Beiträge von Sudhana im Thema „Fundamentalkritik“

    Ayudha:

    Es stellt sich für mich die Frage, ob es denn einen "authentischen Buddhismus so wie Buddha Shakyamuni" ihn lehrte überhaupt geben kann.

    Das hängt davon ab, was man unter "authentisch" versteht bzw. verstehen möchte. Da macht es Sinn, sich zunächst zu verdeutlichen, was Buddhismus eigentlich ist. In erster Linie ist Buddhismus eine bestimmte Praxis des Lebens und Sterbens (das ist seine praktische Seite), die auf einer fundamentalen Kritik des eigenen Seins (dessen, was wir als 'Selbst' wahrnehmen) beruht. Einer Kritik, die wiederum ihrerseits exoterisch auf diskursivem Denken und esoterisch auf Erfahrungen und 'Einstellungen' beruht, die in nicht-diskursiven Bewusstseinszuständen zugänglich werden (das ist seine theoretische Seite, wobei das 'theoretisch' hier gewiss sehr weit gefasst ist). Das bedeutet wiederum, dass sich 'authentischer Buddhismus' in wechselseitiger Beziehung von Orthodoxie und Orthopraxie manifestiert. Damit ist 'authentischer Buddhismus' einerseits nicht fixiert im Sinne eines historischen, unveränderlichen Modells (was dem Prinzip 'anitya' widerspräche), andererseits steht er in einer Tradition von Theorie und Praxis und ist bedingt durch diese.


    Welches Denken nun wiederum als orthodox und welches Handeln als orthopraktisch im buddhistischen Sinne gelten kann, darüber kann (und darf) man durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Das zeigt gerade dieses Forum hier immer wieder.

    Ayudha:

    Ein Teil meiner Praxis stellt die Suche und Meditation über die festgehaltenen Schriften dar und wie das im Kontext der Lebenszeit verstanden und praktiziert wurde.

    Die von Dir beklagte Theorieferne hinsichtlich der schriftlichen Überlieferungstradition ist mE ein typisches Inkulturationsproblem. So löffelt jeder die Suppe, die im schmeckt. Der eine studiert die schriftlich fixierte Tradition, der andere zeitgenössische Erbauungsliteratur buddhistischer Medienstars (oder solcher, die man für 'authentisch buddhistisch' hält). Entscheidend ist doch, was einem persönlich hilft. :) Was nun wiederum bedeutet, dass das Verstehen, wie eine Schrift "im Kontext der Lebenszeit" des Verfassers "verstanden und praktiziert wurde" nur die halbe Miete ist. 'Authentisch' wird das erst, wenn dieses Verständnis in den Kontext der eigenen Lebenszeit 'übersetzt' wird. Dieses Geschäft des Übersetzens kann man sich abnehmen lassen - Anbieter dafür gibt es genug. Dass man da die schlechten von den guten unterscheiden kann, ist natürlich ein Argument dafür, sich, so weit es einem möglich ist, seine 'Übersetzungen' in ein zeitgenössiches Denken und Handeln selbst zu besorgen.



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    Moosgarten:

    Geldsetzer aus dem Chinesischen
    Garfield aus dem Tibetischen
    Weber-Brosamer/Back aus dem Sanskrit.


    Das sind schon 3 unterschiedliche Paar Schuhe.
    Geldsetzer hat schon ne Mission :) aber interessant allemal.

    Wenn Du noch Kalupahana hinzunimmst, hast Du schon ein viertes Paar - gewissermaßen eine Vibhajjyavada-Lesart. Gibt sicher noch einige mehr.


    Kommt immer drauf an, welcher Schuh einem passt. Das merkt man erst, wenn man sein eigenes Verständnis von Nagarjuna in eine Lebenspraxis einbringt - da gehört es hin. Da merkt man, wo der Schuh passt und wo er drückt. Ansonsten bleibt man darin stecken, Interpreten von Nagarjuna zu studieren statt Nagarjuna selbst.


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    Der Unbuddhist:

    Ja Resignation. Wobei vielleicht eine aufgeklärte "fundamentale" Resignation nicht die schlechteste Möglichkeit ist.

    Nun - Resignation ist die mittlere Deutung des Sprungs des Empedokles. Irgendwo zwischen Apotheose und Betrug. Gewissermaßen der mittlere Weg ... :)

    Der Unbuddhist:

    Wobei die intellektuelle Fundamentalkritik allein, wie sie jetzt in diesem Thread angeklungen ist, nicht zu einem Ende von dukkha führen kann. Nicht jedenfalls in einem ernsthaft buddhistischem Sinn. Ein solches Ende steht aber hier nicht zur Diskussion, jedenfalls nicht meinerseits.

