Beiträge von Sudhana im Thema „Leerheit und Vergänglichkeit“

    Korrekturen:

    Sudhana:

    Die Medizin, deren Zweck sich nach Heilung der Krankheit erfüllt hat und die dann ohne Zweck angewandt zur schädlichen Droge wird.

    Sudhana:

      2. die von Śūnyatā als der abhängigen und bedingten Natur der dharmas - ohne deren Wahrnehmung (d.h. von [Wortwiederholung entfernt] Śūnyatā) als nicht-bedingte, unbestimmte und ungetrennte wahre Natur der dharmas (Nihilismus)


      3. die von Śūnyatā als perfektem Nirvana, damit Śūnyatā missverstehend als absolut transzendent und getrennt vom Bereich bedingter dharmas - glaubend, es (Nirvana) durch ein nihilistisches Verwerfen der dharmas als erscheinender Wirklichkeit "zu erlangen" (Dualismus [statt des versehentlichen 'Eternalismus'])


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    Moosgarten:

    1. Du sprichst von Begriffen, die lediglich auf sich selbst oder andere Begriffe bezogen sind? Meinst du damit auch alle Begriffe?

    Ja sicher. Nāgārjuna wendet ja einiges an Argumentation und Illustration durch Beispiele auf, um zu zeigen, dass ein Begriff negativ, d.h. dadurch bestimmt ist, was er auschließt - konkret: durch andere Begriffe.

    Moosgarten:

    2. Du meinst, die Verwendung von Begriffen setzt zwingend auch einen Glauben an ein "Für-Sich-Sein" voraus?

    Nein, das ist nicht zwingend. Dieser "Glaube" ist lediglich die Sichtweise, die dem Begriffenen ein svabhava zuschreibt. Śūnyatā ist da das Antidot.

    Moosgarten:

    3. Was meinst Du mit "Ergreifen"? Upādāna?

    Exakt. 'Begreifen' (dem Wahrgenommenen / saṃjñā Begriffe zuweisen) ist für mich der entscheidende Aspekt von Ergreifen / upādāna. Es ist die Entfaltung der Vorstellung (prapañca); ihr 'Zusammensetzen' durch den saṃskāraskandha. Vikalpa, 'Denken', dass das vijñāna gestaltet - leidhaft, instabil, substanzlos. duhkhatā, anitya, anātman.

    Moosgarten:

    Ich finde, man interpretiert das MMK völlig falsch (s. dazu wieder Kap.24), wenn man sich sich nicht immer wieder an das Kapitel 1 und die Motivation Nagarjunas erinnert:

    Zitat

    1.8
    Es wird (von anderer Seite) gelehrt, dass dieser Dharma (dieses Seinsmoment, als geistiger Prozess) auch unabhängig von seiner Objekt-Bedingung existiert.


    Das ist es doch, worum es Nagarjuna geht, um die Zurückweisung von Ansichten, die ein atta oder svabhava implizieren.


    Das ist (nur) der erste Schritt. Um es mit anderen Worten zu wiederholen - ich verstehe Nāgārjuna so, dass es ihm um die Zurückweisung aller Ansichten geht, insofern (bzw. wenn) ihnen ein Wahrheitswert zugewiesen wird. Sie können einen therapeutischen Wert haben - ist das der Fall, dann ist das saṃvṛti-satya. Śūnyatā ist solch eine 'therapeutische' Sichtweise - deren Anwendung diese Sichtweise letztlich (als letzten Schritt) selbst negiert. Die Medizin, deren Zweck sich nach Heilung der Krankheit erfüllt und die dann ohne Zweck angewandt zur schädlichen Droge wird. Das ist natürlich keine 'Rückkehr' zur überwundenen Sichtweise, sondern - um es mit Hegel auszudrücken - ein qualitativer Sprung ("Entstehung neuer Bewusstseins-Qualitäten") durch Überwindung des dialektischen Widerspruchs von svabhava-Sicht und Śūnyatā-Sicht.

    Moosgarten:

    So wird häufig gesagt, aber an dieser Stelle MMK24.7:

    Zitat

    Darauf antworten wir, weder weißt du, warum über die Leerheit gesprochen wird (verweist auf Kapitel 1) noch kennst du die Leerheit selbst (was das ist, nämlich Bedingtes Entstehen), noch verstehst du ihre Bedeutung (der mittlere Pfad).


    Der Mittlere Pfad umfasst aber alle menschliche Aktivität ohne Ausnahme, daher auch das begriffliche Denken, es geht nicht um das "Abweisen aller Begriffe", sondern das "Denken auf dem Grund des Nicht-Denkens"


    Das drückt es lediglich anders aus. "Denken auf dem Grund des Nicht-Denkens" ist kein begriffliches Denken, kein vikalpa (in Nāgārjunas Terminologie) - es ist ein Denken ohne Be- und damit ohne Ergreifen. Das erfordert Übung. Zur Übung gehört zunächst das "Abweisen aller Begriffe". 無.

