaoshans mit Mazu illustriert dies sehr treffend:

    Zitat

    Der, der hier vor euch steht, hat mehr oder weniger geklärt, worum es in den zwölf Abteilungen der Schriften, wie sie unter den Nachfolgern der drei Fahrzeuge gefunden werden, geht. Aber warum kam Bodhidharma aus dem Westen?
    Auf diese Art befragt, anwortete der Zenmeister Mazu: Zeitweise lasse ich diesen hier eine Augenbraue heben und mit den Augen zwinkern, zeitweise lasse ich ihn nicht die Augenbraue heben und mit den Augen zwinkern. Zeitweise ist, ihn eine Augenbraue heben und mit den Augen zwinkern zu lassen, richtig und zeitweise ist, ihn eine Augenbraue heben und mit den Augen zwinkern zu lassen, falsch.

    Hätte Yaoshan nicht "mehr oder weniger geklärt, worum es in den zwölf Abteilungen der Schriften geht", wäre auch Mazus Antwort kein Wendewort gewesen. Nicht nur die "zwölf Abteilungen der Schriften", auch Mazus Antwort ist nur intentionale Wahrheit, sie sind Bedingungen und Umstände eben jenes "zeitweise": des Moments, auf den die Intention der 'Wahrheit' zielt. Getrennt von diesem Moment ist auch das Heben der Augenbraue oder der Schlag mit dem Stock zwar ein Faktum - aber eben auch nur ein Schlag mit einem Stock oder Heben der Augenbraue. Und die zwölf Abteilungen der Schriften nur eine Menge Papier.


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    Elliot:

    Ich kann Dir empfehlen, zunächst alle 152 Lehrreden des Majjhima Nikāya zu lesen.


    Allerdings nicht unbedingt in der Reihenfolge von Mūlapariyāyasuttaṃ bis Indriyabhāvanāsuttaṃ.


    Mit welcher Lehrrede Du anfängst, hängt von Deinen Neigungen, Interessen und Fragen ab.


    In Bezug auf den Suttapitaka insgesamt wurde ja auf Anthologien verwiesen, die inhaltlich sortiert sind. Da kann man sich dann direkt dem entsprechenden Abschnitt in der Anthologie zuwenden - das ist dann auch für späteres Nachschlagen und -lesen nützlich.


    Was nun den Majjhima Nikāya angeht - wie ich ja schon schrieb, hatte ich mich an die Reihenfolge gehalten, also 'from cover to cover' gelesen. Deine Empfehlung ist natürlich sinnvoll - nur hätte ich da das Problem, wie ich denn herausfinde, welche Lehrreden im Majjhima Nikāya nun gerade meine jeweiligen oder momentanen "Neigungen, Interessen und Fragen" behandeln. Gibt es da so etwas wie einen 'Führer durch den Majjhima Nikāya' - eine Art thematisch sortiertes Inhaltsverzeichnis? Oder was schlägst Du als praktische Vorgehensweise vor?


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    Tychiades:

    Deshan kam auf den Trichter, aber nicht von selbst. Es bedarf immer eines Anstoßes, wie auch beim 6. Patriarchen. Wie du ja selbst mal hier schriebst, durch das Studium, das Lesen von Schriften, erwacht einer nicht.


    Ich denke, die Problematik lässt sich sehr gut als map–territory relation beschreiben. Inklusive des psychologischen Aspekts, dass Menschen dazu neigen, die 'map' für das 'territory' zu halten. Diese Verwechslung ist das, worauf die Reiskuchenverkäuferin Deshan aufmerksam macht, indem sie unmittelbar 'map' und 'territory' miteinander konfrontiert.