    Die Kritik selbst natürlich nicht - sie hat ja lediglich die Funktion, einen solchen Weg zu weisen. Die Kritik der Kritik wiederum zeigt auf, dass Kritik eine solche Wegweisung nur ein Stück weit leisten kann. Da ist man dann an einem Punkt angelegt, wo auch der Bereich des Kommunizierbaren endet. Und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen. Insofern steht "ein solches Ende" auch meinerseits nicht zur Diskussion.

    Der Unbuddhist:

    Heikles Terrain hier.

    In der Tat - heikel auch insofern, als auf diesem Terrain diverse Zweifel (deren Berechtigung ich gar nicht in Abrede stellen will) nicht argumentativ behoben werden können.

    Der Unbuddhist:

    Das Prä, das Vor also, würde dann das bedeuten, um was es gerade diesem Denken geht: seine eigenen Grundlagen zu bestimmen. Wie aber weiter oben anklang, führt das in einen endlosen Regress – in eine wichtige Erkenntnis also.

    Hier wäre ein 'meta' mE angebrachter als ein 'prä' ...

    Der Unbuddhist:

    Wenn das Präreflexiv aber die Ruhe sein soll, die diesen endlosen Regress unterbricht, um auf ihm auf einer Art Floss sich treiben zu lassen, dann ist es, wenn man vom Reflexiven her kommt, nur eine Art künstliche (wenn auch evtl. hilfreiche) Position.

    Nun - wenn man sich abmüht und sich dann einfach mal ein halbes Stündchen oder so ruhig hinsetzt, empfinde ich dies als durchaus natürlich. :)

    Der Unbuddhist:

    Das Zuschlittern auf die physischen Grenzen des Planeten im Kapitalismus ist eher Evolution, die zwar im Vergleich rasant verläuft, den Planeten und seine Biossphäre aber schlussendlich nicht umbringen wird.

    Auch, wenn ich sinngemäß dieselbe Position vertreten habe - dazu habe ich diese Woche einen interessanten Artikel gelesen, der mich hinsichtlich der Plausibilität meiner Annahme dann doch etwas verunsichert hat. Wenn auch nicht so sehr, dass das nun zusätzlichen Handlungsbedarf bei mir auslösen würde. Hoffe, das macht jetzt keine schlaflosen Nächte ...

    Der Unbuddhist:

    Im Zusammenhang diese Threads hätte ich da aber noch zwei Punkte.


    Erstens wie verhält man sich, welche Position nimmt man ein, wenn man sich als ernsthafter Buddhist begreift? D.h. wenn man vom Mahayana à la Nagarjuna ff. ausgeht? (Für die Älteren kann ich nicht sprechen.) Zum einen ist da nämlich diese in Bezug auf den Buddhismus völlig neue Situation, die angesprochene der globalen Miesere. Zum anderen ist da die klare ethische Haltung, die sich auf MMK 24:18 gründet (beziehe mich auf Jay Garfield). Welche politische Haltung kann man daraus ableiten, wenn überhaupt eine – inklusive derjenigen, die dem Staat und dem Politischen mit Nichtbeachtung begegnet?

    Zunächst denke ich, ist aus buddhistischer Perspektive "die angesprochene globale Misere" keine "völlig neue Situation", allenfalls eine neue Dimension von duhkha. Was Du mit der "klare(n) ethische Haltung, die sich auf MMK 24:18 gründet" meinst, ist mir nicht ganz klar. Garfields Kommentar, der die dreifache Relation von pratiyasamutpada, sunyata und prajnapti als konventionelle Realität etabliert, finde ich da auch wirklich hilfreich. Einen Bezug zur Ethik sehe ich hier allerdings nur in Bezug auf die konventionelle Wahrheit der arya satya, insbesondere der vierten mit ihren Sila-Praxisfeldern - wozu man natürlich MMK 24:18 auf MMK 24:8 beziehen muss. D.h. die buddhistische Ethik ist nicht nur bloße Konvention; diese Konvention ist "weltliche, verhüllte Wahrheit" (samvrtisatya) insofern sie auf die "ultimate Wahrheit" (paramarthasatya) verweist.