    Moosgarten:
    Sudhana:

    Dies führt zu einer 'reinen' (unbegrifflichen) Erfahrung von Soheit (tathatā), d.h. ohne Ergreifen und Ergriffenes.


    Das mag ja sein, doch dann muss man wieder auf den Markt und erst da erweist sich dann, was an der Soheit dran war.

    Bzw. ist. So ist es. Ich habe den Eindruck, dass mein Hinweis auf des Verwerfen der 'Sicht der Leere' bzw. die 'Leerheit der Leere' in seinen Implikationen nicht recht verstanden wurde. Die Gefahr besteht allerdings, wenn man rein innerhalb des Madhyamika-Diskurses bleibt. Was Chan / Zen ja bekanntlich nicht tut, auch wenn es natürlich auf dem Sanlun / Sanron aufbaut.


    Hilfreich finde ich da das Ratnagotravibhāga (寶性論, TT 31.1611, 813ff), das den 'Tibetern' hier vielleicht eher unter dem Namen Uttaratantraśāstra bekannt ist, das im 7. Kapitel unmittelbar an den Madhyamika-Diskurs anknüpft und das Problem, 'einen Ziegel zum Spiegel zu polieren' schärfer fasst, als man dies in den MMK findet. Ich greife hier zum Teil, um den Umfang des Postings in Grenzen zu halten, auch auf Brian Edward Browns sehr knappe, aber konzise Zusammenfassung des Argumentationsgangs zurück. Der Text führt vier Klassen von Sichtweisen an, die zurückzuweisen sind:


      1. die von der Existenz unabhängiger, selbst-subsistenter 'Dinge' (dharmas), also von einem svabhava / Für-Sich-Sein (Substantialismus)


      2. die von Śūnyatā als der abhängigen und bedingten Natur der dharmas - ohne deren Wahrnehmung (d.h. von von Śūnyatā) als nicht-bedingte, unbestimmte und ungetrennte wahre Natur der dharmas (Nihilismus)


      3. die von Śūnyatā als perfektem Nirvana, damit Śūnyatā missverstehend als absolut transzendent und getrennt vom Bereich bedingter dharmas - glaubend, es (Nirvana) durch ein nihilistisches Verwerfen der dharmas als erscheinender Wirklichkeit "zu erlangen" (Eternalismus)


      4. die von Śūnyatā als einem ewigen Absoluten, das 'hinter' bzw. komplementär zu den skandhah und der ganzen bedingten Welt existiert und das mit dieser koextensiv ('inhaltsgleich') ist (Monismus)


    Nebenbei angemerkt - ich denke, dass hier, im Baoxing lun, der Ansatzpunkt für Dongshans 'fünf Ränge' liegt. Doch damit wären wir dann in einem zen-spezifischen Diskurs, der mE nicht hierher (in dieses Forum) gehört. Der mittlere Weg vermeidet alle diese vier Sichtweisen, d.h. die Hypostasierung bzw. Projektion eines 'Absoluten' sowohl auf das Relative und Bedingte wie auch auf ein Ultimates und Nicht-Bedingtes. Anders gesagt: er vermeidet den wechselseitigen Ausschluss von Bedingtem und Nicht-Bedingtem. Damit wird der mittlere Weg als nichtdualistisch definiert.


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    void:

    Also der Ursprung war wohl deine Aussage:


    Sunu:

    Mit Leerheit ist die Abwesenheit von einer Natur in den Dingen gemeint. Sie wurde gelehrt Zwecks der Zurückweisung von jeglicher Ansicht. Weder ist Vergänglichkeit, noch ist sie nicht. Weder ist sie und ist nicht zugleich, noch ist sie beides zusammen nicht...


    Du benutzt Nagarjunas "Tetralemma" als so eine Art Fleischwolf. Oben wirft man seine Ansicht rein, die dann zermalen und als unhaltbar abetan wird. Egal, was man so für Ansichten geht, alle werden sie zu so Brei geschreddert.


    Das ist im Grunde auch richtig so - dazu ist der catuṣkoṭi da. Wobei es natürlich nicht darum geht, einfach die Formel herunterzubeten, sondern die vierfache Negation logisch herzuleiten. Es läuft letzlich auf eine Negation der Begriffe hinaus, indem gezeigt wird, dass die wechselseitige Bedingtheit der Begriffe, d.h. ihre Aufeinander-Bezogenheit nach logischen Regeln konsequent zu Aporien führt. Damit wird aufgezeigt, dass die Begriffe - anders gesagt, die mittels logisch aufeinander bezogenen Begriffen entfaltete Vorstellung (prapañca) keine Abbildung der Wirklichkeit ist (die Position des klassischen Idealismus) sondern eben nur eine 'Ansicht' (dṛṣṭi), da den Begriffen nichts korrespondiert, dem ein Für-Sich-Sein (svabhava) zugesprochen werden kann. D.h. die dharmas (Seinsmomente), die mit Begriffen ergriffen werden, werden als leer (śūnya) von einem svabhava erkannt. Sie sind lediglich momentane Funktion von Ursachen und Bedingungen (hetupratyaya) - wobei die Funktion das Ergreifen einer Ansicht ist.


