Zunächst einmal bitte ich um Verständnis für die Verzögerung der Antwort; ich war die letzten Tage (bzw. bin es noch) durch einen recht heftigen grippalen Infekt etwas beeinträchtigt.
Vibhajjavādī:Wo hat diese Lehre ihre Wurzeln im frühen Buddhismus?
Wenn ich mich nicht sehr irre, hast Du Dich schon früher unter anderem Namen hier als Spezialist für den sog. "Frühbuddhismus" geäußert. Nun - dieser ist hier nicht gemeint, jedenfalls nicht im Sinne der Arbeiten Bhikku Analayos u.a. 'Früher Buddhismus' steht hier schlicht für den Begriff Hinayāna und sollte diesen vermeiden. Ganz konkret finden sich geistesgeschichtliche Vorläufer vor allem bei den Lokottaravādin: Verständnis der Buddhas als 'überweltlich' (lokottara) sowie ihre Freiheit von unreinen / weltlichen (laukika) dharmas, Manifestation der Essenz (garbha - sic!) der Buddhas durch ihre Worte (vacāna), Unbegrenztheit des rupakāya der Buddhas und ihre unendliche Langlebigkeit usw. - Näheres dazu findet man in André Bareaus Standardwerk.
Zu den "Anknüpfungspunkten" im Palikanon - sinnvollerweise mit Zitaten in deutscher Übersetzung:
Ud.VIII.1. und Ud.VIII.3.:Alles anzeigenSo hab ich's vernommen: Einstmals weilte der Erhabene in Sāvatthī im Kloster Anāthapindikos. Da klärte der Erhabene die Mönche durch eine Lehrdarlegung über das Nirvāna auf, spornte sie an, begeisterte sie, beseligte sie. Und diese Mönche, aufnahmebereit, aufmerksam, hörten mit ganzem Gemüt hingegeben, offenen Ohres die Lehre.
Aus diesem Anlaß tat der Erhabene aus seiner Schau folgenden Ausspruch:
"Es besteht ein Reich, ihr Mönche,
wo es keine Erdenart gibt,
Wasserart nicht, Feuerart nicht,
Luftart nicht, wo kein Bereich ist
eines unbegrenzten Raumes,
oder endlosen Erfahrens,
oder 'Nicht-Etwas', und auch nicht
'Weder-Wahrnehmung noch keine',
'Diese Welt' und 'jene' – beides
gibt's dort nicht, auch 'Sonne', 'Mond' nicht.
Kommen gibt's dort nicht, so sag ich,
Gehen nicht und kein Sichstützen,
Schwinden nicht und Wiederkommen:
Frei von Stützen, frei von Fort-Gang:
So ist es ganz unabhängig.
Wahrlich: Das ist Leidens Ende."
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(Einleitung wie Ud.VIII.1)
"Es besteht, Mönche,
das Ungeborene, Ungewordene,
Ungeschaffene, Unzusammengesetzte.
Wenn dieses Ungeborene, Ungeschaffene,
Unzusammengesetzte nicht bestünde,
- nicht wäre dann ein Entrinnen
aus dem Geborenen, Gewordenen,
Geschaffenen, Zusammengesetzten
zu erkennen.
Weil aber dieses Ungeborene,
Ungewordene, Ungeschaffene,
Unzusammengesetzte besteht, Mönche,
deshalb ist ein Entrinnen für das
Geborene, Gewordene, Geschaffene,
Zusammengesetzte zu erkennen."
(beide Übersetzung Fritz Schäfer)
Die beiden Udāna-Texte weisen dem Erfahrungsbereich des Tathāgata eine positive ontische Qualität zu - anders gesagt: nibbana wird hier nicht negativ im Sinn eines absoluten Erlöschens (also eines Nichts) ausgedrückt.
In der Tathāgatagarbha-Doktrin wird diese positive ontische Qualität mit dem dharmakāya als Vollendungsaspekt des Tathāgatagarbha identifiziert, der im Erfahrungsbereich fühlender Wesen (sattvadhātu, Ursache- oder Keimaspekt des Tathāgatagarbha) durch 'Befleckungen' (kleśa) verdeckt ist. Was durch die Praxis des achtfachen Weges (den dynamischen Aspekt des Tathāgatagarbha) erlischt bzw. verweht, sind die kleśa (Pali kilesa) und die durch sie bedingten āśrava (Pali āsava).
Ergänzend: das "Ungeborene, Ungewordene, Ungeschaffene, Unzusammengesetzte" ist im "Entrinnen für das Geborene, Gewordene, Geschaffene, Zusammengesetzte zu erkennen." Es ist mithin nicht transzendent (der Erfahrung entzogen, sie übersteigend), sondern immanent, was wiederum ein zentraler Gedanke der Tathāgatagarbha-Doktrin ist.