    Aus der wechselseitigen Bedingtheit des abhängig Entstandenen lässt sich problemlos eine Haltung universeller Solidarität als deren Ausdruck ableiten, die sowohl eine ethische als auch eine politische Haltung ist. Die Realisierung der Interdependenz des Seienden findet ihren Ausdruck beispielsweise in den brahmavihara, die ihrerseits ein entsprechendes Handeln motivieren. Ein Handeln (um auch Deinen zweiten Punkt noch kurz aufzugreifen), das damit nicht an der Umsetzung einer (sozialen, politischen, ökologischen ...) Utopie orientiert und entsprechend auch nicht konsequentialistisch begründet ist, sondern als 'Tugendethik' auf Wohlwollen, Mitgefühl, Mitfreude und Duldsamkeit basiert.


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    Axel:

    einige Bemerkungen vorab:


    Erstens warte ich ja gerade auf die Löschung meines accounts und habe mir deshalb nicht die Zeit genommen, in der vielleicht notwendigen Tiefe nach Quellen und Belegen zu suchen und Zitate aus Büchern zu übersetzen.

    Ich bitte Dich - das wäre zu viel erwartet. Mir ging es ja nur um den Hinweis auf die ethischen Implikationen von Jensens (grundsätzlich durchaus nachvollziehbarer, aber jener Implikationen wegen für mich nicht akzeptablen) Positionierung und einen Hinweis auf Literatur, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dieser ethischen Problematik beschäftigt. Deine Replik ist so oder so willkommen - und dass Du Dich hier doch noch zu Wort meldest, gibt mit Gelegenheit zu sagen, dass ich Deinen Abschied hier bedaure. Ich habe Deine abgewogenen und bei allem Engagement unaufgeregten Postings sehr geschätzt. Ich hoffe, mein recht schroffes Urteil über Jensen hat nicht entscheidend zu Deinem Abschied beigetragen - das täte mir leid.

    Axel:

    Zweitens (und das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit) muss ich nicht mit der kompletten Philosophie Jensens einverstanden sein, um Teile davon richtig und wichtig zu finden.

    Das sehe ich auch als Selbstverständlichkeit. Ich für meinen Teil habe auch keinerlei Einwände gegen seine Analyse, gegen seine scharfe Kritik von Kultur und Zivilisation.


    Bitte erlaube mir ein paar biographische Reminiszenzen. Ich habe mich schon früh für Geschichte interessiert. Ich las lieber Felix Dahn statt Karl-May-Abenteuergeschichten, Gustav Schwab natürlich, und interessierte mich auch bald für 'richtige Geschichte'. Mit 14 fand ich unter den Büchern meines Vaters das kommunistische Manifest und war von dieser Interpretation von Geschichte fasziniert. Dass in der Gesellschaft, in der ich aufwuchs, nicht alles im Lot war, hatte ich da auch schon gemerkt. Die Studenten von 68 kamen nun allmählich aus den Universitätsstädten in die Provinz und 'verdarben die Jugend'. Ich ließ mich für Agitprop rekrutieren, 'Schülerarbeit'. Diskussionsgruppen, Flugblätter usw. usf. Dass ich den real existierenden Sozialismus ein wenig aus eigener Anschauung kannte (von häufigen Verwandtenbesuchen in der DDR her) sorgte dafür, dass ich bei den Trotzkisten mitarbeitete. Zu dieser Zeit lief dann auch diese RAF-Geschichte, die erste Generation. Und damit stand dann in der gesamten linken Szene die Gewaltfrage auf der Tagesordnung. Als Revolutionär muss man sich darüber im Klaren sein, dass an Gewalt kein Weg vorbeiführt. 'Revolutionäre Notwendigkeit'. Die Frage war nur, wann und wo sie gerechtfertigt ist. Der Fehler der RAF war aus diesem Blickwinkel, dass schlicht keine revolutionäre Situation vorlag und die Einschätzung, man könne eine revolutionäre Situation provozieren, indem man 'die faschistische Fratze aus dem Staat herausbombt', keine erfolgversprechende Strategie darstellte. Während dieses Gewaltdiskurses begann ich allmählich, mir meine Genossen etwas genauer anzuschauen ohne meine Wahrnehmung durch 'die gemeinsame Sache', die Utopie, filtern zu lassen und fühlte mich zunehmend unwohler in dieser Gesellschaft und noch unwohler bei dem Gedanken, wie diese Leute miteinander - und mit anderen Leuten - umgehen würden, wenn sie auch noch bewaffnet wären. Da fing ich an, Abstand zu nehmen - nicht ohne mir für diese Entscheidung, mit der ich mich zunächst nicht wirklich 100%ig wohlfühlte, nachträglich auch eine Rechtfertigungsbasis zuzulegen - ich las Thoreau und beschäftigte mich mit Gandhi.