    Um (spät genug) die Kurve zur Ausgangsfrage zu kriegen - 'Vergänglichkeit' (anitya) ist ebenso eine Ansicht (dṛṣṭi) wie Eternalismus - und selbstverständlich wird auch diese Ansicht dekonstriert, d.h. in Śūnyatā aufgelöst. Bei Nāgārjuna z.B. findet man das in MMK 21. Mehr 'Beziehung' zwischen "Leerheit und Vergänglichkeit" ist da nicht. Es sind zwei nicht miteinander vereinbare dṛṣṭi. Die Sicht 'anitya' ist die Funktion, die Sicht 'Eternalismus' (nitya) zurückzuweisen. Die Sicht 'Śūnyatā' ist die Funktion der Zurückweisung der Sicht 'anitya' - und aller anderen Sichten.


    Dazu gehört natürlich auch die Zurückweisung der Sicht 'Śūnyatā' (śūnyaśūnyatā, die 'Leerheit der Leere') selbst als letzter Schritt - wobei diese Zurückweisung eine durch sich selbst ist, womit das Ersetzen einer Ansicht / Sicht durch eine andere vermieden wird. So zieht man sich wie weiland Münchhausen am eigenen Zopf aus dem Sumpf. Man poliert einen Ziegel, um einen Spiegel daraus zu machen.


    Das ist nun kein bloßer Gedankensport, sondern die theoretische Begründung einer spezifischen Praxis, die sich im Abweisen aller Begriffe und damit des Ergreifens (upādāna) manifestiert. Natürlich nicht durch Räsonnieren mittels eines Tetralemma-Schemas sondern einfach durch Nicht(s)-Tun (womit die Bezeichnung 'Nicht-Praxis' eigentlich treffender wäre als 'Praxis'). Okay, Hinsetzen darf man sich dabei ... Dies führt zu einer 'reinen' (unbegrifflichen) Erfahrung von Soheit (tathatā), d.h. ohne Ergreifen und Ergriffenes.


    So entspricht der oben erwähnten theoretischen Zurückweisung von 'Vergänglichkeit' (genauer: Entstehen und Vergehen) in MMK 21 die Artikulation der entsprechenden Erfahrung im Prajñāpāramitā-Hṛdaya Sūtra: ihaṁ śāriputra sarva dharmāḥ śūnyatā lakṣaṇā anutpannā aniruddhā amalā navimalānonā naparipūrṇāḥ - Hier, oh Śāriputra, alle dharmas haben das Merkmal Leere, sie entstehen und vergehen nicht, sind nicht rein oder befleckt, nehmen nicht zu oder ab.


    void:

    Und es gibt ja viele, die sagen würden, dass das genau das ist was der Buddhsmus sagt: "Alles Ansichten sind ungültig; Erkenntnis ist nicht möglich; Alles ist irgendwie eins."

    So isses ja auch :) . Fast. Vom letzten Satz mal abgesehen - sowas blubbert man vor sich hin, wenn nach dem vierten Bier gewisse Funktionen ausfallen. Was die anderen beiden Aussagen angeht: bei Ansichten geht es ja nun auch nicht um richtig oder falsch bzw. gültig oder ungültig. Hinsichtlich des Wahrheitsbegriffs im Madhyamika müsste ich jetzt noch ein bissel weiter ausholen (und eigentlich möchte ich allmählich ins Bett). Deswegen stattdessen hier ein Link. Jedenfalls - es geht stattdessen um heilsam oder unheilsam. Heilsam in Sinne von Madhyamika / Prajñāpāramitā ist das Nicht-Ergreifen; dies ist der Ansatzpunkt, um die Kette wechselseitig bedingten Entstehens, den Konditionalnexus (pratītyasamutpāda) zu zerreissen.


    Sodann: 'Erkenntnis' ist durchaus möglich - aber eben nur im Bezugsrahmen der "Rahmenbedingungen" (um Moosgartens Diktion aufzugreifen), die die jeweilige subjektive Sicht vorgibt. Diese Erkenntnis ist natürlich nicht mehr als eine weitere Entfaltung der entfalteten Vorstellung (prapañca) - was unter bestimmten Bedingungen ja auch recht nützlich zur Problemlösung sein kann. Z.B. zum Holzhacken und Wasserholen. Erkenntnis im Sinne 'Wahrheit' im ultimativen Sinn (paramārthasatya) ist Dir nicht möglich (mir aber auch nicht :( ). Eine subjektive Sicht auf paramārthasatya ist nun einmal nicht mehr als subjektive Sicht, was eine Trennung / Scheidung von Sehen und Gesehenem impliziert. Was im besten Fall bedeutet: eine Sicht auf die Erleuchtung - aber nicht die Erleuchtung selbst.


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