ZitatAlles anzeigenBrahmanimantaṇika Sutta (MN 49), Abschnitt 25
Bewußtsein, das nicht irgendetwas zuweist(1)
Unendlich ist, Getrennt von Allem leuchtet(2)
daran hat die Erdhaftigkeit des Erdelements nicht Anteil, daran hat die Wasserhaftigkeit des Wasserelements nicht Anteil, daran hat die Feuerhaftigkeit des Feuerelements nicht Anteil, daran hat die Windhaftigkeit des Windelements nicht Anteil, daran hat die Eigenart der Lebewesen nicht Anteil, daran hat die Eigenart der Himmelswesen nicht Anteil, daran hat die Eigenart von Pajāpati nicht Anteil, daran hat die Eigenart von Brahmā nicht Anteil, daran hat die Eigenart der Himmelswesen des Überströmenden Glanzes nicht Anteil, daran hat die Eigenart der Himmelswesen der Leuchtenden Herrlichkeit nicht Anteil, daran hat die Eigenart der Himmelswesen der Großen Erfolge nicht Anteil, daran hat die Eigenart des Überwinders nicht Anteil, daran hat die Allhaftigkeit von Allem nicht Anteil.
Anmerkungen:
(1) Viññāṇam anidassanam, "nicht-indikatives Bewusstsein" ist das Bewusstsein eines Arahants. Es determiniert nichts als Grundlage für die Ich-Illusion, es ist "durchsichtig", "nicht auffindbar".
(2) Sabbatopabhaμ: Bhikkhu Ñāṇananda versteht den Ablativ sabbato als “ausgehend von” und übersetzt in “Concept and Reality” mit “lustrous on all sides”. Hier wird er als “getrennt von” aufgefasst, was vom nachfolgenden Textzusammenhang gestützt wird. Die frühere interpretative Übersetzung des Verses wurde fallengelassen.
(Übersetzung Kay Zumwinkel)
A.1.10. Das lautere Bewusstsein I (V,9-10)
Lauter, ihr Mönche, ist dieses Bewusstsein; doch es wird verunreinigt von hinzukommenden Befleckungen.
Lauter, ihr Mönche, ist dieses Bewusstsein; und ist es frei von hinzukommenden Befleckungen.
(Übersetzung Nyanatiloka/Nyanaponika)
Klares Licht ist dieser Geist. Er ist durch hinzukommende Befleckungen bedeckt.
Klares Licht ist dieser Geist. Er wird von hinzukommenden Befleckungen befreit.
(Übersetzung Peter Gäng)
[Anmerkung: Nyanatiloka/Nyanaponikas Übersetzung ist eher eine Interpretation, Buddhaghosas im 5. Jahrhundert verfassten Kommentar Manorathapūraṇī folgend. Peter Gängs Übersetzung ist eine wörtliche, die die exegetische Tradition der Theravadin ignoriert.]
Die Verknüpfung zur Tathāgatagarbha-Doktrin besteht hier in den zwei Grundgedanken cittaprakṛti (ursprüngliche Natur des Geistes - d.h. frei von Befleckungen) und āgantukakleśa (hinzukommende Befleckungen). Ein weiterer Aspekt liegt in der Beschreibung dieser im samādhi erfahrenen ursprünglichen Natur des Geistes als 'leuchtend' bzw. Licht. Keine Identifikation (es handelt sich selbstredend nicht um eine sinnliche / optische Lichterfahrung), aber eine für den, der diese Erfahrung macht, naheliegende Verhüllung einer unausdrückbaren Erfahrung in Worte (saṃvṛttisatya). Dieser prabhāsvaracitta ('Klares-Licht-Geist') bezeichnet in verschiedenen Mahāyāna-Systemen die subtilste Form des Bewusstseins.
Nachbemerkung: mir ist selbstredend bekannt, dass insbesondere in der Theravada-Tradition die genannten Quellen anders interpretiert werden und habe auch kein Problem damit (deutlicher: es ist mir schnurz). Es ging mir bei diesen Verweisen nicht darum, die Tathāgatagarbha- / Buddhanatur-Doktrin durch Verweis auf den Palikanon zu "legitimieren" - dies ist so wenig erforderlich wie eine anderslautende Exegese dieser Zitate die Tathāgatagarbha-Doktrin delegitimieren könnte. Dazu müsste man sich unter den Beteiligten einer solchen Diskussion über den Palikanon als verbindliche Grundlage einer Dogmatik einig sein. Da bin ich raus. Es ging mir lediglich darum aufzuzeigen, dass solche entwickelten Lehren nicht aus dem Nichts entstehen; dass sie Endpunkt einer geistesgeschichtlichen Entwicklungslinie sind. Wenn man eine solche hier nicht zu erkennen vermag - bitteschön. Damit habe ich kein Problem.
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