    Langer Rede kurzer Sinn - diese soll eigentlich nur illustrieren, was ich mit dem 'hohen Wiedererkennungswert' gemeint habe. Ich habe jedenfalls keinen Bedarf, mein Verhältnis zur Gewalt einer Revision zu unterwerfen. Diese Frage habe ich für mich vor vier Jahrzehnten geklärt und ich sehe keine Veranlassung, sie erneut aufzugreifen. Daran ändert auch ein 'Weltuntergang' nichts.


    Zum Teil hat das auch etwas damit zu tun, dass ich zu dieser Zeit von einer Kritik der politischen Ökonomie zu einer fundamentaleren fand. Zu einen über Marcuse, zum anderen über Zhuangzi. Noch heute halte ich speziell letzteren für so ziemlich das fundamentalste an Kultur-und Zivilisationskritik, was je geleistet wurde - inbegriffen einer scharfen Kritik von Moral. Eine Kritik, die auch auf alle Sorten von Moralisten passt - politische, religiöse und auch ökologische.


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    Axel:

    Schon die Wortwahl ('Ökoterrorismus'), aber vor allem die Infamie, ohne nähere Begründung wirtschaftliche Motive zu unterstellen, begrenzt meine Achtung da auch etwas...


    Im Gegensatz zu anderen Autoren auf dem 'Markt für geistige Hilfestellungen' (unnötig, hier Namen zu nennen) steht Jensen unter der derzeitigen Rechtslage in den USA ständig mit einem Bein im Knast, was die Bequemheit des Schreibtisches stark einschränken dürfte.

    Was das "ständig mit einem Bein im Knast" angeht, so würde mich interessieren, wo und wegen welcher Anklagen Jensen vor Gericht gestanden hat - im Internet werde ich da nicht fündig. Ggf. bin ich gerne bereit, das "bequem" zurückzunehmen. Zum Vorwurf, "vom bequemen Schreibtisch aus einem Ökoterrorismus das Wort zu reden" zitiere ich aus den von Dir hier geposteten 'Premises':

    Zitat

    This culture will not undergo any sort of voluntary transformation to a sane and sustainable way of living. If we do not put a halt to it, civilization will continue to immiserate the vast majority of humans and to degrade the planet until it (civilization, and probably the planet) collapses. [...] The longer we wait for civilization to crash—or the longer we wait before we ourselves bring it down — the messier will be the crash [...] Given the current levels of violence by this culture against both humans and the natural world, however, it’s not possible to speak of reductions in population and consumption that do not involve violence and privation [...] Personally and collectively we may be able to both reduce the amount and soften the character of violence that occurs during this ongoing and perhaps longterm shift. Or we may not. [...] Love does not imply pacifism. [...] It is a mistake (or more likely, denial) to base our decisions on whether actions arising from these will or won’t frighten fence-sitters, or the mass of Americans.

    Ich denke, das spricht für sich selbst. Bei Jensen finden sich verschiedene Ansätze zur Rechtfertigung von Gewalt - angefangen bei der polemischen Charakterisierung des Verhältnisses von Natur und Kultur als eines Krieges. Andrew Fiala (Violence and Nonviolence in the Environmental Movement, in: The Peace of Nature and the Nature of Peace, ed. A. Fiala, 2015) merkt dazu an (auch hier mit Unterstreichungen von mir):

    Zitat

    ... it is a bit of rhetoric that clouds critical thinking. [...] The metaphor of war against nature is thus inapt. It is also morally dangerous.


    One danger of this way of speaking is that if we truly believe that we are in the middle of a war against nature, there is a risk of escalating tactics of resistance and protest. War metaphors normalize violence. Derek Jensen - an author who uses the war on nature motif - has argued explicitly against nonviolence and pacifism. He suggests, in a sustained critique of pacifism in Endgame, that pacifism is useless moralizing (Jensen 2006). Jensen relates his critique of pacifism to Ward Churchill's Pacifism as Pathology - and indeed Jensen wrote the foreword for the new edition of Churchill's book (Churchill 2007)

    Bemerkenswert ist auch, dass Jensen zumindest in seinen 'Premises' auf eine Differenzierung bzgl. Gewalt gegen Sachen und gegen Personen völlig verzichtet. Bezeichnend seine diversen konsequentialistischen Begründungen für Gewalt - was man im Prinzip von militanten Revolutionären rechter und linker Couleur seit langem kennt. Inklusive der Verachtung demokratischer Legitimation, wie sie insbesondere im letzten Satz des obigen Zitats aus den 'Premises' zum Ausdruck kommt. Zumindest für mich ist der Wiedererkennungswert da sehr hoch.