    Das Paradigma 'the map is not the territory' entwertet natürlich nicht die 'map' - nur ist deren entscheidendes Kriterium 'usability', Nützlichkeit, und nicht Wahrheit (was hier, um im Bild zu bleiben, absolute Genauigkeit wäre). Interessant ist da das Verhältnis von Nützlichkeit und Genauigkeit, eine schwierige Relation. Mangelnde Genauigkeit beeinträchtigt ebenso wie zu große Genauigkeit (im - natürlich rein theoretischen - Extrem Lewis Carrolls 1:1 Karte) die Nützlichkeit. Ein Problem, das ja auch im 2. Kapitel des Lotossutra (upāyakauśalya, hōben) metaphorisch - also hinreichend ungenau :) - verdeutlicht wird. In diese Richtung geht natürlich auch Nāgārjunas Konzept der zwei Wahrheiten (saṃvṛti-satya und paramārtha-satya) - die Wahrheit, die sich in Sprache fassen lässt, repräsentiert nicht Wirklichkeit; sie ist notwendig lediglich intentional. Notwendig, weil es keine Strukturgleichheit von Wirklichkeit (Śūnyatā / Pratītyasamutpāda) und Sprache gibt. Eben die Begrenztheit der Sprache zu überwinden ist ja der Grund, warum im Chan / Zen eine Didaktik nonverbaler Unterweisung entwickelt wurde. Wobei man sich bei Deshan schon fragen kann, ob da jemand nicht einfach von einem Extrem ins andere gefallen ist - ob es wirklich hilfreicher ist, sein Publikum mit dem Stock zu verprügeln als ihm das Diamantsutra auszulegen.


    Jedenfalls - das alles negiert nicht die intentionale Wahrheit der Sutren und damit ihre Nützlichkeit / Brauchbarkeit ('usability'). Die wiederum erweist sich nicht durch Studium, sondern durch das nutzen / gebrauchen. Es geht also nicht um das Studium der 'map', sondern darum, sich mittels 'map' im 'territory' zu orientieren, seinen Weg zu finden und ihn zu gehen. Das ist "ausüben was der Buddha lehrte" und dies bedeutet laut Dōgen "die Worte und Wege aller Buddhas zu manifestieren". "Worte und Wege manifestieren" verweist auf das von mir schon erwähnte "Studium mit ungeteiltem Körper und Geist", das eben auch ein Studium mit Arschbacken und Intellekt umfasst.


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    Tychiades:

    Ich hab' es mir inzwischen auch angesehen. M.E. entspricht es dem Begriff des Pharisäers im jüdisch-christlichen, d.h. Leute, die eben die Lehre auslegen und den anderen sagen, was Sache ist.


    Gute Parallele - auf die, die auf die jhāyī bhikkhū herabblicken und ihnen "sagen, was Sache ist", passt das sicher. Eine entsprechende Bezeichnung für umgekehrt jhāyī bhikkhū, die auf die dhammayogā bhikkhū herabblicken, fällt mir jetzt nicht ein.

    Tychiades:

    Dabei fehlt dann oftmals die Erfahrung, die der Lehre zugrunde liegt - als Beispiel finde ich da diesen Kommentartor vom Diamantsutra, Deshan Xuanjian, der auf eine "einfache" Frage einer Reiskuchenverkäuferin nicht antworten konnte.

    Ja- aber Deshan kam ja dann doch noch auf den Trichter. Wobei das Studium des Diamantsutra zumindest insofern nützlich war, dass er mit Hilfe der alten Reiskuchenverkäuferin einsah, dass er es nicht verstand. Dass seine Kommentare Müll waren (was für sich ja auch nicht weiter schlimm gewesen wäre) und er damit andere Leute an der Nase herumführte, ist eine freilich eine andere Geschichte. Und dass Huineng durch einen Satz des Diamantsutra auf die Sprünge geholfen wurde, ist ja auch bekannt.


    Wie auch immer - das dreifache Studium ist eines mit ungeteiltem Körper und Geist. Und nicht nur eines mit dem Intellekt und auch nicht nur eines mit den Arschbacken, wie vor allem übereifrige Zen-Novizen gerne glauben. Aber da hat halt jeder seinen Zugang. Wichtig ist nur, dass man aus dem Zugang auch heraus und in die Gänge kommt.