    Ansonsten habe ich Jensen keine "wirtschaftlichen Motive" unterstellt. Ich wies vielmehr darauf hin, dass er "dank des Marktes für geistige Hilfestellungen sein ökonomisches Auskommen" findet. 24 Bücher in 20 Jahren, dazu diverse CD- und DVD-Produktionen, Vorträge ... Ohne ihm das nun zum Vorwurf zu machen, so liegt doch eine unübersehbare Ironie darin, dass es gerade die von Jensen so heftig angegriffene, auf dem Gebrauch permanenter Gewalt gegen Natur und Mensch gegründete Zivilisation und kapitalistische Kultur (zu der ja irgendwie wohl auch der Büchermarkt gehört) ist, die seine eigene materielle Lebensgrundlage ist.


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    Der Unbuddhist:

    Wenn man an dem Punktangelangt ist, an dem sogar eine Fundamentalkritik der Fundamentalkritik denkbar wird, was soll man dann tun?

    Nun - wenn man schon dahin gelangt ist, sollte man eine solche Kritik auch leisten.

    Der Unbuddhist:

    Die Hände in den Schoß legen und seufzen?

    Das interpretiere ich jetzt mal als Metapher für Resignation. Wobei das Versagen von Fundamentalkritik, das Problem der Leidhaftigkeit der Existenz des Kritikers zu lösen, ja nicht unbedingt in eine fundamentale Resignation führen muss, sondern lediglich in eine hinsichtlich der begrenzten Tauglichkeit von Kritik.

    Der Unbuddhist:

    Eine halbe Stunde die Wand ansehen?

    Auch dies ist eine Metapher (jedenfalls habe ich sie in diesem Sinn eingeführt). Sie steht für ein zeitweiliges Einstellen diskursiven Denkens, das an seine Grenzen gestoßen ist. Das wiederum ist nun keine Resignation, sondern ein anderer Modus mentaler Aktivität. Dazu muss man nun nicht einmal unbedingt auf wu nian / mushin (無念) oder fei si liang / hishiryō (非思量) verweisen, man kann hier auch etwa auf Sartres nicht-thetisches Bewusstsein zurückgreifen. Wobei Sartres "conscience (de) soi" sich natürlich von beispielsweise Dōgens hishiryō insofern unterscheidet, als er dieses nur als Komplement thetischen Bewusstseins, genauer: dessen Existenzweise (mode d'existence) begriff. Schlicht, weil ihm die Möglichkeit einer Reduktion des Bewusstseins auf das präreflexive Cogito des nicht-thetischen Bewusstseins bzw. das dazu führende mentale Training nicht bekannt war.

    Der Unbuddhist:

    Solche Kritik zum Firlefanz erklären?

    Das ist sie sicher nicht. Sie ist notwendig im Hinblick auf ihre Funktion der Desillusionierung.

    Der Unbuddhist:

    Der Einfachheit halber eine Erleuchtung postulieren, die schlicht jenseits allen menschlichen Denkens liegt?

    Nun - bevor man dies tut, sollte man sich zunächst einmal klar sein, was man da eigentlich postuliert. Was also "Erleuchtung" ist. Im Kontext buddhistischen Denkens ist dies nur eines, nämlich der Status, in dem das existentielle Problem der Leidhaftigkeit bewältigt ist. Dieses Postulat verweist auf eine Bewusstseinsebene, die thetisches Bewusstsein ("menschliches Denken") und damit auch die personale Ebene transzendiert. Insofern ist es ein Remedium gegen das, was ich oben im Zusammenhang mit dem Scheitern des (kritischen) Denkens an seinen Grenzen "fundamentale Resignation" genannt habe und was Du selbst in Deinem vorletzten Posting ja auch angesprochen hattest. Mehr würde zumindest ich da nicht hineingeheimnissen.


    Wobei dieses Postulat nun auch wieder kein beliebiges, willkürliches ist. Auch, wenn das Postulierte allenfalls jenseits eines personalen Bewusstseins (unter dem ich übrigens durchaus auch das nicht-thetische subsumiere) ein Potential hat und eine Realisierung dieses Potentials nicht in ein personales Bewusstsein in irgendeiner Form integriert werden kann, so gibt es doch personale Grenzerfahrungen - z.B. aus dem 'reduzierten' nicht-thetischen Bewusstseinszustand heraus - die auf ein solches Potential verweisen. Diese werden nicht nur in das personale Bewusstsein integriert, sie wirken auch (in Abhängigkeit von ihrer Häufigkeit und Intensität) auf das existentielle (personale) Problem der Leidhaftigkeit. Weniger im Sinn einer Lösung als einer Aufhebung der Problemstellung (das ist im Hinblick auf den Aspekt 'Bedürfnisbefriedigung' erheblich) durch eine andere Sicht auf die personale Existenz. Damit erweist sich das Postulat selbstredend nicht als "wahr" - jedoch als nützlich. Insofern ist dieses Postulat lediglich instrumental.

    Der Unbuddhist:

    Einfach behaupten, wer den kapitalistischen Weltuntergang nicht aufhalten kann, soll den Mund auch bei jedem anderen Problem halten?

    Damit wären wir Alle zur Stummheit verdammt. Der kapitalistische Weltuntergang ist mE nicht aufzuhalten. Wobei ich niemandem meine Achtung versage, der dies versucht - zu dieser Spezies habe ich mich schließlich selbst lange gezählt. Wobei man sich da schon die vorgeschlagenen Mittel genau anschauen sollte. Etwa vom bequemen Schreibtisch aus einem Ökoterrorismus das Wort zu reden und damit dank des Marktes für geistige Hilfestellungen sein ökonomisches Auskommen zu finden, begrenzt meine Achtung da schon etwas.


    Nun kommt dieser "Weltuntergang" ja nicht von ungefähr, seine Ursachen liegen in "anderen Problemen" und diese wiederum haben etwas mit unserer eigenen Konstitution zu tun. Insofern gibt es durchaus radikale Ansätze (eben bei sich selbst), u.a. auch mit dem "kapitalistischen Weltuntergang" umzugehen bzw. ihn nicht mehr als unvermeidbar zu befördern. Nur sind diese Ansätze hinsichtlich ihrer sozialen Relevanz und damit Wirksamkeit vernachlässigbar. Trotzdem sollte man nicht darauf verzichten, eine Kerze zu entzünden, um wenigstens die Ecke der Welt, in der man steht, ein wenig zu erhellen. Wem es hilft, der mag sich im Sinne Hölderlins ("Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch") mit Hoffnung behelfen - wenn man denn nicht Nietzsches Diagnose zustimmt, Hoffnung sei "in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert".


    Ansonsten - so wild wird das mit dem Weltuntergang schon nicht werden. Zumindest die Kakerlaken werden ihn als Spezies überleben.

    Der Unbuddhist:

    Die Frage ist auch, ob der infinite Regress, wirklich ein solcher ist, oder ob dieser nicht vielleicht auf einer kulturspezifischen Syntax des Denkens aufbaut? Vielleicht hat diese Syntax sogar mit dem zu tun was Magaret Thatcher mal sagte, und was alle Kapitalisten heute sowieso sagen: There is no alternative?! Ach wirklich?

    Nun - die "Syntax des Denkens" ist die Logik, und die wiederum halte ich nicht für "kulturspezifisch" (wenn man auch nichtklassische logische Systeme einbezieht), sondern für eine evolutionär stabile Strategie der Gattung Homo - also gattungsspezifisch. Kulturspezifisch sind allerdings manche ihrer Prämissen - was nun wiederum nicht bedeutet, es gäbe keine Prämissen, die evident sind.


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    Tychiades:
    Sudhana:

    Das Sich-Einlassen auf eine bestimmte, "besondere" Art von Prägung durch Tradiertes - das heisst die Neigung, sich bestimmten Bewusstseinsinhalten mehr auszusetzen als anderen - setzt natürlich ein Vertrauen voraus. Das Vertrauen ist gerichtet, und zwar in Richtung einer optimierten Bedürfnisbefriedigung. Wobei es hinsichtlich der Bedürfnisse ebenfalls eine infinite Varianz von sehr groben zu sehr subtilen gibt.

    Das möchte ich nicht unwidersprochen stehen lassen, denn 1. die Bewusstseinsinhalte sind nicht nur von der individuellen Neigung bedingt, sondern auch vom kulturellen Angebot.