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    Tychiades:
    accinca:

    Die Übersetzung von dhammayogā mit "Gesetzeseifrig" aus der obigen Lehrrede
    ist fragwürdig. Die Übersetzung mit "der Lehrdarlegung verbundene"
    wäre genauer. Wir wollen die Mühe des Buddha die Lehre (eifrig)
    vorgetragen zu haben ja nicht diskreditieren.


    Bist du so freundlich und belegst deine Ansicht?


    Da ich hier @accincas Meinung teile, erlaube ich mir, ungefragt zu antworten. Das Pali-English Dictionary der Pali Text Society gibt für yogā:

    Zitat

    1. yoke, yoking (rare?) [...] 2. connection with ( -- ˚), application to; (natural) relation (i. e. body, living connection), association; also conjunction (of stars). usw.

    - es drückt also eine Verbindung oder Beziehung aus, ein angejocht oder angeschirrt sein (yogā und Joch haben dieselbe indogermanische Wurzel). In diesem Fall besteht der Bezug zu dhamma, was hier, wie sich aus dem Kontext ergibt, als 'Lehrdarlegung' zu verstehen ist.


    In der Tat ist Nyānatilokas "eifrig" hier recht frei übersetzt, wobei Nyānatiloka allerdings auch angibt, dass Buddhaghosas Kommentar (das Manorathapūrani Anguttaranikayatthakatha) die "dhammayogā bhikkhū" als "Lehrprediger" interpretiert. Thanissaro Bhikku übersetzt hier etwas näher am Original "Dhamma-devotee monks" und merkt in einer Fußnote an: "Those devoted to memorizing and analyzing the Dhamma".


    "Der Lehrdarlegung verbundene Mönche" oder "sich der Lehrdarlegung widmende / hingebende Mönche" gibt den Sinn also mE besser wieder als das für meinen Geschmack künstlich archaisierende "gesetzeseifrig".


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    Andreas:

    wie nähert man sich dem systematisch? Verstehen-wollend? Lernen-wollend? Anfänger-geistig?


    Hallo Andreas,
    ich halte es für sinnvoll, den Einstieg mit einer guten Anthologie zu beginnen. Da hat Dir der Herausgeber die Arbeit einer systematischen Ordnung nach Themen (die es im Palikanon nicht gibt) abgenommen. Für mich war seinerzeit die Einführung ein zu Recht (nicht zuletzt wegen der Qualität der Übersetzungen) immer wieder neu aufgelegter 'Klassiker': Hermann Oldenbergs 'Die Reden des Buddha.' Eine gute (wenn nicht gar bessere) Alternative ist Bhikku Bodhis 'In the Buddha's Words', von dem es auch eine deutsche Übersetzung ('In den Worten Buddhas') bei Beyerlein & Steinschulte gibt.


    Ich fand es hilfreich, dann einzelne Begriffe gründlicher zu untersuchen, wobei ich vor allem Nyanatilokas 'Buddhistisches Wörterbuch' benutzt habe und den dortigen Literaturverweisen gefolgt bin - mir also die entsprechenden Fundstellen im Kontext des jeweiligen Sutta angeschaut habe. Dabei bin ich hinsichtlich der inhaltlichen Ordnung Buddhaghosas Visuddhimagga gefolgt, einer 'klassischen' systematischen Darstellung der Theravada-Lehren. Leider beziehen sich Nyanatilokas Quellenangaben auf eine andere Redaktion des Palikanon als die auf http://www.palikanon.com/ (wo sich auch das Visuddhimagga findet), was die Suche manchmal etwas umständlich macht. Die auf der Webseite ebenfalls zur Verfügung stehende Version des Wörterbuchs ist übrigens wenig brauchbar, aber man findet die englische Ausgabe als PDF im Netz.


    Von 'cover to cover' habe ich (unabhängig davon) lediglich den Majjhima Nikāya gelesen. Die Länge der Sutten ist gerade richtig, um am Tag eine davon zu lesen und die Übersetzung von Mettiko Bhikkhu (Kay Zumwinkel) ist gut lesbar und zuverlässig. Als Zen-Praktizierender hat man schließlich ja auch noch Anderes zu tun ...


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