    Davon schrub ich ja, von der

    Zitat

    Tradition, deren Gesamt sich uns als die Kultur präsentiert, die uns zu 'Ichs' prägt.

    Entsprechend der Neigung prägt sich tradierte Kultur im Geprägten als Bewusstseinsinhalt individuell aus.

    Tychiades:

    Und 2. Vertrauen ist erst die zweite Stufe. Vorher gilt es eine Unsicherheit, d.h. Not zu wenden und erst wenn die Erfahrung dann gegeben ist, dass das tatsächlich funktionerte, dann kommt Vertrauen.

    Das Vertrauen hat als Vorläufer den blinden Instinkt, als Zwischenstufe bei der Ausformung des Grundantriebes, der den Willen positiv auf Integration (Anziehung) und negativ auf Segregation (Abstoßung) richtet. Vertrauen, "die zweite Stufe", ist nur ein Versuch seiner (des Instinkts) nachträglichen Rationalisierung. Das Sich-Ausprägen ist ja dynamisch, ein Vektor, der sich aus der Differenz von Anziehung und Abstoßung ergibt. Das sollte das "gerichtet" ("in Richtung einer optimierten Bedürfnisbefriedigung") ausdrücken. Das ist unser animalisches Substrat.

    Tychiades:

    Allerdings ist 3. auf der unbewussten oder vorbewussten Stufe eine (vorbehaltlose) Offenheit vorhanden, die einfach fraglos so ist.
    Da wir keine leeren Blätter sind, ist diese vorbehaltlose Offenheit der Moment, der als Nicht-Denken denken bezeichnet wird oder Anfängergeist.

    Der oben genannte Grundantrieb entspringt dieser "(vorbehaltlosen) Offenheit", wenn eine spontane Symmetriebrechung stattfindet - wenn Symmetrie des Nicht-Denkens in Anziehung und Abstoßung aufbricht.

    Tychiades:
    Zitat

    Der spezielle Ausdruck von Tradition, der uns hier interessiert ist einer, der geltend macht, dass Bedürfnisbefriedigung allenfalls momentan möglich ist und selbst diese momentane Bedürfnisbefriedigung wegen ihrer ephemeren Natur zwangsläufig eine Bedürftigkeit nach Dauer erzeugt und gleichzeitig frustiert, was bedeutet, dass Bedürftigkeit (deren Ausdruck Leid ist) lediglich durch Aufhebung der Bedürfnisse abzuhelfen ist. Soweit gelangt, stösst man auf den infiniten Regress, dass Aufhebung der Bedürfnisse selbst zu einem Bedürfnis geworden ist. Damit ist man am Punkt einer fundamentalen Kritik von Tradition überhaupt und natürlich insbesondere ihrer Sinn konstruierenden Aspekte - Religionen, Philosophien, Ideologien usw.. Wobei der buddhistische Denkansatz also nicht nur zu Fundamentalkritik führt, sondern notwendig zur Fundamentalkritik auch seiner selbst wird - also einer Fundamentalkritik der Fundamentalkritik.

    Man kann aber den Faden an beliebigen Punkt abschneiden.

    Natürlich :) "Spätestens da wird es dann Zeit" schrieb ich, wobei das "spätestens" auf den infiniten Regress bezogen war - die Grenze, die dem Denken gesetzt ist. Wobei ich das Ausloten dieser Grenze des Denkens für durchaus hilfreich für ihr Überschreiten halte. :) Was natürlich an meiner déformation professionnelle liegen mag; Grenzziehung ist mein Geschäft ...

    Tychiades:


    Wobei es garnicht um die Aufhebung der Bedürnisse geht, denn das ist physiologisch nur als Magersucht oder Hungerstreik machbar und endet mit dem Tod. Will man also bis zum natürlichen Ende leben, muss bzw. soll man dafür eben was tun. Man schichtet also die Bedürfnisse um, d.h. eine Art Ernährungsumstellung, indem man Nahrung durch Nahrung überwindet.

    Nun ja - man kann versuchen, Anziehung und Abstoßung so weit auszutarieren, dass man leichter ins Gleichgewicht, die Symmetrie gerät. Das macht man dann irgendwann schon aus Bequemlichkeit.

    Tychiades:

    z.B. in dieser Form:

    Zitat


    ... sich einfach mal wenigstens eine halbe Stunde ruhig hinzusetzen ...


    Dann klappt's auch mit dem Gleichgewicht.

    Tychiades:

    Aber man kann auch kochen, laufen, schwimmen ....

    Da wird's schon schwieriger. Ich versuche, mit Spazierengehen und Teetrinken als Leidenschaften hinzukommen.


    ()

    Holzklotz:

    Ich finde es auch wichtig und richtig, Religion und Tradition grundsätzlich zu hinterfragen.

    So ist es - wobei ich Religion lediglich als einen Teil der Tradition, also des Tradierten, sehe. Religion ist offensichtlich eine sehr grundlegende anthropologische Strategie, mit der Leidhaftigkeit eines ich-zentrierten Bewusstseins umzugehen. Religion ist somit ein sehr archaischer Aspekt der Tradition, deren Gesamt sich uns als die Kultur präsentiert, die uns zu 'Ichs' prägt.

    Holzklotz:

    Für mich sieht es so aus, als gäbe es da ein Grundproblem, dass fast jeder, der sich so einem "System" verschreibt zunächst mal der Meinung ist, dass es etwas Besonderes ist, und das ist für den Einstieg wahrscheinlich sogar notwendig, weil daraus ein zunächst oberflächliches Vertrauen in die Aussagen der Texte entsteht, das einem erlaubt, einen Wandlungsprozess beginnen zu lassen. In dem Stadium ist man quasi gezwungen, dass das Ego die Lehre toll oder wenigsten gut findet.

    Nun ja - jeder löffelt die Suppe, die ihm schmeckt. Anders gesagt: die Varianz der Prägungen durch Tradiertes scheint infinit zu sein. Und jede individuelle Prägung ist eine Instanz davon - und damit in der Tat etwas "Besonderes". Das Sich-Einlassen auf eine bestimmte, "besondere" Art von Prägung durch Tradiertes - das heisst die Neigung, sich bestimmten Bewusstseinsinhalten mehr auszusetzen als anderen - setzt natürlich ein Vertrauen voraus. Das Vertrauen ist gerichtet, und zwar in Richtung einer optimierten Bedürfnisbefriedigung. Wobei es hinsichtlich der Bedürfnisse ebenfalls eine infinite Varianz von sehr groben zu sehr subtilen gibt.


    Der spezielle Ausdruck von Tradition, der uns hier interessiert ist einer, der geltend macht, dass Bedürfnisbefriedigung allenfalls momentan möglich ist und selbst diese momentane Bedürfnisbefriedigung wegen ihrer ephemeren Natur zwangsläufig eine Bedürftigkeit nach Dauer erzeugt und gleichzeitig frustiert, was bedeutet, dass Bedürftigkeit (deren Ausdruck Leid ist) lediglich durch Aufhebung der Bedürfnisse abzuhelfen ist. Soweit gelangt, stösst man auf den infiniten Regress, dass Aufhebung der Bedürfnisse selbst zu einem Bedürfnis geworden ist. Damit ist man am Punkt einer fundamentalen Kritik von Tradition überhaupt und natürlich insbesondere ihrer Sinn konstruierenden Aspekte - Religionen, Philosophien, Ideologien usw.. Wobei der buddhistische Denkansatz also nicht nur zu Fundamentalkritik führt, sondern notwendig zur Fundamentalkritik auch seiner selbst wird - also einer Fundamentalkritik der Fundamentalkritik.


    Spätestens da wird es dann Zeit, sich einfach mal wenigstens eine halbe Stunde ruhig hinzusetzen und zur Abwechslung bloß die Wand anzustarren.

    Holzklotz:

    Da sich aber all diese Systeme mit Fragen des Lebens auseinader setzen tun sie eigentlich nichts anderes, als das, was jeder x-beliebige Mensch auch tut - einfach weil er/sie geboren wurde und mit der Welt klar kommen muss. In den Systemen wurden stinknormale Lebenserfahrungen aufgeschrieben und weiter gegeben, die dem Leser Zeit sparen helfen sollen, aber es geht trotzdem um das stinknormale Leben.

    Yup.

    Holzklotz:

    Deshalb heißt es wohl auch im Zen, dass man den Buddha töten soll, wenn man ihn trifft, weil das System nichts Besonderes in sich hat, das dem stinknormalen Leben auf irgendeine Art überlegen wäre.

    Den Buddha töten heisst das Bedürfnis nach Buddha aufzuheben. Mit diesem Bedürfnis

    Holzklotz:

    verlagert man seine Verblendung [...] nur von weltlichen Inhalten auf spirituelle Inhalte und damit ist nichts "gewonnen".


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